Warum die Künstlersozialkasse für Kunst und Kultur auch nach 40 Jahren so wichtig ist

Kürzlich gab es in Berlin einen „großen Bahnhof“, wie es so schön heißt, wenn aus gegebenem Anlass viele Leute und einiges an Prominenz auflaufen. Es gab das 40-jährige Bestehen der Künstlersozialkasse zu feiern, ausgerechnet in der „Bar jeder Vernunft“. Gerade diese Tugend der Aufklärung kann man jedoch der KSK, wie sie verkürzt gerne genannt wird, nicht absprechen. Denn sie betreibt ein kompliziertes Versicherungsgebilde mit einer Renten-, einer Kranken- und einer Pflegeversicherung für selbstständige Künstlerinnen und Publizisten, und das mit einem hohen Maß an Sachverstand und Korrektheit. Und so bescheinigte der Bühnenlyriker Bas Böttcher zur Erheiterung des Geburstatgs-Publikums der Künstlersozialkasse „Bei all dem sich ständig mit Künstlern befassen, hast du dich nie verrückt machen lassen. Glanz und Pomp sind dir nie zu Kopfe gestiegen, du bist immer korrekt und nüchtern geblieben. Auch wenn die Klienten noch so krass fett rocken, du bleibst solide, sachlich und trocken.“

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Die 40-Jahr-Feier

Die anwesenden Politiker von Hubertus Heil über Claudia Roth bis zu Carsten Brosda ließen dann auch in ihren Statements an der Bedeutung der Künstlersozialkasse nicht den geringsten Zweifel und unterstützten damit Monika Heinzelmann, eine KSK-Mitarbeiterin der ersten Stunde. Sie wusste in Berlin anschaulich über die Anlaufschwierigkeiten der KSK zu berichten. Vor allem die seinerzeitige Software habe zuweilen Anlass zur Heiterkeit gegeben, wenn etwa versehentlich Rückzahlungsbescheide an Künstler über einen einzelnen Pfennig verschickt worden seien und diese dann in bar oder durch Übersendung einer Briefmarke beglichen wurden. „Es ist ein spezieller Personenkreis und es lohnt sich jeglicher Einsatz dafür. Das war das, was uns immer bewegt hat, uns motiviert hat“. Mit diesen Sätzen vermittelte Monika Heinzelmann den Zuhörern ihr immer noch vorhandenes Engagement. Wer so über sein langes Berufsleben am Ende spricht, hat nicht nur die richtige Wahl getroffen, sondern sich auch um eine unverzichtbare Sache verdient gemacht. Das ist ermutigend für alle, die heute für die Künstlersozialkasse arbeiten.

Wie unverzichtbar die KSK ist, lies Klaus Staeck, der seit Jahrzehnten die Zeitläufte dieser Republik begleitende und kommentierende Künstler, lange Präsident der Akademie der Künste, erkennen. Er mache sich Sorge, so sagte er in Berlin, über den heute zerrissenen Zustand der Gesellschaft, um unsere Demokratie, um die zunehmende Polarisierung und nicht zuletzt um die eine Gesellschaft tragende, unverzichtbare Solidarität. Die Künstlersozialkasse ist ein Teil dieser Solidarität. Um so erstaunlicher ist es, dass sie immer wieder in Frage gestellt wurde, zum Teil aus dem Kreis der Unternehmen, die mit der Künstlersozialabgabe wesentlich zur Finanzierung der Künstlersozialkasse beitragen, zum Teil aus bestimmten politischen Gruppierungen, die sich bemüßigt fühlten, den Anliegen dieser Unternehmen nachzukommen. Verständlich war das alles nicht.

Die Künstlersozialkasse und die Freiheit der Kunst

Die Freiheit der Kunst ist wie die Freiheit von Presse und Rundfunk unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Diese Freiheiten gibt es aber nicht, ohne dass es Künstlerinnen und Journalisten, Schauspieler, Musikerinnen, Tänzer, Sängerinnen oder Rezensenten, Moderatorinnen oder Korrespondenten, Grafikerinnen oder Designer gibt. Wenn niemand mehr diese Berufe ergreift, ist einfach Schluss mit freier Presse oder freiem künstlerischem Schaffen. Deshalb müssen diese Berufe, die oft nicht in arbeitsrechtlich abgesicherte Verhältnisse münden, weiterhin auch dann attraktiv bleiben, wenn sie in sehr wechselhaft verlaufender Selbstständigkeit ausgeübt werden. Dazu leistet die KSK mit ihren Versicherungen einen wesentlichen Beitrag. 

Da die Einnahmen, die bei Ausübung künstlerischer sowie publizistischer Berufe erzielt werden, oft überschaubar sind, lassen sich die Versicherungsleistungen jedoch nicht alleine aus hälftig von den Versicherten gezahlten Beiträgen finanzieren. Deshalb hilft dankenswerterweise der Bund mit einem hohen finanziellen Betrag, die Finanzierung der Künstlersozialkasse sicherzustellen. Das kommt nicht nur den in der KSK (pflicht-)versicherten Künstlern und Publizistinnen zugute, sondern auch all den Unternehmen, die die Künstlersozialabgabe zahlen, den sogenannten Abgabepflichtigen. Sie wird mit einem Prozentsatz von meist rund fünf Prozent auf die an selbstständige Künstler und Publizisten gezahlten Honorare erhoben. Vergleicht man sie mit dem Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung von etwa 20 Prozent ist das ein harmloser, eben durch den Bund subventionierter Betrag. Da sollte man eigentlich die Füße stillhalten. Alle sitzen in einem Boot. Ich bin in meiner Zeit als langjähriger für abgabepflichtigen Unternehmen gewählter Vorsitzender des Beirats nicht müde geworden, die Kolleginnen und Kollegen Beiratsmitglieder auf meiner Seite genau daran zu erinnern und mit dem damaligen Vorsitzenden für die Versicherten, Gerd Pfennig, für einen Ausgleich zwischen den Interessen beider Seiten Sorge zu tragen.

Dieser ist umso erforderlicher, als viele Unternehmen, die auf die von ihnen gezahlten Honorare die Künstlersozialabgabe zahlen, zumachen könnten, wenn es keine Künstlerinnen oder Publizisten gäbe. Niemand würde dann mit Theater, mit Konzerten, mit Galerien, mit Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, mit Filmen, mit Werbeagenturen, Modehäusern, mit Hörfunk und Fernsehen und vielem mehr irgendwelche Einnahmen erzielen oder eine öffentliche Finanzierung erhalten. Die Künstler und Publizisten sind für alle diese Unternehmen das Kapital, ohne dass gar nichts geht. Klar, man kann sie alle anstellen, aber dann fallen halt die hohen Sozialabgaben an. Dagegen ist die Künstlersozialkasse doch eher eine Spardose. Die meisten Kultureirichtungen zahlen die Künstlersozialabgabe deshalb anstandslos. 

Wie es weiter geht

Corona sitzt vielen selbstständigen Künstlern und Publizistinnen gewaltig in den Knochen. Von heute auf morgen verloren sie ihre Beschäftigung. Ihre Einnahmen stürzten in den Keller. In bewundernswerter Weise hat die Künstlersozialkasse, teils mit Unterstützung aus der Politik, das schlimmste, nämlich den durch Einnahmeausfall bedingten Verlust des Versicherungsschutzes verhindert. Doch schmerzlich gespürt hat die Szene, dass es an einer Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler und Publizisten fehlt. Sie zu entwickeln, ist alles andere als einfach (https://stadtpunkt-kultur.de/2021/01/wohin-die-reise-fuehrt-ueber-die-zukunft-der-theater-und-die-soziale-lage-der-kuenstler/). Ob die Künstlersozialkasse die richtige Adresse dafür ist, wäre zu überlegen. Auf die lange Bank schieben sollte man das Thema ebenso wenig wie die längst überfällige Frage nach einer ausreichenden Altersversorgung für die selbstständigen Künstlerinnen und Publizistinnen. Denn was jetzt am Ende deren Berufslebens über die aus der Künstlersozialversicherung gezahlt wird, ist alles andere als ausreichend; dafür sind die Lebenseinkommen der Versicherten zu gering und oft zu volatil. Dass eine stärkere Beteiligung der Kreativen an den Einnahmen der großen Internetkonzerne hier weiterhelfen könnten, wie die Politikerinnen und Politiker auf der Feier in Berlin anmahnten, ist zweifelsohne zutreffend. Es gibt also viel zu tun, packen wir es an, bevor die Legislaturperiode vorbei ist. Wahlen kommen, im Gegensatz zu Weihnachten, immerhin weniger plötzlich. Die nächste Bundestagswahl ist, so wie es aussieht, im Herbst 2025, also in zwei Jahren. Und im Januar 2025 beginnt der Wahlkampf, vor allem unter den streitlustigen kleineren Partnern der jetzigen Koalition. Dann wird sich niemand mehr auf grundsätzlich Neues verständigen wollen. Es ist also fast fünf vor zwölf.

Sommerbespielung oder Sommerloch? Sollen die Theater im Sommer öffnen?

Ganz so einfach hat es die Kultur mit dem Sommerloch nicht. Wie immer gibt es zwar mal mehr mal weniger spektakuläre Inszenierungen in Salzburg oder Bayreuth, in Avignon und Aix en Provence. In Locarno werden die Filmfestspiele eröffnet und beim Piano-Festival in Roque d´Antheron reiht sich ein gut besuchtes Spitzenkonzert an das nächste. Auch sonst ist sommerlich einiges los hierzulande, von der Bachwoche in Ansbach über die Ruhrtriennale bis zum Musik Festival Schleswig-Holstein. Aber ein Ereignis wie die Documenta, die zuletzt den kulturpolitischen Erregungspegel auf dem Höhepunkt hielt? Fehlanzeige! Da nun fällt es dem Deutschen Kulturrat auf, dass es in Berlin gerade mal kein Theater gibt. Es sind Sommerferien. Nichts scheint da näher zu liegen, als zu fordern, die Schauspieler, Sängerinnen, Tänzer, Musikerinnen und wer sonst noch so im Theater beschäftigt ist, mögen doch mal raus aus der sommerlichen Hängematte. Damit endlich mal auch in der Hauptstadt etwas los ist. Deswegen soll Schluss sein in Zukunft mit den Sommerferien der Theater, nicht nur in Berlin, gleich in ganz Deutschland. Und schon gibt es im teils regnerischen, teils überhitzten August eine kleine Debatte.

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Warum es in den Theatern die Sommerpause gibt

Es war in früheren Zeiten mal üblich, sich die Frage zu stellen, warum etwas so ist, wie es ist, bevor man vorschlug, es zu ändern. Das ist nicht mehr so ganz in Mode, macht aber trotzdem Sinn. Die Erklärung für den sommerlichen Mangel an Theatererlebnissen in den Städten dieser Republik ist einfach: Die Menschen fahren in die Sommerferien. Ganz so leicht wie sonst ist es also nicht, die Säle etwa in Oberhausen, Kaiserslautern oder Magdeburg zu füllen. Das gelingt in den Jahreszeiten Herbst, Winter und Frühjahr schon etwas besser, falls nicht gerade Corona sein Unwesen treibt. Und was liegt da näher, auch die geplagten Mitarbeiter sowie -innen ebenfalls in den Urlaub zu schicken. Oder Ihnen zu ermöglichen, da mal an Vorstellungen mitzuwirken, wo gerade die Leute sind, siehe oben. Das Bayreuther Festspielorchester und der dortige Opernchor bestehen nahezu ausschließlich aus Sängerinnen und Musikern, die im deutschen Stadt- und Staatstheater dank des Ensemble- und Repertoirebetriebs feste Engagements haben. Manche Schauspielerin steht im idyllischen Salzburg auf der Bühne, was natürlich für das offenkundig zu Hause gebliebene nord-östliche Großstadt-Milieu in Berlin, bei aller Attraktivität, bedauerlich ist.

Klimaaktivisten in Salzburg

Klimaaktivisten kleben sich auf Straßen und Rollbahnen fest, haben es zwecks Erzielen von Aufmerksamkeit aber auch auf die Kultur abgesehen. Sie kleben sich an Kunstwerken berühmter Künstler fest, was natürlich schon, von der berechtigten Zielsetzung des Klimaschutzes abgesehen, reichlich daneben ist. Neulich haben einige Aktivisten in der Premiere des Salzburger „Jedermann“ ihren Protest herausgeschrien. Zunächst haben offenkundig viele Besucher gedacht, das gehöre zur Inszenierung, was zeigt, wie schön Theater ist. Man schwebt als Zuschauer eine Zeit lang zwischen Spiel und Realität. Wo wird einem das sonst geboten? Aber darum geht es hier nicht. Es wird zuweilen die Frage aufgeworfen, warum es für Klimaaktivisten so interessant ist, Kunst und Kultur ins Visier zu nehmen. Nun, ein Teil des Klimaproblems liegt im Tourismus. Die Menschen verreisen nicht nur, um in der Sonne der Adria zu brutzeln und auf Berge zu klettern (oder gar zu radeln), sondern auch, um sich die Kunstschätze dieser Welt anzusehen oder die einschlägigen Theater- und Musikfestivals zu besuchen. Wer schauen will, was das heißt, möge mal im Sommer nach Venedig, Florenz oder Siena reisen. Deshalb ist es nicht überraschend, dass sich Klimaschützer an der Kultur festbeißen, zumal das Ankleben an einer Bretterbude am Strand von Mallorca oder an den Schweizer Gipfeln von Eiger, Mönch und Jungfrau entweder ad eins weniger spektakulär oder ad zwei ziemlich aufwendig wäre. Jetzt zu fordern, aus Tourismus-Gründen die Theater sommerlich zu öffnen, ist angesichts dessen vielleicht eher kontraproduktiv. Es verkennt zudem, dass gerade die deutsche Stadttheaterkultur schon per se zum Klimaschutz beiträgt. Wer nämlich in seinem Leben in Sachen Musik und Theater etwas zu sehen und zu hören bekommen möchte, muss von Gelsenkirchen oder Memmingen, von Gera oder Aalen nicht nach Berlin, München oder Leipzig reisen, sondern kann mit dem Fahrrad ins Theater fahren. Kultur in der Stadt ist eben vor allem Kultur für die Stadt und angesichts der Klimakrise mehr denn je.

