Raummiete und Corona-Krise

Zahlreiche kleine Kulturbetriebe, die durch die von den staatlichen Behörden wegen des Coronavirus getroffenen Anordnungen geschlossen sind, stehen vor erheblichen wirtschaftlichen Problemen. Eines dieser Probleme besteht in der Zahlung der Miete, wenn der Geschäftsraum des Kulturbetriebes angemietet wurde. Betroffen sind vor allem private und freie Theater, Buchhandlungen, sozio-kulturelle Zentren und viele mehr. Für sie stellt sich die Frage, ob sie überhaupt zur uneingeschränkten Fortzahlung der Miete verpflichtet sind, wenn der gemietete Raum wegen der behördlichen Anordnung nicht mehr zu dem bei Abschluss des Mietvertrages vorgesehenen Zweck genutzt werden kann. Dazu ein paar juristische Hilfestellungen.

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Die Miete ist für viele Betriebe, auch private Kulturbetriebe oft ein hoher Kostenfaktor. Das gilt erst recht, wenn das jeweilige Geschäftslokal für das Theater, den Buchladen oder andere private Kulturunternehmen Innenstadtlage hat, was ja oft genug der Fall ist. Gerade in den letzten Jahren des starken wirtschaftlichen Aufschwungs stieg die Miete mancherorts überdurchschnittlich in eine zuweilen kaum vertretbare Größenordnung. Nun aber ist wegen des Coronavirus plötzlich alles geschlossen. Keine Veranstaltungen mehr,  kein Verkauf von Waren mehr, keine Einnahmen mehr. Das ist die bittere Realität für eine große Zahl von Betrieben.

Es ist zu hören, dass einige Vermieter schon bereit sind, auf die Miete für eine gewisse Zeit ganz oder teilweise zu verzichten. Zugleich plant die Bundesregierung ein Gesetz, dem entsprechend auch bei der Anmietung von gewerblich genutzten Räumen vorerst keine Kündigung des Mietvertrags ausgesprochen werden darf, wenn wegen der Corona-Krise der Betrieb geschlossen werden musste und deshalb die Miete nicht mehr gezahlt werden kann.  Zudem soll es öffentliche Finanzmittel geben, die die Zahlung der Miete in solchen Fällen ermöglichen. Das alles ist ja schon einmal ein Ansatz. Doch die Frage ist, ob in der jetzt bei vielen Betrieben eingetretenen Situation die Rechtsordnung nicht ohnehin eine Lösung vorgesehen hat. Die Antwort lautet: Hat sie!

Die gesetzliche Vorschrift

Ausgangspunkt ist der § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Der spricht von einer Störung der Geschäftsgrundlage. Absatz 1 dieser Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

„Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“

Hinzu kommt Absatz 2:

„Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.“

Das Betreiben eines Theaters oder eines Buchgeschäfts als Geschäftsgrundlage

Nun können wir dahinstehen lassen, ob die Schließung des Theaters oder des Buchgeschäftes wegen des Coronavirus unter den Absatz 1 („wesentliche Umstände“) oder Absatz 2 („wesentliche Vorstellungen“) fällt. Jedenfalls war Geschäftsgrundlage des Mietvertrags, dass in der gemieteten Immobilie ein bestimmter Betrieb unterhalten werden kann und soll. Das war auch mehr als die einseitige Erwartung des Mieters, vor allem wenn es sich um einen Theaterraum handelt. Beide Vertragsparteien gehen vielmehr gemeinsam davon aus, dass ein Theaterraum grundsätzlich als solcher genutzt werden kann. Beim Buchgeschäft beispielsweise ist mindestens Geschäftsgrundlage, dass das Betreiben eines Geschäftes erlaubt ist; meist wird auch besprochen sein, um welches Geschäft es sich handelt.

Die schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage

Diese Geschäftsgrundlage muss sich „schwerwiegend verändert“ haben. Eine solche schwerwiegende Veränderung ist es selbstverständlich, wenn das Unterhalten des in Aussicht genommenen Betriebs auf Grund einer behördlichen Anordnung untersagt wird. Das ist allerdings im Sinne der Störung der Geschäftsgrundlage nur dann relevant, wenn die Störung nicht dem Risikobereich eines Vertragspartners zuzuordnen ist. Dem Risikobereich des Mieters wäre die Schließung des Betriebes etwa dann zuzuordnen, wenn sie auf ein Fehlverhalten seinerseits zurückzuführen wäre. Das wäre etwa im Gaststättenbereich bei Nichteinhaltung  bestimmter Hygienevorschriften oder im Theater bei Nichteinhaltung bestimmter Sicherheitsauflagen der Fall. Wäre letzteres allerdings auf bauliche Mängel zurückzuführen, dann liegt die Schließung des Betriebs im Risikobereich des Vermieters, was zwar aus anderen Gründen zum Wegfall der Miete aber nicht zur Anwendung des § 313 BGB führen würde.

Zumutbarkeit und Vertragsanpassung

Kommt es wie jetzt zu einer weitgehenden, generellen Schließung von Betrieben wegen des Coronavirus, dann aber ist die Veränderung der Geschäftsgrundlage keiner Vertragspartei anzulasten. Das wiederum führt bei der Anwendung von § 313 BGB zu der Überlegung, ob dem Mieter trotzdem die volle Zahlung der Miete zugemutet werden kann. Mit Rücksicht auf den vollständigen Wegfall der Einnahmen und der Tatsache, dass im Fall des Coronavirus die Schließung rein vorsorglich zur Vorbeugung einer vermuteten Risikolage erfolgt, ist das zu verneinen. Angesichts dessen ist auch davon auszugehen, dass beide Vertragspartner den Vertrag nicht ohne ein Regelung der Mietzahlung für den Fall einer solchen vorsorglichen Schließung abgeschlossen hätten. Und keinesfalls wäre bei verständigen Vertragspartnern die Regelung eine uneingeschränkte Fortzahlung der Miete gewesen.

Dies bedeutet, dass der Mieter im Fall der durch das Coronavirus verfügten Schließung des Betriebs eine Anpassung des Vertrags, hier der Mietzahlung verlangen kann. Dazu ist eine umfassende Interessensabwägung erforderlich. Hier können auch zeitliche Überlegungen einfließen. Man wird zumindest bei finanziell stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen des Mieters wohl zu folgendem Ergebnis kommen können: Im ersten Monat der Schließung bleibt die Mietzahlung unverändert, im zweiten und dritten Monat wird sie halbiert, ab dem vierten Monat der Schließung erfolgen weitere Kürzungen bis hin zum kompletten Wegfall der Miete.

Verhandlungen mit dem Vermieter und Kündigung

Vorsorglich sei noch auf Folgendes hingewiesen: Das sind allgemein gehaltenen juristische Überlegungen. Im Einzelfall wäre es erforderlich, auch den konkreten Mietvertrag einer genauen Prüfung zu unterziehen. Jedenfalls kann nicht empfohlen werden, die Miete einfach wegen der Störung der Geschäftsgrundlage zu kürzen. Vielmehr ist es naheliegend, mit dem Vermieter zu verhandeln und in diese Verhandlungen deutlich die Störung der Geschäftsgrundlage einzuführen.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Absatz 3 des § 313 BGB sogar die Kündigung des Mietvertrags wegen der Störung der Geschäftsgrundlage vorsieht, aber nur dann wenn die oben dargestellte Anpassung des Mietvertrags nicht möglich oder einem Vertragspartner nicht zumutbar ist. Ob eine dieser Voraussetzung gegeben ist, bedarf einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalls.

Corona-Hilfsprogramm für Kunst und Kultur

Derart massive Eingriffe in das öffentliche Leben, wie sie zurzeit bedingt durch das Corona-Virus stattfinden, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben. Für die Menschen hierzulande sind diese Eingriffe mit erheblichen Einbußen an Lebensqualität verbunden. Zudem sind die Folgen für die Gesellschaft, der die Öffentlichkeit – wenn auch nur temporär – wegbricht, nicht abzusehen. Das gleiche gilt erst recht für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die mit der Corona-Krise verbunden sind. Vor allem ist die Veranstalterbranche, einer der größten Wirtschaftszweige, betroffen. Künstlerinnen und Künstler erhalten wegen ausgefallener Auftritte keine Honorare, Firmen für technisches Equipment stehen vor dem Aus, Veranstaltern brechen die Einnahmen weg. Zu Recht fordert der Deutsche Kulturrat hier staatliche Hilfe. Doch zu fordern ist leicht. Eine solche Hilfe umzusetzen weit schwieriger. Zu fragen ist also: Was genau tun? Dazu einige erste Überlegungen.

