Der virtuelle Schauspieler

Am 30. September 2019 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über Fotografien von Menschen, die gar nicht existieren. Die neben dem Artikel abgelichteten Gesichter waren digital hergestellt. Bald seien auch bewegte Bilder von nicht existierenden Menschen verfügbar, so die SZ. Dann aber sei der Beruf des Schauspielers endgültig gefährdet, befürchtet sie, wohl zu Recht, zumindest was den Film betrifft. Denn wenige Tage später erschien in derselben Zeitung ein Interview mit dem Filmregisseur Ang Lee über seinen neusten Film „Gemini Man“, in dem erstmalig ein virtueller Schauspieler mitspielt, der von einem echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist. Was bedeutet das für die Theater, in denen auch in Zukunft sicher leibhaftige Schauspieler auftreten werden, was aber vor allem für die in Film und Fernsehen tätigen Schauspieler?

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Wer die genannten Texte genau liest, wird feststellen, dass sie eines gemeinsam haben: In beiden Fällen sind die virtuellen Personen nicht entstanden, ohne auf lebende Menschen zurückzugreifen. Die Fotos sind generiert aus 29.000 Porträts von 69 natürlichen Personen, deren Gesichter dann zu neuen virtuellen Porträts zusammengefügt wurden. Und der virtuelle Schauspieler in „Gemini Man“ ist eine jüngere Ausgabe des in dem Film ebenfalls mitspielenden Schauspielers Will Smith. Man griff also auf altes Filmmaterial mit dem jüngeren Will Smith zurück, um die digitale Person neu zu kreieren und in „Gemini Man“ mitspielen zu lassen. Ang Lee sagt, noch könne man auf die körperliche Performance, also Körper- Gesichts- und Augenbewegungen von echten Menschen, nicht verzichten, um eine digitale Kreatur entstehen zu lassen, ergänzt aber: „Noch nicht“. Da werde sich eine neue Welt eröffnen, auch für Regisseure.

Wer hat Rechte?

Solange das Einspielen von menschlicher Gestik erforderlich ist, um einen virtuellen Schauspieler zu kreieren, stellen sich dem, der die Gesten zur Verfügung stellt, einige juristische Fragen: Ist er noch ein darstellender Künstler, der an dem Film mitwirkt und deshalb eigene Rechte an diesem Filmwerk hat? Muss man ihn als Mitwirkenden also im Abspann des Films nennen? Kann er sich dagegen wehren, wenn aus seiner Gestik eine Person entsteht, die absolut seinen Vorstellungen nicht entspricht? Oder mit dieser Person eine Geschichte erzählt wird, mit der er sich keineswegs identifizieren kann? Wie sind diese Fragen zu beurteilen, wenn die virtuelle Person, wie bei „Gemini Man“ aus früheren Filmaufnahmen eines Schauspielers entwickelt wird?

Eines lässt sich sicher sagen: Wer seine Gestik als Darsteller bereitstellt, um daraus einen virtuellen Schauspieler für einen Film zu entwickeln, sollte mit dem Filmproduzenten einen Vertrag abschließen und in diesem Vertrag die oben aufgeworfenen Fragen genau regeln. Und will der Filmproduzent auf alte Filmaufnahmen eines Darstellers oder mehrere Schauspieler zurückgreifen, um daraus einen neuen Film zu produzieren, dann geht das nur mit Zustimmung der jeweiligen Schauspieler. Dabei ist es auch unerheblich, ob das bestehende Leistungsschutzrecht des Schauspielers noch besteht oder nicht. Ist die Schutzfrist noch nicht abgelaufen, gibt es an der Zustimmungspflicht ohnehin keine Zweifel. Aber auch im anderen Fall kommt der Produzent an der Zustimmung nicht vorbei. Das gebietet bereits das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Gelangt man irgendwann dahin, dass der virtuelle Schauspieler entwickelt werden kann, ohne sich die Gesten einer natürlichen Person zu Nutze zu machen, fehlt es an einer natürlichen Person, die die Rechte eines Schauspielers für sich in Anspruch nehmen könnte. Dann aber ergibt sich die Frage, ob derjenige, der den virtuellen Schauspieler am Computer entwickelt hat, daran ein echtes Urheberrecht hat. Man wird das eindeutig bejahen müssen, im Übrigen auch für den Fall des oben beschriebenen Rückgriffs auf die Gestik einer natürlichen Person.

Das Publikum

Das alles führt also zu einer fundamentalen Änderung der Rechtesituation beim Film (wie beim Fernsehen). Es führt aber auch dazu, dass sich im Umgang mit dem Publikum ganz neue Fragen stellen. Muss etwa das Publikum darüber unterrichtet werden, dass es sich bei dem an einem Film mitwirkenden Schauspieler nicht um eine natürliche Person handelt? Gibt es also demnächst Filme mit echten oder unechten Schauspielern? Was bedeutet das für das Publikum? Was für die Werbung für einen Film? Kein Starkult mehr! Kein zuweilen auch langweiliger Auftritt eines Schauspielers mehr in Talkshows! Keine Autogramme mehr? Was wird aus dem Oscar? Und verlieben kann man sich in einen Schauspieler oder eine Schauspielerin auch nicht mehr. Filmproduzenten werden vielleicht dennoch aufatmen, müssen sie doch nicht mehr hohe Gagen mit hartnäckigen Agenten verhandeln, nicht mehr entscheiden, ob ein Schauspieler als Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig oder als selbstständig Tätiger nur bei den Abgaben an die Künstlersozialkasse zu berücksichtigen ist.

Und das Theater?

Schön, dass es das gute, alte Theater gibt. Da geht es nun einmal nicht ohne leibhaftige Schauspieler. Nicht ohne direkte menschliche Begegnung zwischen Publikum und denen, die auf der Bühne stehen. Zwar hat auch hier die digitale Welt schon Einzug gehalten und dem Theater neue Möglichkeiten eröffnet, wie der Dramaturg Carl Hegemann in einem Beitrag für die Internetseite SocietyByte (societybyte.swiss) anschaulich beschrieben hat. Er spricht sich in diesem Beitrag auch dafür aus, mehr Theaterproduktionen aufzuzeichnen, um sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen (siehe dazu auch den Bericht auf stadtpunkt-kultur.de über die Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht). Aber selbst im Falle solcher Aufzeichnungen wird klar sein, dass die Mitwirkenden tatsächlich auf der Bühne gestanden haben. Das bleibt auch weiterhin das Stück Authentizität, das Theater ausmacht. Sie müssen wir weiterhin als Chance begreifen, gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung der Welt.

Die 7. Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht

Am 11. November 2019 fand in der Berliner Akademie der Künste die jährliche Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht statt (2019.konferenz-urheberrecht.de). Es ging um die Umsetzung der neusten EU-Richtlinie in deutsches Recht (siehe dazu auch die Stellungnahmen gegenüber dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, u.a. von stadtpunkt-kultur, unter bmjv.de). Das Spektrum der Konferenz-Vorträge, -Statements und -Keynotes reichte von einem deutlichen Appell für die Sicherung von Urheber- und Leistungsschutzrechte über die Forderung einer zügigen Umsetzung der Richtlinie, Detailinformationen über neue rechtliche Ansätze bis hin zu konkreten Erwartungen unterschiedlicher Kultureinrichtungen. Es war ein erfolgreicher, offener Dialog. Das dort von stadtpunkt-kultur für die Theater, ihre Mitarbeiter und Träger sowie für das Publikum abgegebene Kurzstatement finden Sie hier.

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Es soll hier und heute um die grundsätzliche Frage gehen, welche Chancen sich für die Kultureinrichtungen aus der neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie ergeben. Dabei gilt mein Blick,  wie im Programm dieser Konferenz angekündigt, den darstellenden Künsten, also vor allem den Theatern hierzulande. Und auf diese Einrichtungen schauen heißt drei Beteiligte im Auge zu haben: Erstens die Urheber sowie die leistungsschutzberechtigten ausübenden Künstler, ohne die in all diesen Einrichtungen schlicht und ergreifend gar nichts stattfinden würde. Zweitens die Institutionen selbst, also im weitesten Sinne die Veranstalter. Und drittens das Publikum, das sich für alle die Darbietungen dieser Veranstalter erfreulicherweise nach wie vor interessiert. Ich erwähne diese unterschiedlichen Beteiligten so ausdrücklich, weil ich oft feststelle, dass die urheberrechtliche Debatte, auch die über die neue Richtlinie, fast ideologisch, von den unterschiedlichen Beteiligten gerne aus nur einer Sicht geführt wird, nämlich der eigenen. Das müssen wir dringend beenden. Wir Kulturschaffenden sitzen ohnehin alle in einem Boot.

Schauen wir uns also an, welche Interessen die genannten Beteiligten haben. Die Theater wollen vor allem Kunst veranstalten und, wenn es geht, damit Geld verdienen. Die ausübenden Künstler haben eigentlich das gleiche Interesse, was schon einmal keine schlechte Ausgangslage darstellt. Und das Publikum möchte möglichst viel geboten bekommen und ist bereit, dafür auch etwas zu bezahlen. Wo, mag man sich fragen, liegt denn eigentlich das urheberrechtliche Problem? Nun, was die Live-Veranstaltung angeht, ist es so gut wie nicht vorhanden, wenn man mal von so interessanten Fragen absieht, was der Regisseur oder die Regisseurin denn so alles mit dem urheberrechtlich geschützten Stück treiben darf. Aber darum geht es gerade einmal nicht.

Die eigentlichen Probleme beginnen erst mit der elektronischen Verwertung einer Theateraufführung. Sie beginnen also, wenn die Aufführungen durch Aufzeichnung auf Tonträger oder Bildtonträger vervielfältigt werden und wir uns die Frage stellen, was machen wir denn so mit dieser Aufzeichnung. Dabei darf eines nicht vergessen werden: Die Theateraufführung ist eine flüchtige Kunst. Ist die Aufführung zu Ende, existiert sie nur noch in den Köpfen der Beteiligten und der Zuschauer. Ist die Produktion abgespielt, dann ist sie für immer verschwunden oder, um mal einen kleinen Hinweis auf die Richtlinie zu riskieren, „vergriffen“. Will man sie als Kulturerbe dem Publikum erhalten, gibt es nur eine einzige Möglichkeit das zu tun: Man zeichnet sie auf Ton- oder Bildtonträger auf. Das genau hat die Richtlinie doch unter anderem im Auge. Einrichtungen des kulturellen Erbes sollen das kulturelle Erbe durch Vervielfältigung erhalten und dieses nutzen dürfen, ohne allzu weitgehende Rechtefragen lösen zu müssen. Und diese Rechtefragen sind bei der Vervielfältigung einer Aufführung wegen der zahlreichen an ihr Beteiligten gewaltig. Ich zähle nur einmal die Berechtigten einer Opernaufführung auf: Sänger, Tänzer und Choreografen, Orchester und Chor mit einer großen Anzahl von Mitgliedern, Bühnenbildner, Kostümbildner, Lightdesigner, der Regisseur und sein Dramaturg sowie last but not least Komponist und Librettist. Sie alle zwinge ich nur über die Einwilligung oder über den Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn einzelne ihre Zustimmung verweigern, in das gemeinsame Bett der Aufzeichnung auf Ton- oder Bildtonträger. Und das alles bei 30 und mehr Produktionen eines Theaters im Jahr. Insofern gibt es ein großes Interesse aller Beteiligten, nun angesichts der neuen Richtlinie endlich eine einfache Lösung zu finden, die den Veranstaltern und ihren Künstlern eine problemlose Möglichkeit der Aufzeichnung und dessen Nutzung eröffnet. Wege dazu habe ich in meiner Stellungnahme gegenüber dem BMJV aufgezeigt. Dazu erlauben Sie mir hier nur einen kurzen Hinweis: Diese Wege wären deutlich leichter zu finden, wenn auch der Gesetzgeber des Urheberrechts nicht nur die Museen, sondern auch die Theater und Orchester als Einrichtungen des Kulturerbes verstehen würde.