Betriebsferien und Tarifverträge

Es ist eine Binsenweisheit: Theater produzieren ist ein kollektiver Prozess. Zahlreiche Menschen arbeiten dabei Hand in Hand, künstlerisch, technisch und organisatorisch. Aus diesen Prozessen kann man nicht einfach „Bausteine“ herauslösen. Individuelle Ferien einzelner Arbeitnehmer finden also im Theater regelmäßig nicht statt. Schon die Bewältigung der alltäglichen Erkrankungen und der immer wieder von Künstlerinnen und Künstlern gewünschten Gastierurlaube für Film und Fernsehen stellen viele Theater vor große Herausforderungen. Also geht Urlaubsgewährung nur mit Betriebsferien. 45 Kalendertage (!) sehen die einschlägigen Künstler-Tarifverträge Normalvertrag Bühne (NV Bühne) und Tarifvertrag für Musiker in Konzert- und Theaterorchestern (TVK) dafür vor. Um Mitarbeiterinnen, die Kinder haben, die Möglichkeit zu geben, mit diesen den Sommerurlaub zu verbringen, sollen zwei Drittel dieser Tage in den jeweiligen Theater- und Konzertferien genommen werden, die sich an den örtlichen Schul-Sommerferien orientieren. Das andere Drittel kann dann zu einer anderen Jahreszeit stattfinden. Also gibt es tarifvertraglich die Möglichkeit der, wenn auch eingeschränkten, Sommerbespielung, und sie wird genutzt, etwa bei den Domstufen-Festspielen der Oper in Erfurt.

Die Theaterferien ließen sich fraglos verlegen. Will man aber an dem sozialpolitischen Ziel des Familienurlaubs festhalten, stünden andere Schulferien mit notwendiger Länge (30 Kalendertage) gar nicht zur Verfügung. Zudem finden die längeren Ferien an Ostern und über den Jahreswechsel statt, in der Regel für die Theater angesichts der Besucherfrequenz sehr einnahmeträchtige Zeiten, in den großen Standorte selbst unter touristischen Aspekten. Und vielleicht tut ja auch den Theaterbesuchern in Berlin mal eine Sommerpause gut, weil sie lieber an den Wannsee fahren und abends irgendwo auf der Terrasse sitzen.

Ensemble und Repertoire

Man solle sich ein Beispiel am Broadway nehmen, hieß es in einem Debattenbeitrag. Dort seien die Theater nicht öffentlich finanziert und könnten sich deswegen gar nicht leisten, im Sommer zu schließen. Das klingt plausibel, ist aber unsinnig. Der Broadway arbeitet ensuite, es wird also über Wochen, manchmal Monate, zuweilen Jahre das gleiche Stück gespielt. Nur abends ist der ganze Betrieb und seine Mitarbeiter gefordert, tagsüber kaum. Es gibt für die künstlerisch und nichtkünstlerisch an den Produktionen Beteiligte weder mehrere Produktionen gleichzeitig noch einen parallelen Probenbetrieb, wie er im Stadttheater geprägt von Ensemble und Repertoire üblich ist. Viele Rollen sind am Broadway von vornherein doppelt besetzt oder ihre Besetzungen können kurzfristig ersetzt werden. Zudem hat New York 17 Millionen Einwohner, ist also hinsichtlich des Zuschauerpotentials selbst mit München oder Berlin nicht vergleichbar. Und Ferien müssen bei längeren Engagements dort auch gewährt werden, die Frage ist nur wann und wieviel. Da steht Deutschland mit seinen 45 Kalendertagen doch vergleichsweise künstlerfreundlich da, zumal hierzulande viele Künstlerinnen und Künstler nicht nur, wie oft in den USA, Engagements über einige Monate haben, sondern über eine ganze Spielzeit, meist über mehrere Spielzeiten, die Musiker sogar unbefristete Arbeitsverträge. Die Quintessenz: Der Vergleich von Äpfeln und Birnen führt wie immer in die Irre.

Die Kulturinstitution und ihre kaufmännische Geschäftsführung

Im Februar 2023 wurde der Abschlussbericht zur documenta 15 veröffentlicht, den das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung dieser Ausstellung erstellt hatte. Mit Rücksicht auf die heftigen Antisemitismusvorwürfe gegen die Kasseler Veranstaltung war dieser mit Spannung erwartet worden und wurde dementsprechend auch ausführlich kommentiert. Man sah sich in den Antisemitismusvorwürfen hinsichtlich einzelner Ausstellungsstücke weitgehend bestätigt, betonte aber auch das Bemühen des Berichts, das kuratorische Konzept der künstlerischen Leitung nachzuvollziehen sowie das Spannungsverhältnis zwischen künstlerischer Freiheit und deren Grenzen aufzuzeigen. Eines blieb jedoch weitgehend unbeachtet: Das den Abschlussbericht verfassende Gremium hatte sich ausgiebig mit der Rolle der Generaldirektorin der Documenta gGmbH befasst. Es war dabei zu allgemeinen Erkenntnissen über die Aufgaben der kaufmännischen Leitung einer öffentlich getragenen Kulturinstitution gekommen. Diese Feststellungen lohnen ein genaues Hinsehen.

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Die Doppelspitze

Kultureinrichtungen werden heute meist durch eine Doppelspitze geleitet. Es gibt stets einen künstlerisch und einen kaufmännisch Verantwortlichen. So war es auch bei der documenta 15, mit der Besonderheit, dass die künstlerische Verantwortung einem Kollektiv, der indonesischen Künstlergruppe ruangrupa,übertragen wurde. Die kaufmännisch verantwortlichen Leitungs-Personen tragen oft den Titel Kaufmännischer Direktor, Geschäftsführende Direktorin oder Verwaltungsdirektor. Bei der documenta 15 war es die als Geschäftsführerin der gemeinnützigen Documenta gGmbH agierende (und später zurückgetretene) Generaldirektorin, die die kaufmännische Verantwortung trug. Die Documenta gGmbH wird öffentlich getragen von den Gesellschaftern Stadt Kassel und Land Hessen, ist also praktisch eine öffentlich getragene Kultureinrichtung in privater Rechtsform.

Eine „staatliche Stelle“ in der Kultureinrichtung

Unmissverständlich erkennt der Abschlussbericht an, „dass Personen, die eine künstlerische Aufgabe erfüllen, die der Staat geschaffen hat, indem Orchester und Theater gegründet oder Ausstellungen organisiert wurden, sich, obwohl diese Personen mehr oder minder intensiv in einer staatlichen Organisation aufgehoben sind, auf die Kunstfreiheit berufen können“ (S. 109 des Abschlussberichts). Damit sei ihr „Handeln auch im Rahmen dieses staatlichen Auftrags von der Kunstfreiheit geschützt“. Das aber „gelte ebenso deutlich aber nicht für die Geschäftsführung der Documenta gGmbH“ (S. 110). Diese sei als Organ der öffentlich getragenen Gesellschaft eine „staatliche Stelle“, die „besonderen Pflichten unterworfen“ sei (S. 113). „Die Linie zwischen grundrechtlicher Freiheit einerseits, staatlicher Verantwortung … andererseits verläuft damit durch die Organisation der Documenta gGmbH hindurch“, heißt es weiter (S. 110).  Zudem sei die direkt für die künstlerische Leitung arbeitende künstlerische Abteilung der documenta 15 (Artistic Team) „der Geschäftsführung weisungunterworfen“ (S. 110), offenkundig nach Auffassung der Autoren und Autorinnen des Abschlussberichts auch dort, wo durch solche Weisungen in künstlerische Prozesse und Entscheidungen eingegriffen wird. Keinesfalls dürfe sich die Geschäftsführung als staatlicher Teil der Organisation „einfach mit der künstlerischen Leitung identifizieren“. Die Geschäftsführung genieße keine Kunstfreiheit und sei „an die … verfassungsrechtlichen und politischen Vorgaben gebunden“. Diese müsse sie „auch gegenüber der künstlerischen Leitung vertreten“ (S. 114). „Umso mehr ist sie dazu verpflichtet, wenn sie von anderen Organen der Gesellschaft (z. B. der Aufsichtsrat, der Verf.) dazu aufgefordert wird“ (S. 114/115). Eine Relativierung aller dieser Standpunkte erfolgt dann lediglich mit dem Hinweis, „die Pflichten der Geschäftsführung gegenüber der künstlerischen Seite (könnten) nicht einfach durchgesetzt werden.“ Die Durchsetzung unterliege „dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit“ (S. 115).

Das Verhältnis zwischen kaufmännischer und künstlerischer Leitung nicht überspannen

Einem derartigen staatstragenden Verständnis der administrativen Leitung einer öffentlichen Kultureinrichtung ist mit aller Deutlichkeit entgegenzutreten. Dass die Beziehung zwischen der künstlerischen Leitung einer öffentlich getragenen Kulturinstitution einerseits und deren Administration andererseits gewisse Gegensätzlichkeiten aufweist, liegt in der Natur der Sache. Geht es der einen Seite um die möglichst grenzenlose Verwirklichung ihrer künstlerischen Ideen, kommt der anderen die Aufgabe zu, die Gelder zusammenzuhalten, Organisationsmaßstäbe durchzusetzen und rechtliche Rahmenbedingungen einzuhalten. Das alles ist schwierig genug. Gerade deshalb ist davon abzusehen, die kaufmännische Leitung als langen Arm des Staates in der Kultureinrichtung zu begreifen. Es ist kontraproduktiv und überspannt die Anforderungen an die kaufmännische Geschäftsführung erheblich. Erst recht gilt dies, wenn die öffentlich getragene Kulturinstitution in privater Rechtsform organisiert ist. Dann nämlich ist auch der kaufmännische Geschäftsführer bei der privaten Gesellschaft (nicht beim Träger, also beim Staat bzw. der Kommune) angestellt und ausschließlich dieser Gesellschaft sowie deren Aufgaben und Zielsetzungen verpflichtet.

Zudem ist der Staat gehalten, auch öffentlich getragene Kulturbetriebe so zu organisieren, dass sie mit der notwendigen künstlerischen Freiheit agieren können. Dies ist dann nicht mehr gewährleistet, wenn etwa die kaufmännische Geschäftsführung jenseits ihrer ökonomischen, organisatorischen und rechtlichen Verantwortung in künstlerische Prozesse und Entscheidungen, etwa durch Weisungsrechte, eingreifen kann. Das versucht jede gute Geschäftsordnung einer Kultureinrichtung durch klare Abgrenzung von Kompetenzen zu vermeiden. Denn es geht auch darum, Friktionen zwischen der künstlerischen und kaufmännischen Leitung des Betriebs möglichst auszuschließen. Dazu gehört ein Selbstverständnis der kaufmännischen Leitung, die künstlerische Arbeit selbst dort, wo sie an Grenzen stößt, zu ermöglichen und gegen Kräfte von außen zu verteidigen, soweit das unter Einhaltung der Rahmenbedingungen möglich ist. Dieses Selbstverständnis sollte der öffentliche Träger nicht unterminieren. Es ist zwar richtig, dass, wie der Abschlussbericht zur documenta 15 feststellt, die kaufmännische Geschäftsführung sich nicht auf die Kunstfreiheit berufen kann, da sie nicht künstlerisch tätig ist. Es ist aber ihre Pflicht, sich in Fragen der Kunstfreiheit vor die künstlerische Leitung zu stellen und diese Freiheit zu verteidigen. Alles andere ist sinnlos. 

Dass es in diesem Kräfteverhältnis die Aufgabe der administrativen Leitung ist, etwa in einem Theater, zwischen der Politik und der Kunst zu vermitteln, steht außer Frage. Es ist die kaufmännische Direktorin, die bei der Intendanz für die berechtigten Interessen der Politik werben muss. Ebenso muss sie versuchen, den politischen Vertretern des Kulturbetriebs (Bürgermeister, Ministerin, Dezernenten, Abgeordnete) die künstlerische Arbeit nahe zu bringen. Administration eines Kulturbetriebs bleibt also eine Gratwanderung zwischen der Freiheit der Kunst und den politischen wie ökonomischen Sachzwängen. Das sollte jeder wissen, der sich für ein solches die Kunst verwaltendes Amt bewirbt.

Erst, wenn es zu Gesetzesverstößen kommen könnte, haben alle Verantwortlichen des Kulturbetriebs (die Betonung liegt auf alle) alles zu tun, um diese zu vermeiden. Gelingt dies innerhalb der Kulturinstitution nicht, stellen sich für die außerhalb stehenden öffentlichen Stellen Fragen der Rechtsaufsicht. Auch die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren kommt in Betracht, welche im Übrigen die Staatsanwaltschaft Kassel hinsichtlich der documenta 15 schließlich im April dieses Jahres in einem umfangreichen Beschluss ablehnte.

Information und Transformation

Es wird in letzter Zeit viel über die Innovation und Transformation von öffentlichen Kulturbetrieben diskutiert. Dabei fehlt es zuweilen nicht an leeren Phrasen. Nimmt man das Anliegen ernst, dann geht es vor allem um die Modernisierung mancher Kulturbetriebe, die vielleicht auf zu eingefahrenen Gleisen unterwegs sind. Im Sinne einer solchen Modernisierung ist es nicht, die künstlerische Freiheit zurückzudrängen und wieder mehr auf staatliche Kontrolle zu setzen. Es war und ist für die öffentlich getragenen Kultureinrichtung ein Segen, dass man sich daraus in den letzten Jahrzehnten weitgehend verabschiedet hat, indem man den Einrichtungen unnötige Verwaltungszwängen ersparte. Auf diesem Weg muss bei aller Notwendigkeit öffentlicher Mitverantwortung und Finanzierung für Kunst und Kultur weitergegangen werden. Der Reinstallation der Verwaltungsdirektors alter Schule, der sich als verlängerte Stadt- oder Staatsverwaltung verstand, wäre ein Rückschritt.

Ist Künstliche Intelligenz das Ende des Urheberrechts? Oder was man dagegen tun muss.