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Wichtig ist es, dass die staatliche Hilfe für den in Not geratenen Kulturbetrieb ohne zu großen Verwaltungsaufwand und unter Berücksichtigung bestehender staatlicher Verantwortung bewerkstelligt wird. Zu unterscheiden ist dabei einerseits zwischen solchen Unternehmen, die wie die Stadt- und Staatstheater, die großen Orchester oder die städtischen sowie staatlichen Museen von der öffentlichen Hand getragen werden, und andererseits den überwiegend privat finanzierten Einrichtungen. 

Die öffentlich getragenen Kultureinrichtungen

Kulturinstitutionen, die die öffentliche Hand selbst betreibt, verfügen über ein meist mehr oder weniger solides Maß an öffentlicher Finanzierung. Sie können aber bei für eine längere Zeit drohenden Ausfällen trotzdem in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Ist dies der Fall, ist niemand anderes gefordert als die jeweiligen Träger, also meist das Land oder die Stadt. Sie müssen sicherstellen, dass das Theater, das Orchester, das Museum über ausreichende Liquidität verfügt, um jedenfalls seine Löhne zahlen und auch andere Verpflichtungen erfüllen zu können. Da selbst die künstlerischen Mitarbeiter in den Stadt- und Staatstheatern mit Spielzeitverträgen dauerhaft beschäftigt werden, ist dann auch die soziale Sicherheit der Belegschaft solcher Betriebe vorerst gewährleistet. Das ist erneut ein Beweis für den Vorzug des in Deutschland üblichen Ensemble- und Repertoirebetriebs, der sich auch in Krisensituationen wie jetzt bewährt.

Private Kulturunternehmen

Handelt es sich jedoch um eine kulturelle Einrichtung, die vollständig oder überwiegend aus privaten Einnahmen finanziert wird, sieht die Situation völlig anders aus. Solche privaten Einrichtungen können und werden sehr schnell an den Rand des Konkurses geraten, wenn Vorstellungen oder andere Veranstaltungen für eine bestimmte Zeit komplett ausfallen. Ihre Lage unterscheidet sich jedoch von Unternehmen anderer Branchen darin, dass sie bei einem solchen Komplettausfall überhaupt keine Einnahmen mehr erzielen und praktisch auch angestelltes Personal fast gar nicht mehr beschäftigen können. Möglichkeiten wie das Kurzarbeitergeld werden also kaum weiterhelfen, wenn überhaupt die Voraussetzungen dafür vorliegen. Auch Investitionshilfen gehen in der Veranstaltungsbranche eher ins Leere. Angedachte Möglichkeiten, wie etwa der Verzicht des Finanzamts auf Steuervorauszahlungen, sind ein wichtiger Schritt und können Entlastung bringen. Meist wird jedoch eine konkrete Finanzhilfe erforderlich sein. Dabei geht es vor allem darum, einen radikalen Arbeitsplatzabbau zu verhindern, was sowohl aus sozialen Gründen wünschenswert ist als auch sicherstellt, dass die Arbeit nach Beendigung der Corona-Krise wieder zügig aufgenommen werden kann.

Welche konkreten Voraussetzungen für solche Finanzhilfen müssen nun vorliegen?  Sicher wird es erforderlich sein, dass das Kulturunternehmen auf einen längeren Bestand angelegt ist. Davon wird mindestens dann auszugehen sein, wenn ein Kulturunternehmen bereit länger als fünf Jahre kontinuierlich Veranstaltungen im Jahr anbietet. Außerdem muss ein Liquiditätsproblem derart vorliegen, dass eine Konkursgefahr nicht ausgeschlossen werden kann. Um nun private Kulturanbieter nicht gegenüber anderen Unternehmen, etwa Handwerksbetrieben oder Geschäften, die durch das Corona-Virus ebenfalls in Schieflage geraten, zu bevorzugen, müsste der Kulturbetrieb von der örtlichen Kulturbehörde als Teil des kulturellen Angebots der Stadt als dauerhaft erhaltenswert eingestuft werden. Ob die Finanzhilfe dann als Überbrückungskredit oder als Zuschuss gewährt wird, wäre im Einzelfall zu prüfen. Das gilt auch für deren Höhe bzw. die Dauer ihrer Gewährung. Eine Begrenzung wird sich sicher auch aus der Begrenztheit der Mittel ergeben, die zur Verfügung stehen.

Die Künstlerinnen und Künstler

Der am stärksten von Veranstaltungsausfällen betroffene Kreis von Personen werden die Künstler sein. Dabei wird es nicht um die Künstlerinnen und Künstler gehen, die in einem Betrieb auf längere Zeit durchgehend beschäftigt werden, wie etwa die Schauspieler, Chorsängerinnen oder Orchestermusiker in den Stadt- und Staatstheatern. Vielmehr handelt es sich bei dem betroffenen Personenkreis um die für ein Projekt meist kurzfristig beschäftigten künstlerischen Mitarbeiter. Ob die Beschäftigung eher bei einem privaten Kulturanbieter oder einer öffentlich-getragenen Kultureinrichtung erfolgt, ist gleichgültig. In der Regel werden Honorarverträge auf selbstständiger Basis oder sehr kurzfristige Arbeitsverträge abgeschossen. Deshalb hilft eine Anbindung eines Hilfsprogramms für diesen Personenkreis an die Künstlersozialkasse, die nur für selbstständig tätige Künstler zuständig ist, nicht weiter; die Deutsche Orchestervereinigung hat das vorgeschlagen. Außerdem bedarf es einer regionalen Struktur, da Kenntnis von den vor Ort vorherrschenden Umständen dringend notwendig ist. Man wird also wohl die Organisation eines solchen Hilfsprogramms nur an die städtischen und staatlichen Kulturämter anbinden können. Als Alternative kommt für Bundesmittel allenfalls die regional strukturierte Bundesanstalt für Arbeit in Betracht.

Voraussetzung für die Zahlung aus einem Künstlerhilfsprogramm an einen Künstler oder eine Künstlerin müsste sein: 

  1. Es gibt einen konkret abgeschlossenen Beschäftigungsvertrag über eine künstlerische Tätigkeit.
  2. Die Veranstaltung, für die der Künstler bezahlt werden sollte, ist auf der Grundlage staatlicher oder behördlicher Vorgaben bzw. Anordnung wegen des sich verbreitenden Corona-Virus abgesagt worden. 
  3. Die vereinbarte Vergütung wurde vom Veranstalter teilweise oder vollständig nicht bezahlt. 
  4. Es wird aus Kostengründen für die ausgefallene, erstattungsfähige Vergütung eine Begrenzung festgelegt. Sie könnte pro ausgefallener Vergütung 5.000 Euro betragen.

Inwieweit solch ein Hilfsprogramm auch auf die kurzfristige Beschäftigung von nicht künstlerischen Mitarbeitern zumindest dann auszudehnen wäre, wenn sie selbstständig für ein künstlerisches Projekt tätig werden sollen, wäre zu prüfen. 

Arbeitslosengeld I

Darüber hinaus ist für kurzfristig beschäftigte Künstlerinnen und Künstler schnell eine über die augenblickliche Regelung hinausgehende Regelung bei der Arbeitslosenversicherung zu treffen. Die jetzt in § 142 Abs. 2 SGB III formulierte Regelung reicht im vorliegenden Zusammenhang nicht aus. Zur Verbesserung der sozialen Lage der unbeschäftigten Künstlerinnen und Künstler sollte vorübergehend bis zum Ende des Jahres 2020 eine Regelung eingeführt werden, der entsprechend der kurzfristig beschäftigte Künstler für vier Monate Arbeitslosengeld I bekommt, wenn er in den letzten 24 Monaten mindestens dreimal für kürzere Zeit befristet beschäftigt war und Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Dieses Arbeitslosengeld sollte mindestens 1.000 Euro im Monat betragen.

Projektfördermittel in der freien Szene

Alle für Kulturprojekte in der freien Szene ausgezahlten Projektfördermittel werden auch bei staatlicherseits wegen des Corona-Virus verordnetem Ausfall der Veranstaltung nicht zurückgefordert. Zugesagte Projektfördermittel, die noch nicht ausgezahlt wurden, werden den Antragstellern zur Verfügung gestellt, auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass das Projekt wegen der Corona-Krise nicht durchgeführt werden kann. Die Zweckbindung der Projektmittel wird mit der Maßgabe aufgegeben, dass die Mittel allgemein zur Stabilisierung des Kulturunternehmens des Antragsstellers, also etwa eines freien Theaters, genutzt werden können, wenn dieses in Liquiditätsengpässe kommt. Projektmittel, die zurzeit mangels stattfindender Projekte nicht benötigt werden, stehen ebenfalls zur Überwindung von Liquiditätsengpässen in der freien Szene zur Verfügung.