Die zweite sich angesichts der vorliegenden EU-Richtlinie stellende Frage ist die Frage nach der Nutzung der dann existierenden Aufzeichnung. Auch daran haben sowohl die Künstler – etwa zu eigenen Werbezwecken – als auch die Veranstalter ein großes Interesse. Ich will Ihnen die verschiedenen im Theater bestehenden Zwänge, die eine Aufzeichnung erfordern, jetzt gar nicht im Detail aufzählen, sondern Sie lediglich bitten, sich nur einmal kurz vorzustellen, was es im Sinne unseres Kulturerbes bedeuten würde, wenn wir heute eine Aufzeichnung der maßgebenden zu Goethes 80. Geburtstag auch in Weimar 1829 stattfinden Aufführung seiner Faust-Tragödie zur Verfügung hätten. Vielleicht wären wir geschockt über soviel Langeweile statt spannendem Regietheater. Oder ich frage Sie umgekehrt, was es bedeuten würde, wenn wir von der so umstrittenen Aufführung des Brecht-Stückes „Baal“ in der Inszenierung von Frank Castorf, die wegen einer urheberrechtlichen Streitigkeit nach wenigen Aufführungen abgesetzt wurde, keine Aufzeichnung haben sollten. Niemand könnte sich mehr auch nur mit der urheberrechtlichen Problematik dieser Produktion befassen, weil man sie nicht mehr anschauen könnte, von der Bewertung ihrer kulturellen Bedeutung einmal ganz zu schweigen.

Es gibt also ein großes kulturelles Interesse an einer Aufzeichnung und ihrer Nutzung, einschließlich der Nutzung der bereits in den Theaterarchiven schlummernden Theater-Aufzeichnungen. Dabei geht es vor allem um ihre öffentliche Zugänglichmachung im Netz oder auch nur das Streaming, beides zu kulturellen und der Allgemeinbildung dienenden, also zu nicht kommerziellen Zwecken. Das geschieht ausschnittweise oder durch Wiedergabe der vollen Aufführung beispielsweise auf der Internetseite des Theaters, um dem Publikum, mit dessen Steuermittel die Theater weitgehend öffentlich finanziert werden, jenseits der Live-Aufführung die Möglichkeit der Wahrnehmung zu geben. Zugleich muss den beteiligten Urhebern und Leistungsschutzberechtigten natürlich eine angemessene Vergütung gezahlt werden, soweit die Rechteeinräumung nicht schon durch die gezahlte Gage abgegolten ist. Und hier lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung machen. Die Rechtevergabe der Verwertungsgesellschaften dient insbesondere der Bewältigung der Lizenzvergabe im Massengeschäft. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, haben dazu geführt, dass nicht alles, aber vieles, was im Netz stattfindet, praktisch ein Massengeschäft geworden ist. Und das bedeutet: Wir müssen in Anwendung der Richtlinie auch im vorliegenden Zusammenhang zu einer erleichterten Rechteeinräumung gegen angemessene Vergütung möglichst über Verwertungsgesellschaften kommen, zumindest soweit es um die ausübenden Künstler geht. Alles andere ist dauerhaft nicht praktikabel, will man die Präsens von Theaterkunst im Netz und die damit über die Live-Aufführung hinausgehende Verbreitung des entsprechenden kulturellen Erbes sicherstellen. Einschränkungen dieser Möglichkeiten werden sich dann nur noch aus der Wahrnehmung der Urheberpersönlichkeitsrechte ergeben, was zweifelsohne zu gewährleisten ist.

Der Opus Klassik im ZDF, eine vertane Chance?

Vergangenen Sonntag 22.15 Uhr (!). Die Verleihung des Opus Klassik im ZDF. Es schlägt die Fernsehstunde der Musikinteressierten. Kultur gehört ja im Abendprogramm nicht gerade zum Standardangebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Also ist der interessierte Zuschauer gespannt, wie das ZDF die Gunst dieser Stunde nutzt und stellt am Ende fest: Sie wird vertan. Enttäuscht schaltete man, trotz einiger ausgezeichneter künstlerischer Beiträge, am Ende den Fernseher aus, hätte es da nicht die eindrucksvollen Worte einiger Künstler, insbesondere des Pianisten Igor Levit, gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamophobie und jegliche Ausgrenzungen gegeben. Doch ansonsten verlief die Vergabe risikofrei und leider eher phantasielos.

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Thomas Gottschalk brachte es selbst auf den Punkt, als er bei der Vergabe des Opus Klassik schonungslos einräumte, seine moderierenden Gespräche zum Bereich Klassik seine doch wohl eher „Flachgespräche als Fachgespräche“. Dem kann man nur zustimmen, was die Frage aufwirft, warum die Programmverantwortlichen ihn denn überhaupt moderieren ließen. Der Grund dafür war schnell ausgemacht. Die als beste Nachwuchssängerin zurecht ausgezeichnete Nadine Sierra begann den Reigen der Auftritte mit „There is a place for us“ aus der West Side Story. Es ging dem ZDF also ums Populäre. Ausgefallenes traut man sich kaum, obwohl die vergebenen Preise das hergegeben hätten. Von zeitgenössischer Musik keine Spur. Sicher hätte ein Pianist wie Igor Levit auch anderes spielen können als Beethovens Mondscheinsonate.

Überhaupt droht ein solcher Abend stets in eine Art Häppchenkultur zu verkommen. Natürlich, Preisverleihungen muss es auch in der Kultur geben. Sie machen auf die außergewöhnliche Kulturlandschaft in Deutschland aufmerksam. Aber Preisvergaben sind auch in der Kunst ein schwieriges Genre. Wie gelingt es, ausgefallene Künstler angemessen zu präsentieren? Wie kommt die Moderation über ein eher langweiliges Geplauder oder noch schlimmer über die Rolle des „Nummerngirls“ hinaus? Was mutet man an künstlerischer Darbietung dem Zuschauer zu. Und wie vermeidet man es, dass die Preisträger sich mit Allgemeinplätzen für die Preisvergabe bedanken, wie erreicht man, dass sie mehr von sich geben als der Dank an die liebevolle Großmutter?

Zumindest in diesem Punkt hatte der Abend im ZDF etwas zu bieten. Igor Levit widmete den Preis nicht nur den beiden Toten des rechtsradikalen Anschlags in Halle, sondern auch „all denen, die seit Jahren still oder laut gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen Islamophobie und gegen Antifeminismus kämpfen“. Das waren deutliche Worte, wie sie auch in ihrer Dankesrede geäußert wurden von so wunderbaren Sängern wie Klaus Florian Vogt („Ich möchte mich dafür aussprechen, dass wir Toleranz gegenüber dem Neuen haben, und mich gegen Ausgrenzung aussprechen“) oder Christian Gerhaher („Den Künsten kann man es nicht verdenken, wenn sie es nicht hinnehmen, dass Politiker von alternativen facts reden oder dass sie die historisch einzigartige Schuld des Nationalsozialismus … als Vogelschiss verharmlosen“).

Warum hingegen Klaus Florian Vogt im Wagner-Kostüm auftrat, erschloss sich dem Fernsehzuschauer nicht, denn jedenfalls in der Fernsehübertragung gab es von ihm keinen gesanglichen Beitrag aus den prämierten „Meistersingern“ der Bayreuther Festspiele. Man fragte sich umso mehr, wo denn der eher unkonventionelle Regisseur dieser Produktion, der Australier Barrie Kosky blieb. Ihn nun lobte der Moderator mit einer kleinen Breitseite gegen die Bayreuther Festspiele: „Ich habe in Bayreuth viele Inszenierungen gesehen, die ich gerne verpasst hätte, und eine verpasst, die ich gerne gesehen hätte“. Da würde es interessieren, wen Thomas Gottschalk denn da so alles im Auge hatte. Der künstlerischen Arbeit in Bayreuth wird jedenfalls eine solche pauschale Aburteilung nicht gerecht.

Eine Preisverleihung leidet im Übrigen, wenn es zu viele Preise gibt. Warum 24 Kategorien ausgezeichnet werden müssen, ist des Guten zu viel. Weniger wäre mehr. Und dabei ist künstlerischer Mut gefragt, vor allem auch im Rahmen der Preisverleihung. Vielleicht sollte man sich ohnehin überlegen, ob die Übertragung einer solchen Verleihungsveranstaltung im Fernsehen sinnvoll ist. Ein schöner zusammenfassender Bericht über die ausgezeichneten Künstler mit Kurzeindrücken aus der Preisverleihung ist meist interessanter. Am besten wäre es aber, entschiede sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk öfter dazu, mal eine ausgefallene Opernaufführung im abendlichen Hauptprogramm zu zeigen. Die ist meistens spannender als jede Preisverleihung.

Kein Kommissar für Kultur? Zur aktuellen Kulturpolitik der Europäischen Union

Die von der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgelegte Liste der neuen Kommissionsmitglieder sorgt für Unruhe. Auch aus den Kreisen der Kultur gibt es Proteste. Es sei ein falsches Signal, dass es kein Kommissionsmitglied gebe, das ausdrücklich die Zuständigkeit für „Kultur“ in seiner Amtsbezeichnung führe. Das mag man zu Recht kritisieren. Aber an der Kulturpolitik der Europäischen Union gäbe es manches zu beanstanden. Eine Kritik an der Namensgebung des verantwortlichen Ressorts greift da zu kurz.

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Man kennt es ja schon: Ob nun der Bund statt einer Ministerin für Kultur nur eine für Kultur und Medien zuständige, dem Kanzleramt zuzurechnende Staatsministerin beruft, ob eines der deutschen Länder die Zuständigkeit für Kultur lediglich einem Staatssekretär beim jeweiligen Ministerpräsidenten zuweist oder ob, wie eben jetzt, bei der geplanten Zusammensetzung der neuen EU-Kommission es an einem erkennbar für die Kultur zuständigen Kommissar fehlt, in Deutschland ist man sogleich in angemessener Form entrüstet. Mag diese Kritik im Falle der Länder, die immerhin in Deutschland Träger der Kulturhoheit sind, berechtigt sein, schon beim Bund ist in Sachen Kulturzuständigkeit von Ministerien eher Zurückhaltung geboten. Erst Recht gilt das in der EU, der durch das in Artikel 5 Abs. 3 des EU-Vertrags verankerte Subsidiaritätsprinzip noch größere Zurückhaltung auferlegt wird.