Wie immer, wenn technisch sich etwas Neues entwickelt, ist es umstritten. Die einen sehen das Gute und vor allem die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich bieten, die anderen verteufeln den Fortschritt und reden sich ein, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht. Warum soll es der Künstlichen Intelligenz (KI) anders gehen, als der Erfindung der Dampflokomotive? Doch das, was sich da gerade entwickelt, ist wohl ernster zu nehmen als viele andere technische Errungenschaften zuvor. Denn allein der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine KI-Verordnung umfasst ca. 120 Seiten. Das zeigt, es gibt viel zu regeln. Um das Urheberrecht geht es in diesem Vorschlag leider kaum, wie die Initiative Urheberrecht kürzlich in einer Stellungnahme ausdrücklich hervorhob. Gerade in diesem Rechtsgebiet ist aber Gefahr im Verzug.

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Der Stand der Debatte

Der Fotograf Boris Eldagsen hat soeben den renommierten Sony World Photography Award, den er für sein Werk „Pseudomnesia: The Electrician“ erhalten sollte, abgelehnt. Das Bild von zwei hintereinander stehenden Frauen sei, so Eldagsen, unter Zuhilfenahme von KI entstanden. Es ist also in einem gewissen Sinne gar nicht „seins“. Er wolle mit der Verweigerung des Preises eine Diskussion über KI anregen, hieß es. Gemerkt hatte den Fake natürlich niemand, wieso auch, wird sich jeder fragen, der das Foto anschaut.

Eine Diskussion über das Urheberrecht und KI muss man allerdings gar nicht mehr anzetteln, sie ist schon im vollen Gange. „Künstliche Intelligenz wird wahrscheinlich vieles eliminieren, was im 20. Jahrhundert noch die Grundlage für das Funktionieren der Gesellschaft war“, wurde kürzlich der Software-Designer Mark Rolston in der SZ (Ausgabe vom 2. März 2023) zitiert. Auf die Frage, was da zur Eliminierung anstehe, antwortete er, unter anderem „das Urheberrecht“. Und der Fotograf Charlie Engmann sagte über durch KI generierte Bilder etwas später in einem Interview mit dem Magazin der gleichen Zeitung: „Es gibt kein Urheberrechtsproblem. Da geht es um Leute, die weiter Geld verdienen wollen. Das Urheberrecht ist ein kapitalistisches Konstrukt, für Leute, die aus Kreativität Kapital schlagen wollen.“ Wer da noch behauptet, es bestehe urheberrechtlich kein Regelungsbedarf, muss sich schon ein gewisses Maß an Blindheit vorhalten lassen.

Doch über solche eher provokanten Anmerkungen hinaus, geht der Blick auf das Thema KI und Urheberrecht eher ins Leere. Es werden mehr Fragen gestellt und Probleme skizziert, als Lösungen angeboten. Zugleich ist KI auf dem Vormarsch und kommt auch schon vielfach zum Einsatz. Kürzlich wurde zur Eröffnung der Ted Conference in Vancouver die KI-Oper „Song of the Ambassadors“ aufgeführt. Umso mehr stellt sich die Frage nach der richtigen Terminologie. Was bei der Nutzung von KI in den urheberrechtlich relevanten Bereichen von Literatur, Wissenschaft und Kunst entsteht, sind keine Werke im Sinne von § 2 Abs. 1 UrhG. Es fehlt ihnen an der in § 2 Abs. 2 UrhG geforderten persönlichen geistigen Schöpfung durch eine natürliche Person, durch einen Menschen. Also sollten wir solche durch KI inhaltlich gestalteten (oder mitgestalteten) Produkte nicht mit dem Begriff des Werkes „adeln“, sondern grundsätzlich von KI-Produkten sprechen.

Einigkeit besteht weitgehend, dass KI-Produkte, die Werke aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst zu entsprechen suchen, keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Weder der Verfasser der Software noch die Person, von der die Anforderungen für das KI-Produkt vorgegeben werden, sind Schöpfer des KI-Produktes, das mit Hilfe der Software entsteht, und das ist auch gut so. Zwar kann man sich in bestimmten Fällen, etwa bei durch KI komponierter Musik, noch auf einige im Urheberrechtsgesetz verankerte Leistungsschutzrechte (hier das des Tonträgerherstellers) berufen (s. dazu: https://irights.info/artikel/welche-regeln-gelten-fuer-die-erzeugnisse-kuenstlicher-intelligenz/30724). Doch das führt eher in die Irre. Zunächst einmal geht es um etwas ganz Anderes, nämlich die Frage:

Was darf KI nutzen? Was ist mit den Rechten der genutzten Werke?

Damit künstliche Intelligenz funktioniert, muss sie mit Daten gefüttert werden. Bei diesen Daten handelt es sich oft um urheberrechtlich geschützte Werke. Die Berechtigung der Nutzung dieser Werke für die künstliche Intelligenz wird aus § 44 b UrhG abgeleitet. Dort erlaubt der Gesetzgeber die vorübergehende Vervielfältigung von rechtmäßig zugänglichen Werken für das sogenannte Text und Data Mining. Ob die Erfinder dieser Vorschrift überhaupt all das im Auge hatten, was jetzt an neuen Texten und Bildern mit KI entsteht, mag dahinstehen. Diese Vorschrift jedoch dahingehend auszulegen, dass sie die übrigen urheberrechtlichen Regelungen außer Kraft setzt, wenn von einem KI-Produkt (Text, Bild, Film, Foto, Musik) bestehende urheberrechtliche Werke ganz oder teilweise wiedergeben werden, geht aus meiner Sicht deutlich zu weit. Das gibt der Wortlaut nicht her. Denn erlaubt werden die Vervielfältigungen nur, um „Informationen über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen“, wenn der Urheber nicht auch das schon nach § 44 Abs. 3 UrhG ausgeschlossen hat. Keinesfalls ist es aber zulässig, dass aus § 44 b UrhG ein kostenloses Vervielfältigungsrecht im Sinne eines Plagiats (und ein entsprechendes Nutzungsrecht etwa zu kommerziellen Zwecken) abgeleitet werden kann. Ansonsten machte § 44b Abs. 2 Satz 2 UrhG keinen Sinn, dem entsprechend das vervielfältigte urheberrechtlich geschützte Dokument zu löschen ist, also eine Vervielfältigung nicht mehr existieren darf, wenn sie für die „Information über Muster, Trends und Korrelationen“ nicht mehr gebraucht wird.

Auf das KI-Produkt, das mit Hilfe der künstlichen Intelligenz entsteht, etwa der Text, das Bild, das Foto, der Film, die Musik, ist folglich das Urheberrecht insoweit in vollem Umfang anwendbar, als es um den Schutz des zur Erstellung des Produkts genutzten Werks geht. Das bedeutet u.a.:

  • Gibt ein KI-Produkt aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Kunst ein urheberrechtlich geschütztes Werk ganz oder teilweise wieder, ist das eine unzulässige Vervielfältigung. Sie bedarf also der Rechteeinräumung durch den Rechteinhaber des vervielfältigten Werks.
  • Wird ein solches KI-Produkt im Sinne der §§ 17 ff UrhG genutzt, ist diese Nutzung ohne Rechteeinräumung seitens des Rechteinhabers des vervielfältigten Werks unzulässig.
  • Wird in einem KI-Produkt ein urheberrechtlich geschütztes Werk zitiert, muss dies den Anforderungen des § 51 UrhG entsprechen.
  • Auf Bearbeitungen eines bestehenden urheberrechtlich geschützten Werks durch KI ist § 23 UrhG in vollem Umfang anwendbar. Mit technisch bedingten Änderungen nach § 23 Abs. 3 sind nicht echte Bearbeitungen oder Umgestaltungen gemeint.
  • Ein KI- Produkt, das nicht diesen Anforderungen gerecht wird, kann nicht, auch nicht für private Zwecke vervielfältigt und genutzt werden.
  • Für die darstellenden Künstler und Künstlerinnen gilt dies alles entsprechend, soweit mit Künstlicher Intelligenz ihre durchs Urheberrecht leistungsschutzrechtlich geschützten Darstellungen für ein KI-Produkt genutzt werden.

Zu bedenken ist außerdem, dass KI-Produkte Persönlichkeitsrechte verletzen können. Das ist etwa der Fall, wenn ein Foto durch künstliche Intelligenz kreiert wird, das eine falsche Darstellung einer oder mehrerer Personen enthält. Ebenso wäre es bei einem Text mit Falschbehauptungen über eine Person. Solche Produkte dürfen weder veröffentlicht noch anderweitig genutzt werden. Die aktuelle Debatte über ein KI-erstelltes, fingiertes Interview mit Michael Schumacher, das in der Zeitschrift „die aktuelle“ wiedergegeben war, macht die Brisanz des Themas deutlich.

Enthält das KI-Produkt jedoch keine Urheberrechtsverletzungen oder keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten der geschilderten Art, dann steht seiner Nutzung nichts im Wege.

Die Ausnahme

Wenn oben festgestellt wurde, dass ein KI-Produkt als solches mangels persönlicher Schöpfung kein urheberrechtlich geschütztes Werk ist, dann kann ausnahmsweise trotzdem ein urheberrechtlicher Schutz dadurch eintreten, dass das KI-Produkt durch eine natürliche Person bearbeitet wird. Erhält das KI-Produkt infolge dieser Bearbeitung eine zusätzliche Schöpfungshöhe, wird das KI-Produkt zu einem echten Werk im Sinne des Urheberrechts.

Die Kennzeichnungspflicht

Nach wie vor wird behauptet man könne problemlos erkennen, ob ein Text, ein Bild, ein Film, ein Foto oder eine Musik durch oder mit Hilfe von KI entstanden ist. Dies muss angesichts der bereits erwähnten Beispiele ernsthaft bezweifelt werden. Deswegen ist umgehend gesetzlich vorzuschreiben, dass KI-Produkte aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst als solche bei ihrer Veröffentlichung oder weiteren Nutzungen im Sinne der §§ 17 ff UrhG zu kennzeichnen sind. Reine KI-Produkte aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Kunst sind (wie bei der Angabe eines Urhebers) mit dem Kürzel „KI“ zu versehen, Werke die unter Verwendung eines KI-Produkt aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Kunst durch Bearbeitung entstehen, mit der Bezeichnung „KI/Name des Bearbeiters/in“.

Die Urheberabgabe

Die Kennzeichnungspflicht durch die Nutzer ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil für die Nutzung von reinen KI-Produkten und solchen, die bearbeitet werden, eine Urheberabgabe eingeführt werden muss, wenn durch die Nutzung Einnahmen erzielt werden. Dies Urheberabgabe wäre an die Verwertungsgesellschaften abzuführen und dann an die dort mit ihren Werken registrierten Rechteinhaber nach einem festzulegenden Schlüssel auszuschütten. Die Auszahlung müsste wie etwa bei den Abgaben nach §§ 54 ff. UrhG erfolgen, also völlig unabhängig davon, ob Werke der von der jeweiligen Verwertungsgesellschaft vertretenen Rechteinhaber für KI genutzt wurden oder nicht. Zu Vereinfachungszwecken muss den Verwertungsgesellschaften erlaubt werden, Pauschalvereinbarung mit Nutzern von KI zu vereinbaren.

Kontrolle und Strafe

Natürlich wird all das hier zur Diskussion Gestellte nach dem jetzigen Stand der Technik schwer zu kontrollieren sein. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, auf solche Regelungen zu verzichten. Vielmehr ist es wichtig, dass Maßstäbe, dass urheberrechtliche Rahmenbedingungen für die Nutzung von KI in den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst gesetzlich festgelegt werden. Und um sie durchzusetzen, bedarf es der Ergänzung der Straf- und Bußgeldvorschriften in den § 106 ff UrhG.

Forderungen an den Gesetzgeber

Aus alledem folgt:

  1. KI-Produkte sind nicht urheberrechtlich geschützt, auch nicht durch urheberrechtlich geregelte sekundäre Leistungsschutzrechte, etwa der Tonträgerhersteller. Weder der Verfasser der Software noch die Person, von der die Anforderungen für das KI-Produkt vorgegeben werden, können ein Urheberrecht an dem KI-Produkt beanspruchen.
  2. Werden für KI-Produkte urheberrechtlich geschützte Werke genutzt, dann ist bei dieser Nutzung das Urheberrecht an diesen Werken in vollem Umfang anzuwenden. § 44b UrhG ist entsprechend klarstellend zu ergänzen.
  3. KI-Produkte, die Persönlichkeitsrechte Urheberrechte oder verletzen, dürfen nicht genutzt und veröffentlicht werden.
  4. Bei der Nutzung von KI-Produkten aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst bedarf es einer Kennzeichnungspflicht, aus der sich eindeutig ergibt, dass das Produkt durch oder mit Hilfe von KI inhaltlich gestaltet wurde.
  5. Für die Nutzung von KI-Produkten zu Erwerbszwecken muss eine Urheberabgabe, die an die Verwertungsgesellschaften abzuführen ist, verpflichtend werden.
  6. Es müssen technischen Instrumente, die dazu dienen, gegen urheberechtliche Reglungen verstoßende KI-Produkte zu erkennen, müssen schnellstmöglich entwickelt werden. Die Straf- und Bußgeldvorschriften der § 106 ff UrhG sind zu ergänzen.
  7. Die Leistungen darstellender Künstlerinnen und Künstler sind entsprechend zu schützen.

Fazit

Alle hier gemachten Vorschläge sollen die Diskussion darüber anregen, welche gesetzlichen Schritte im Zusammenhang mit der Nutzung von KI-Produkten aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst notwendig sind. Diese Vorschläge erheben weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch ist klar, ob es die richtigen Schritte sind und ob sie realisierbar sind. Zudem mag es sein, dass sie einige rechtliche Aspekte außer Acht lassen. Wichtig ist es im Sinne der Urheber und der Nutzer, die Debatte über die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu beginnen, statt nur die Probleme zu beschreiben und allgemeine politische Forderungen aufzustellen. Letzteres wird auf Dauer nicht reichen. Am Ende geht es darum, die künstlerischen, wissenschaftlichen und literarischen Leistungen von Menschen zu schützen und diesen Leistungen den Raum zu geben, den sie zu ihrer Entfaltung dringend benötigen. Denn nichts wird in einem von KI bestimmten Zeitalter wichtiger sein, als die authentischen Werke und Darbietungen von Menschen. Ihre Fantasie, ihre Kreativität ist die wahre Zukunft. Bestehende sowie neue von Menschen selbst geschaffene Werke werden wichtiger und wertvoller sein als sie je waren. 