Soziale Kompetenz statt neuer Theater-Strukturdebatte

Fast 30 Jahre reden wir in den Kulturbetrieben über Strukturen. Nun gibt es die Studie „Macht und Struktur am Theater“ von Thomas Schmidt. Gebracht haben die Debatten bisher nicht viel, zumindest nichts zugunsten des Theaters. Langsam fragt man sich, worum es eigentlich geht. Und woran es wirklich fehlt.

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Wer die Veränderung von Strukturen fordert, macht sich im Theater eigentlich eher verdächtig. Denn fast immer steht der Begriff für etwas anderes, ist also ein Euphemismus. Mal verbirgt sich hinter den gewünschten Strukturveränderungen, wie Mitte der 1990er und in den Anfängen der 2000er Jahre der (erfolgreiche) Versuch, Geld durch Personalabbau und Gehaltskürzungen zu sparen. Damals waren die Tarifverträge und deren die Kunst einschränkende Wirkung das Strukturproblem. Sie gehörten auf den Müllhaufen der Geschichte, wurde in der Politik, aber auch durch namhafte Künstler unter Beifall von großen Teilen des Feuilletons gefordert. Nur einem behutsamen Vorgehen der Tarifpartner ist es zu verdanken, dass der NV Bühne als Tarifvertrag für den Kunstbetrieb im Theater überhaupt noch existiert. Nun, seit es infolge der damaligen Entwicklungen zu den zu erwartenden Überlastungen des Personals gekommen ist, werden diese Anforderungen als Machtmissbrauch empfunden. Wieder sind es Strukturveränderungen, die eine Lösung bringen sollen. Jetzt soll es um Leitungsstrukturen gehen. Leider ist das erneut eher abwegig!

Denn die Arbeit der Intendanten unterliegt ja in Wahrheit der notwendigen und weitreichenden Kontrolle: Personal- und Betriebsräte haben eindeutige Beteiligungsrechte, Orchestervorstand, Chorvorstand, Tanzgruppenvorstand und mittlerweile auch Solovorstand sowie Bühnentechnikervorstand ihre tariflichen Kontrollfunktionen. So gut wie kein Intendant kann mehr Verträge abschließen, ohne dass der kaufmännische Geschäftsführer mitunterzeichnet. Die Rechnungskontrolle der Rechtsträgerschaft schaut der Geschäftsleitung auf die Finger. Gewerkschaften stellen ihre Forderungen und setzen sie, zumindest teilweise, durch. So entstehen Rechte für die künstlerischen und nichtkünstlerischen Mitarbeiter der Theater. Zur Durchsetzung dieser Rechte gibt es Gerichte, die jeder Mitarbeiter anrufen kann. Das alles als ineffektiv abzutun etwa mit dem Satz, Personal- und Betriebsräte stünden der Geschäftsleitung zu nahe, ist realitätsfern.

Nein, das ganze ist kein Strukturproblem, sondern zunächst ein politisches, nämlich das der jahrelangen Theaterbudget-kürzungen durch die Kämmerer und Finanzminister. Zudem ist es ein menschliches, sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite. Soweit es die Arbeitgeberseite betrifft, interessieren Leitungsqualitäten und damit verbundene soziale Kompetenzen bei der Intendantensuche leider so gut wie gar nicht. Unter Schützenhilfe besonders engagierter Kreise, die es in jeder Stadt gibt, geht es fast immer nur um das künstlerische Profil. Je ausgefallener die Wahl, umso besser, scheint es zuweilen. Manchmal hat man Glück, und der profilierte Künstler ist auch ein Naturtalent für Organisation und Management. Oder andere Mitglieder des Leitungsteams, wie der Verwaltungsdirektor oder der Chefdramaturg, gleichen bestehende Defizite aus. Andernfalls ist jedoch das Gejammer in der Kantine groß.

Was aber macht die Arbeitnehmerseite? Geklagt wird ja meist nicht aus dem Orchester. Denn dort haben die Musiker immer solidarisch mit ihrer Gewerkschaft ihre Rechte durchgesetzt. Die aber vor allem den Machtmissbrauch beklagenden Solomitarbeiter, also z.B. Schauspieler oder Dramaturgen, wissen teilweise gar nicht, dass es eine Gewerkschaft für sie gibt, nämlich die GDBA. Und wenn sie es wissen, dient das vor allem dazu, sie zu beschimpfen. Dass die GDBA die einzige Gruppierung ist, die sich in den Stadt- und Staatstheatern sowie Landesbühnen seit Jahrzehnten um die Interessen dieser künstlerischen Klientel kümmert, wird gerne vergessen. Von einem Engagement in der Gewerkschaft, von der damit verbundenen Bereitschaft, sich für die eigenen Interessen sowie die der Kolleginnen und Kollegen einzusetzen, war zudem in Solistenkreisen leider lange wenig zu spüren. Das ist auch heute größtenteils noch so. Da fehlt es ebenfalls an sozialer Kompetenz und man scheut die Mühe der Ebene. Lieber geben sich viele als Einzelkämpfer frei nach dem Motto: Alle denken an sich, nur ich denk an mich. Mehr Solidarität wagen, wäre ein besseres und wichtigeres Motto. Die Veränderung von Leitungsstrukturen wird nichts bringen, am Ende sitzen doch nur Menschen auf ihren Posten.

Auch in Zukunft muss aber eine angemessene Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und den sozialen Belangen der Mitarbeiter das Ziel sein. Jetzt den befristeten Arbeitsvertrag für alles Mögliche verantwortlich zu machen, wie Thomas Schmidt es tut, verkennt, dass dieser Vertrag für die Realisierung der Kunstfreiheit unerlässlich ist. Er ist im Theater fast überall in der Welt der Regelfall, anderswo jedoch meist mit der Maßgabe, dass er immer nur für eine Produktion abgeschlossen wird. Danach muss man sich ein neues Engagement suchen. Hierzulande bekommt man nach NV Bühne hingegen einen Vertrag für eine oder gar mehrere Spielzeiten. Es gibt Künstler, die bleiben oft 10 bis 15 Jahre an einem Haus. Mittlerweile gibt es sogar einen Schwangerschaftsschutz, der die Verlängerung eines auslaufenden befristeten Arbeitsvertrags im Fall der Schwangerschaft erzwingt. Das alles ist eine Qualität, die in vielen anderen Ländern am Theater lange nicht vorhanden ist. Wir dürfen das nicht unterschätzen.

Für ein Kulturabkommen zwischen EU und Großbritannien

Die Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2020 war für Europa eine traurige Nacht. Sicher, es passiert in der Welt zurzeit viel Schlimmeres als der Brexit. Aber eine Europäische Union ohne England, das schmerzt schon ein wenig, auch aus Sicht der Künste. Zunächst bleibt bis Ende des Jahres zwar irgendwie alles beim Alten. Aber man hat es ja schon vor Augen, das Gerangel um ein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien. Zudem ist zu fragen, ob ein solches Abkommen der Kunst und der Kultur in Europa überhaupt helfen wird?

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Es gibt das berühmte Zitat, das vom früheren französischen Kulturminister Jaques Lang stammen soll, aber gerne dem Architekten der Europäischen Union, Jean Monnet, zugerechnet wird. „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen“ (statt mit der Wirtschaft versteht sich), soll dieser über die Gründung der EU gesagt haben. Zuweilen ist es egal, wer etwas sagt, die Hauptsache ist, was gesagt wird.  Denn dass an dem vorliegenden Satz etwas Richtiges ist, etwas dran ist, wie es gerne heißt, das steht außer Zweifel. Und eigentlich, so möchte man hinzufügen, hat doch das vereinigte Europa sogar mit der Kultur begonnen.

1973 trat Großbritannien der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der EWG und Vorgängerin der EU, bei. Vorausgegangen waren Jahre, in denen englische Popgruppen wie die Beatles und die Rolling Stones die Herzen der jungen Menschen in Europa eroberten. Swinging London und die King´s Road waren der Inbegriff für die neue individuelle Freiheit. Dieser kulturelle Aufbruch in eine neue Zeit prägte die Generation, die in den folgenden Jahrzehnten wesentlich am Aufbau der Europäischen Union beteiligt war. Es war eine Generation, die erstmalig im großen Stil durch Europa reiste, per Anhalter, mit dem in weiten Teilen Europas geltenden Interrail-Ticket, mit Bus und Fahrrad oder zuweilen zu viert im Campingwagen, und dabei die europäische Kultur für sich entdeckte.

