Soziale Kompetenz statt neuer Theater-Strukturdebatte

Fast 30 Jahre reden wir in den Kulturbetrieben über Strukturen. Nun gibt es die Studie „Macht und Struktur am Theater“ von Thomas Schmidt. Gebracht haben die Debatten bisher nicht viel, zumindest nichts zugunsten des Theaters. Langsam fragt man sich, worum es eigentlich geht. Und woran es wirklich fehlt.

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Wer die Veränderung von Strukturen fordert, macht sich im Theater eigentlich eher verdächtig. Denn fast immer steht der Begriff für etwas anderes, ist also ein Euphemismus. Mal verbirgt sich hinter den gewünschten Strukturveränderungen, wie Mitte der 1990er und in den Anfängen der 2000er Jahre der (erfolgreiche) Versuch, Geld durch Personalabbau und Gehaltskürzungen zu sparen. Damals waren die Tarifverträge und deren die Kunst einschränkende Wirkung das Strukturproblem. Sie gehörten auf den Müllhaufen der Geschichte, wurde in der Politik, aber auch durch namhafte Künstler unter Beifall von großen Teilen des Feuilletons gefordert. Nur einem behutsamen Vorgehen der Tarifpartner ist es zu verdanken, dass der NV Bühne als Tarifvertrag für den Kunstbetrieb im Theater überhaupt noch existiert. Nun, seit es infolge der damaligen Entwicklungen zu den zu erwartenden Überlastungen des Personals gekommen ist, werden diese Anforderungen als Machtmissbrauch empfunden. Wieder sind es Strukturveränderungen, die eine Lösung bringen sollen. Jetzt soll es um Leitungsstrukturen gehen. Leider ist das erneut eher abwegig!

Denn die Arbeit der Intendanten unterliegt ja in Wahrheit der notwendigen und weitreichenden Kontrolle: Personal- und Betriebsräte haben eindeutige Beteiligungsrechte, Orchestervorstand, Chorvorstand, Tanzgruppenvorstand und mittlerweile auch Solovorstand sowie Bühnentechnikervorstand ihre tariflichen Kontrollfunktionen. So gut wie kein Intendant kann mehr Verträge abschließen, ohne dass der kaufmännische Geschäftsführer mitunterzeichnet. Die Rechnungskontrolle der Rechtsträgerschaft schaut der Geschäftsleitung auf die Finger. Gewerkschaften stellen ihre Forderungen und setzen sie, zumindest teilweise, durch. So entstehen Rechte für die künstlerischen und nichtkünstlerischen Mitarbeiter der Theater. Zur Durchsetzung dieser Rechte gibt es Gerichte, die jeder Mitarbeiter anrufen kann. Das alles als ineffektiv abzutun etwa mit dem Satz, Personal- und Betriebsräte stünden der Geschäftsleitung zu nahe, ist realitätsfern.

Nein, das ganze ist kein Strukturproblem, sondern zunächst ein politisches, nämlich das der jahrelangen Theaterbudget-kürzungen durch die Kämmerer und Finanzminister. Zudem ist es ein menschliches, sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite. Soweit es die Arbeitgeberseite betrifft, interessieren Leitungsqualitäten und damit verbundene soziale Kompetenzen bei der Intendantensuche leider so gut wie gar nicht. Unter Schützenhilfe besonders engagierter Kreise, die es in jeder Stadt gibt, geht es fast immer nur um das künstlerische Profil. Je ausgefallener die Wahl, umso besser, scheint es zuweilen. Manchmal hat man Glück, und der profilierte Künstler ist auch ein Naturtalent für Organisation und Management. Oder andere Mitglieder des Leitungsteams, wie der Verwaltungsdirektor oder der Chefdramaturg, gleichen bestehende Defizite aus. Andernfalls ist jedoch das Gejammer in der Kantine groß.

Was aber macht die Arbeitnehmerseite? Geklagt wird ja meist nicht aus dem Orchester. Denn dort haben die Musiker immer solidarisch mit ihrer Gewerkschaft ihre Rechte durchgesetzt. Die aber vor allem den Machtmissbrauch beklagenden Solomitarbeiter, also z.B. Schauspieler oder Dramaturgen, wissen teilweise gar nicht, dass es eine Gewerkschaft für sie gibt, nämlich die GDBA. Und wenn sie es wissen, dient das vor allem dazu, sie zu beschimpfen. Dass die GDBA die einzige Gruppierung ist, die sich in den Stadt- und Staatstheatern sowie Landesbühnen seit Jahrzehnten um die Interessen dieser künstlerischen Klientel kümmert, wird gerne vergessen. Von einem Engagement in der Gewerkschaft, von der damit verbundenen Bereitschaft, sich für die eigenen Interessen sowie die der Kolleginnen und Kollegen einzusetzen, war zudem in Solistenkreisen leider lange wenig zu spüren. Das ist auch heute größtenteils noch so. Da fehlt es ebenfalls an sozialer Kompetenz und man scheut die Mühe der Ebene. Lieber geben sich viele als Einzelkämpfer frei nach dem Motto: Alle denken an sich, nur ich denk an mich. Mehr Solidarität wagen, wäre ein besseres und wichtigeres Motto. Die Veränderung von Leitungsstrukturen wird nichts bringen, am Ende sitzen doch nur Menschen auf ihren Posten.

Auch in Zukunft muss aber eine angemessene Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und den sozialen Belangen der Mitarbeiter das Ziel sein. Jetzt den befristeten Arbeitsvertrag für alles Mögliche verantwortlich zu machen, wie Thomas Schmidt es tut, verkennt, dass dieser Vertrag für die Realisierung der Kunstfreiheit unerlässlich ist. Er ist im Theater fast überall in der Welt der Regelfall, anderswo jedoch meist mit der Maßgabe, dass er immer nur für eine Produktion abgeschlossen wird. Danach muss man sich ein neues Engagement suchen. Hierzulande bekommt man nach NV Bühne hingegen einen Vertrag für eine oder gar mehrere Spielzeiten. Es gibt Künstler, die bleiben oft 10 bis 15 Jahre an einem Haus. Mittlerweile gibt es sogar einen Schwangerschaftsschutz, der die Verlängerung eines auslaufenden befristeten Arbeitsvertrags im Fall der Schwangerschaft erzwingt. Das alles ist eine Qualität, die in vielen anderen Ländern am Theater lange nicht vorhanden ist. Wir dürfen das nicht unterschätzen.

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