Das Programmheft, das Bühnenbild und das Urheberrechtsgesetz

Am 20. Dezember 2018 verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil, das es in sich hatte. Jedenfalls sollte es allen Theater-Dramaturgen und anderen der schreibenden und denkenden Zunft, die regelmäßig Publikationen zu erstellen und zu illustrieren haben, einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Abbildungen urheberrechtlich nicht mehr geschützter Werke der bildenden Kunst, so der BGH, können nicht tantiemefrei genutzt werden. Sie unterliegen zumindest dem Lichtbildschutz des § 72 Urhebergesetz (UrhG), und zwar in der Regel bis zu 50 Jahre nach ihrem Erscheinen. Also war erst einmal Schluss mit der problemlosen Abbildung alter Meister oder einer antiken Skulptur im Programmheft. Auch Bühnenbildner, die das Bühnenbild für Jasmina Rezas Gott des Gemetzels mit dem Abdruck eines Impressionisten angemessen zu gestalten dachten, sahen sich neuen urheberrechtlichen Fragen ausgesetzt. Doch dann kam 2019 die Richtlinie der Europäischen Union „Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“. Und alles war wieder anders.

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Denn Artikel 14 der Richtlinie stellte klar, dass originalgetreue Vervielfältigungen nicht mehr geschützter, also gemeinfreier Werke der bildenden Kunst keinen Urheberschutz mehr genießen, es sei denn, die Abbildungen stellen selbst eine eigene Schöpfung dar. Daraus machte das deutsche Urheberrecht den neuen § 68 UrhG, der schlicht feststellt, dass Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke nicht dem Lichtbildschutz des § 72 UrhG unterliegen. Damit ist zwar ein großer Teil der Probleme gelöst, aber ganz so einfach, wie es aussieht, ist es dann doch nicht.

Lichtbild und Lichtbildwerk

Bleiben wir beim Beispiel „Impressionist im Bühnenbild von Gott des Gemetzels“. Die Abteilung Requisite des Theaters kauft im Museumsshop eines deutschen Museums einen originalgetreuen Druck des diesem Museum gehörenden Gemäldes von Max Liebermann. Dieser soll – zuvor angemessen vergrößert – im Bühnenbild hängen und verkleinert für das Programmheft vervielfältigt werden. Das ist nach der richtlinienkonformen Gesetzesänderung nun problemlos möglich, und zwar ohne dass Rechte zuvor erworben werden müssen. Da § 68 UrhG nicht nur für Werke der bildenden Kunst gilt, sondern für alle visuellen Werken, fallen unter diese Vorschrift zum Beispiel auch originalgetreue Abbildungen von Zeichnungen, Plänen, Karten und Skizzen.

Geht es um das Foto einer antiken Skulptur, wird die Sache aber schon schwieriger. Denn ein solches Foto ist nie eine einfache Ablichtung der Skulptur. Der Fotograf muss sich vielmehr überlegen, von welcher Seite er sie fotografiert, wie er den Lichteinfall – gegebenenfalls auch künstlich – gestaltet, muss die Entfernung zum Objekt bestimmen, gegebenenfalls auch den Hintergrund verändern. Schon erweist sich das Foto der Skulptur (anders als der einfache Druck mit der Wiedergabe eines Gemäldes) als eine schöpferische Leistung, geht also als Lichtbildwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG über das einfache Lichtbild des § 72 UrhG hinaus. Und schon läuft § 68 UrhG ins Leere. Nichts anderes würde im Übrigen gelten, wenn ein berühmtes Gemälde nicht eins zu eins wiedergegeben würde, sondern ein Fotograf wohl überlegt etwa die Mona Lisa fotografiert und der Betrachter des Fotos sieht, wie das Bild im Museum hängt, wie es beleuchtet ist und welche Wirkung dadurch entsteht. In all diesen Fällen hat der Fotograf wegen seiner schöpferischen Leistung ein Urheberrecht und zur Vervielfältigung des Bildes müssten von ihm Rechte erworben werden. Genau das ist im Gegensatz dazu beim originalgetreuen Druck eines Gemäldes wegen § 68 UrhG nicht mehr erforderlich. Die eingangs genannte BGH-Entscheidung geht also insofern ins Leere.

Und das Museum?

Das Museum bleibt in all diesen Fällen urheberrechtliche erstmal außen vor. Es könnte allenfalls mit dem Eigentum am Original-Kunstwerk argumentieren. § 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erlaubt es dem Eigentümer eines Gegenstandes, also hier des Gemäldes oder der Skulptur, die Beseitigung jeglicher Beeinträchtigung zu verlangen, es sei denn – so Absatz 2 der Vorschrift – der Eigentümer ist zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet. Eine solche Beeinträchtigung könnte man darin sehen, dass die wie auch immer gestaltete Ablichtung eines Gemäldes oder einer Skulptur für ein Programmheft oder ein Bühnenbild ohne ausdrückliche Einwilligung des Museums genutzt wird. Doch da muss im Rahmen der Duldungspflicht das Urhebergesetz vorgehen: Wenn also entweder beim einfachen Lichtbild über § 68 UrhG die Nutzung einer originalgetreuen Abbildung erlaubt ist oder ein Fotograf bei einem echten Lichtbildwerk diese gestattet, dann ist das Museum auch wegen seiner Duldungspflicht des § 1004 Abs. 2  BGB beim Eigentumsrecht außen vor. Ansonsten würde das an dem abgebildeten Kunstwerk, dessen Maler oder Bildhauer mehr als 70 Jahre tot ist, nicht mehr bestehende Urheberrecht mit der Krücke des Eigentumsrechts neue Wirkung entfalten. Das aber genau sollen die Schutzfrist und auch § 68 UrhG ausschließen. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn die Ablichtung illegal entstanden ist, also ohne Erlaubnis des Museums, dem das Original gehört. Davon kann aber bei Vervielfältigungen öffentlich allgemein zugänglichen visuellen Werken nicht ausgegangen werden, solange das Museum gegen deren Verbreitung keine rechtlichen Schritte einleitet. Zugleich ist dennoch Vorsicht geboten, wenn in einem Museum ein Verbot zu fotografieren existiert und man selbst unter Verstoß gegen das Verbot Fotos von nicht mehr urheberrechtlich geschützten Werken anfertigt, um sie anschließend etwa in einem Programmheft oder zur Gestaltung eines Bühnenbilds zu nutzen oder z.B. im Internet zu verbreiten. Das genau wollte § 68 UrhG nicht ermöglichen.

Über die Kritik und ihr Publikum

Die Aufregung war zurecht groß, als kürzlich der Hannoveraner Ballettdirektor Marco Goecke die Ballettkritikerin der Frankfurter Allgemeine mit Hundekot körperlich attackierte. Eindeutig handelte es sich bei dieser Attacke um eine schwere Verletzung seiner gegenüber dem Staatstheater Hannover bestehenden Verpflichtungen. An der Auflösung des Arbeitsvertrags, ob einvernehmlich oder durch außerordentliche Kündigung mag dahinstehen, führte kein Weg vorbei. Daran ändert keine der Kritiken etwas, die Goecke in der FAZ über seine Arbeit hat lesen müssen. Sie sind, wie immer sie formuliert wurden, als Entschuldigung der Tat ungeeignet. Nun aber der Staatsoper Hannover vorzuwerfen, man versuche mit der Kritik an der Theaterkritik eine Rechtfertigung für Goeckes Attacke aus dem Hut zu zaubern, ist abwegig. Da greift die öffentliche Debatte doch etwas kurz.

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Es trifft zweifelsohne zu, dass, wie es in den letzten Tagen nachzulesen war, alle, die sich in die Öffentlichkeit begeben, Kritik an ihrer Arbeit und an ihrem Handeln hinnehmen müssen. Die Pressefreiheit steht nicht auf dem Prüfstand. Sie ist wie die Freiheit der Kunst ein in unserer Verfassung geschütztes Rechtsgut. Künstlerinnen und Journalisten dürfen in den Grenzen der Rechtsordnung bei Ausübung ihrer Profession alles tun und schreiben, was ihnen beliebt. Aber auch die Autoren und Kommentatorinnen von Presse und Rundfunk begeben sich in die Öffentlichkeit und müssen selbstverständlich mit der Kritik an ihrer Arbeit leben. Sakrosankt ist da niemand. Und deshalb müssen sich die Damen und Herren Journalisten schon die eine oder andere Bemerkung gefallen lassen, ohne dass das gleich unter den Generalverdacht unlauterer Absichten (etwa der Rechtfertigung Goeckes) gestellt wird.

Der Kampf um die Meinungshoheit

Es ist nämlich im öffentlichen Diskurs eine zunehmende, oft kaum noch zu ertragende Einseitigkeit oder gar Zuspitzung zu registrieren. Viel zu oft wird zudem die saubere Trennung zwischen Berichterstattung und Kommentierung verlassen. Die Theaterkritik muss man für diese Feststellungen gar nicht erst bemühen, zumal es dort schon immer etwas heftiger zugegangen ist. Es reicht ein Blick in den alltäglichen Kampf um die Meinungshoheit in Presse und Rundfunk, sei es zur Corona-Pandemie, zur documenta oder zur Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine. So wurde tagelang behauptet, der Bundeskanzler sei in der Europäischen Union angesichts seiner besonnenen Zurückhaltung beim Thema Panzerlieferung „völlig isoliert“, obwohl nur wenige Nato-Länder zu einer solchen Lieferung bereit waren. Nun, nachdem seine Entscheidung pro Leopard gefallen ist, wird erkennbar, dass die Neigung oder auch nur Möglichkeit zur Lieferung von schwerem Gerät innerhalb Europas tatsächlich sehr begrenzt, wenn überhaupt vorhanden ist. Doch ist von denen, die in dieser Angelegenheit die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, eine späte Einsicht zu hören? Keineswegs! Vielmehr wird dem Kanzler plötzlich vorgeworfen, er habe seine Leopard-Entscheidung nicht ausreichend mit seinen Nato-Partnern abgestimmt. Mit sachlicher Berichterstattung hat das alles wenig zu tun.

Das Gute am Verriss

Dagegen ist eine FAZ-Kritik an einem Goecke-Abend harmlos. Angesichts der dort nachzulesenden verallgemeinernden Feststellung, das Publikum werde bei seinem neuen Ballettabend mit dem Nederlands Dans Theater in Den Haag „abwechselnd irre und von Langeweile umgebracht“ hätte den Leser oder die Leserin natürlich interessiert, wie das irre oder tote Publikum nun am Ende der Veranstaltung reagiert hat. Mit müdem Beifall oder enthusiastischer Begeisterung?  Nichts dergleichen wird berichtet. Ist ja offenkundig nicht wichtig, um die Zuschauer scheint es nicht zu gehen, sondern nur um die verallgemeinernde Übertragung des eigenen Eindrucks der Rezensentin auf den ganzen Saal. Solche Übertreibungen werden offenkundig für angemessen gehalten im deutschen Großfeuilleton. Macht nichts! Denn der einzige echte Reflex, den sie zumindest bei mir und vielleicht nicht nur bei mir auslösen, ist der dringende Anreiz, sich die Sache anzusehen, frei nach dem Motto: Ist es wirklich so schlimm? So habe ich, als seinerzeit Reich-Ranicki den Grass Roman „Ein weites Feld“ im Spiegel auseinandernahm, das Buch sofort gekauft, gelesen und als äußerst lesenswert empfunden. Es gab Zeiten, da war es im Schauspiel ein Qualitätsbeweis, im Feuilleton der FAZ verrissen worden zu sein. Für Selbstmitleid der Kulturbranche, gar Larmoyanz wegen irgendwelcher Verrisse besteht also kein Anlass, auch wenn man manches an Veröffentlichungen zuweilen verletzend findet; man kann ja heute leicht widersprechen, wenn es unbedingt notwendig ist. Es haben deshalb alle die recht, die betonen, dass ein Verriss immer noch besser ist als gar keine Presse, weil er zumindest Aufmerksamkeit erzeugt. Und man darf hinzufügen: Eine sachlich argumentativ die mal nicht gelungene Theaterproduktion negativ beschreibende Darstellung in der Zeitung zu lesen, ist ein viel größeres Problem. Denn sie wird vom Publikum respektiert und führt tatsächlich zu der Entscheidung, nicht hinzugehen.

Doch eines müssen sich alle Rezensenten und Berichterstatterinnen, Kommentatorinnen und Meinungsmacher in Presse und Rundfunk klar machen: Weder das Theaterpublikum noch die Radiohörer und Fernsehzuschauerinnen, noch die Leserschaft von Zeitungen haben ein Brett vor dem Kopf. Früher oder später wird schon deutlich, wer in seinem veröffentlichten Urteil eher neben der Sache liegt, vor allem im Bereich der Kultur, wo sich große Teile des Publikums ziemlich gut auskennen. Auch die schreibende und sendende Zunft hat also einen Ruf zu verlieren. Wer ständig Ansichten von sich gibt, die von mehr oder weniger aufmerksamen und aufgeklärten Zeitgenossen nicht geteilt werden, wird langfristig nicht mehr ernst genommen. Ob das dauerhaft der Auflage oder der Zuschauerquote dient, darf einmal mehr infrage gestellt werden.