Und nun der Brexit. Ein Schlag für alle die, die ihr Herz an Europa verloren haben. Die sich mindestens so sehr als Europäer wie zugleich als Deutsche, Engländer oder Franzosen fühlen. Die versuchten, dieses Gefühl weiterzugeben, als die EU sich nach Osten öffnete. Das gelang. Ich werde beispielsweise bei meinen Tschechischen Theater-Kollegen nie die Freude vergessen, die sie empfanden, als ihr Land der EU beitrat.Wie geht es weiter, ist jetzt die große Frage. Alle reden von einem Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien. Erneut also am Anfang der neuen Beziehung die Wirtschaft, stellen wir erstaunt fest. Schon tauchen wieder in den Köpfen der Kulturleute die Fragezeichen auf, ob das eine Lösung für Kunst und Kultur sein kann. Erinnerungen an das zwischen den USA und der EU geplante, später an Trump gescheiterte Handelsabkommen TTIP machen die Runde. Natürlich dürfen solche Handelsabkommen nicht die nationale Kulturfinanzierung infrage stellen. Doch ein Handelsabkommen mit Großbritannien ist wirtschaftlich wichtig. Hinzu kommt: Wer Handel miteinander treibt, sucht auch die Verständigung, und das ist gut so. Nimmt man aber die damals gegen TTIP aus Kulturkreisen geäußerten Bedenken ernst, dann muss das heißen: Nur ein Handelsabkommen reicht nicht. Wir brauchen jedenfalls ein Kulturabkommen, das den freien Austausch von Kunst und Kultur zwischen Europa und Großbritannien sichert. Das dem künstlerischen Austausch neue Schranken bestehend aus Mehrwertsteuer-, Zoll-, Aufenthalts- und internationalen Sozialversicherungsprobleme erspart. Künstler müssen problemlos jenseits der Grenze zwischen der EU und der britischen Insel wechselseitig auftreten können. Museen müssen in der Lage sein, ihre Kunstsammlungen auszutauschen. Theater brauchen die Möglichkeit der Kooperation. Eine Einladung etwa der Münchener Kammerspiele zum Festival in Edinburgh darf nicht zu einem bürokratischen Abenteuer werden. Und als Engländer in Deutschland (oder umgekehrt) künstlerisch arbeiten möchte, muss dies ebenso dauerhaft tun können wie früher. Es darf keine umständlichen, bürokratischen Aufenthaltsverfahren geben, die einem solchen gemeinsamen, künstlerischen Schaffen im Wege stehen. Denn es ist die Kunst, die die Grenzen sprengt, hoffentlich auch die, die nun zwischen der EU und unseren Kollegen in England, Schottland und Nordirland leider geben wird. Wir waren in Europa schon einmal weiter.

Rollenmerkmale, Besetzungen und das Urheberrecht

Auf nachtkritik.de wurde kürzlich ein Beitrag von Georg Kasch veröffentlicht, der den schönen Titel trägt: „Die Ära der Frauen“. Es geht, so heißt es bei nachtkritik, um „Echte Hosenrollen“. Gefragt wird, warum Schauspielerinnen heute so oft Männerfiguren spielen. Beim Lesen des Textes fällt allerdings auf, dass es bei den entsprechenden Besetzungsentscheidungen vorrangig um urheberrechtlich nicht mehr geschützte Stücke geht. Das ist kein Zufall. Denn das Urheberrecht kann solchen Besetzungen durchaus Steine in den Weg legen.

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Der eine oder andere wird sich noch erinnern. Vor Jahren wollte das Theater Dortmund das Stück „Kunst“ von Yasmina Reza, in dem drei Männer anlässlich des von einem der Protagonisten getätigten Kaufs eines abstrakten, komplett weißen Bildes in einen fundamentalen Streit geraten, von drei Frauen spielen lassen. Die Premiere kam nicht heraus, sie scheiterte an der Intervention der Autorin. Und als das Theater Freiburg zu seinem hundertsten Geburtstag in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ die Millionärin Claire Zachanassian als Drag-Queen oder, wie nachtkritik schrieb, Transe auftreten ließ, gab es heftige Proteste von Seiten der Erbin des Autors. Warum war das so? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Beide Stücke unterliegen (nach wie vor) dem Schutz des Urheberrechtsgesetzes.

§ 39 Urheberrechtsgesetz

Einschlägig ist in solchen Fällen § 39 Urheberrechtsgesetz. Um zu verstehen, worum es geht, muss man sich die Vorschrift zunächst genauer ansehen. In Absatz 1 wird dem Nutzer eines Werkes, eben dem Theater, untersagt, das Werk ohne Zustimmung des Urhebers, also bei einem Theaterstück des Autors (meist vertreten durch einen Verlag), zu ändern. Absatz 2 fügt jedoch hinzu, dass Änderungen zulässig sind, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann.

Dieser Absatz 2 ist die rechtliche Grundlage für viele Veränderungen, die seitens der Theater an Stücken zu Aufführungszwecken vorgenommen werden. Ob alle diese Änderungen tatsächlich von der genannten Vorschrift abgedeckt sind, muss man allerdings ernsthaft in Zweifel ziehen. Das gilt vor allem für die Einfügung von Fremdtexten in ein urheberrechtlich geschütztes Stück, wie etwa seinerzeit in der „Baal“-Inszenierung von Frank Castorf am Residenztheater in München. Hier wäre allerdings zu fragen gewesen, ob der Kunstfreiheit auf Seiten des Regisseurs gegenüber dem Urheberrecht des schon vor über 60 Jahren verstorbenen Autors nicht der Vorrang gebührt hätte. Weniger problematisch sind jedoch die üblichen Strichfassungen zwecks Kürzung der Aufführungsdauer. Und einiges geht auch nach dem Motte über die Bühne: Wo kein Kläger, da kein Richter. Geld, also die Tantiemen, machen manchen Autor oder Verlag gefügig. Wohlbemerkt, es geht immer um Änderungen des Werkes, nicht um die Regie, doch in manchen Fällen ist der Übergang fließend.

Wesentliche Rollenmerkmale und Besetzung

So ist es, wenn es zu Besetzungen kommt, die wesentliche Rollenmerkmale außer Acht lassen. Das ist der Fall, wenn bei der Rollenbesetzung erkennbar und vor allem mit künstlerischer Absicht eine Person anderen Geschlechts, anderer Hautfarbe oder mit großer Altersabweichung (alt statt jung oder umgekehrt) eingesetzt wird. Hält man das für einen Teil der Regie, wie etwa die Verlegung des Stückes in eine andere Zeit, an einen anderen Ort oder in ein anderes Milieu, als es im Stück vorgesehen ist, dann läge darin keine Änderung des Werks. Solche von den wesentlichen Rollenmerkmalen abweichende Besetzungen wären urheberrechtlich dann unproblematisch. Hält man diese Art Umbesetzung jedoch für einen Eingriff in das Stück, dann käme die oben zitierte urheberrechtliche Vorschrift zum Zuge und ohne Zustimmung des Verlags bzw. des Autors wäre die abweichende Besetzung nur dann zulässig, wenn beide sie nach Treu und Glauben akzeptieren müssten.

Die Rechtslage ist also unklar. An dieser Stelle sind aber die Verlage meist empfindlich und verlangen zumindest, dass Ihnen die Besetzung einer Rolle mit einer Person anderen Geschlechts vorher mitgeteilt wird. Angesichts neuer mit den Verlagen in Aussicht genommener Regelungen wird man davon ausgehen müssen, dass das in Zukunft auch für andere wesentliche Rollenmerkmale gilt.

Das Dilemma des Theaters

Das einzelne Theater befindet sich in dieser Frage also in einem gewissen Dilemma. Teilt es dem Verlag die von den wesentlichen Rollenmerkmalen abweichende Besetzung vor der Einräumung des Aufführungsrechts mit, riskiert es, dass der Verlag die rollengerechte Besetzung verlangt und andernfalls die Einräumung dieses Rechtes verweigert. Lehnt das Theater eine solche Besetzung ab, wird es kaum zur Einräumung des Aufführungsrechts kommen und die Produktion muss abgesagt werden. Verzichtet das Theater darauf, den Verlag vor Einräumung des Aufführungsrechts über die von den wesentlichen Rollenmerkmalen abweichende Besetzung zu informieren und nimmt es diese Besetzung dann dennoch vor, riskiert es, dass der Verlag und/oder der Autor damit nicht einverstanden sind und gegen die Aufführung gerichtlich vorgehen. Dies abzuwehren hätte das Theater nur dann eine Chance, wenn es sich mit dem Standpunkt durchsetzte, die von den wesentlichen Rollenmerkmalen abweichende Besetzung sei eine Regieentscheidung und ändere das Werk nicht. Oder es müsste darlegen, dass die Änderung vom Urheber und vom Verlag und dem Autor nach Treu und Glauben zu akzeptieren sei. Letzteres wird sicher in vielen Fällen so sein, ist aber, wie man beim eingangs erwähnten Fall der Aufführung des von Yasmina Reza verfassten Stück „Kunst“ sehen kann, keinesfalls gesichert. Also gibt es zwischen der von Georg Kasch so treffend beschriebenen „Ära der Frauen“ und dem Urheberrecht ein Spannungsverhältnis, das leider, wie so oft im Urheberrecht, alles andere als leicht aufzulösen ist. Wer mit einer Besetzung keinen Schiffbruch erleiden will, sollte das im Auge behalten.