Andererseits ist nun nicht zu leugnen, dass gerade die Europäische Union sehr stark von der Kultur geprägt wird. Die Freiheit der Künste gilt als eine tragendes Element des Selbstverständnisses der EU und ihrer Bürger. Sie hat in der Grundrechtecharta der EU wie andere Freiheiten (Meinung, Wissenschaft, Versammlung) ihren ausdrücklichen Niederschlag gefunden (Artikel 13). Und gerne wird immer wieder ein Jean Monnet, dem Wegbereiter der Europäischen Union, zugeschriebenes Zitat bemüht. „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen“, soll er gesagt haben. Auch wenn er es wohl nie gesagt hat, besser, als  mit der Wirtschaft zu beginnen, wäre es allemal gewesen.

Sei es, wie es sei. Nicht die Amtsbezeichnung der Kommissionsmitglieder ist das Problem, sondern die EU Kulturpolitik. Und da lohnt sich schon ein Blick auf die jetzt geplanten Zuständigkeiten. Das Ressort Kultur soll in das Ressort „Innovation und Jugend“ der Bulgarin Mariya Gabriel fallen. Über sie heißt es auf der offiziellen Internetseite der EU: Sie hat sich bisher als derzeitige EU-Kommissarin „mit Engagement und Energie für das Portfolio Digitales eingesetzt und übernimmt nun mit der Schaffung neuer Perspektiven für die junge Generation eine neue Aufgabe“.

Mit dieser Zuständigkeitsbeschreibung wird das eigentliche Problem erkennbar. Der Europäischen Union geht es nicht um Kultur, um Kunst noch weniger. Für die Europäische Union ist die Kultur eher nebensächlich. In Zukunft soll sie eben in Dienst gestellt werden, um neue „Perspektiven für die Junge Generation“ zu entwickeln. Viel deutlicher wird aber die Sicht der EU auf die Kultur beim Blick in das aktuelle Förderprogramm „Kreatives Europa“. Da wird zunächst als zu Förderndes nicht die Kultur, sondern die „Kulturbranche“ und in gleichem Atemzug der „audiovisuelle Sektor“ genannt. Das Programm unterteilt sich in die drei Bereiche „Unterprogramm Kultur“, „Unterprogramm Media“ und „Bereichsübergreifender Programmteil“. Wer sich alles genau ansieht, wird die Förderung der Künste vermissen. Im Vordergrund stehen „Plattformen“, „Netze“, „Koproduktionen“, „Vertriebsförderung“ oder, wie im übergreifenden Bereich unmissverständlich als förderbedürftig benannt wird,  „länderübergreifender Austausch von Erfahrungen und Know-how für neue Geschäfts- und Management-Modelle,…Vernetzung von Kultur- und Kreativorganisationen und Politikverantwortlichen,… gegebenenfalls unter Förderung der digitalen Vernetzung“. Ausdrücklich steht der größte Teil der Fördersumme für das „Unterprogramm Media“ zur Verfügung. Wundert sich da noch jemand, dass die EU dafür keinen ausdrücklich zuständigen Kommissar braucht, oder gerne auch eine Kommissarin?

Nicht nur das aber ist das Dilemma der EU-Kulturpolitik. Vielmehr geht es auch um die für Kultur zur Verfügung stehende Summe. Es sind 31 Prozent der gesamten Fördersumme von 1,46 Milliarden Euro, verteilt auf sieben Jahre versteht sich. Daraus ergeben sich im Durchschnitt etwa 65 Millionen Euro (für alle EU Länder gemeinsam) jährlich, ein Betrag, der in Deutschland gerade einmal dazu reichen würde, ein großes Opernhaus zu finanzieren. Vom Hocker reist das niemanden.

Auch sonst ist bei der EU leider reichlich Fehlanzeige in Sachen Kultur angesagt. Schon seit Jahren wird vieles beklagt: Der bürokratische Aufwand beim Abrufen der Fördermittel, völlig undurchsichtige Entscheidungsstrukturen bei deren Vergabe, erhebliche Behinderungen bei grenzübergreifenden Projekten, etwa im Steuerrecht oder im Sozialversicherungsrecht, unzulängliche urheberrechtliche Regelungen bei der Nutzung von künstlerischen Produkten im audiovisuellen Bereich. Für Letzteres gibt die neue EU-Richtlinie ersten Anlass zur Hoffnung auf Besserung (siehe dazu auf dieser Seite „Das neue EU-Urheberrecht und seine Bedeutung für die Theater und Orchester“). Aber ansonsten ist in den genannten Problemfeldern eher Tatenlosigkeit zu registrieren. Und was der Brexit für die Kultur bedeuten wird, ist auch kaum absehbar.

Doch gilt wie anderswo in der Politik auch: Nicht verzagen. Gerade im Zuge des in Europa sich immer weiterverbreitenden Rechtspopulismus ist die Verteidigung der Freiheit und gerade der Freiheit der Künste das Gegenmodell zu einer dumpfen Law-and-Order Politik, zu dem ewigen Geschwätz vom christlichen Abendland. Da ist mehr denn je die Europäische Union gefordert und mit ihr wir alle als europäische Bürger. Und wenn wir uns über die Ressortbezeichnungen in der neuen EU-Kommission erregen wollen, dann wäre es gerade deshalb angebracht, Bezeichnungen wie „Schützen, was Europa ausmacht“ zu kritisieren. Denn hierzu haben auch die Rechtspopulisten dezidierte Vorstellungen, die aber sicher nicht die der neuen Kommissionspräsidentin sein werden. Deswegen wäre da wohl ein klares Bekenntnis gefordert mit einer Ressortzuständigkeit für „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“. Da wäre dann auch die Kultur gut aufgehoben.

Verwaltungsgericht Berlin: Kein Mädchen im Knabenchor

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, mit der eine Mutter die Aufnahme ihrer Tochter in den Berliner Staats- und Domchor, einem Knabenchor, erzwingen wollte (VG 3 K 113.19). Die Universität der Künste (UdK), die den Chor betreibt, hatte zuvor die Aufnahme abgelehnt. Darin liege, so das Verwaltungsgericht, keine Diskriminierung des nicht aufgenommenen Mädchens, die Entscheidung der UdK sei durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt. Angesichts der aktuellen Debatte über Genderfragen im Theater ein interessantes Gerichtsurteil.

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Es steht außer Frage: Das Theater ist ein Kunstbetrieb. Spielplanentscheidungen, Engagements von Künstlern, deren Einsatz in den einzelnen Produktionen eines jeden Theaters oder eines Festivals sind künstlerische Entscheidungen. Und solche Entscheidungen haben die in Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz garantierte Kunstfreiheit auf ihrer Seite, ein absolutes Grundrecht, in das auch nicht durch ein allgemeines Gesetz eingegriffen werden kann (siehe auch „Der Status des Künstlers im Stadttheater“ auf dieser Seite). Juristisch ist also bei Eingriffen in die Kunst höchst Zurückhaltung geboten.

Seit geraumer Zeit wird nun im Theater eine Debatte über Genderfragen geführt. Gefordert werden ausgewogene Spielpläne im Verhältnis von Autorinnen und Autoren, auch eine gleiche Anzahl von Regisseurinnen und Regisseuren für die Neuproduktionen eines Theaters in einer Spielzeit. Voran preschte das Berliner Theatertreffen, das ab dem nächsten Jahr eine Frauenquote einführt, der entsprechend mindestens die Hälfte der eingeladenen Produktionen von Regisseurinnen stammen soll. Beifallsbekundungen zu dieser Entscheidung blieben ebenso wenig aus wie die Kritik, das eben sei eine Einschränkung der künstlerischen Entscheidungsfreiheit der die Einladungen bestimmenden Jury.

Man mag über diese Fragen denken wie man will. Kein Intendant ist daran gehindert, seinen Spielplan solchen Erwartungen entsprechend zu gestalten oder aber es eben nicht zu tun. Und potentielle Jurymitglieder des Berliner Theatertreffens können sich für eine Teilnahme an der Jury entscheiden oder wegen der Einschränkung, die von der Quoten-Entscheidung der Festivalleitung ausgeht, diese Teilnahme ablehnen. Wir sind und bleiben ein freies Land.

Gerade deshalb ist die nun vorliegende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin so wertvoll. Denn sie stellt klar: Juristisch gibt es dort, wo es um die Kunstfreiheit geht, nichts zu regeln und in der Regel also auch nichts einzuklagen, was die der Kunst entgegensteht. In jedem Einzelfall ist vielmehr juristisch abzuwägen, welche Rechte gegebenenfalls der Kunstfreiheit vorgehen und wann genau das eben nicht der Fall ist. Kein Regisseur und keine Regisseurin kann also gegen die Leitung des Berliner Theatertreffens juristisch erfolgreich vorgehen, wenn sich die Jury nicht an die ihr vorgegebene Quote hält oder es eben doch tut. Und jeder Intendant kann soviel Autorinnen und Autoren spielen, wie er es aus künstlerischen Gründen für sinnvoll hält, kann den Regisseur oder die Regisseurin verpflichten, der oder die seinen künstlerischen Erwartungen am ehesten gerecht wird. Rechtliche Risiken geht er dabei nicht ein.

Das Gericht in Berlin hält also in bemerkenswerter Weise die Kunstfreiheit hoch. Das ist eine richtige Entscheidung, die sich mancher, der sich mit solchen Fragen zu beschäftigen hat, einmal durch den Kopf gehen lassen sollte. Erst recht gilt das für andere Gerichte, etwa dann wenn es im Rahmen einer Inszenierung um das Verhältnis zwischen dem Urheberrecht etwa eines verstorbenen Autors und die Kunstfreiheit einer dessen Stück inszenierenden Regisseurin geht.

Der Status des Künstlers im Stadttheater

Das Theater ist ein Ort der Literatur, der Musik, des Tanzes, also ein Ort der Kunst. So wurde es über Jahrzehnte gesehen. Der Kunst wurde alles untergeordnet, insbesondere die sozialen Rechte der künstlerisch Beschäftigten. In den 1990er Jahren kritisierten Intendanten noch Arbeitszeitregelungen, festgelegte Probenzeiten, Ruhezeiten und freie Tage als Fesseln ihres künstlerischen Schaffens, forderten gar die Kündigung von Tarifverträgen. Und die Presse klatschte Beifall. Selbst Politiker schlossen sich schnell dieser Sichtweise an und hofften als Trittbrettfahrer der künstlerischen Freiheit auf neue finanzielle Spielräume, die es Ihnen erlauben sollten, die öffentlichen Zuschüsse deutlich zu kürzen. Welch andere Zeiten nun heutzutage! Zuweilen entsteht der Eindruck, es gehe nur noch um die Bedingungen, unter denen die Kunst im Theater produziert wird, und nicht mehr um diese selbst. Schon werden in die Tarifverträge, die noch um die Jahrtausendwende herum zugunsten der Kunst reformiert und liberalisiert wurden, wieder Regelungen aufgenommen, die den Kunstbetrieb zumindest verändern werden. Ob das ein gute Entwicklung im Sinne der Kunst und der Künstler ist, darf bezweifelt werden.

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Die Kunst ist frei, so sagt es Artikel 5 Grundgesetz. In diese Freiheit kann nicht einmal durch ein  Gesetz eingegriffen werden. Wer ein künstlerisches Handeln unterbinden möchte, kann dies nicht ohne weiteres mit dem Blick auf eine gesetzliche Regelung tun. Vielmehr muss er höherwertige Grundrechte anderer ins Feld führen, was angesichts des hohen verfassungsrechtlichen Stellenwerts der Kunstfreiheit eher schwierig ist. Oder es müssen wesentliche durch die Verfassung geschützte Rechtsgüter gefährdet sein, was sicher nur selten infolge der Kunstausübung der Fall sein wird. Zugleich müssen existierende Vorschriften grundsätzlich im Lichte der Kunstfreiheit interpretiert werden.