Über die Medien muss es eine Debatte geben

So bleibt am Schluss die Frage, warum Tag für Tag in den hergebrachten Medien so viel zu lesen, zu hören und zu sehen ist, an dem Zweifel und Kritik angebracht sind. Ist es der Druck der Auflage oder der Quote? Ist es die Konkurrenz zu den sozialen Medien? Oder haben die immer größer werdenden Zentrifugalkräfte in dieser Gesellschaft mittlerweile Teile des Journalismus derart erreicht, dass er nur noch im Für und Wider denken kann? Vielleicht geht es nur schlicht um Machtansprüche der veröffentlichten Meinung, das übliche Rauf- und Runterschreiben? Oder droht dem Feuilleton bei mangelnder Zuspitzung tatsächlich die Abschaffung? Das wäre ungeheuerlich! Wie dem auch sei, über den Umgang der Medien mit der Welt darf es, muss es im Sinne der Demokratie eine Debatte geben. Wenn die Medien versuchen sollten, sie zu unterdrücken, schaden sie sich langfristig selbst. Da ginge es ihnen nicht anders als Theatern, falls sie den Diskurs über ihre Arbeit nicht auszuhalten vermögen oder nur noch Affirmatives über sich lesen wollen. Dass das der Fall ist, ist deshalb eher auszuschließen.

Das Bundesarbeitsgericht verpflichtet auch die Kulturbetrieb zur Arbeitszeiterfassung, einfach ist das nicht

Am 13. September des vergangenen Jahres hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) unter dem Aktenzeichen – 1 ABR 22/21 – ein bemerkenswertes Urteil zur Arbeitszeit verkündet. Es geht in dem Beschluss um die Frage, ob die Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu erfassen, gegebenenfalls durch Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung, also einer Stechuhr. Die Antwort des BAG darauf lautet: Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung ja, zur Stechuhr nein. Es genüge eine Aufzeichnung in Papierform, die der Arbeitgeber gegebenenfalls sogar an die Arbeitnehmer delegieren kann. Diese müssen Ihre Aufzeichnungen dann dem Arbeitsgeber zuleiten, damit er diese in welcher Form auch immer abschließend erfassen kann, auch wenn dies nur durch Aktenablage der schriftlichen Mitteilung geschieht. So weit, so gut. Doch eines lässt das Urteil offen: Was ist oder zählt denn zur Arbeitszeit? Leicht ist das nicht zu beantworten, schon gar nicht in so komplizierten Kultureinrichtungen wie Theatern und Orchestern.

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Das Homeoffice und die Arbeitszeiterfassung

In vielen Betrieben war die Arbeitszeit früher schlicht an die Präsenz des Arbeitnehmers oder der Mitarbeiterin im Betrieb des Arbeitgebers gebunden. Nichts machte das deutlicher als die Stechuhr. Zwar gab es schon immer einige Probleme, etwa die arbeitszeitrechtliche Berechnung von Bereitschaftsdienst im Betrieb, oder die Frage, was zur Arbeitszeit hinzugehörte: Der Weg vom Werkstor zum Arbeitsplatz eher nein, das vom Arbeitgeber vorgeschriebene Anlegen der seinerseits vorgegebenen Betriebskleidung am Arbeitsplatz in der Regel ja, sofern ein Tarifvertrag es nicht anders regelt. Arbeitsunterbrechungen wie der Kaffee mit kurzem Tratsch in der Büroküche unter 15 Minuten gelten als Arbeitszeit, Pausen von 15 Minuten und mehr nicht. Also war der Umgang mit der Arbeitszeit vergleichsweise leicht.

Das alles wurde schon durch die Tendenz zum Homeoffice reichlich durcheinandergewirbelt. Die Stechuhr hat jedenfalls im Bürosektor damit ausgedient. Ohne detaillierte Selbstaufzeichnung (inkl. Pausen) seitens der Arbeitnehmer geht fast nichts mehr. In der Regel wird der Arbeitstag im Homeoffice wie ein normaler Arbeitstag berechnet, zum Beispiel bei einer Fünf-Tage-Arbeitswoche und 40 Stunden Wochenarbeitszeit mit acht Stunden. Zu Überstunden im Homeoffice sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur berechtigt, wenn diese vom Arbeitgeber angeordnet waren. Weniger arbeiten geht auch nicht; ergibt sich dennoch ein Minus bei der Arbeitszeit aus der Homeoffice-Aufzeichnung des Arbeitnehmers, muss nachgearbeitet werden. Und Nachtarbeit? Ist ohne Zustimmung des Arbeitgebers im Homeoffice ohnehin nicht erlaubt, da ansonsten die Nachtruhezeiten völlig unkontrollierbar würden und außerdem noch Zeitzuschläge anfielen.

Wie es in der Kunst geregelt ist und was tatsächlich passiert

Doch die Theater und Orchester sind in vielerlei Hinsicht eine andere Welt, auch mit Blick auf die Arbeitszeit vor allem von künstlerisch Beschäftigten. Für Einzeldarsteller wie Schauspielrinnen oder Sängersolisten legt der einschlägige Tarifvertrag, der Normalvertrag (NV) Bühne, nur Ruhezeiten fest, in der Regel elf Stunden in der Nacht und vier Stunden vor Vorstellungen. Erstmalig wurde 2022 für diesen Personenkreis mit 44 Stunden eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit tarifvertraglich im NV Bühne beziffert, allerdings nicht verbindlich, sondern nur als Berechnungsgrundlage für die  monatliche Mindestgage von zurzeit 2.715 Euro brutto. Vor allem für Chor, Tanzensemble und Orchester werden außerdem die Länge von Proben vorgegeben, wobei im Orchester pro Vorstellung und Probe, von einigen Ausnahmen abgesehen, ein Dienst gerechnet wird. 183 Dienste muss ein Musiker oder eine Musikerin in einem 24 Wochen-Zeitraum leisten, natürlich können noch zusätzliche Arbeiten ohne Dienstezählung angeordnet werden, soweit der Tarifvertrag für Musiker in Konzert- und Theaterorchestern (TVK) das nicht ausdrücklich ausschließt. Für die anderen künstlerischen Berufe, etwa die Dramaturginnen und Inspizienten, gilt nur die Nachtruhezeit von 11 Stunden und wie für alle anderen selbstverständlich die durch das Arbeitszeitgesetz verfügte zeitliche Begrenzung von in der Regel acht (höchstens zehn) Stunden am Tag sowie der wöchentlichen Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden pro Woche. Auch künstlerisch Beschäftigte haben darüber hinaus einen Tag pro Woche frei. Was das alles hinsichtlich des Umfangs der Arbeitszeit für den einzelnen Arbeitnehmer, die einzelne Arbeitnehmerin heißt, lässt sich zwar genau erfassen. Das geschieht aber in vielen Theater- und Orchester-Betrieben, mit Blick auf die Freiheit des künstlerischen Schaffens, noch nicht. Schon insofern stellt das oben genannte Urteil die Theater und Orchester vor einige Herausforderungen.

Doch das Proben und das Aufführen im Betrieb ist nicht alles. Musiker üben zu Hause, sie beschäftigen sich mit den aufzuführenden Werken, Schauspielerinnen lernen Texte, Sängerinnen ihre Rolle. Dramaturgen lesen, ohne dazu besonders vom Theater aufgefordert zu sein, Stücke, beschäftigen sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen. Regieassistenten oder Dramaturginnen bleiben mit dem Regisseur und den Darstellern nach der Probe in der Kantine und bereden den Stand der Dinge, auch wenn sie die Theaterleitung dazu gar nicht aufgefordert hat. Tänzerinnen und Tänzer tun jenseits ihres Trainings alles, um beweglich und bei Kondition zu bleiben und befassen sich auf unterschiedliche Weise mit tänzerischen Ausdrucksformen.

Das Dilemma

Mit diesem tatsächlichen Befund entsteht das Dilemma der vom Bundesarbeitsgericht verordneten Arbeitszeiterfassung. Darin unterscheidet sich die künstlerische Beschäftigung im Theater oder Orchester nicht von vielen anderen kreativen Berufen. Journalisten oder Redakteurinnen, politische Mitarbeiter von Gewerkschaften oder politischen Parteien etwa lesen morgens beim Frühstück schon die Zeitung oder sehen am Abend die Fernsehnachrichten, um auf das Tagesgeschäft vorbereitet zu sein. Juristen und Ärzte studieren zu Hause Fachzeitschriften. Manches in der Freizeit gelesene Buch dient eher der notwendigen Vorbildung für den Beruf als dem persönlichen Interesse. Oft aber vermischt sich das. Wissenschaftlich Tätige wollen und müssen in ihrem Fach immer auf der Höhe der Zeit sein, ohne dass sie das, was sie dazu lesen oder untersuchen, grundsätzlich nur in ihrer eigentlichen Arbeitszeit erledigen.

Bisher war das alles ein wenig egal, man kümmerte sich in der Regel um solche beruflichen Begleittätigkeiten, die in der Freizeit stattfanden, eher nicht. Die Arbeitgeber lehnten es ab, diese Tätigkeiten tarifvertraglich oder in einem Arbeitsvertrag der Arbeitszeit hinzuzurechnen. Nun aber ist das anders. Wird der Arbeitnehmer verpflichtet, selbst aufzuzeichnen, was für ihn Arbeitszeit ist und was nicht, kommt er nicht umhin, diesbezüglich vor allem bei häuslichen Tätigkeiten eine Abgrenzung vorzunehmen.

Und im Theater? Da gibt es, anders als im Orchester im Übrigen, hinsichtlich der gesetzlich zulässigen, wöchentlichen durchschnittlichen Arbeitszeit von 48 Stunden in manchen Berufen oder bei manchen Spielplänen das Problem, dass diese im Betrieb für einige Mitarbeiter schon überschritten wird. Da ist überhaupt kein Spielraum mehr für irgendwelche der Arbeitszeit hinzuzurechnenden häuslichen Tätigkeiten, wie etwa die inhaltliche Vorbereitung auf den bevorstehenden Probentag. Wenn diese dann dennoch stattfinden und Teil der Arbeitszeit sind, dann wird dadurch die gesetzlich zulässige Arbeitszeit überschritten und man befindet sich zumindest juristisch gesehen im Niemandsland oder besser gesagt jenseits des Zulässigen.

Lösung in Sicht?

Angesichts des neuen BAG-Urteils kommt man also nicht umhin, zu definieren, was der Arbeitszeit zumindest nicht hinzuzurechnen ist. Es handelt sich dabei um die Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die beruflichen Fähigkeiten zu erhalten und weiter zu entwickeln und um die konkret arbeitsvertraglich vereinbarten Aufgaben überhaupt erledigen zu können. Die Abgrenzung ist im Einzelfall schwierig. Orientierungspunkt mag das sein, was regelmäßig erforderlich ist, um überhaupt an der jeweiligen beruflichen Ausbildung teilnehmen zu können. Das ist z.B. für den Dramaturgen das Lesen von Stücken und Literatur im Allgemeinen, für die Journalistin das Lesen von Zeitungen, für den Juristen die Beobachtung der rechtlichen Entwicklung in Judikative und Legislative, für den Dirigenten das Studium von Partituren, für die Musiker und Musikerinnen das Üben des Instruments und für die Sängerin oder den Schauspieler das Studium einzelner Rollen. Das alles ist in der Regel keine Arbeitszeit, sondern so etwas wie Ertüchtigung der eigenen Leistungsfähigkeit.

Natürlich ist es dem Arbeitgeber unbenommen, von vorneherein die Arbeitszeit mit Rücksicht auf die häusliche Vorbereitung zu reduzieren (wie etwa bei den Orchestermusikern im TVK). Man kann auch vertraglich oder tarifvertraglich (wie mit dem tariflich vorgesehenen Training im Tanz) pauschal ein begrenztes Kontingent solcher Vorbereitungszeit in das Gesamtbudget der Arbeitszeit einbeziehen. Hier werden sich die Tarifparteien noch ein paar Gedanken machen müssen. Alles was an diesen Tätigkeiten jenseits des vereinbarten Kontingents liegt, gehört dann nicht mehr zur Arbeitszeit und muss auch nicht als solche vom Arbeitnehmer aufgezeichnet werden. Und natürlich bleibt dem Arbeitnehmer, der Arbeitnehmerin immer die Möglichkeit, bestimmte Tätigkeiten einfach nicht als Arbeitszeit aufzufassen und aufzuschreiben. Die Freiheit dazu muss bleiben, nicht nur in der Kunst. Unabhängig davon sollte sich die Arbeitsgerichtsbarkeit jedoch einmal fragen, wie detailliert sie in die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen weiter eingreifen will. Bürokratieabbau sieht anders aus. Und ganz ohne Absurdität ist das, was jetzt an arbeitszeitrechtlichem Aufzeichnungsaufwand, zumindest im Theater, notwendig ist, auch nicht.

Was zu beachten wäre. Ein Beitrag zur Reform von ARD und ZDF

Tom Buhrow hat kürzlich eine Rede gehalten. Darin ging es um die Reform von ARD und ZDF. Er sprach zwar nicht als WDR-Intendant und zurzeit amtierender ARD-Vorsitzender, wie er ausdrücklich betonte. So einfach ist es leider nicht. Man kann ja Ämter, die einem übertragen werden, nicht nach Bedarf einfach an- und ablegen wie einen Jägerhut. Oder sich mit einem Amt ausgestattet die Tarnkappe des Privaten überziehen, um bei öffentlicher Rede nicht aufzufallen. Nein, ein Intendant ist ein Intendant. Umso ernster muss man die Worte Buhrows und das, was er als Reformbedarf ausmachte, nehmen. Das gilt umso mehr, als es ziemlich wenig mit dem zu tun hat, was dem aufmerksamen Zuschauer im täglichen Umgang mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auffällt, um nicht zu sagen aufstößt.

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ARD und ZDF zusammenlegen? Orchester, Chöre und Hörfunkwellen abschaffen?

Es war zum einen die Rede von einer Zusammenlegung der beiden großen Systeme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das suggeriert, es gebe vielleicht zu viel davon. Selbst wer einen gewissen Überdruss über die tägliche Programmgestaltung von ARD und ZDF verspürt, dem treibt die Vorstellung, zur täglichen Berieselung der privaten Rundfunkveranstalter gebe es nur noch eine einzige Alternative, eher den kalten Schweiß über den Rücken. Auf ein System (welches?) verzichten, ist keine Lösung. Denn es ist nicht zu leugnen: Immer noch tragen ARD und ZDF mit guten Sendungen im Fernsehen zur allgemeinen Bewusstseinsbildung, zur Aufklärung, zur Kultur in diesem Lande Wesentliches bei.