Über das Produzieren von Kunst in Zeiten des Klimaschutzes

Klima, Klima, Klima! Zuweilen entsteht der Eindruck, als gebe es keinen anderen Maßstab mehr für die Beantwortung der Frage, was gut und was schlecht ist. In Vergessenheit scheint zu geraten, dass in einer komplexen Gesellschaft auch für noch so dringende Probleme keine einfachen Lösungen zu finden sind. Dazu gibt es zu viele heterogene, berechtigte Interessen. Zudem ist nichts schwerer, als das, was sich entwickelt hat, zurückzudrehen, ins Gegenteil zu wenden. Auch die Kulturinstitutionen werden zunehmend mit der Frage nach mehr Nachhaltigkeit konfrontiert. Orchestertourneen, Energieverbrauch und Materialverwendung der Theater stehen auf dem Prüfstand. Kunst und Bildung, der internationale Kulturaustausch bilden den Gegenpol.

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Wer die aktuelle Klimadebatte beobachtet, macht eine kaum überraschende Feststellung: Es wird viel davon gesprochen, dass etwas zu tun ist und wenig davon, was genau zu tun ist. Es gibt zwar immer noch Maßnahmen, die wirksam und kurzfristig getroffen werden könnten, ohne anderweitige Interessen ernsthaft zu beeinträchtigen, wie etwa Tempo 120 auf deutschen Autobahnen. Warum das immer noch nicht Gesetz ist hierzulande, das mag verstehen, wer will. Doch an einer solchen Geschwindigkeitsbegrenzung allein wird das Weltklima nicht genesen. Wir alle wissen, es bräuchte dazu einer vollständigen Veränderung unserer Mobilität und eines völlig verändertes Konsumverhaltens. Doch das, zumal weltweit, zu erreichen, ist zumindest kurz- und mittelfristig eine Illusion. Denn ein solcher Prozess der Veränderung kann für viele Menschen von existentieller Bedeutung sein. Allein Millionen von Arbeitsplätzen hängen an unserem bisherigen Lebensstil. Zudem führt eine klimaschutzbedingte, gezielte Verknappung von Angeboten zu einer Verteuerung der Leistungen und Waren, erst recht wenn diese Verknappung durch finanzielle Auflagen erreicht werden soll. Am Ende würden es sich die Reicheren leisten können, ihren Lebensstil fortzusetzen, und die Ärmeren den Verzicht zu leisten haben. Eine – wie der Protest der Gelbwesten in Frankreich gegen die abgabebedingte Steigerung des Benzinpreises anschaulich unter Beweis gestellt hat – keinesfalls gerechte Lösung. Und nicht zu vergessen: Es bedarf so oder so auf der ganzen Welt milliardenschwerer Umwelt-Investitionen, deren Umsetzung, selbst wenn die Mittel bereit stünden, Jahrzehnte in Anspruch nähme.

Da mag sich Greta Thunberg noch so emotional für den Klimaschutz engagieren, es wird dauern, bis es auf die von ihr zu Recht aufgeworfenen Fragen eine wirklich weiterführende Antwort gibt. Tonnenschwere, batteriegetriebene Luxuslimousinen sind im Übrigen eine solche Antwort nicht. Da ist ein dringendes Umdenken vor allem der deutschen Autoindustrie und ihrer Kunden hin zu mehr Kleinwagen vonnöten. Wie aber steht es nun um die Kulturinstitutionen, die Theater, Orchester, Museen. Letztere haben gerade eine Taskforce für das klimafreundliche Museum von der Kulturstaatsministerin Grütters gefordert. Nun, fragt man sich, was soll die Frau denn noch alles machen? Nein, mit einem solchen Aktivismus kommen wir keinen Schritt weiter.

Kulturbetriebe sind Teil unserer Gesellschaft. Sie werden klimafreundlicher als bisher werden, soweit die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit klimafreundlicher wird. Zwar mögen Kulturinstitutionen Vorreiter für neue gesellschaftliche Entwicklungen sein. Das darf aber nicht dazu führen, von der Kultur besondere Anstrengungen zu fordern, schon gar nicht nach dem Motto: Kunst und Kultur sind weniger wichtig, da geht der Klimaschutz in jedem Fall vor. Überhaupt ist in diesem Zusammenhang zu warnen vor einer solchen Vernachlässigung der nicht unmittelbar lebensnotwendigen, weichen Faktoren des menschlichen Daseins im Verhältnis zum Klimaschutz. Auch Reisen bildet. Kulturaustausch ist von zentraler Bedeutung für die Verständigung der Menschen untereinander. Soll wirklich kein deutsches Orchester mehr in der Carnegie Hall auftreten, weil die Flugreise mit 100 Musikerinnen und Musikern nach New York das Klima schädigt? Bücher oder Zeitungen zu drucken ist auch nicht unbedingt umweltfreundlich, dient aber, zumindest überwiegend, der Aufklärung.

Also bleibt die Frage, was denn konkret getan werden kann. Nun, jeder muss das tun, was er tun kann. Theater sind aber zunächst dazu da, Kunst zu veranstalten, darauf können sie auch wegen des Klimaschutzes nicht verzichten. Für eine Aufführung braucht es nicht nur Künstler auf der Bühne, sondern auch Licht, Bühnenbilder, Kostüme, Requisiten und vieles mehr. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist da in den letzten Jahren schon einiges geschehen. Theater haben energiesparende Scheinwerfer angeschafft. Vieles wandert nach dem Abspielen einer Produktion nicht in den Müll, sondern in den Fundus. Bühnen- und Kostümbild werden verkauft, was jedoch nur möglich ist, wenn das Urheberrecht dem nicht entgegensteht. Kooperationen ermöglichen die stärkere Ausnutzung von Ressourcen. Und wir brauchen in jeder Stadt so viel Kultur wie möglich, damit man zum Beispiel mit dem Fahrrad ins Theater fahren kann. Zudem ist nichts umweltfreundlicher als der in den deutschen Theatern übliche Repertoirebetrieb, erlaubt er doch im Idealfall, eine Produktion auch nach zwanzig Jahren noch zu zeigen. Deswegen wandert sie nicht auf den Müll, sondern eben in den Fundus. Also: Stadttheater muss sein, auch im Sinne des Klimaschutzes.

Der virtuelle Schauspieler

Am 30. September 2019 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über Fotografien von Menschen, die gar nicht existieren. Die neben dem Artikel abgelichteten Gesichter waren digital hergestellt. Bald seien auch bewegte Bilder von nicht existierenden Menschen verfügbar, so die SZ. Dann aber sei der Beruf des Schauspielers endgültig gefährdet, befürchtet sie, wohl zu Recht, zumindest was den Film betrifft. Denn wenige Tage später erschien in derselben Zeitung ein Interview mit dem Filmregisseur Ang Lee über seinen neusten Film „Gemini Man“, in dem erstmalig ein virtueller Schauspieler mitspielt, der von einem echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist. Was bedeutet das für die Theater, in denen auch in Zukunft sicher leibhaftige Schauspieler auftreten werden, was aber vor allem für die in Film und Fernsehen tätigen Schauspieler?

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Wer die genannten Texte genau liest, wird feststellen, dass sie eines gemeinsam haben: In beiden Fällen sind die virtuellen Personen nicht entstanden, ohne auf lebende Menschen zurückzugreifen. Die Fotos sind generiert aus 29.000 Porträts von 69 natürlichen Personen, deren Gesichter dann zu neuen virtuellen Porträts zusammengefügt wurden. Und der virtuelle Schauspieler in „Gemini Man“ ist eine jüngere Ausgabe des in dem Film ebenfalls mitspielenden Schauspielers Will Smith. Man griff also auf altes Filmmaterial mit dem jüngeren Will Smith zurück, um die digitale Person neu zu kreieren und in „Gemini Man“ mitspielen zu lassen. Ang Lee sagt, noch könne man auf die körperliche Performance, also Körper- Gesichts- und Augenbewegungen von echten Menschen, nicht verzichten, um eine digitale Kreatur entstehen zu lassen, ergänzt aber: „Noch nicht“. Da werde sich eine neue Welt eröffnen, auch für Regisseure.

Wer hat Rechte?