Die bildende und die darstellende Kunst

Wer als bildender Künstler selbstständig arbeitet, alleine in seinem Atelier Kunstwerke herstellt, den wird das alles zunächst wenig interessieren. Denn in seinen eigenen vier Wänden unterliegt er oder sie bei der künstlerischen Tätigkeit kaum irgendwelchen rechtlichen Regelungen. Erst wenn der Künstler mit seinen Werken an die Öffentlichkeit geht, kann es zu Kollisionen mit anderen Rechten kommen. Ganz anders ist die Situation in der darstellenden Kunst. Hier geschieht schon das Entstehen des Kunstwerks in gewissen rechtlichen Zusammenhängen. Das folgt zum einen aus dem meist kollektiven Schaffensprozess, an dem mehrere Personen teils künstlerisch, teils mit anderen, etwa technischen Aufgaben beteiligt sind. Dabei stellen sich oft schwierige Fragen des gemeinsamen Wollens, unterschiedlicher Interessen oder sogar unterschiedlicher künstlerischer Vorstellungen. Zum anderen geht das künstlerische Schaffen im Bereich der darstellenden Kunst fast immer mit Bestehen eines mit dem Künstler oder der Künstlerin abgeschlossenen Beschäftigungsverhältnisses einher, entweder in Form eines typischen Arbeitsverhältnisses oder als selbstständiger Dienst- oder Werkvertrag. Und das künstlerische Schaffen ist eingebunden in einen organisatorischen Zusammenhang des Theaterbetriebs, der sich selbst wiederum auf die künstlerische Freiheit bei der Gestaltung seines Programms und dem Einsatz „seiner“ Künstler berufen kann. Also eine komplexe Gemengelage.

Das Beispiel Arbeitszeit

In der Regel sind zum Beispiel der Schauspieler und Schauspielerinnen Arbeitnehmer, für sie gilt das Arbeitszeitgesetz. Dieses Gesetz schreibt vor, dass pro Woche ein ganzer freier Tag, in der Regel im Zusammenhang mit der Nachtruhezeit von elf Stunden, gewährt werden muss; d.h. einmal pro Woche muss es auch für den Schauspieler 35 arbeitsfreie Stunden geben. Hinzu kommt, dass an einem Sonntag nicht geprobt werden darf. Was aber nun, wenn zum Gelingen der Premiere eine Probe am Sonntag erforderlich ist und wenn an einer Probe eine Schauspielerin teilnehmen soll, die ihren freien Tag noch nicht hatte und für die entsprechende Woche an einem anderen Tag auch nicht mehr nehmen kann. Dann ist es ganz einfach: Die Probe findet statt, und zwar auch mit der besagten Schauspielerin, allerdings nur, soweit die Beteiligten zur Teilnahme an der Probe bereit sind. Denn Arbeitszeitgesetz hin oder her, die künstlerische Freiheit darf eben durch dieses nicht eingeschränkt werden. Niemand kann einen Künstler daran hindern, künstlerisch tätig zu werden, also zu proben, egal ob das gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt oder nicht.

Ebenso selbstverständlich ist es auf den ersten Blick, dass im geschilderten Fall die Künstler die Teilnahme an der Probe verweigern können, weil ihnen ihre soziale Schutzbedürftigkeit wichtiger ist als ihre künstlerische Freiheit. Interessant wird es jedoch erst, wenn einige teilnehmen wollen, darunter vor allem beispielsweise die Regisseurin, und andere, die sich auf das Arbeitszeitgesetz berufen, nicht. Dann würde die künstlerische Freiheit beispielsweise der Regisseurin eingeschränkt durch das Arbeitszeitgesetz, was wegen des oben bereits erwähnten fehlenden Gesetzesvorbehalt der in Artikel 5 Grundgesetz geregelten Kunstfreiheit so ohne Weiteres nicht geht. Bei der Frage, ob die Probe, die gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt, nun trotzdem stattfinden darf, wären die Schutzbedürftigkeit oder besser die durch Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz geschützte körperliche Unversehrtheit der betroffenen, nicht probenbereiten Künstler und die von den anderen Künstlern beanspruchte Freiheit der Kunst gegeneinander abzuwägen, was je nach Lage des Einzelfalls sehr unterschiedlich ausgehen kann.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die besondere Konstellation eines En-suite-Betriebs, also eines Betriebs, in dem an jedem Abend die gleiche Vorstellung mit gleicher Besetzung gespielt wird. Folgt man dem Arbeitszeitgesetz, muss die Vorstellung an einem Tag pro Woche ausfallen, um den beteiligten Künstlern den freien Tag zu gewähren. Das Theater kann aber sich auf die Kunstfreiheit berufend das Interesse haben, an allen Tagen der Woche zu spielen. Auch hier wäre die Kunstfreiheit auf Seiten des Theaters gegen die Schutzbedürftigkeit der beteiligten Künstler abzuwägen, was zumindest zugunsten des Theaters ausgehen müsste, wenn die beteiligten Künstler außer der Mitwirkung an der Abendaufführung ansonsten in der übrigen Zeit der Tage nicht, auch nicht durch Proben an demselben Theater beschäftigt werden. Dann nämlich haben sie an allen sieben Tagen der Woche jeweils bis in den späten Nachmittag frei, was sicher nicht zu einer erhöhten Schutzbedürftigkeit führt.

Das alles macht deutlich, dass das Arbeitszeitgesetz im Theater keinesfalls dem grundgesetzlichen Anspruch der Kunstfreiheit entspricht und insoweit im Sinne dieser Freiheit ausgelegt werden muss. Daraus folgt, dass einige Regelungen so, wie sie im Gesetz stehen, nicht gelten können, sondern im Sinne der Kunst umgesetzt werden müssen. Das muss nicht zum Nachteil der Künstler sein. So ist beispielsweise in dem geschilderten Fall des En-Suite-Betriebs das entstehende Freizeitkontingent deutlich höher als bei der Gewährung nur eines freien Tages, den das Gesetz vorschreibt. Das ist im Übrigen auch aus Gründen des im Arbeitsrecht zugunsten des Arbeitnehmers geltenden Günstigkeitsprinzip von rechtlicher Bedeutung.

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers

Arbeitnehmer sind weisungsgebunden. Das bedeutet, dass sie den Weisungen ihres Arbeitgebers Folge zu leisten haben, soweit sich diese im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen bewegen und vom Arbeitnehmer nichts für ihn Unmögliches verlangen. Außerdem dürfen die Weisungen nicht gegen gesetzliche Regelungen verstoßen, wobei wieder einschränkend hinzuzufügen ist, dass gewisse Verstöße durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt sein können. Die Frage, die sich aber in einem Kunstbetrieb stellt, ist die nach dem Weisungsrecht des Arbeitgebers im künstlerischen Bereich. Darf der Intendant einem Schauspieler das Spielen einer von diesem nicht gewollten Rolle abverlangen? Darf der Regisseur als Vertreter des Arbeitgebers eine bestimmte Spielweise auf der Bühne einfach anordnen? Selbstverständlich ist so etwas jedenfalls nicht, denn auch der Schauspieler (ebenso jeder andere darstellende Künstler) gibt sein Recht auf künstlerische Freiheit nicht an der Theaterpforte ab oder durch die Unterschrift unter seinen Arbeitsvertrag preis.

De facto läuft es also mehr oder weniger darauf hinaus, dass sich alle Beteiligten aufs Künstlerische mehr oder weniger verständigen sollten. Deshalb gehört es ja auch zu den Prinzipien des Ensemble-Betriebs, dass sich jeder künstlerische Leiter eines Theaters „seine“ Künstler selbst aussuchen und die zu seinem Dienstantritt vorhandenen künstlerischen Mitarbeiter im Zweifel wegen des Intendantenwechsels durch die Nichtverlängerung des befristeten Arbeitsvertrags entlassen darf. So soll sichergestellt werden, dass es zu den geschilderten Widersprüchen zwischen Theaterleitung und künstlerischen Mitarbeitern möglichst nicht kommt. Kommt es doch dazu, wird es auf Dauer nicht anders gehen, als sich bei zu häufigem oder zu großem Widerspruch zwischen Theater und Künstler bzw. Künstlerin von diesem oder dieser wieder zu trennen.

Resümee

Die geschilderte komplexe Situation macht es erforderlich, immer wieder den Ausgleich zwischen der Freiheit der Kunst und der sozialen Schutzbedürftigkeit der Künstler zu suchen. Die Aktivitäten von Ensemble-Netzwerk und „art but fair“ haben deutlich gemacht, dass es in vielen Betrieben an der entsprechenden Bereitschaft gefehlt hat und wohl immer noch fehlt. Das kann man leicht durch andere Verhaltensmuster ändern, etwa durch einen stärker konsensualen Führungsstil, durch mehr Sensibilität beim gemeinsamen künstlerischen Schaffen, auch auf Seiten der Regisseure. Oder durch eine betriebliche Organisation, die nicht auf das hemmungslose Ausnutzen von der Kunstfreiheit dienenden juristischen Spielräumen ausgerichtet ist.

Bedenklich und überraschend zugleich ist es jedoch, das einige Intendanten nun das Problem nicht im eigenen Hause, sondern tarifvertraglich lösen wollen, indem die genannten juristischen Spielräume eingeschränkt werden. Dazu gehört die gerade stattfindende teilweisen Abschaffung der bisher sehr offenen, im NV Bühne, dem hier einschlägigen Tarifvertrag, bestehenden Freie-Tage-Regelung für Solisten. Diese Reglung wandelte das Arbeitszeitgesetz im Sinne der Kunst dahingehend ab, dass statt einem freien Tag, zwei halbe freie Tage gegeben werden konnten. Diese Möglichkeit nicht mehr tarifvertraglich einräumen zu wollen, ist auch im Sinne der Künstler mehr als fragwürdig. Denn gehen tarifrechtliche Einschränkungen zulasten der Arbeitgeber zu weit, wird die soziale Verbesserung zum Bumerang. Sie wird dann nämlich zu einer Flucht aus dem NV Bühne führen. Dazu bedarf es keiner massiven juristischen Schritte eines Theaters, sondern lediglich einer weiteren Reduzierung der NV-Bühne-Engagements zugunsten von Gastverträgen, für die der NV Bühne weitgehend nicht gilt. Im Trend liegt das ohnehin. Zum einen hat die Neigung zu Gastverträgen in den letzten 20 Jahren erheblich zugenommen (von ca. 8.500 auf heute über 30.000). Zum anderen wird immer mehr in künstlerischen Projekten gedacht und gearbeitet, was das deutsche Theatersystem in Richtung Stagione-Betrieb verändert. Immerhin ist beispielsweise im Schauspiel während des genannten Zeitraums die Zahl der auf NV Bühne engagierten Schauspieler von 2.700 auf ungefähr 1.800 gesunken. Beruhigend ist das nicht. Und im Sinne des sozialen Schutzes von Künstlern eben auch nicht. Vielmehr fördert es die Zweiklassen-Situation für die künstlerischen Mitarbeiter der Stadttheater (sowie Staatstheater und Landesbühnen): Hier die, die nach einem zunehmend arbeitnehmerfreundlich gestalteten Tarifvertrag arbeiten, deren Anzahl aber immer weniger wird, dort jene, die fast wie in der freien Szene beschäftigt werden.