Das gilt natürlich ebenso für die Radioprogramme in ihrer ganzen regionalen Vielfalt und für die von den ARD-Anstalten getragenen Klangkörper. Auch sie sollen laut Buhrow ja auf den Prüfstand. Warum eigentlich? Machen die Orchester oder die Rundfunkchöre schlechte Musik? Keineswegs, sie gehören ausnahmslos zum Besten, was die Republik musikalisch zu bieten hat. Stören sie mit ihrer herausragenden Qualität das Image etwa des WDR? Das behauptet nicht einmal Tom Buhrow. Oder haben die fünf Hörfunkprogramme des WDR keine Zuhörer? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Findet jemand diese Programme dennoch so schlecht, dass sie eigentlich abgeschafft gehören? Da gibt es zwar den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag (z.B. in den Unterhaltungswellen mehr Inhalt, weniger belanglose Plauderei), aber abschaffen? Nein.

Ablenkung von unangenehmen Debatten oder zeigen wie schlimm es wird

Also was treibt den WDR-Intendanten um? Die Antwort ist einfach: Das Geld. Denn alle diese Vorschläge haben nur ein Ziel, das der Kostensenkung. Ob dieses Sparen Sinn macht, spielt keine Rolle. Und warum das Ganze? Weil es in diesem Lande Kräfte gibt, die sich tagtäglich an der Existenz der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten abarbeiten. Teils ist es Konkurrenzdenken, was sie umtreibt, teils Populismus mit Blick auf diejenigen, denen die aufklärerische Attitüde von ARD und ZDF nicht in den Kram passt und die gerne die Rundfunkgebühr als Zwangsgebühr bezeichnen. Solchen fragwürdigen, meist eher rechtslastigen Tendenzen muss niemand nachgeben. Sicher wollte das Tom Buhrow auch gar nicht. Vielleicht wollte er einfach nur ablenken von der unangenehmen Debatte über Massagesitze in Dienstwagen, Ausstattung von Büros oder den Bau millionenschwerer Funkhäuser. Oder es ging ihm darum, aufzuzeigen, wo das von bestimmten politischen Kreisen geforderte konsequente Einsparen endet: In einem erheblichen Verlust von öffentlich-rechtlichen Programm- und Kulturangeboten. Eine solche Absicht wäre wenigstens von gewisser Raffinesse, wenn auch ein Spiel mit dem Feuer.

Die wirklichen Themen?

Deshalb ist es besser, sich einigen tatsächlichen nicht zu leugnenden Problemen zuzuwenden. Das sind nicht, wie in der öffentlichen Debatte gerne behauptet wird, die Intendantengehälter oder die Pensionsregelungen. Die kann man sich zwar mal in Ruhe anschauen und prüfen, was besser zu machen wäre (z.B. Verzicht auf Boni für leitende Mitarbeiter). Die wirklichen Themen liegen im Programmbereich, in dem, was die Zuschauer und Zuhörer jeden Tag wahrnehmen können. Da gibt es einiges zu tun, will man mit der von Ingo Zamperoni allabendlich gewünschten Zuversicht in die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schauen. Die Lage ist komplex. Hier kann es nur um ein paar Fragen und Thesen gehen, die nicht mehr und nicht weniger als ein Anstoß zur weiteren Debatte sein sollen.

Und weiter: Fragen über Fragen

  1. Wieso spielen die Einschaltquoten nach wie vor so eine entscheidende Rolle? Es ist ja klar, keinem durch eine öffentliche Gebühr finanziertes Rundfunkinstitut kann es egal sein, wie viele Menschen etwas hören oder sehen. Dennoch darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk genauso wenig wie jedes öffentlich geförderte Theater oder Museum der vollständigen Nivellierung mancher Programminhalte anheimfallen, nur um möglichst viel Publikum zu erreichen und dann noch die Einschaltquote zum entscheidenden Maßstab des Erfolgs zu machen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat doch einen öffentlichen Auftrag: Bildung, Kultur, Information, ja auch Unterhaltung (bitte nicht unter einem gewissen Niveau). Was in diesem Sinne gut ist, hat oft nicht die beste Quote. Gerade deshalb gibt es die Rundfunkgebühr. Es soll gerade nicht der Markt die Richtschnur sein.
  2. Wie werden die Einschaltquoten überhaupt ermittelt? Klar, das Prinzip (ca. 5.000 Haushalte mit Messgeräten) ist bekannt. Aber wie repräsentativ sind die ausgewählten Personen? Wie sehr beeinflusst es sie, dass sie wissen, dass bei Ihnen die Einschaltquote gemessen wird? Wie oft wird der Personenkreis gewechselt? Sind bestimmte Vorlieben Kriterium für die Auswahl? Was sind überhaupt die Kriterien dafür und sind sie richtig?
  3. Braucht es eigentlich mehrere ganztägige Fernsehkanäle, die weitgehend auch nichts anderes als das Hauptprogramm bieten, teils sogar nur Wiederholungskanäle sind? Wohlgemerkt ich rede nicht von 3sat und Phoenix oder gar Arte. Ich rede vor allem von ZDF neo und ARD one oder tagesschau 24. Muss man nicht erst einmal neu definieren, was man mit dem Hauptprogramm vor allem am Abend will? Oft sehr teuren Fußball bis hin zu zweitrangigen Pokalspielen? Mehrstündige Quizshows? Ein Krimi nach dem anderen? Die ständige Quasselei in Talkshows mit fast immer den gleichen Gesprächspartnern? Talkformate, die vorrangig im Fokus der Werbestrategie von Agenturen stehen, um dort das neuste Buch einer Autorin, den neusten Film eines Regisseurs oder die anstehende Tournee eines Musikers oder einer Sängerin zu bewerben? Ständiges Hin- und Herschieben der Nachrichtensendungen, wie es insbesondere in der ARD mit den Tagesthemen geschieht, bis hin zum vollständigen Ausfall? Überzeugend ist das alles nicht.
  4. Wann wird endlich die Werbung abgeschafft? Nicht, dass ich im Prinzip etwas dagegen habe. Ich kann schon nachvollziehen, dass man das Geld, das mit der Werbung eingenommen wird, gut gebrauchen kann. Aber macht es einen modernen, fortschrittlichen Eindruck, wenn vor der Tagesschau vor allem mit Medikamenten etc. geworben wird? Und ist es ökologisch zeitgemäß, wenn die Werbung im Hörfunk mal wieder das Billigfleisch im Discounter anpreist? Das Image fördert so etwas nicht. Man sollte einfach die Rundfunkgebühr ein wenig erhöhen und die Werbung den Privaten überlassen. Dann lässt deren Kritik an der Rundfunkgebühr vielleicht nach.
  5. Müssen in manchen Radioprogrammen (wohlgemerkt nicht in den Kulturwellen) dauernd die gleichen Musiktitel gespielt werden? Das nur, um die Klangfarbe im Sinne der Erkennbarkeit sicherzustellen? Manchmal beschleicht Hörerinnen und Hörer der Eindruck, die eine oder andere Größe der Popmusik habe nur einen einzigen erfolgreichen Song kreiert. Merkt das niemand? Ist das egal? Oder unterliegt man bei der Gestaltung der Musikfarbe ebenfalls zu sehr dem Einfluss der Werbestrategie von Musikverlagen und Künstler-Agenten?
  6. Wieso fällt trotz all dieser Fragen manchem Intendanten vor allem ein, dass in der Kultur gespart werden muss? Neulich war wieder zu lesen, dass der Intendant des SWR der Auffassung sei, die einzelnen ARD-Anstalten würden sich in Zukunft kaum noch eine ganztägige Kulturwelle leisten können? Was kostet sie denn im Vergleich zu allem anderen? Wie sind solche Überlegungen mit dem Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (s.o.) zu vereinbaren? Wieso steht die Kultur bei den Intendanten und Intendantinnen immer ganz unten auf der Prioritätenliste? Solche Fragen werden einfach vorsichtshalber gar nicht erst beantwortet.
  7. Natürlich kann man überlegen, ob es der Föderalismus wirklich erfordert, dass wir mehrere ARD-Anstalten haben. In Großbritannien gibt es nur die eine BBC. Aber sollten wir nicht besser den Rundfunk-Föderalismus als ein hohes Gut verteidigen? Er stellt eine große, auch politische Vielfalt sicher. Er ist eine Art Bollwerk gegen den Zentralstaat, der zurecht nach den historischen Erfahrungen hierzulande stets von Skepsis begleitet wird. Alles, was in Berlin beim Bund geschieht, wird durch die regional angebundenen ARD-Anstalten unter dem Blickwinkel der unterschiedlichen Länder gespiegelt. Zudem sind die Anstalten Teil der Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Region, tragen in einer globalisierten Welt zu ihrem Heimatgefühl wesentlich bei. Man will doch als Bayer wissen, was so in Bayern los ist und interessiert sich nicht für Wuppertal, allenfalls wenn schon für das dortige immer noch weltberühmte Tanztheater oder die Schwebebahn. Und im Übrigen gibt es ja ohnehin für die bundesweite Hörfunkversorgung den unverzichtbaren Deutschlandfunk, vom ZDF beim Fernsehen mal ganz zu schweigen.

Am Schluss

Es könnte noch munter so weiter gehen, vielleicht aber ist das vorerst Gesprächsstoff genug. Um der Kritik vorzubeugen: Ja ich weiß, auch das hier ist ein selektiver Blick. Vielleicht reicht er jedoch ein wenig über die bisherige Debatte hinaus. Eines ist er jedenfalls nicht: Lobbyismus, den leider Tom Buhrow in seiner Rede allen, die sich für bestimmte Ziele einsetzen, leichtfertig unterstellt hat. Wer mehr Kultur, mehr sachliche Information, ein höheres Unterhaltungsniveau im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordert, ist nicht frei von lobbyistischen Interessen. Wer ist das schon? Aber er oder sie scheren sich vor allem um das gesellschaftliche Klima in diesem Lande, um die Debatten-Kultur und um das Bildungs- und Erkenntnisinteresse der Menschen. Und da können und müssen ARD und ZDF ihren spezifischen Beitrag leisten. Tun sie das nicht oder nicht ausreichend, riskieren sie ihre Existenzberechtigung. Das kann niemand wollen, der sich über die Zukunft hierzulande ein paar ernste Gedanken macht.

„Die Humanisierung der Organisation“ und was sie für Kultureinrichtungen bedeutet – eine Buchbesprechung

Es ließ die Kulturszene schon aufhorchen, als der Theaterkritiker der Süddeutschen Zeitung, Peter Laudenbach, zusammen mit dem Wirtschaftsethiker Kai Matthiesen und der Soziologin Judith Muster ein Buch mit dem Titel „Die Humanisierung der Organisation“ vorlegte. Denn kaum ein Titel hätte sich besser einfügen können in die allgemeine vor allem in Theatern und Orchestern geführte Debatte über Machtmissbrauch und Machtkontrolle, geht es doch in dieser Debatte vor allem um den Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor der sooft bemühten (eher eingeschränkten) Alleinherrschaft (einzelner) egomaner Intendanten und Intendantinnen. Bei genauem Hinsehen mögen jedoch manchem schon Zweifel am Nutzen des Buches gekommen sein, wenn es im Untertitel heißt: „Wie man dem Menschen gerecht wird, indem man den Großteil seines Wesens ignoriert“. Das liegt so gar nicht auf der Linie interner, oft sehr emotional geführten Auseinandersetzungen über die Struktur eines Kulturbetriebs. Umso mehr drängt es den interessierten Kulturbeobachter zu erfahren, was hinter der 250 Seiten starken Publikation steckt.

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Wer wissen will, was das Anliegen dieses Buches ist, liest am besten sein letztes Kapitel „(Kein)Ende“ (S. 245 ff). Es gehe nicht darum, so heißt es dort, dass die Organisation „in ihren Programmen und Strukturen auf die Menschen und ihre Bedürfnisse Rücksicht“ nehme. Humanisierung wird hier nicht „als Kompromiss zwischen Erfordernissen der Organisation und den … von außen an sie herangetragenen Wünschen nach Beachtung der Menschenwürde“ gesehen. Vielmehr liege die Humanisierung allein im „Effekt guten, über sich selbst aufgeklärten Organisierens“ (S. 248). Im übertragenen Sinne heißt das, je besser der Betrieb organisiert ist, umso mehr ist ein humaner Umgang des Betriebes mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sichergestellt.

Das ist eine kühne These, vor allem mit Blick auf einen Betrieb, der wie etwa das Theater von der Phantasie und den künstlerischen Impulsen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lebt, der zuweilen gerade aus einem gewissen Maß an Unorganisiertheit, aus seiner Spontanität und seinem Improvisationsgeist seine Inspiration erfährt. Und doch muss man sich schon dieser These stellen, um zu erfahren, was in einem Kulturbetrieb tatsächlich besser zu machen ist, um eben die Gefahr der oft beklagten Übergriffigkeit des Betriebes und einzelner Leitungspersonen einzudämmen.

Die Organisation und ihre Mitglieder

Laudenbach, Matthiesen und Muster gehen von der Annahme aus, der ganze Mensch gehe die Organisation, in der sie arbeiten, nichts an. Der Zugriff auf die ganze Person habe im normalen Arbeitsleben nichts verloren (S. 13). Insoweit sei die Annahme, „Kern und Kernproblem einer Organisation seien die Menschen, die in ihr arbeiten“ (S. 10) grundsätzlich falsch. Sie mache Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anfällig für die Personalisierung von Organisationsproblemen und anderen Grenzüberschreitungen“ (S. 10). „Statt den Menschen für den Quell allen Organisationsübels zu halten und entsprechend zu bearbeiten“, plädiere man für die „Konzentration auf die Organisation und ihre Struktur“ (S. 15). Man müsse zwischen Menschen und Organisationsmitgliedern unterscheiden (S. 28). „Management-Methoden, die darauf zielen, die Barrieren zwischen Mensch und Organisation einzureißen,“ seien „nichts anderes als Anleitungen zur Übergriffigkeit“ (S. 30). In Organisationen wie den Unternehmen der Kreativwirtschaft, lerne man schnell, die eingeforderte Authentizität zu simulieren und die entsprechende Selbstdarstellungs-Performance zu zeigen“ (S. 32). Man könne „das als Unehrlichkeit beklagen, aber die Selbstdarstellungs-Performance“ antworte „lediglich klug auf die Verhaltenszumutung der Organisation“ (S. 32/33).