Solange das Einspielen von menschlicher Gestik erforderlich ist, um einen virtuellen Schauspieler zu kreieren, stellen sich dem, der die Gesten zur Verfügung stellt, einige juristische Fragen: Ist er noch ein darstellender Künstler, der an dem Film mitwirkt und deshalb eigene Rechte an diesem Filmwerk hat? Muss man ihn als Mitwirkenden also im Abspann des Films nennen? Kann er sich dagegen wehren, wenn aus seiner Gestik eine Person entsteht, die absolut seinen Vorstellungen nicht entspricht? Oder mit dieser Person eine Geschichte erzählt wird, mit der er sich keineswegs identifizieren kann? Wie sind diese Fragen zu beurteilen, wenn die virtuelle Person, wie bei „Gemini Man“ aus früheren Filmaufnahmen eines Schauspielers entwickelt wird?

Eines lässt sich sicher sagen: Wer seine Gestik als Darsteller bereitstellt, um daraus einen virtuellen Schauspieler für einen Film zu entwickeln, sollte mit dem Filmproduzenten einen Vertrag abschließen und in diesem Vertrag die oben aufgeworfenen Fragen genau regeln. Und will der Filmproduzent auf alte Filmaufnahmen eines Darstellers oder mehrere Schauspieler zurückgreifen, um daraus einen neuen Film zu produzieren, dann geht das nur mit Zustimmung der jeweiligen Schauspieler. Dabei ist es auch unerheblich, ob das bestehende Leistungsschutzrecht des Schauspielers noch besteht oder nicht. Ist die Schutzfrist noch nicht abgelaufen, gibt es an der Zustimmungspflicht ohnehin keine Zweifel. Aber auch im anderen Fall kommt der Produzent an der Zustimmung nicht vorbei. Das gebietet bereits das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Gelangt man irgendwann dahin, dass der virtuelle Schauspieler entwickelt werden kann, ohne sich die Gesten einer natürlichen Person zu Nutze zu machen, fehlt es an einer natürlichen Person, die die Rechte eines Schauspielers für sich in Anspruch nehmen könnte. Dann aber ergibt sich die Frage, ob derjenige, der den virtuellen Schauspieler am Computer entwickelt hat, daran ein echtes Urheberrecht hat. Man wird das eindeutig bejahen müssen, im Übrigen auch für den Fall des oben beschriebenen Rückgriffs auf die Gestik einer natürlichen Person.

Das Publikum

Das alles führt also zu einer fundamentalen Änderung der Rechtesituation beim Film (wie beim Fernsehen). Es führt aber auch dazu, dass sich im Umgang mit dem Publikum ganz neue Fragen stellen. Muss etwa das Publikum darüber unterrichtet werden, dass es sich bei dem an einem Film mitwirkenden Schauspieler nicht um eine natürliche Person handelt? Gibt es also demnächst Filme mit echten oder unechten Schauspielern? Was bedeutet das für das Publikum? Was für die Werbung für einen Film? Kein Starkult mehr! Kein zuweilen auch langweiliger Auftritt eines Schauspielers mehr in Talkshows! Keine Autogramme mehr? Was wird aus dem Oscar? Und verlieben kann man sich in einen Schauspieler oder eine Schauspielerin auch nicht mehr. Filmproduzenten werden vielleicht dennoch aufatmen, müssen sie doch nicht mehr hohe Gagen mit hartnäckigen Agenten verhandeln, nicht mehr entscheiden, ob ein Schauspieler als Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig oder als selbstständig Tätiger nur bei den Abgaben an die Künstlersozialkasse zu berücksichtigen ist.

Und das Theater?

Schön, dass es das gute, alte Theater gibt. Da geht es nun einmal nicht ohne leibhaftige Schauspieler. Nicht ohne direkte menschliche Begegnung zwischen Publikum und denen, die auf der Bühne stehen. Zwar hat auch hier die digitale Welt schon Einzug gehalten und dem Theater neue Möglichkeiten eröffnet, wie der Dramaturg Carl Hegemann in einem Beitrag für die Internetseite SocietyByte (societybyte.swiss) anschaulich beschrieben hat. Er spricht sich in diesem Beitrag auch dafür aus, mehr Theaterproduktionen aufzuzeichnen, um sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen (siehe dazu auch den Bericht auf stadtpunkt-kultur.de über die Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht). Aber selbst im Falle solcher Aufzeichnungen wird klar sein, dass die Mitwirkenden tatsächlich auf der Bühne gestanden haben. Das bleibt auch weiterhin das Stück Authentizität, das Theater ausmacht. Sie müssen wir weiterhin als Chance begreifen, gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung der Welt.

Die 7. Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht

Am 11. November 2019 fand in der Berliner Akademie der Künste die jährliche Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht statt (2019.konferenz-urheberrecht.de). Es ging um die Umsetzung der neusten EU-Richtlinie in deutsches Recht (siehe dazu auch die Stellungnahmen gegenüber dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, u.a. von stadtpunkt-kultur, unter bmjv.de). Das Spektrum der Konferenz-Vorträge, -Statements und -Keynotes reichte von einem deutlichen Appell für die Sicherung von Urheber- und Leistungsschutzrechte über die Forderung einer zügigen Umsetzung der Richtlinie, Detailinformationen über neue rechtliche Ansätze bis hin zu konkreten Erwartungen unterschiedlicher Kultureinrichtungen. Es war ein erfolgreicher, offener Dialog. Das dort von stadtpunkt-kultur für die Theater, ihre Mitarbeiter und Träger sowie für das Publikum abgegebene Kurzstatement finden Sie hier.

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Es soll hier und heute um die grundsätzliche Frage gehen, welche Chancen sich für die Kultureinrichtungen aus der neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie ergeben. Dabei gilt mein Blick,  wie im Programm dieser Konferenz angekündigt, den darstellenden Künsten, also vor allem den Theatern hierzulande. Und auf diese Einrichtungen schauen heißt drei Beteiligte im Auge zu haben: Erstens die Urheber sowie die leistungsschutzberechtigten ausübenden Künstler, ohne die in all diesen Einrichtungen schlicht und ergreifend gar nichts stattfinden würde. Zweitens die Institutionen selbst, also im weitesten Sinne die Veranstalter. Und drittens das Publikum, das sich für alle die Darbietungen dieser Veranstalter erfreulicherweise nach wie vor interessiert. Ich erwähne diese unterschiedlichen Beteiligten so ausdrücklich, weil ich oft feststelle, dass die urheberrechtliche Debatte, auch die über die neue Richtlinie, fast ideologisch, von den unterschiedlichen Beteiligten gerne aus nur einer Sicht geführt wird, nämlich der eigenen. Das müssen wir dringend beenden. Wir Kulturschaffenden sitzen ohnehin alle in einem Boot.

Schauen wir uns also an, welche Interessen die genannten Beteiligten haben. Die Theater wollen vor allem Kunst veranstalten und, wenn es geht, damit Geld verdienen. Die ausübenden Künstler haben eigentlich das gleiche Interesse, was schon einmal keine schlechte Ausgangslage darstellt. Und das Publikum möchte möglichst viel geboten bekommen und ist bereit, dafür auch etwas zu bezahlen. Wo, mag man sich fragen, liegt denn eigentlich das urheberrechtliche Problem? Nun, was die Live-Veranstaltung angeht, ist es so gut wie nicht vorhanden, wenn man mal von so interessanten Fragen absieht, was der Regisseur oder die Regisseurin denn so alles mit dem urheberrechtlich geschützten Stück treiben darf. Aber darum geht es gerade einmal nicht.