Lässt sich die Meinungsbildung in den sozialen Medien kontrollieren? Und sollten wir es tun?

Seit Rezo sein vor allem gegen die CDU gerichtetes Video veröffentlicht hat, herrscht Unruhe in der CDU-Zentrale. Das ist verständlich. Unverständlich ist die unbeholfene Reaktion der CDU auf dieses Video. Noch unverständlicher ist die Überlegung ihrer Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, das Netz irgendwelchen politischen Ausgewogenheitsverpflichtungen auszusetzen, wie sie etwa zur Sicherung von Meinungsvielfalt für den Rundfunk mehr oder weniger gelten. Das institutionalisierte Gemeinwesen muss heute damit leben, Anwürfen im Netz ausgesetzt zu sein: Private Unternehmen, staatliche Einrichtungen, Verbände, auch Kulturbetriebe. „Was tun?“ ist also für alle diese Institutionen eine immer schwieriger zu beantwortende Frage. Juristische Lösungen sind jedenfalls eher nicht in Sicht.

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Fake News, abwegige Positionen, radikales Denken jeder Art, im Netz ist alles zu finden und viel Schlimmeres. Die Rechtslage ist dabei eindeutig: Nur wenn gesetzliche Vorschriften verletzt werden, kann man dem zu Leibe rücken. Das aber ist schwierig genug, obwohl Gesetzesverletzungen im Netz fast schon zum Alltag gehören. Man muss sich nur einmal fragen, wie oft alleine Straftatbestände wie Beleidigung, üble Nachrede oder gar Verleumdung erfüllt sind. Subjektivität der zum Teil größeren Massen zugänglichen im Netz verbreiteten Meinungen ist aber in der Regel kein Gesetzesverstoß, ob einem nun die jeweilige Meinung gefällt oder nicht. Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, die einzelnen Websites und Internet-Plattformen vorschreibt, eine von unterschiedlichen Meinungen geprägte Vielfalt sicherzustellen, wie es beispielsweise durch den  Rundfunkstaatsvertrag für den Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) festgelegt ist. Und eine solche Bestimmung für das Internet einzuführen, wie es zuweilen gefordert wird, ist mit Verlaub juristisch abwegig.

Der Rundfunkbegriff und die begrenzten Sendekapazitäten

Denn zum einen ist das, was Rezo beispielsweise in seinem Video verbreitet, kein Rundfunk. Wesentlich für den Rundfunk ist es, dass das Ausstrahlen der Sendung durch eine Rundfunkeinrichtung und das Empfangen dieser Sendung durch den Zuschauer gleichzeitigt geschieht. Hinzu kommt, dass Rundfunk einer gewissen Regelmäßigkeit mit einem entsprechenden Sendeplan bedarf. Diese Voraussetzungen mögen manche Streamingdienste, bei denen im Netz verbreitete Inhalte zeitgleich vom Nutzer wahrgenommen werden, durchaus erfüllen. Das hatte schon eine Verpflichtung zur Zulassung solcher Dienste durch eine der zuständigen Landesmedienanstalten zur Folge. Stellt jemand aber etwa einen einzelnen Videobeitrag ins Netz, der dann von jedem zu jeder Zeit abgerufen werden kann, dann handelt es sich bei einem solchen Video rundfunkrechtlich mangels der beiden genannten Voraussetzungen nicht um Rundfunk, sondern anknüpfend an das Urheberrecht nur um eine sogenannte öffentliche Zugänglichmachung.

Wenn nun unter Bezugnahme auf die kürzlich gemachten Äußerungen der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer einzelne Vertreter der in Deutschland praktizierten Rundfunkaufsicht fordern, auch diese öffentliche Zugänglichmachung von Ton- und Bildaufzeichnungen dem Rundfunkbegriff zu unterwerfen, dann ist das mehr als zweifelhaft. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Auch die regelmäßigen Streamingdienste sollten dem Rundfunkbegriff nicht mehr unterworfen sein. Denn als man die Verpflichtung zur inneren Meinungsvielfalt einzelner Rundfunkanbieter

im Rundfunkstaatsvertrag zu einer in Deutschland geltenden Rechtsvorschrift machte, ging man von einer frequenztechnisch und durch den Aufwand des Veranstaltens von Rundfunk bedingten Begrenztheit des Rundfunkangebots aus. Diese Begrenztheit, so befürchtete die verfassungsrechtliche Rechtsprechung, führe zu einer mangelnden Meinungsvielfalt bei der Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Das Internet ist kein Rundfunk

 Ganz anders ist die Situation im Internet. Rezo nutzt das Internet, um seine Meinung kund zu tun, egal ob er im Internet streamt oder sein Video dort öffentlich zugänglich macht. Sie ist eine von tausenden subjektiven Meinungen, die im Netz verbreitet werden. Das heißt, dass im Netz eine Vielfalt der Meinungen vorherrscht, die eben nicht der öffentlichen Steuerung und Kontrolle oder irgendeiner Ausgewogenheitsregelung bedarf. Darin unterscheidet sich gerade das Internet vom Rundfunk. Jeder kann eben heute leicht seine Meinung per Video oder wie auch immer im Netz verbreiten. Zugegeben, damit sind Risiken verbunden. Es bleibt im Netz die Gefahr der einseitigen Information, weil viele nur die Meinungen abrufen, die sie hören möchten. Dem ist aber nur durch ausreichende Medienbildung, etwa in den Schulen, beizukommen. Eine solche Bildung muss den einzelnen Nutzer des Internets in die Lage versetzen, sich ein objektives Bild zu machen. Möglichkeiten dazu gibt es zuhauf, etwa bei den Angeboten von ARD und ZDF oder auch der großen Tageszeitungen und anderer seriöser Portale. Wenn der Einzelne dann diese im Netz und anderswo bestehenden Möglichkeiten nicht nutzt, ist das seine Sache. Es bleibt ja auch jedem unbenommen, im Printbereich zu lesen was er möchte. Zu regulieren ist in der Beziehung nichts.

Für eine neue Öffentlichkeitsarbeit von Politik, Wirtschaft und Institutionen

Wenn nun dem Rezo-Video rundfunkrechtlich nicht beizukommen ist und man das auch gar nicht versuchen sollte, dann stellt sich die Frage, wie sich die betroffenen Institutionen vor Angriffen im Netz, wie Rezo sie verbreitet hat, schützen können. Nun ließe sich einfach antworten, man müsse nur jedes politische und unternehmerische Handeln wieder stärker an ethischen Maßstäben orientieren, zumindest aber regelmäßig einer Überprüfung nach solchen Maßstäben unterziehen. Es ist ja in der Tat  so, dass in vielen Bereichen eine solche Orientierung verloren gegangen ist. Da aber oft unterschiedliche ethische Maßstäbe aufeinanderprallen, etwa Klimaschutz gegen Arbeitsplätze, ist das zuweilen schwieriger, als sich das manch einer vorstellt. Was aber gerade deshalb nicht stattfinden darf, ist die weitverbreitete, jede Glaubwürdigkeit zerstörende Praxis der Verbergung handfester Interessen, etwa der Gewinnmaximierung, hinter irgendwelchen ethischen Maßstäben, wie beispielsweise der Arbeitsplatzsicherung. Und da geht es um Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinne.

Dort nämlich hat sich seit Jahrzehnten eine mehr als bedenkliche Neigung zur ungehemmten Schönfärberei  immer weiter eingeschlichen. Das gilt für die politischen Parteien genauso wie für die Wirtschaft. Einiges an Unsinn wird den Menschen tagtäglich „verkauft“ als geboten und unvermeidbar, als notwendig und nützlich. Mehr Ehrlichkeit, mehr Vorsicht bei der Vermittlung von inhaltlichen Zielsetzungen wäre schon ein großer Schritt nach vorn und würde es den Rezos der Social-Media-Welt deutlich schwerer machen. Es ist nicht akzeptabel, als Produzent umweltfreundlicher Autos nach außen aufzutreten und gleichzeitig die Umweltverträglichkeit der eigenen Dieselautos zu manipulieren. Man kann sich nicht glaubwürdig für den Frieden einsetzen und trotzdem Waffenlieferungen in Krisengebiete zulassen. Man kann die Gefahren von Produkten nicht einfach verschweigen. Das gilt nicht nur bei Zigaretten, wo man es fast schon übertreibt mit der Aufklärung, sondern auch bei schnellen Autos, Handys oder Alkohol.  Man kann eben nicht weiterhin den Leuten dauernd etwas vormachen. Widersprüche sind nur dann hinnehmbar, wenn sie offen zur Sprache gebracht werden, und zwar von den handelnden Personen, und sachlich erklärt werden können. Das heißt, dass sich Werbung und Öffentlichkeitsarbeit weitgehend von jeglicher Schönfärberei verabschieden müssen, aber auch, dass das Produkt (ob Ware oder Inhalt) dem, was der Öffentlichkeit vermittelt werden soll, stärker entsprechen muss. Um es auf den Punkt zu bringen: Im Umgang von Parteien, Unternehmen und Institutionen mit der Öffentlichkeit ist weniger verschleiernder Hochglanz und mehr Authentizität gefragt.

War das Rezo-Video in diesem Sinne authentisch?

Das ist die nun oft gestellte wichtige Frage. Sollte sich nämlich herausstellen, dass dieses Video nicht der emotionale, aber fundierte Ausbruch eines jungen Menschen über eine teils verfehlte Politik ist, sondern von interessierter Seite bewusst lanciert wurde, so hat dieses Video mit Authentizität aber so gut wie gar nichts zu tun. Vieles spricht mittlerweile dafür, dass es so ist. Für die Forderung nach mehr Ehrlichkeit in der öffentlichen Debatte wäre das ein fatales Signal. Das gilt erst recht, wenn hinter dem Video eine große Werbefirma stehen sollte, wie einige jetzt vermuten. Dann könnte man den Ärger in der CDU-Zentrale über dieses Video fast schon wieder verstehen.

Das neue EU-Urheberrecht und seine Bedeutung für die Theater und Orchester

Sie ist verabschiedet: Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt. 34 Seiten umfasst das im Internet zugängliche gerade von der EU veröffentlichte Dokument. Man muss sich zunächst auf 21 Seiten durch 86 sogenannte Erwägungsgründe kämpfen, bevor man überhaupt zu den einzelnen Regelungen gelangt. Nun muss die Richtlinie ins deutsche Recht übernommen werden. Deshalb ist es geboten, sich schon jetzt aus Sicht der Kultureinrichtungen, vor allem der Theater und Orchester einen Überblick über einige Neuregelungen zu verschaffen.