Das, so muss man entgegenhalten, ist von der Realität eines Kulturbetriebes deutlich entfernt. Das Selbstverständnis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen etwa eines Theaters ist vielfach eine starke Identifikation mit den Zielen des Betriebes. Das ist sogar bei vielen Menschen der Grund für die Entscheidung, in einem künstlerischen Betrieb zu arbeiten. Vor allem Künstlerinnen und Künstler erwarten in einem Kulturbetrieb ein geringeres Maß an Entfremdung als in anderen Arbeitszusammenhängen. Ob sie damit immer richtig liegen, darf zwar bezweifelt werden. Doch praktisch zu postulieren, die Identifikation mit der Arbeit, das Herzblut und das Brennen für seine Tätigkeit herunterzufahren in die Rolle des Organisationsmitglieds mit „Selbstdarstellungs-Performance“ erscheint vielleicht ein wenig weltfremd, zumindest – im Interesse aller Beteiligten – vielleicht nicht unbedingt wünschenswert. Das gilt für den gesamten Berufsalltag, nicht nur in der Kreativwirtschaft. Will man in dieser Distanzhaltung zu seiner Arbeit wirklich sein ganzes Berufsleben überstehen? Und sucht man nicht nach Kooperationsbereitschaft, Solidarität und menschlichem Umgang im Büro, in der Werkstatt oder wo auch immer? 

Organisationsmängel und Personalisierung

Zurecht hingegen, wenden sich die Autorin und Autoren des Buches jedoch gegen die Personalisierung der Organisationsmängel (S. 35 ff). Es kann in der Tat nicht darum gehen, „Persönlichkeiten umzubauen, um Organisationsdefizite zu kompensieren“ (S. 40). Insofern ist es richtig, Coachings nicht zu überschätzen, ja sie sogar „als Machtinstrument“ zu sehen, das gezielt „sei es zur Belohnung, sei es als Sanktionsmaßnahme“, ja sogar als „Demütigungs-Ritual“ (S. 42) eingesetzt werde. 

Was dabei bis zu einem gewissen Grad ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass die Organisationsmitglieder eben Menschen mit ihren Stärken und Schwächen sind. Gelegentlich wird das eingeräumt, wenn auch, mit Verlaub, ein wenig im Schwarz-Weiß-Muster. So heißt es über die Vorgesetzten auf S. 64: „Der Grund für Verhaltensauffälligkeiten muss nicht zwangsläufig bei den jeweiligen Persönlichkeiten liegen. Ausnahmen sind Exzentriker und Irrläufer in Machtpositionen.“ Und auf S. 107/108: „Müssen Vorgesetzte ständig ihre Autorität und Verfügungsgewalt über die Untergebenen betonen, signalisiert das eine problematische Struktur (oder einen problematischen Charakter der oder des Vorgesetzten).“ Dass es unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, gerade im Theaterbetrieb, Exzentriker und Irrläufer gibt oder solche mit einem problematischen Charakter, scheint aus Sicht der Autorin und Autoren eher unwahrscheinlich zu sein und ist im Zweifelsfall offenkundig durch organisatorische Maßnahmen auszugleichen. Ganz so einfach dürfte es wohl nicht sein und die Verfasser des Buches wissen das. Denn nicht umsonst heißt es im Sinne der Durchsetzung von Organisationsanliegen, um nicht zu sagen Arbeitgeberinteressen auf S. 237: „Die Möglichkeit der Entlassung diszipliniert die Mitglieder.“ Da wird man sicher nicht nur an betriebsbedingte Kündigungen gedacht haben, sondern auch an die vielen Fälle der personenbedingten und vor allem verhaltensbedingten Kündigungen der Arbeitnehmer durch die Arbeitgeber, vom Nichtverlängerungsrecht im deutschen Stadttheater ganz zu schweigen (https://stadtpunkt-kultur.de/2020/12/wie-sozial-sind-der-befristete-arbeitsvertrag-und-das-nichtverlaengerungsrecht-im-deutschen-theater/).

Die Bedeutung der verbindlichen Regelung

„Weil die gegenseitige Bindung auf Zeit rein funktional ist, sind die formalen Mitgliedschaftsregeln das entscheidende Steuerungsinstrument, mit dem die Organisation ihre Verhaltenserwartungen gegenüber den Mitgliedern definiert. … Jede Organisation schreibt sich ihre eigene Verfassung.“ heißt es auf S. 91/92. Das genau ist der wesentliche Punkt, egal wie das Verhältnis der Organisation zu ihren Mitgliedern nun konkret ausgestaltet sein mag. Denn will man die Machtbefugnisse vor allem von Leitungspersonen einer gewissen Kontrolle unterziehen, bedarf es der genauen Regelung von Befugnissen, Entscheidungsfindung und Kommunikationsverpflichtungen. Statuten wie Satzungen, Geschäftsordnungen  sind dafür die geeigneten Mittel, ebenso Stellenbeschreibungen, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, auf die sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berufen können. Da gibt es in vielen Kulturbetrieben schon noch Nachholbedarf.

Ebenso entscheidend ist jedoch die Feststellung, dass formale Regeln Verhältnisse benötigen, in denen man diese Regeln einhalten kann (S. 104). Die besten Regeln nützen nichts, wenn der Betrieb etwa infolge von Überbeanspruchung oder Personalmangel überfordert ist. „Kluges Organisieren heißt, eine formale Ordnung zu schaffen, in der die richtigen Leute in Führung gehen können, und ihnen die dafür notwendigen Mittel geben“ (S. 188). Oder anders ausgedrückt: „Gegen marode Anlagen und unzumutbare Arbeitsbedingungen hilft kein Handbuch“ (S. 99). Genau an dieser Verfügbarkeit von „Mitteln“, besser Personal hapert es gerade in vielen Kulturbetrieben. Kürzungen von öffentlichen Zuwendungen in den letzten Jahrzehnten haben dazu ihren verhängnisvollen Beitrag geleistet. Erst in letzte Zeit nimmt im politischen Raum das Bewusstsein dafür und die damit gekoppelte Verbesserungsbereitschaft zu. Ob das angesichts der vorhandenen und bevorstehenden wirtschaftlichen Krisen und den daraus folgenden Verknappungen der öffentlichen Haushalte auch in Zukunft so sein wird, bleibt abzuwarten. Angesichts dessen wird sich die Frage nach der Produktionsintensität stellen, die etwa in den deutschen Stadt- und Staatstheatern sowie Landesbühnen erheblich ausgeweitet wurde. Dies erhöhte die Verteilungskämpfe und die daraus resultierenden Konflikte, „die unteren Ebenen der Hierarchie wurden in den organisierten Nahkampf gezwungen“ (S. 156). Das dauerhaft zu ignorieren, wird nicht helfen, im Zweifel muss die Angebotspallette im Verhältnis zu den verfügbaren Produktionsmitteln auf den Prüfstand. „Satt die aus dem Überangebot neuer Dienste erwachsenden Spannungen zu ignorieren,“ ist „eine Konsolidierung des zu breiten Angebots notwendig“ (S. 157).

Keine unorganisierte Kollektivleitung in Kulturbetrieben

Eine Absage erteilen die Verfasser von „Die Humanisierung der Organisation“, ohne das ernsthaft zu artikulieren, den verbreiteten Traumtänzereien der unorganisierten Kollektivleitung eines Kulturbetriebs nach dem Motto, wir sind und werden uns in allem einig (siehe dazu auch https://stadtpunkt-kultur.de/2022/09/ueber-kollektive-verantwortung-in-kultureinrichtungen/). Als Beispiel dient dem Buch ein von ein paar Freunden ins Leben gerufenes Start-up, aus dem am Ende schließlich im Erfolgsfall ein Unternehmen wird. Die Kennzeichen einer Start-up-Gründergruppe  werden beschrieben mit Begriffen wie „persönliche Nähe“, „diffuse Form der Mitgliedschaft“ sowie „Hierarchiefreiheit“ (S. 67). Das erinnert deutlich an jene oft beschworenen kollektiven Theaterleitungen „mit flachen Hierarchien“, wie es dann gerne heißt. Aber ein Theater ist (wie ein erfolgreiches Start-up-Unternehmen) eine Organisation, die eben doch Hierarchien, konkrete „ Zwecke, personenenunabhängige Verhaltenserwartungen, klar definierte Mitgliedschaftsbedingungen und Kommunikationskanäle“ (S. 67), also Statuten benötigt, soll die Organisation funktionieren (S. 69) und zwar möglichst konfliktfrei. Also bedürfen Formen der kollektiven Theaterleitungen klarer Strukturen. Je größer das Unternehmen nämlich ist, umso drängender werden die „Wünsche nach formalen Zuständigkeiten, geregelten Entscheidungsprozessen, und Kommunikationswegen“ (S. 70).

Auch die zunehmende Neigung, in Betrieben auf ungeregelte Interaktion zu setzen, also alles zu besprechen, wird realistisch als wenig hilfreich eingeschätzt. „Offene Workshop-Formate können zeitaufwendig sein, auch weil sie die ganze Last von Takt, Selbstdarstellungsbedürfnissen und elementaren Verhaltensweisen tragen“ (S. 198). „Für die Organisation … sind die Ergebnisse eines Workshops in ungeordneter Interaktion vor allem eines: unbrauchbar“ (S. 199). Umso wichtiger ist es, wie es etwa im Theatermodell Karlsruhe geschehen ist (https://stadtpunkt-kultur.de/2022/04/das-theatermodell-karlsruhe/), auf klare Gremienbefugnisse zu setzen und den Gremien über Entscheidungsstrukturen (Mehrheit) effektives Arbeiten zu ermöglichen. Denn „die Mitglieder in die bunte Welt der Handlungsfreiheit zu stoßen dient nicht der Humanisierung der Organisation, sondern der Durchsetzung des Zweckprogramms der Organisation zulasten der Personen. Ein gewisses Maß an Routineprogramm … ist notwendig, um der Gier der Organisation und ihrer Zweckprogramme Einhalt zu gebieten“ (S. 165).

Die Gefahr der Überregulierung

Die Autorin und Autoren warnen zugleich vor jeder Form der Überregulierung (S. 111 ff.). Eine vollkommene Absicherung von Entscheidungsprozessen kann zur vollständigen Blockade führen, die Regeleinhaltung wird zum Selbstzweck. Es dürfe nicht zu einer Überbordenden Bürokratisierung mit lähmenden Folgen kommen (S. 116). Compliance-Abteilungen müssten damit umzugehen verstehen, dass es Regelverletzungen gibt, ohne solche Verletzungen benötige ein Unternehmen keine Compliance-Abteilung. Es gebe sogar eine Art „brauchbare Illegalität“, um die Organisation funktionsfähig zu halten (S. 119 ff.). „Im Alltag sind es die Mitglieder der Organisation, die das Regelwerk brauchbar halten – am besten so, dass die Funktionsfähigkeit der Organisation so wenig Schaden nimmt wie die Würde ihrer Mitglieder“ (S. 118). 

Mit diesen Feststellungen sind alle die zur Raison zu rufen, die aus unterschiedlichen Gründen zu einer Durchregulierung der Betriebe neigen. Das sind zum einen die öffentlichen Träger, also die Städte und Länder, die mit überbordenden Vorschriften tief in die Kulturbetriebe hineinregeln (z.B.: https://stadtpunkt-kultur.de/2022/02/vergaberecht-und-kunst-ueber-die-unterschwelle-im-kulturbetrieb/). Das sind zum anderen auch Vertreter des Personals (Personal- und Betriebsräte) bzw. die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die glauben, Machtmissbrauch sei am besten dadurch auszuschließen, das alles und nichts geregelt ist. Das aber lähmt den künstlerischen Betrieb. Vielmehr geht es darum, alle Regelungen so auszubalancieren, dass zwischen dem notwendigen künstlerischen Spielraum einerseits und dem sozialen Schutz andererseits ein Ausgleich gefunden wird. Denn „es ist darauf zu achten, dass Motivation nicht durch Missbrauch ausgelaugt wird“ (S. 49).

Fazit

Es zeigt sich, dass „Die Humanisierung der Organisation“ durchaus Ansätze liefert, die für die augenblickliche Diskussion über die Strukturen von Kulturbetrieben nutzbar gemacht werden können. Problematisch ist jedoch vor allem für Betriebe, die stark auf die Motivation, das Engagement und die Kreativität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sind, die Trennung zwischen dem Menschen als Ganzes und seiner Rolle als Organisationsmitglied. Leider wurde das Kapitel  über die Organisation des Theaters (S. 201 ff.) nicht dazu genutzt, die Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus dem Wirtschaftsleben auf Kulturbetriebe zu prüfen. Vielmehr wird über das Verhältnis zwischen der Rolle von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in jeglichem Betrieb einerseits zur Bühnenrolle von darstellenden Künstlerinnen und Künstler andererseits – durchaus interessant – räsoniert. Der auch daraus abgeleitete, im ganzen Buch verwendete Begriff des „Theaters der Organisation“ überzeugt allerdings kaum, ist mindestens zu überspitzt. Denn es bleibt aus meiner Sicht ein Umstand, der nicht zu unterschätzen ist: Der Beruf ist mehr als das professionelle Spielen einer Rolle. 

(siehe zum gleichen Thema: https://stadtpunkt-kultur.de/2020/02/soziale-kompetenz-statt-neuer-theater-strukturdebatte/ sowie https://stadtpunkt-kultur.de/2020/07/ueber-die-macht-im-theater-und-anderswo/)

Musik im Schauspiel, im modernen Tanztheater und die Rolle der GEMA

Wer im Schauspiel nur gesprochenen Text erwartet, war lange nicht mehr im Theater. Wurde Musik bei Aufführungen des Sprechtheaters früher vor allem zur Überbrückung zuweilen auch langwieriger Umbaupausen eingesetzt, muss das Publikum heute zunehmend damit rechnen, dass ihm Klangwelten auf sehr unterschiedliche Weise entgegentreten. Das macht zuweilen Sinn, zuweilen auch nicht. Hat sich der Regisseur oder die Produzentin eines Schauspielabends in den Kopf gesetzt, dass es ohne Musik, warum auch immer, nicht geht, tauchen jedenfalls am juristischen Horizont ein paar Fragen auf, die neulich wieder einmal den Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt haben. Und dabei sind einige Feststellungen getroffen worden, die von großem Interesse sind (Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 107/21 -). Anhand dieser soll hier ein vereinfachter aber pragmatischer Versuch unternommen werden, den Theatern den juristischen Umgang mit Musik im Schauspiel (und im zeitgenössischen Tanztheater) etwas zu erleichtern.