Die eigentlichen Probleme beginnen erst mit der elektronischen Verwertung einer Theateraufführung. Sie beginnen also, wenn die Aufführungen durch Aufzeichnung auf Tonträger oder Bildtonträger vervielfältigt werden und wir uns die Frage stellen, was machen wir denn so mit dieser Aufzeichnung. Dabei darf eines nicht vergessen werden: Die Theateraufführung ist eine flüchtige Kunst. Ist die Aufführung zu Ende, existiert sie nur noch in den Köpfen der Beteiligten und der Zuschauer. Ist die Produktion abgespielt, dann ist sie für immer verschwunden oder, um mal einen kleinen Hinweis auf die Richtlinie zu riskieren, „vergriffen“. Will man sie als Kulturerbe dem Publikum erhalten, gibt es nur eine einzige Möglichkeit das zu tun: Man zeichnet sie auf Ton- oder Bildtonträger auf. Das genau hat die Richtlinie doch unter anderem im Auge. Einrichtungen des kulturellen Erbes sollen das kulturelle Erbe durch Vervielfältigung erhalten und dieses nutzen dürfen, ohne allzu weitgehende Rechtefragen lösen zu müssen. Und diese Rechtefragen sind bei der Vervielfältigung einer Aufführung wegen der zahlreichen an ihr Beteiligten gewaltig. Ich zähle nur einmal die Berechtigten einer Opernaufführung auf: Sänger, Tänzer und Choreografen, Orchester und Chor mit einer großen Anzahl von Mitgliedern, Bühnenbildner, Kostümbildner, Lightdesigner, der Regisseur und sein Dramaturg sowie last but not least Komponist und Librettist. Sie alle zwinge ich nur über die Einwilligung oder über den Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn einzelne ihre Zustimmung verweigern, in das gemeinsame Bett der Aufzeichnung auf Ton- oder Bildtonträger. Und das alles bei 30 und mehr Produktionen eines Theaters im Jahr. Insofern gibt es ein großes Interesse aller Beteiligten, nun angesichts der neuen Richtlinie endlich eine einfache Lösung zu finden, die den Veranstaltern und ihren Künstlern eine problemlose Möglichkeit der Aufzeichnung und dessen Nutzung eröffnet. Wege dazu habe ich in meiner Stellungnahme gegenüber dem BMJV aufgezeigt. Dazu erlauben Sie mir hier nur einen kurzen Hinweis: Diese Wege wären deutlich leichter zu finden, wenn auch der Gesetzgeber des Urheberrechts nicht nur die Museen, sondern auch die Theater und Orchester als Einrichtungen des Kulturerbes verstehen würde.

Die zweite sich angesichts der vorliegenden EU-Richtlinie stellende Frage ist die Frage nach der Nutzung der dann existierenden Aufzeichnung. Auch daran haben sowohl die Künstler – etwa zu eigenen Werbezwecken – als auch die Veranstalter ein großes Interesse. Ich will Ihnen die verschiedenen im Theater bestehenden Zwänge, die eine Aufzeichnung erfordern, jetzt gar nicht im Detail aufzählen, sondern Sie lediglich bitten, sich nur einmal kurz vorzustellen, was es im Sinne unseres Kulturerbes bedeuten würde, wenn wir heute eine Aufzeichnung der maßgebenden zu Goethes 80. Geburtstag auch in Weimar 1829 stattfinden Aufführung seiner Faust-Tragödie zur Verfügung hätten. Vielleicht wären wir geschockt über soviel Langeweile statt spannendem Regietheater. Oder ich frage Sie umgekehrt, was es bedeuten würde, wenn wir von der so umstrittenen Aufführung des Brecht-Stückes „Baal“ in der Inszenierung von Frank Castorf, die wegen einer urheberrechtlichen Streitigkeit nach wenigen Aufführungen abgesetzt wurde, keine Aufzeichnung haben sollten. Niemand könnte sich mehr auch nur mit der urheberrechtlichen Problematik dieser Produktion befassen, weil man sie nicht mehr anschauen könnte, von der Bewertung ihrer kulturellen Bedeutung einmal ganz zu schweigen.

Es gibt also ein großes kulturelles Interesse an einer Aufzeichnung und ihrer Nutzung, einschließlich der Nutzung der bereits in den Theaterarchiven schlummernden Theater-Aufzeichnungen. Dabei geht es vor allem um ihre öffentliche Zugänglichmachung im Netz oder auch nur das Streaming, beides zu kulturellen und der Allgemeinbildung dienenden, also zu nicht kommerziellen Zwecken. Das geschieht ausschnittweise oder durch Wiedergabe der vollen Aufführung beispielsweise auf der Internetseite des Theaters, um dem Publikum, mit dessen Steuermittel die Theater weitgehend öffentlich finanziert werden, jenseits der Live-Aufführung die Möglichkeit der Wahrnehmung zu geben. Zugleich muss den beteiligten Urhebern und Leistungsschutzberechtigten natürlich eine angemessene Vergütung gezahlt werden, soweit die Rechteeinräumung nicht schon durch die gezahlte Gage abgegolten ist. Und hier lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung machen. Die Rechtevergabe der Verwertungsgesellschaften dient insbesondere der Bewältigung der Lizenzvergabe im Massengeschäft. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, haben dazu geführt, dass nicht alles, aber vieles, was im Netz stattfindet, praktisch ein Massengeschäft geworden ist. Und das bedeutet: Wir müssen in Anwendung der Richtlinie auch im vorliegenden Zusammenhang zu einer erleichterten Rechteeinräumung gegen angemessene Vergütung möglichst über Verwertungsgesellschaften kommen, zumindest soweit es um die ausübenden Künstler geht. Alles andere ist dauerhaft nicht praktikabel, will man die Präsens von Theaterkunst im Netz und die damit über die Live-Aufführung hinausgehende Verbreitung des entsprechenden kulturellen Erbes sicherstellen. Einschränkungen dieser Möglichkeiten werden sich dann nur noch aus der Wahrnehmung der Urheberpersönlichkeitsrechte ergeben, was zweifelsohne zu gewährleisten ist.

Der Opus Klassik im ZDF, eine vertane Chance?

Vergangenen Sonntag 22.15 Uhr (!). Die Verleihung des Opus Klassik im ZDF. Es schlägt die Fernsehstunde der Musikinteressierten. Kultur gehört ja im Abendprogramm nicht gerade zum Standardangebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Also ist der interessierte Zuschauer gespannt, wie das ZDF die Gunst dieser Stunde nutzt und stellt am Ende fest: Sie wird vertan. Enttäuscht schaltete man, trotz einiger ausgezeichneter künstlerischer Beiträge, am Ende den Fernseher aus, hätte es da nicht die eindrucksvollen Worte einiger Künstler, insbesondere des Pianisten Igor Levit, gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamophobie und jegliche Ausgrenzungen gegeben. Doch ansonsten verlief die Vergabe risikofrei und leider eher phantasielos.

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Thomas Gottschalk brachte es selbst auf den Punkt, als er bei der Vergabe des Opus Klassik schonungslos einräumte, seine moderierenden Gespräche zum Bereich Klassik seine doch wohl eher „Flachgespräche als Fachgespräche“. Dem kann man nur zustimmen, was die Frage aufwirft, warum die Programmverantwortlichen ihn denn überhaupt moderieren ließen. Der Grund dafür war schnell ausgemacht. Die als beste Nachwuchssängerin zurecht ausgezeichnete Nadine Sierra begann den Reigen der Auftritte mit „There is a place for us“ aus der West Side Story. Es ging dem ZDF also ums Populäre. Ausgefallenes traut man sich kaum, obwohl die vergebenen Preise das hergegeben hätten. Von zeitgenössischer Musik keine Spur. Sicher hätte ein Pianist wie Igor Levit auch anderes spielen können als Beethovens Mondscheinsonate.

Überhaupt droht ein solcher Abend stets in eine Art Häppchenkultur zu verkommen. Natürlich, Preisverleihungen muss es auch in der Kultur geben. Sie machen auf die außergewöhnliche Kulturlandschaft in Deutschland aufmerksam. Aber Preisvergaben sind auch in der Kunst ein schwieriges Genre. Wie gelingt es, ausgefallene Künstler angemessen zu präsentieren? Wie kommt die Moderation über ein eher langweiliges Geplauder oder noch schlimmer über die Rolle des „Nummerngirls“ hinaus? Was mutet man an künstlerischer Darbietung dem Zuschauer zu. Und wie vermeidet man es, dass die Preisträger sich mit Allgemeinplätzen für die Preisvergabe bedanken, wie erreicht man, dass sie mehr von sich geben als der Dank an die liebevolle Großmutter?

Zumindest in diesem Punkt hatte der Abend im ZDF etwas zu bieten. Igor Levit widmete den Preis nicht nur den beiden Toten des rechtsradikalen Anschlags in Halle, sondern auch „all denen, die seit Jahren still oder laut gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen Islamophobie und gegen Antifeminismus kämpfen“. Das waren deutliche Worte, wie sie auch in ihrer Dankesrede geäußert wurden von so wunderbaren Sängern wie Klaus Florian Vogt („Ich möchte mich dafür aussprechen, dass wir Toleranz gegenüber dem Neuen haben, und mich gegen Ausgrenzung aussprechen“) oder Christian Gerhaher („Den Künsten kann man es nicht verdenken, wenn sie es nicht hinnehmen, dass Politiker von alternativen facts reden oder dass sie die historisch einzigartige Schuld des Nationalsozialismus … als Vogelschiss verharmlosen“).