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Gestritten wurde zuletzt heftig über die neue Urheberrechtsrichtlinie der EU.  Vor allem ging es bei diesem Streit einerseits um sogenannte Uploadfilter zum Schutz der Internetplattformen vor möglichen Verletzungen von Urheber- und Leistungsschutzrechten sowie andererseits um die Freiheit im Netz. Dabei wurde wohl doch in der Aufregung der Debatte übersehen, welche Möglichkeiten die Richtlinie gerade den Rechtenutzern vor allem mit Blick auf das Internet bietet, um genau diese Freiheit sicherzustellen. Zwar fehlt es leider an einer urheberrechtlichen Regelung, die es den Theatern und Orchestern gegenüber den Urhebern und den Leistungsschutzberechtigten grundsätzlich erlaubt, Aufführungen auf Bild- und Tonträger aufzuzeichnen, also zu vervielfältigen, um sie als kulturelles Erbe der Nachwelt zu erhalten bzw. der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch dazu später noch einmal! Denn gerade für die Kultur eröffnet die Richtlinie neue Wege, wenn diese jetzt vom deutschen Gesetzgeber sinnvoll umgesetzt wird.

Einrichtungen des Kulturerbes

Zu erwähnen ist zunächst Artikel 6 der Richtlinie, der es ermöglicht, Werke und sonstige Schutzgegenstände zum Zwecke ihrer Erhaltung zu vervielfältigen. Oder Artikel 8 der Richtlinie, mit dem eine Lizensierung für nicht-kommerzielle Zwecke durch Verwertungsgesellschaften vorgesehen wird, wenn vergriffene Werke und sonstige Schutzgegenstände vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben bzw. zugänglich gemacht werden sollen. Erlaubt wird beides den Einrichtungen des Kulturerbes bezogen auf Werke und Schutzgegenstände in ihren Sammlungen. § 2 Nr. 3 der Richtlinie legt sehr genau fest, welche Institutionen solche des Kulturerbes sind, nämlich öffentlich zugängliche Bibliotheken, Museen und Archive sowie im Bereich des Film- und Tonerbes tätige Einrichtungen. Zwar fehlen auch hier die Theater und Orchester, obwohl sie in Deutschland in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen und nun für die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes von der Bundesrepublik Deutschland nominiert wurden. Aber dort, wo sie Video- und Tonarchive ihrer Aufführungen unterhalten,  ließe sich aus den eingangs genannten beiden Artikeln etwas herleiten, indem man diese Archive den Einrichtungen des Film- und Tonerbes zuordnet. Das gilt erst recht für die umfangreichen, teilweise ein stiefmütterliches Internetdasein fristenden Theater- und Konzertaufzeichnungsarchive der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten. Die öffentliche Zugänglichmachung solcher Aufzeichnungen im Netz scheitern weitgehend daran, dass es an einer entsprechenden Rechteeinräumung fehlt und vor allem die als ausübende Künstler Mitwirkenden (bzw. deren Erben) zwecks einer nachträglichen Rechteeinräumung vielfach nicht mehr oder nur noch schwer auszumachen sind.

Kollektive Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung

Aber selbst, wo sie bekannt sind und man deshalb mit Artikel 8 der Richtlinie nicht weiterkommt oder es an der Eigenschaft der nicht kommerziellen Zwecke fehlt, ist oft eine nachträgliche Rechteeinräumung schwierig. Da lässt Artikel 12 der Richtlinie aufhorchen, der eine kollektive Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung erlaubt, ein Lizenzmodell das die EU mit der neuen Richtlinie – soweit ersichtlich – erstmalig aus Skandinavien übernommen hat.  Nach dieser Vorschrift können Verwertungsgesellschaften Vereinbarungen über Lizenzen abschließen. Diese Vereinbarungen können dann auf Rechteinhaber ausgedehnt werden, die ihre Rechte der maßgebenden Verwertungsgesellschaft nicht übertragen haben. Voraussetzung dafür ist – so Artikel 12 Abs. 2 der Richtlinie –, dass es sich um Nutzungsbereiche handelt, in denen die „Einholung der Erlaubnis der Rechteinhaber in jedem Einzelfall normalerweise beschwerlich und in einem Maße praxisfern ist, dass die erforderliche Erteilung der Lizenz aufgrund der Art der Nutzung oder des Typs der jeweiligen Werke oder sonstigen Schutzgegenstände unwahrscheinlich wird“.

Da wird interessant sein, für welche Fälle der deutsche Gesetzgeber entsprechende Vereinbarungen zwischen wem zulässt. Es werden Verwertungsgesellschaften und Verbänden gegebenenfalls ganz neue Aufgaben zuwachsen. Wichtig wäre es hier jedenfalls einen Weg zur Nutzung der oben genannten Video- und Tonarchive von Theatern, Orchestern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu eröffnen. Und es mag vielleicht vermessen sein, aber wer, wie oben bereits erwähnt, bedenkt, wie oft Aufzeichnungen von wichtigen Theateraufführungen daran scheitern, dass von einzelnen Mitwirkenden die entsprechenden Lizenzen aus sehr unterschiedlichen Gründen – etwa Exklusiv-Verträgen mit Tonträgerherstellern – praktisch nicht zu bekommen sind, der wird sich wünschen, dass auch hier Artikel 12 einen Weg ebnet, um solche Aufführungen der Nachwelt zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dass es außerdem sinnvoll sein kann, gerade in diesem Bereich einen Mechanismus nach Artikel 13 der Richtlinie (Mediation und unparteiische Instanz) vorzusehen, sei nur am Rande noch erwähnt.

Nutzung von Inhalten in Online-Diensten

Das alles ist gerade interessant mit Blick auf den so umstrittenen Artikel 17 der Richtlinie. Der sieht im Grundsatz vor, dass Online-Dienste, die urheberrechtlich geschützte Inhalte hochladen oder auf deren Plattformen solche Inhalte durch Nutzer hochgeladen werden, Lizenzen dafür einholen müssen. Dadurch öffnen sich nun die Schleusen, die durch 12 der Richtlinie eingerichtet wurden. Denn diese Lizenzvereinbarungen sind für die Internetplattformen umso leichter und um so rechtssicherer zu bekommen, als solche Vereinbarungen mit Verwertungsgesellschaften auf der Grundlage von Artikel 12 der Richtlinie abgeschlossen werden. Zugleich wären diese Verwertungsgesellschaften mit ihren neuen, aus den beiden oben genannten Artikeln resultierenden Möglichkeiten so stark, dass die Internetplattformen gar nicht mehr an ihnen vorbei kämen, wollen sie überhaupt noch Inhalte anbieten. Dies gilt umso mehr, als die Internetplattformen die Sorgfaltsanforderungen des Artikel 17 Abs. 4 der Richtlinie („alle Anstrengungen unternommen, um die Erlaubnis einzuholen“) wohl gerade dann erfüllen, wenn sie sich mit den zuständigen Verwertungsgesellschaften auf eine Lizensierung verständigen.

Voraussetzung ist nur, dass die jeweilige Verwertungsgesellschaft einen großen Teil der interessanten Inhalte angesichts von Artikel 12 der Richtlinie lizensieren kann. Die Position der Verwertungsgesellschaften ist durch diese Vorschriften im Übrigen auch deutlich stärker als die der einzelnen Nutzer, deren Entschädigung für die Nutzung ihrer Rechte ja durch die neue Richtlinie sichergestellt werden soll. Um diese Entschädigung gegenüber den Internetplattformen durchzusetzen, wäre der einzelne Nutzer – von Ausnahmen abgesehen – zu schwach, müsste also immer damit rechnen, dass die Internetplattform die Verbreitung seiner urheberrechtlich geschützten Inhalte sperrt, wenn er für deren Nutzung eine finanzielle Leistung erhalten möchte. Allenfalls große Einrichtungen wie die Verbände von Verlagen oder von Theatern und Orchestern bzw. im Bereich der darstellenden Kunst tätigen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit wären stark genug, sich ihrerseits gegenüber den Internetplattformen durchzusetzen, haben aber den Nachteil, dass sie nur für ihre Mitglieder Vereinbarungen abschließen und die Privilegierung des Artikel 12 der Richtlinie für sich nicht in Anspruch nehmen können. Dementsprechend  müssten die jeweiligen Verbände und Gewerkschaften also nun mit der jeweils zuständigen Verwertungsgesellschaft entsprechende Rechtevereinbarungen abschließen.

Was noch interessant ist

Kürzlich hat der BGH sich mit der Frage des Fotografierverbotes in Museen auseinandersetzen müssen und in seiner Entscheidung vom 28. Dezember 2018 – I AZR 104/17 – eine sehr restriktiven Sichtweise eingenommen, die praktisch dazu führen kann, dass die Nutzung von einzelnen urheberrechtlich nicht mehr geschützten Werken der bildenden Kunst, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt möglich ist. Wirkt ein solches Fotografierverbot, für das es in der Tat oft gute Gründe gibt, und existieren von dem urheberrechtlich nicht mehr geschützten Werk der bildenden Kunst nur Fotografien, die zumindest über § 72 UrhG urheberrechtlich geschützt sind, dann läuft das praktisch auf ein Nutzungsverbot hinaus, solange der Nutzer nicht bereit ist, dem Fotografen oder dem Museum ein Nutzungsentgelt zu zahlen. Das kann für die Theater und Orchester etwa bei der Abbildung von urheberrechtlich nicht mehr geschützten Werken im Programmheft, im Spielzeitheft, im Internet oder gar auf der Bühne relevant sein. Nun sieht Artikel 14 der Richtlinie vor, dass die einfache Abbildung solcher Werke – etwa im Katalog eines Museums – nicht mehr geschützt sein soll, um so deren problemlose Nutzung zu ermöglichen.

Viele bei den Theatern und Orchester tätige Mitarbeiter, die insbesondere mit dem Verfassen von Texten für die Bühne, das Programmheft oder andere Publikationen befasst sind, gehören (hoffentlich) der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort an. Der BGH hatte mit Urteil vom 21. April 2016 – I AZR 198/13 – entschieden, dass die VG Wort nicht berechtigt ist, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an die Verleger auszuzahlen. Das begünstigte auf den ersten Blick die Urheber, wäre aber sicherlich mittelfristig mit einer Reduzierung der vom Verlag an die Urheber direkt gezahlten Tantiemen verbunden. Nun eröffnet Artikel 16 der Richtlinie dem Gesetzgeber ausdrücklich den Weg, die frühere in Deutschland praktizierte Beteiligung der Verleger an den pauschalen Ausschüttungen der VG Wort durch Gesetz wieder zu ermöglichen. Auch hier bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber in Deutschland dies umsetzt. Da die Regelung in Artikel 16 der Richtlinie nur eine Kannregelung ist, wäre es dem Gesetzgeber auch möglich, auf eine Neuregelung dieser Materie zu verzichten. Das wäre für die Urheber vor allem dann von Interesse, wenn auch bei der VG Wort die Anwendung von Artikel 17 i.V.m. Artikel 12 der Richtlinie zu steigenden Ausschüttungen führen würde. Dass das der Fall sein könnte, ist jedenfalls bei eine deutschen gesetzlichen Neuregelung in die Erwägungen einzubeziehen.

Schlussbemerkung

Die Überlegungen zeigen, dass die Richtlinie mehr neue Spielräume eröffnet, als die oberflächliche öffentliche Debatte bisher erkennbar gemacht hat. Diese Spielräume müssen nun von der Gesetzgebung, aber auch von den Verbänden und den Verwertungsgesellschaften genutzt werden, will man die Freiheit im Netz erhalten und zugleich den Urhebern und Leistungsschutzträgern die wegen der Nutzung ihrer urheberrechtlich geschützten Inhalte notwendige Vergütung sichern. Dazu muss die Gesetzgebung aber auch das erforderliche Maß an Flexibilität zeigen und bereit sein, die neuen Wege, die von der Richtlinie eröffnet werden, zu gehen.