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Großes und Kleines Recht

Ausgangspunkt der Entscheidung des BGH war eine mit dem Staatsschauspiel Dresden koproduzierte Aufführung des Schauspielhauses Düsseldorf („Der Idiot“). Für die war eigens Musik komponiert worden. In dem zwischen dem Düsseldorfer Schauspielhaus und dem Komponisten des Werks geführten Rechtsstreit geht es darum, ob die Rechte an der Musik von der GEMA eingeräumt werden konnten oder nur von ihm, dem Komponisten persönlich. Die GEMA wäre am Zuge, wenn es sich um sogenanntes Kleines Recht, der Komponist, wenn es sich um sogenanntes Großes Recht handeln würde. Vom Großen Recht spricht man im Urheberrecht bei bühnenmäßigen, also durch darstellende Künstlerinnen und Künstler gestaltete  Aufführungen, vom Kleinen Recht bei rein musikalisch, also instrumental oder gesanglich, in Aufführungen dargebotener Musik; für Letzteres ist das beste Beispiel die Darbietung jeglicher Konzertmusik. Beide Begriffe (Kleines und Großes Recht) tauchen jedoch im Urheberrechtsgesetze (UrhG) nicht auf, was den Umgang mit ihnen nicht gerade erleichtert.

Denn so eindeutig, wie sich die juristische Abgrenzung darstellt, ist das praktische Leben im Theater eben nicht. Das gilt vor allem für das stets nach innovativen Formen strebende Schauspiel. Versucht man, die immer neuen künstlerischen Einfälle in das oben beschriebene Schema einzuordnen und bemüht dazu die herrschende Rechtsprechung, dann entpuppt sich als maßgebendes Merkmal der Unterscheidung zwischen Großem und Kleinem Recht die Frage, inwieweit die Musik integrierender (nicht integrierter), organischer Bestandteil des Bühnengeschehens ist. Zwischen Musik und Spielgeschehen muss ein engerer innerer Zusammenhang bestehen, um davon ausgehen zu können, dass es sich bei der Verwendung von Musik um die Nutzung des Großen Rechts handelt. 

Die Abgrenzungskriterien

Wann nun die Musik in einer Schauspielaufführung diese Voraussetzungen erfüllt, lässt sich nur an Hand einiger Abgrenzungskriterien feststellen. Dazu hat das oben genannte BGH-Urteil nun einiges an Klarstellung beigetragen:

  1. Die Tatsache, dass das bewegte Spiel auf der Bühne von Musik begleitet wird, reicht alleine nicht aus, um Großes Recht anzuwenden. Ein enger innerer Zusammenhang zwischen Text und Musik besteht, so der BGH unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung, wenn beispielsweise „einzelne Lieder, die zu einem Spielgeschehen vorgetragen werden, aufgrund ihres Textes aus der jeweiligen Situation der Bühnenhandlung zu begreifen sind und die gesprochenen Dialoge in gesungener Form fortsetzen“. Die Musik, müsse „der Fortsetzung der dramatischen Handlung des Bühnenstücks“ dienen. Das knüpft einerseits an die hergebrachte Form des dramatischen Textes an und ist in neuen, eher performativ ausgerichteten Produktionen kaum verwertbar. Es zeigt aber andererseits, wie hoch die Anforderungen des BGH an die Annahme des Großen Rechtes sind. In der Quintessenz bedeutet das: Je mehr sich eine Aufführung von der typischen dramatischen Form eines Textes entfernt, desto weniger ist die Annahme des Großen Rechts bei der Einspielung begleitender Musik wahrscheinlich.
  2. Ebenso ist es kein Kriterium für das Große Recht, dass die Musik ausschließlich für die Inszenierung des Bühnenstücks geschrieben worden ist. Das gilt selbst dann, wenn die komponierte Musik auf die spezielle Inszenierung abgestimmt wurde. Solange sie Untermalung des Spielgeschehens bleibe, komme das Kleine Recht zur Anwendung. Gibt die Musik also bestimmte auf der Bühne dargestellte Stimmungen wieder, unterstützt diese oder trägt sogar wesentlich zu ihrem Entstehen bei, führt das nicht dazu, dass sie Teil des Spielgeschehens wird. Betet also ein Schauspieler auf der Bühne in einer Kathedrale und ergibt sich seine innere Stimmung aus einer dabei laufenden eigens für die Inszenierung komponierte Bühnenkirchenmusik, bleibt es hinsichtlich der Musik bei der Nutzung des Kleinen Rechts. Erst wenn der Schauspieler selbst einen Text zu dieser Musik singt, der auf die Handlung des Stückes Bezug nimmt, kommt der Sprung vom Kleinen ins Große Recht in Betracht.
  3. Der BGH weist last but not least darauf hin, auch die Tatsache, dass die Musik nicht allein, also ohne schauspielerische Darstellung verwendbar sei, könne ebenfalls als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung zwischen Großem und Kleinem Recht nicht herhalten. Denn in beiden Fällen kann diese Verwendbarkeit vorliegen oder nicht. Selbstverständlich ist die „Moritat von Mackie Messer“ („Und der Haifisch…“) eigenständig verwendbar und dennoch als Teil eines Bühnenwerks („Die Dreigroschenoper“) Großes Recht, ein Popsong aber, der zur Begleitung einer Szene eingesetzt wird, bleibt Kleines Recht, solange er eben nicht ernsthaft Teil des Spielgeschehen wird, ist aber ebenfalls eigenständig zu verwenden.

Auch angesichts dieser bemerkenswerten Klarstellungen bleibt die Abgrenzung zwischen Großem und Kleinem Recht schwierig. Dies gilt umso mehr, als der BGH das zulasten des Schauspielhauses Düsseldorf gehende Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) aufgehoben, aber zugleich den Rechtstreit an das OLG zurückverwiesen hat. Dort soll der Einsatz der Bühnenmusik in der Produktion „Der Idiot“ noch einmal unter Beachtung der vom BGH gesetzten Kriterien einer Prüfung unterzogen werden. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

Wie immer das ausgehen mag, die Frage bleibt, wie das Theater in Zweifelsfällen am besten vorgeht. Solange nicht sicher ein Fall des Großen Rechts vorliegt, also Kleines Recht in Betracht kommt, sollte die im Schauspiel eingesetzte Musik bei der GEMA angemeldet werden. Wird sie von dort lizensiert, kann aufgeführt werden, solange sich kein Komponist, Textautor oder Verlag mit entgegengesetzten Rechtsstandpunkten meldet. Ohne Risiken ist das natürlich nicht. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann nur jeden Einzelfall mit den beteiligten Urhebern bzw. deren Verlagen klären.

Die Compilation-Show und Revue 

Diese Vorgehensweise entspricht der Praxis, die die GEMA selbst bei ihrem Tarif U-Büh anwendet. Der Tarif U-Büh gilt unter anderem für Revuen und Compilation-Shows, in denen vorbestehende Werke Kleinen Rechts, also Werke, die nicht kompositorischer Bestandteil von Bühnenstücken sind und die also nicht ausdrücklich für die Produktion komponiert sind, wiedergegeben werden. Dazu gehören u.a. bereits existierende Schlager, Chansons oder Popsong. Auch bei solchen Veranstaltungen empfiehlt die GEMA, alle Musikstücke bei ihr rechtzeitig (möglichst drei Monate vor der ersten Aufführung) anzumelden, damit sie klären kann, wie hinsichtlich der Rechte verfahren werden muss, ob sie diese als Kleines Recht selbst einräumen kann oder z.B. ein Verlag wegen Großem Recht angefragt werden muss. 

Die interessante Frage ist nun, ob das neue Urteil des Bundesgerichtshofs Einfluss auf die Interpretation des U-Büh hat. Denn auch er ist in seiner ersten, teureren Alternative anzuwenden, wenn etwa in einer Compilation-Show mit Handlungsstrang vorbestehende Werke Kleinen Rechts im obigen Sinn wiedergegeben werden, die zwar integrierender Bestandteil des Bühnenwerks und somit nicht austauschbar sind, jedoch nicht in einem inneren dramaturgischen Zusammenhang zur Bühnenaufführung insgesamt stehen. Im Grunde lässt sich sagen, dass diese Erweiterung des Begriffs „integrierender Bestandteil“ der aufgeführten Compilation-Show mit Handlungsstrang auf den geforderten dramaturgischen Zusammenhang der Linie der neuen BGH-Entscheidung entspricht. Denn auch der BGH fordert, wie oben bereits ausgeführt, dass die Musik „der Fortsetzung der dramatischen Handlung des Bühnenstücks“ dienen muss. Ist das nicht der Fall, fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die Annahme des Großen Rechts in den Fällen, die dem Ausgangsfall der obigen BGH-Entscheidung entsprechen, wie für die Geltung der ersten Alternative des GEMA-Tarifs U-Büh. Zur Anwendung kommt dann beim U-Büh die finanziell deutlich günstigere zweite Alternative des Tarifs. Für manche ausschließlich performative Formen des Schauspiels ohne Handlungsstrang gilt das konsequenterweise nahezu uneingeschränkt.

Zu ergänzen ist, dass der U-Büh keine Anwendung findet auf vorbestehende Werke, die Bestandteile eines Bühnenwerkes sind (siehe oben die „Moritat von Mackie Messer“) und ebenfalls nicht, wie im U-Büh ausdrücklich klargestellt wird, auf vorbestehende „Konzertwerke ernster Musik“. Beim Einsatz solcher Werke z.B. in Compilation-Shows ist ausschließlich nach der Unterscheidung Großes oder Kleines Recht, wie sie in der BGH-Entscheidung vorgenommen wurde, zu verfahren.  

Und das moderne Tanztheater?

Ausdrücklich gilt der U-Büh auch für Aufführungen des modernen, also zeitgenössischen Tanztheaters, in denen oft auf bestehende Werke kleinen Rechts (s.o.) zurückgegriffen wird. Und ebenso stellen sich im zeitgenössischen Tanztheater die Fragen, mit denen sich der BGH in seiner oben besprochenen Entscheidung befasst hat. Im Tanztheater ist es aber nur außerordentlich schwer auszumachen, wann die Musik nur Untermalung der tänzerischen Darstellung ist, wann sie hingegen als integrierender Bestandteil der tänzerischen Performance gewertet werden muss. Letztlich ist hier allein auf die Frage abzustellen, ob der zeitgenössische Tanzabend eine erzählerische Handlung hat. Nur dann wird man vom Großen Recht oder beim U-Büh von der ersten Alternative des Tarifs ausgehen können. In allen anderen Fällen des Tanztheaters geht es um Kleines Rechts bzw. um die zweite Alternative des U-Büh-Tarifs.

Das Urheberpersönlichkeitsrecht

Bisher befasst sich dieser Beitrag nur mit dem Weg der Einräumung von Nutzungsrechten am Aufführungsrecht nach § 19 Abs 2 UrhG. Dabei bleibt die Frage, ob die Art der Nutzung das dem Urheber zustehende Urheberpersönlichkeitsrecht des § 14 UrhG verletzt, völlig außen vor. Diese Vorschrift schützt den Urheber vor einer Entstellung seines Werkes. Eine solche Entstellung kann beispielsweise darin liegen, dass das von der GEMA im Rahmen des Kleinen Rechts oder nach U-Büh ordnungsgemäß erworbene Recht für eine Aufführung in einem Zusammenhang genutzt wird, der im konträren Verhältnis zum Inhalt bzw. zur Intention etwa eines Pop-Songs oder Chansons steht. Gerade das Abspielen solcher vorbestehender Musikwerke etwa als Begleitung der Darstellung kriegerischer (in einem Video) oder auch persönlicher Gewaltanwendung auf der Bühne muss hier stets einer besonderen Prüfung durch das Theater unterzogen werden, da die GEMA bei der Einräumung der Nutzungsrechte keine entsprechende Prüfung vornimmt. Es kann also passieren, dass das Nutzungsrecht ordnungsgemäß von der GEMA erworben wurde, der Komponist und/oder die Textautorin des Musikwerks sich aber durch das Abspielen in einem konkreten Zusammenhang des Bühnengeschehens in ihren Urheberpersönlichkeitsrechten verletzt sehen und dagegen juristisch erfolgreich vorgehen (siehe auch: https://stadtpunkt-kultur.de/2018/05/koelner-band-die-hoehner-setzt-gegenueber-der-npd-ihr-urheberpersoenlichkeitsrecht-durch-ein-beschluss-des-bundesgerichtshofs/

Das Ergebnis

Die BGH-Entscheidung vom 7. April hat einiges an Klarheit gebracht. Dennoch bleibt auch in dieser Frage das Urheberrecht immer noch weit von der aus meiner Sicht notwendigen Idealausgestaltung entfernt: Erleichterung jeglicher Nutzung von Rechten bei garantierter Bezahlung der Rechteinhaber. Solange es zu solch einem radikalen Wandel des Urheberrechts nicht kommt, ist der Einsatz von Musik im Schauspiel und im zeitgenössischen Tanztheater nach wie vor ein vermintes Feld und bedarf stets einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung durch das aufführende Theater. Vor allem, wenn die Rechtefrage mit höheren Risiken verbunden ist oder die Nutzungsrechte im Einzelfall gar nicht geklärt werden können, sollten Aufführungen möglichst so geplant werden, dass einzelne Musiktitel auch aus der Aufführung entfernt werden können, wenn sich die rechtlichen Risiken realisieren und durch einvernehmliche Regelungen mit dem Verlag oder den Urhebern /innen selbst nicht gelöst werden können.