Warum hingegen Klaus Florian Vogt im Wagner-Kostüm auftrat, erschloss sich dem Fernsehzuschauer nicht, denn jedenfalls in der Fernsehübertragung gab es von ihm keinen gesanglichen Beitrag aus den prämierten „Meistersingern“ der Bayreuther Festspiele. Man fragte sich umso mehr, wo denn der eher unkonventionelle Regisseur dieser Produktion, der Australier Barrie Kosky blieb. Ihn nun lobte der Moderator mit einer kleinen Breitseite gegen die Bayreuther Festspiele: „Ich habe in Bayreuth viele Inszenierungen gesehen, die ich gerne verpasst hätte, und eine verpasst, die ich gerne gesehen hätte“. Da würde es interessieren, wen Thomas Gottschalk denn da so alles im Auge hatte. Der künstlerischen Arbeit in Bayreuth wird jedenfalls eine solche pauschale Aburteilung nicht gerecht.

Eine Preisverleihung leidet im Übrigen, wenn es zu viele Preise gibt. Warum 24 Kategorien ausgezeichnet werden müssen, ist des Guten zu viel. Weniger wäre mehr. Und dabei ist künstlerischer Mut gefragt, vor allem auch im Rahmen der Preisverleihung. Vielleicht sollte man sich ohnehin überlegen, ob die Übertragung einer solchen Verleihungsveranstaltung im Fernsehen sinnvoll ist. Ein schöner zusammenfassender Bericht über die ausgezeichneten Künstler mit Kurzeindrücken aus der Preisverleihung ist meist interessanter. Am besten wäre es aber, entschiede sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk öfter dazu, mal eine ausgefallene Opernaufführung im abendlichen Hauptprogramm zu zeigen. Die ist meistens spannender als jede Preisverleihung.

Kein Kommissar für Kultur? Zur aktuellen Kulturpolitik der Europäischen Union

Die von der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgelegte Liste der neuen Kommissionsmitglieder sorgt für Unruhe. Auch aus den Kreisen der Kultur gibt es Proteste. Es sei ein falsches Signal, dass es kein Kommissionsmitglied gebe, das ausdrücklich die Zuständigkeit für „Kultur“ in seiner Amtsbezeichnung führe. Das mag man zu Recht kritisieren. Aber an der Kulturpolitik der Europäischen Union gäbe es manches zu beanstanden. Eine Kritik an der Namensgebung des verantwortlichen Ressorts greift da zu kurz.

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Man kennt es ja schon: Ob nun der Bund statt einer Ministerin für Kultur nur eine für Kultur und Medien zuständige, dem Kanzleramt zuzurechnende Staatsministerin beruft, ob eines der deutschen Länder die Zuständigkeit für Kultur lediglich einem Staatssekretär beim jeweiligen Ministerpräsidenten zuweist oder ob, wie eben jetzt, bei der geplanten Zusammensetzung der neuen EU-Kommission es an einem erkennbar für die Kultur zuständigen Kommissar fehlt, in Deutschland ist man sogleich in angemessener Form entrüstet. Mag diese Kritik im Falle der Länder, die immerhin in Deutschland Träger der Kulturhoheit sind, berechtigt sein, schon beim Bund ist in Sachen Kulturzuständigkeit von Ministerien eher Zurückhaltung geboten. Erst Recht gilt das in der EU, der durch das in Artikel 5 Abs. 3 des EU-Vertrags verankerte Subsidiaritätsprinzip noch größere Zurückhaltung auferlegt wird.

Andererseits ist nun nicht zu leugnen, dass gerade die Europäische Union sehr stark von der Kultur geprägt wird. Die Freiheit der Künste gilt als eine tragendes Element des Selbstverständnisses der EU und ihrer Bürger. Sie hat in der Grundrechtecharta der EU wie andere Freiheiten (Meinung, Wissenschaft, Versammlung) ihren ausdrücklichen Niederschlag gefunden (Artikel 13). Und gerne wird immer wieder ein Jean Monnet, dem Wegbereiter der Europäischen Union, zugeschriebenes Zitat bemüht. „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen“, soll er gesagt haben. Auch wenn er es wohl nie gesagt hat, besser, als  mit der Wirtschaft zu beginnen, wäre es allemal gewesen.

Sei es, wie es sei. Nicht die Amtsbezeichnung der Kommissionsmitglieder ist das Problem, sondern die EU Kulturpolitik. Und da lohnt sich schon ein Blick auf die jetzt geplanten Zuständigkeiten. Das Ressort Kultur soll in das Ressort „Innovation und Jugend“ der Bulgarin Mariya Gabriel fallen. Über sie heißt es auf der offiziellen Internetseite der EU: Sie hat sich bisher als derzeitige EU-Kommissarin „mit Engagement und Energie für das Portfolio Digitales eingesetzt und übernimmt nun mit der Schaffung neuer Perspektiven für die junge Generation eine neue Aufgabe“.

Mit dieser Zuständigkeitsbeschreibung wird das eigentliche Problem erkennbar. Der Europäischen Union geht es nicht um Kultur, um Kunst noch weniger. Für die Europäische Union ist die Kultur eher nebensächlich. In Zukunft soll sie eben in Dienst gestellt werden, um neue „Perspektiven für die Junge Generation“ zu entwickeln. Viel deutlicher wird aber die Sicht der EU auf die Kultur beim Blick in das aktuelle Förderprogramm „Kreatives Europa“. Da wird zunächst als zu Förderndes nicht die Kultur, sondern die „Kulturbranche“ und in gleichem Atemzug der „audiovisuelle Sektor“ genannt. Das Programm unterteilt sich in die drei Bereiche „Unterprogramm Kultur“, „Unterprogramm Media“ und „Bereichsübergreifender Programmteil“. Wer sich alles genau ansieht, wird die Förderung der Künste vermissen. Im Vordergrund stehen „Plattformen“, „Netze“, „Koproduktionen“, „Vertriebsförderung“ oder, wie im übergreifenden Bereich unmissverständlich als förderbedürftig benannt wird,  „länderübergreifender Austausch von Erfahrungen und Know-how für neue Geschäfts- und Management-Modelle,…Vernetzung von Kultur- und Kreativorganisationen und Politikverantwortlichen,… gegebenenfalls unter Förderung der digitalen Vernetzung“. Ausdrücklich steht der größte Teil der Fördersumme für das „Unterprogramm Media“ zur Verfügung. Wundert sich da noch jemand, dass die EU dafür keinen ausdrücklich zuständigen Kommissar braucht, oder gerne auch eine Kommissarin?

Nicht nur das aber ist das Dilemma der EU-Kulturpolitik. Vielmehr geht es auch um die für Kultur zur Verfügung stehende Summe. Es sind 31 Prozent der gesamten Fördersumme von 1,46 Milliarden Euro, verteilt auf sieben Jahre versteht sich. Daraus ergeben sich im Durchschnitt etwa 65 Millionen Euro (für alle EU Länder gemeinsam) jährlich, ein Betrag, der in Deutschland gerade einmal dazu reichen würde, ein großes Opernhaus zu finanzieren. Vom Hocker reist das niemanden.

Auch sonst ist bei der EU leider reichlich Fehlanzeige in Sachen Kultur angesagt. Schon seit Jahren wird vieles beklagt: Der bürokratische Aufwand beim Abrufen der Fördermittel, völlig undurchsichtige Entscheidungsstrukturen bei deren Vergabe, erhebliche Behinderungen bei grenzübergreifenden Projekten, etwa im Steuerrecht oder im Sozialversicherungsrecht, unzulängliche urheberrechtliche Regelungen bei der Nutzung von künstlerischen Produkten im audiovisuellen Bereich. Für Letzteres gibt die neue EU-Richtlinie ersten Anlass zur Hoffnung auf Besserung (siehe dazu auf dieser Seite „Das neue EU-Urheberrecht und seine Bedeutung für die Theater und Orchester“). Aber ansonsten ist in den genannten Problemfeldern eher Tatenlosigkeit zu registrieren. Und was der Brexit für die Kultur bedeuten wird, ist auch kaum absehbar.

Doch gilt wie anderswo in der Politik auch: Nicht verzagen. Gerade im Zuge des in Europa sich immer weiterverbreitenden Rechtspopulismus ist die Verteidigung der Freiheit und gerade der Freiheit der Künste das Gegenmodell zu einer dumpfen Law-and-Order Politik, zu dem ewigen Geschwätz vom christlichen Abendland. Da ist mehr denn je die Europäische Union gefordert und mit ihr wir alle als europäische Bürger. Und wenn wir uns über die Ressortbezeichnungen in der neuen EU-Kommission erregen wollen, dann wäre es gerade deshalb angebracht, Bezeichnungen wie „Schützen, was Europa ausmacht“ zu kritisieren. Denn hierzu haben auch die Rechtspopulisten dezidierte Vorstellungen, die aber sicher nicht die der neuen Kommissionspräsidentin sein werden. Deswegen wäre da wohl ein klares Bekenntnis gefordert mit einer Ressortzuständigkeit für „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“. Da wäre dann auch die Kultur gut aufgehoben.