Ein Blick zurück nach vorn; über die gescheiterte Berufung eines Schauspielintendanten in Köln und die Folgen

Köln und seine Intendanten, das ist so eine Art never ending story, eine Beziehungsgeschichte voller Verwerfungen und Intrigen. Generalmusikdirektoren weigerten sich, mit Intendanten zusammenzuarbeiten, forderten, wie kürzlich geschehen, sogar die Auflösung des Vertrages mit einer erfolgreichen Opernintendantin. Die Stadt erfand seinerzeit den Job eines Geschäftsführenden Intendanten, um den vorhandenen Kaufmännischen Direktor kaltzustellen (2002). Den Vertrag mit einer berufenen Intendantin ließ man vor Jahren (2003) platzen. Die Vorschläge einer hochbesetzten Findungskommission für eine Opernintendanz stampfte man in Grund und Boden (2007), der Oberbürgermeister wischte alles schließlich vom Tisch. Berufen wurde kurzerhand, mehr so aus der Hüfte, der Intendant aus Potsdam, um ihn dann nach etwa drei Jahren Amtszeit mit heftigen öffentlichen Scharmützeln wieder fristlos zu entlassen (2012). Und nun eine gescheiterte Berufung eines Schauspielintendanten. Kann es so weitergehen?

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Was bisher geschah

Vielleicht ist erst einmal ein wenig Aufklärung gefragt, die Licht ins Dunkel bringen kann. Etwa im Frühjahr vergangenen Jahres gab es bei mir aus dem Kulturdezernat in Köln einen Anruf, wie wir Theaterleute ihn zuweilen bekommen. Man suche einen neuen Schauspielintendanten, hieß es, der alte wolle 2021 aufhören, ja habe das sogar schriftlich und auch öffentlich erklärt. Ob ich denn ein paar Namen möglicher Kandidaten und Kandidatinnen nennen könne. Ich habe dann das getan, was ich, wenn es keine Ausschreibung gibt, immer getan habe: Nachgedacht und telefoniert, wer in Betracht kommen könnte. Danach habe ich Köln eine Reihe von Namen genannt, auf die später – nicht überraschend – auch andere gekommen sind. Es kochen ja alle in diesem Geschäft nur mit Wasser.

Der Name des Salzburger Intendanten kam, wie bereits der Deutschlandfunk zu berichten wusste, ins Gespräch, weil die Dezernentin ihn aus Stuttgart kannte. Es hätten da bei mir die Alarmglocken angehen müssen, hat neulich ein Pressevertreter aus Berlin mir entgegengehalten. Das sehr merkwürdige Gespräch zeichnete vor allem der Wille aus, mir soweit wie möglich nicht zuzuhören und unter Beweis zu stellen, dass man es ohnehin besser weiß. Also dachte ich mir nur: Warum sollten auch noch Glocken dazu läuten? So läuft es doch: Jeder, der gefragt wird, nennt Namen, die er kennt. Wie soll man auch Namen nennen, die man nicht kennt. Das ist für normal Sterbliche eher schwierig. Und im Übrigen war ich schon immer dafür, auch in die Intendantensuche für größere Häuser Kandidatinnen und Kandidaten mit einzubeziehen, die einen Stadttheaterbetrieb erfolgreich geleitet haben. So viele, die das dank ihres Talents können, es aber noch nie gemacht haben, gibt es ja nicht. Da sollte man solche, die unter Beweis gestellt haben, dass sie es können, nicht einfach beiseite schieben.

Dann vergingen Monate, von denen ich weiß, dass mit einigen Kandidaten gesprochen wurde. Im November bekam ich einen weiteren Anruf mit der Bitte, doch mit der Kulturdezernentin an Gesprächen teilzunehmen, in denen an der Aufgabe des Kölner Schauspielintendanten Interessierte der Oberbürgermeisterin vorgestellt werden sollten. Man wünsche sich bei diesen Gesprächen einen Teilnehmer, der helfen könne, der Oberbürgermeisterin ein genaueres Bild von den für die Schauspielintendanz in Betracht gezogenen Personen zu vermitteln. Ich habe eine kleine Aufwandsentschädigung erbeten, die mir in Aussicht gestellt wurde, und meine Teilnahme an den Gesprächen in alter Treue zu den Mitgliedern des von mir bis Ende 2016 geleiteten Bühnenvereins  zugesagt. Diese Gespräche verliefen dann in angenehmer Atmosphäre, ergaben auch für die Oberbürgermeisterin interessante Erkenntnisse und endeten mit dem Fazit, man werde weiter nachdenken und mit verschiedenen Personen in der Stadt Kontakt suchen.

Wieder etwa zwei Monate später hieß es, die Stadt habe sich entschieden, Carl Phillip von Maldegehem zum neuen Schauspielintendanten zu berufen. Man wolle nun in einem ersten Termin den Kandidaten persönlich den Vertretern der Ratsfraktionen vorstellen und anschließend der Presse. Auch hier würde man sich über meine Anwesenheit freuen. Bei (sicher nicht auszuschließenden) Nachfragen hinsichtlich der Kriterien für die Intendantenentscheidung könne ich hilfreich zur Verfügung stehen.

Der Termin mit den von den Bürgern der Stadt gewählten Vertretern der Ratsfraktionen und der ebenfalls direkt gewählten Oberbürgermeisterin (Stichwort demokratische Legitimation) verlief dann in guter und aufgeräumter Stimmung. Alle waren angetan von einem Intendanten, der sich, wie er sagte, in erster Linie den Bürgern der Stadt verpflichtet fühle und auch in Köln die Absicht habe, für diese Theater zu machen. Irgendjemand hat kürzlich geschrieben, das machten doch alle Intendanten. Mag sein, stimmt aber dann nicht, wenn sich die Anzahl der Theaterbesuche in manchmal bedenklichen Grenzen hält. Auch die Pressekonferenz lief weitgehend problemlos, wenn man mal von der Äußerung einer Journalistin absieht, die praktisch auf die Frage hinauslief, was denn einer aus der Provinz in Köln wolle. Ich habe mir erlaubt, mit einem Hinweis auf Bernd Wilms zu antworten. Der war als Intendant von Ulm nach Berlin gekommen und hat bekanntlich dort sehr erfolgreiches Theater gemacht.

Was nach der Kölner Pressekonferenz passierte, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Es gab – allerdings fast ausschließlich aus der Theater- und Kulturszene selbst – heftige Kritik an dem Kandidaten und dem Auswahlverfahren, bei der einigen Kritikern offenkundig der Begriff Gürtellinie und deren genaue Position weitgehend aus dem Blick geraten waren. Erst als Carl Philip von Maldeghem entnervt das Handtuch warf, besonnen sich einige vorwiegend außerhalb Kölns der Toleranz und schrieben, man hätte dem Kandidaten doch eine Chance geben können. Aber da war es zu spät. Und mittlerweile ließ sich der jetzige Intendant des Schauspiels Köln mit der Nachricht vernehmen, dass er doch noch länger als bis zum Ende der Spielzeit 2020/21 bleiben könne, was insofern überraschte, als ich stets auf Nachfragen hörte, ihm sei doch die Suche nach einem Nachfolger seit längerem bekannt.

Was aus der gescheiterten Kölner Intendantensuche folgt

Aus meiner Sicht stellen sich nun drei Fragen. Erstens: Welche Fähigkeiten braucht ein guter Intendant? Zweitens: Was ist die Aufgabe von Beratern? Und drittens: Was ist ein richtiges Verfahren?

Die Person

Ich habe bereits vor einiger Zeit, als die Debatte um die Berufung von Carl Philip von Maldegehem begann, in einem Interview mit dem Bonner Generalanzeiger und der Kölnischen Rundschau darauf hingewiesen, was einen guten Intendanten auszeichnet.  Da war der Sache aber schon mit Sachlichkeit nicht mehr beizukommen. Genannt habe ich ein paar Eigenschaften, die ich für selbstverständlich halte: Künstlerisches Augenmaß, künstlerisches Urteilsvermögen, soziale Kompetenz, Leitungskompetenz und Kommunikationstalent. Widersprochen hat mir bisher keiner. Dass Carl Philip von Maldeghem diese Eigenschaften mitbringt, steht für mich außer Zweifel. Das Gegenteil belegt hat bisher auch niemand.

Intendant und Regisseur sind im Übrigen zwei unterschiedliche Berufe. Und Köln sucht keinen Chefregisseur, sondern einen Intendanten. Man hat oft weder dem Theater noch manchem  Regisseur einen Gefallen getan, wenn man ihn zum Intendanten gemacht hat. Gerne werden einem auch immer wieder Namen regieführender Persönlichkeiten zugerufen, von denen man beim Hineinhören in die Betriebe, in denen die betreffende Person tätig ist oder war, nicht gerade Ermutigendes vor allem über deren soziale Kompetenz erfährt. Durch dieses Gemisch an Informationen muss man sich erst einmal erfolgreich hindurch finden. Und man muss die Person finden, die von den oben genannten Eigenschaften das Meiste mitbringt. Welchen Eigenschaften da der Vorzug gewährt wird, das muss die Stadt entscheiden. Ihren Bürgern und nur ihren Bürgern gehört das Theater, nicht irgendwelchen besonders sich hervortuenden Einzelpersonen, schon gar nicht den Medien. Und nach den vielen Intendantenquerelen in Köln ist es verständlich, dass man zurzeit der sozialen Kompetenz sowie der Kommunikationsfähigkeit einen hohen Stellenwert einräumt, aber sicher nicht, ohne die künstlerischen Fähigkeiten unbeachtet zu lassen. Aber wer weiß denn so genau, was ein neuer Intendant mit seinem ja in Köln sehr viel höheren Schauspieletat als in Salzburg künstlerisch auf die Beine stellt. Gute Schauspieler, Regisseure und Dramaturgen zu engagieren, ist keine Zauberei, vor allem wenn man das Geld dafür hat.

Die Beratung

Damit ist auch klar, was eine gute Beratung bei der Intendantensuche zu leisten hat. Sie ist nicht dazu da, einen bestimmten Kandidaten durchzusetzen. Gerade in diesem Punkt herrscht bei manchem, der als Experte hinzugezogen wird, ein erhebliches Missverständnis. Deshalb ist es so wichtig, sich genau zu überlegen, wen man heranzieht und wie man eine Findungskommission zusammensetzt. Man muss als Rechtsträger ein gewisses Maß an objektiver Beurteilung sicherstellen. Auch in diesem beratenden Gewerbe gibt es sehr subjektive Einschätzungen, zuweilen sogar handfeste subjektive Interessen, die zu fragwürdigen Ergebnissen führen können. Beispiele ließen sich nennen. Ziel der Beratung muss es jedenfalls sein, den Rechtsträger in die Lage zu versetzen, im besten Wissen über die Kandidaten und Kandidatinnen eine Entscheidung zu treffen, um die Person zu berufen, die er in seiner Stadt für richtig hält. Alles andere ist sachwidrig und unqualifiziert.

Das Verfahren

Die Kritik am Intendantenfindungsverfahren in Köln hat insoweit etwas Scheinheiliges, als es sich um ein Verfahren handelt, dass zuletzt in ähnlicher Weise in anderen großen Standorten, auch früher in Köln stattgefunden hat. In Köln wurde es sogar verbindlich festgeschrieben, wie man kürzlich aus dem Mund der Oberbürgermeisterin öffentlich hören konnte. Kritik an solchen Verfahren wurde von denen, die sich jetzt so sehr nach außen auf die Verfahrensfrage kaprizieren, früher nicht geäußert. Dass jemand auf meine Ausführungen, die auf dieser Internetseite schon seit Mitte 2017 zum Thema zu finden sind (siehe „Über die Intendantenwahl“), reagiert hätte, habe ich nicht feststellen können. Nun aber wissen es alle besser, obwohl es offensichtlich ist, dass in der Verfahrensfrage das Ei des Kolumbus bisher kaum gefunden wurde. Mit und ohne Findungskommission sind Intendantenwahlen schon gelungen, aber auch eben weniger gelungen. So fuhr man mit hochbesetzter Findungskommission eine Intendantensuche für die Semperoper in Dresden an die Wand (von Serge Dorny trennte man sich trotz abgeschlossenem Vertrag schon vor Dienstantritt), ohne Findungskommission eine für das Düsseldorfer Schauspielhaus (Staffan Holm gab nach gut einem Jahr auf). Und in Wuppertal wurde für die Suche nach einer Schauspielintendantin einiges Geld für einen Headhunter ausgegeben, ohne dass man diese Methode als erfolgreich bezeichnen kann. Die Intendantin warf nach kurzer Zeit wieder das Handtuch.

Zudem gilt: Je größer ein Haus ist, für das ein Intendant gefunden werden soll, desto größer ist auch das öffentliche Interesse daran. Das macht es so schwierig, weil viele, deren Namen in Betracht käme, bei großen Häusern nichts mehr scheuen, als dass ihr Name zu früh in der Zeitung steht, durchgestochen von jemandem, der genau diesen oder jenen Kandidaten oder eine bestimmte Kandidatin verhindern will. Hat es alles schon gegeben.

Schlussbemerkung

Man sieht, die Dinge sind mal wieder komplizierter, als es sich manch einer, der sich zum leichtfertigen Statement hinreißen lässt, denkt. Das gilt umso mehr, als ein Weg gefunden werden muss zwischen den Interessen des Publikums und den Erwartungen des Feuilletons. Denn keineswegs stimmen diese beiden Positionen stets überein. Das hat ja mittlerweile auch der eine oder andere der kommentierenden Zunft bemerkt. Der Versuch, diesen Weg in Köln zu finden, ist sicher nicht in jeder Beziehung als gelungen zu bezeichnen. Aber der größte Schaden wurde aus meiner Sicht dadurch angerichtet, dass die Chance, einen Intendanten zu berufen, der mit einer Leitungserfahrung in einem größeren Privattheater eine andere Vita hat als bei Schauspielintendanten großer Häuser üblich, durch Voreingenommenheit und zum Teil unsachliche Kritik an Person und Verfahren vertan wurde. Das ist bedauerlich. Denn wer den Stand der Schauspielkunst in Deutschland beobachtet, kann wahrlich nicht behaupten, dass für das Publikum, um das es ja geht, das Feld zur vollen Zufriedenheit bestellt ist. Mal etwas anders zu wagen, wäre eine gute Alternative gewesen.

Welche Rechte hat der Regisseur? Über die französische Rechtsprechung zur Inszenierung der Oper „Dialogues des Carmélites“

Im März 2010 hatte die von Francis Poulenc komponierte und 1957 uraufgeführte Oper „Dialogues des Carmélites“ Premiere in der Bayerischen Staatsoper München. Der Aufführung wurde deshalb besondere juristische Aufmerksamkeit zuteil, weil der Regisseur Dimitri Tscherniakow den Schluss anders inszenierte als es im Libretto vorgesehen ist. Das sollte das renommierte Opernhaus länger beschäftigen als erwartet. Denn die Erben des 1963 verstorbenen Komponisten und Librettisten gingen gegen die Inszenierung juristisch vor und beanstandeten eine Verletzung des Urheberrechts. Das interessante an diesem Prozess ist die Tatsache, dass er vor französischen Gerichten stattfand. Nun gibt es ein abschließendes Urteil des Cour d´appel von Versailles, das zugunsten der Staatsoper ausging. Auch wenn das Urteil nur Wirkung im konkreten Rechtsstreit entfaltet, ist es von Interesse, was es für das Verhältnis zwischen Regisseur und Urheber des aufgeführten Stücks bedeutet.

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Am 6. Dezember 2018 titelte die Süddeutsche Zeitung „Interpretieren geht über Komponieren“. Gegenstand des Artikels war der über die an der Bayerischen Staatsoper in München gespielte Inszenierung der von Francis Poulenc komponierten Oper „Dialogues des Carmélites“ geführte Rechtsstreit. Bewertet wurde das abschließende Urteil des Cour d´appel in Versailles vom 30. November 2018 als ein Sieg der Freiheit der Kunst im Verhältnis zum Urheber des aufgeführten Stückes. Der Intendant der Staatsoper, Nikolaus Bachler, lobte die Entscheidung und betonte zu Recht ihre europaweite Bedeutung. Doch ist sie wirklich so ein großer Sieg für das Regietheater?

Die Rechte des Regisseurs

Natürlich hätte es viel schlimmer kommen können. Hervorzuheben ist, dass sowohl das abschließende Urteil aus Versailles als auch schon der Cour des cassation, dessen Entscheidung vom 22. Juni 2017 diesem Urteil vorausging, dem Regisseur bei der Interpretation des aufgeführten Werks gewisse künstlerische Freiheiten einräumen. Dem stünden die Rechte, so beide Entscheidungen, des Urhebers des Werkes gegenüber. Zwischen beiden Rechten müsse ein Gleichgewicht hergestellt werden. Dies gelte umso mehr, als es sich bei einer Oper um ein Werk handele, bei der die Inszenierung notwendig sei, um einen Kontakt zwischen Publikum und dem Werk herzustellen.

Das sind grundsätzliche juristische Äußerungen zur Theaterkunst, die positiv sind. Denn unmissverständlich wird klar, dass im Konflikt zwischen der Interpretation durch den Regisseur und dem Werk des Urheber ein Spannungsverhältnis besteht, das nicht eindeutig zugunsten des Stückurhebers zu entscheiden ist. Das Urheberrecht erfährt hier eine grundrechtliche Relativierung, um die wir in Deutschland seit Jahren streiten, wenn es zu juristischen Auseinandersetzung über die Regie kommt. Dabei lassen die französischen Gerichtsentscheidungen aber offen, um welche Art von Recht es sich urheberrechtlich bei dem des Regisseurs handelt. Es wird etwa im Urteil des Cour de cassation vom „l´auteur de l´oeuvre seconde“  gesprochen, was auf ein echtes Urheberrecht des Regisseurs schließen lässt und für uns das erste Problem der hier fraglichen Gerichtsentscheidungen ist. Einer solchen Bewertung könnte man sich jedenfalls aus der Sicht des deutschen Rechts nicht anschließen, dem entsprechend dem Regisseur nur das (ihn jedoch ausreichend schützende) Leistungsschutzrecht des darstellenden Künstlers zusteht. Dabei muss es im Sinne des Regietheaters auch unbedingt bleiben. Denn hätte der Regisseur ein echtes Urheberrecht, wäre die Regie eine Bearbeitung des Stücks, die grundsätzlich der Zustimmung des Stückurhebers unterliegt, ein Thema, mit dem sich die beiden hier genannten französischen Urteile nicht auseinandersetzen. Außerdem hätte ein Urheberrecht des Regisseurs zur Folge, dass jeder Regisseur an jedem umgesetzten Regieeinfall verschiedene Rechte hätte, was die Regiearbeit angesichts allein in Deutschland zahlloser Inszenierungen vor unendliche urheberrechtliche Probleme stellen und zu zahlreichen Plagiatsdiskussionen führen würde.

Doch was darf der Regisseur wirklich?

Doch die Frage nach den urheberrechtlichen Schutzrechten des Regisseurs ist nicht das einzige Risiko der vorliegenden Entscheidungen. Ihre rechtliche Brisanz liegt vor allem in der Frage, inwieweit es eine Regie geben kann, die deshalb unzulässig ist, weil sie die Rechte des Urhebers des aufgeführten Werks beeinträchtigt. Denn grundsätzlich schließt das die Entscheidung des Cour d´appel vom 30. November 2018 auch für den Fall nicht aus, dass Text und Musik nicht geändert werden. Vielmehr wird eindeutig konstatiert, dass eine solche urheberrechtliche Verletzung allein durch die abweichende Inszenierung der letzten Szene grundsätzlich möglich ist. Um die Verletzung auszuschließen, werden dann umfangreiche Erwägungen zum Werk und zur Inszenierung angestellt. In der Quintessenz ist davon auszugehen, dass die ausschließlich regiebedingte Abweichung vom Werk Änderung nur gerechtfertigt ist, wenn sie die Intention des Urhebers in keiner Weise verzerrt. Als Voraussetzung dafür wird u.a. gerade der Umstand genannt, dass das Werk selbst durch die Inszenierung keine Veränderung in Text und Musik erfahren habe.

Zwei Maßgaben sind also bemerkenswert: Erstens ist eine Veränderung des Werkes, also von Text und/oder Musik, ein Kriterium für eine Urheberechtsverletzung. Damit wird deutlich, dass die Entscheidungen der beiden französischen Gerichte eher keinen Spielraum für Veränderungen lassen, wie sie etwa Frank Castorf bei der seinerzeitigen Aufführung von Bertolt Brechts Stück „Baal“ vorgenommen hat. Aber nicht nur das. Sondern zweitens muss sich auch die Regie an den Ideen des aufgeführten Stücks orientieren, wenn dieses noch urheberrechtlich geschützt ist. Damit wird klar, dass die Urteile doch bei weitem nicht so regiefreundlich sind, wie sie im Ergebnis und angesichts der obigen Grundaussage über das Spannungsverhältnis zwischen Regie und aufgeführtem Werk auf den ersten Blick zu sein scheinen.

Die Änderung des Werks

Interessant bleibt vor allem aber die Frage, inwieweit sich aus der Stärkung der grundrechtlichen Position des Regisseurs, die die genannten Urteile vornehmen, im deutschen Recht letztlich doch Konsequenzen für die Auslegung des § 39 UrhG ableiten lassen. Nach dieser Vorschrift sind Änderungen des Werkes und seines Titels zulässig, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann. Bei der Beurteilung von Treu und Glauben wird man die grundrechtliche Position des Regisseurs nach den Urteilen in der Angelegenheit „Dialogue des Carmélites“ stärker berücksichtigen können, als das in der bisherigen deutschen Rechtsprechung der Fall ist, zumindest so lange die Änderungen den Intentionen des Urhebers des aufgeführten Werks entsprechen. Dabei wird sicher auch eine Rolle spielen, ob es sich bei dem Urheber des Stücks um einen (mehr schützenswerten) lebenden Urheber handelt oder ob der Urheber des Stücks bereits (gegebenenfalls schon länger) verstorben ist.