Ein Koalitionsvertrag ist kein Gesetz.
Was ist nun ein Koalitionsvertrag? Ein Koalitionsvertrag ist ein Koalitionsvertrag, nicht mehr und nicht weniger. In ihm legen die Vertragspartner fest, von welchen Überlegungen sie sich in der kommenden Legislaturperiode leiten lassen wollen, was sie in dieser Zeit vorhaben. Der Vertrag selbst ist noch kein Gesetz. Er ist interpretationsbedürftig, das haben Verträge so an sich, zumal wenn sie auf Kompromissen beruhen. Generationen von Juristen wären unterbeschäftigt, wenn es anders wäre. Deshalb ist es Aufgabe der Gesellschaft, der Kulturvereine und -verbände, die im Koalitionsvertrag geäußerten Absichten durch konkrete Vorschläge mit Leben zu füllen, die die Koalitionäre dann gerne umsetzen können. Das jedenfalls ist weit effektiver als den zu unkonkreten Wortlaut der Vereinbarung zu kritisieren. Und gute Absichten enthält der Koalitionsvertrag, auch im Bereich von Kunst und Kultur, in Hülle und Fülle.
Kommunalfinanzen und Vergaberecht
Wer also über die kulturpolitisch relevanten Inhalte Genaueres wissen will, tut gut daran, zunächst an anderer Stelle als im Kapitel „Kultur und Medien“ nachzulesen. So wird im kommunalpolitischen Teil des Papiers nicht nur konstatiert, dass es „eine grundsätzliche und systematische Verbesserung der Kommunalfinanzen“ braucht, sondern auch der Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt“ unmissverständlich postuliert. Das lässt auf eine Entschuldung der klammen Kommunen ebenso hoffen wie auf eine Bundesfinanzierung von Aufgaben, die der Bund immer wieder gerne der kommunalen Selbstverwaltung überträgt. Für die Kultur ist das von zentraler Bedeutung. Denn nach wie vor tragen die Kommunen den größten Teil der Kulturfinanzierung. Je knapper dort die Kassen sind, desto größer ist das Risiko, dass in die kommunalen Kulturhaushalte hineingeschnitten wird.
Anlass zur Hoffnung geben auch die Zeilen 2059 bis 2067 des Koalitionsvertrages. Dort schreibt sich die neue Regierung die Vereinfachung des Vergaberechts auf die Koalitionsfahnen. Auch der „sektoralen Befreiungsmöglichkeiten“ vom Vergabemoloch wird das Wort geredet. Und wenn in Zeile 3826, also nun im Kapitel „Kultur und Medien“, von der Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts die Rede ist, dann könnte man damit gleich dadurch beginnen, dass man den Kulturbereich vor allem für die Unterschwelle (vgl. https://stadtpunkt-kultur.de/2022/02/vergaberecht-und-kunst-ueber-die-unterschwelle-im-kulturbetrieb/) weitgehend vom bürokratischen Irrsinn des Vergabeverfahrens befreit. Hier könnte die Bundesförderung etwa der Bundeskulturstiftung mit gutem Beispiel voran gehen. Oder man schreibt in den vom Bund erarbeiteten Text der Unterschwellenvergabeordnung, der von den Ländern meist einfach übernommen wurde, einen Paragrafen hinein, der den Kulturbetrieben bei Vergaben mit Bezug zum künstlerischen Betrieb eine Direktvergabe grundsätzlich zulässt. Ein Aufatmen ginge durch die Branche.
Kultur konkret
Doch nun zum kulturellen Kern des Kapitels „Kultur und Medien“. Wer dort nach konkreten Inhalten sucht, kann sie haben. Hier einige Beispiele:
- Kunstfreiheit verlangt, dass für Kunst keine inhaltlichen Vorgaben des Staates gelten dürfen.“ Das ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr, wenn man in die Programme mancher Rechtspopulisten in Deutschland, Europa und anderswo schaut.
- „Wir fördern keine Projekte und Vorhaben, die antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Ziele verfolgen.“, ein Satz, der wohl überlegt ist, stellt er doch bei der öffentlichen Präsentation eines Kunstwerkes nicht auf das Kunstwerk selbst, sondern das Motiv dieser Präsentation ab (s. auch https://stadtpunkt-kultur.de/2024/01/antidiskriminierungsklausel-und-code-of-conduct-ueber-die-grenzen-der-kunstfreiheit/).
- „Wir brauchen auch in Zukunft ein starkes Creative Europe Programm.“
- „Die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bringen wir zu einem erfolgreichen Abschluss.“
- „Wir … berücksichtigen bei der Bundesförderung Mindestgagen und Honoraruntergrenzen.“ Auch das ist ein wichtiges Bekenntnis, das aber nicht dazu führen darf, dass Projekte, die sich Honorare jenseits dieser Untergrenzen nicht leisten können, nicht mehr gefördert werden (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2024/07/ueber-mindesthonorare-in-der-kunst/).
- „Wir stabilisieren die Finanzierung der Kulturstiftung des Bundes und aller acht Bundeskulturfonds.“
- „Wir setzen das Programm „Kultur macht stark“ fort.“
- „Öffentlichen Bibliotheken ermöglichen wir die Sonntagsöffnung.“
- „Wir werden das Denkmalschutzsonderprogramm fortführen. Die vorbereitete Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes setzen wir zeitnah um.“
- „Wir werden die Provenienzforschung intensivieren, die Schiedsgerichtsbarkeit einführen und ein wirksames Restitutionsgesetz schaffen.“
Die Liste ließe sich fortsetzen, auch mit Vorhaben, die noch der Konkretisierung bedürfen. Dazu gehört etwa die Ankündigung, die Filmförderung zeitnah durch „steuerliche Anreizsysteme sowie eine Investitionsverpflichtung“ zu verbessern. Dazu gehört aber vor allem der Plan, „die soziale Absicherung von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen innerhalb und außerhalb der Leistungen der Künstlersozialkasse (zu) stärken und unbürokratischer auf die besonderen Arbeits- und Lebensbedingungen in der Kunstbranche ab(zu)stimmen“. Jeder, der sich auch nur ein wenig mit den sozialen Problemen der Kulturbranche befasst hat, weiß dass es dabei vor allem um das Thema Arbeitslosenversicherung für Künstlerinnen und Künstler geht (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2025/02/die-arbeitslosenversicherung-fuer-selbststaendige-kuenstler-illusion-oder-reale-option/). Und Anlass zur Hoffnung gibt auch der im Kapitel Urheberrecht zu findende Satz: „Urheber müssen für die Nutzung ihrer bei der Entwicklung generativer KI notwendigerweise verwendeten Werke angemessen vergütet werden.“ Zu ergänzen ist da jedoch der Hinweis, dass es beim Thema KI nicht nur ums Urheberrecht, sondern auch um die Persönlichkeitsrechte geht – nicht zuletzt von Künstlerinnen und Künstlern ( s. https://stadtpunkt-kultur.de/2024/04/die-menschliche-stimme-ki-und-das-persoenlichkeitsrecht/ sowie https://stadtpunkt-kultur.de/2023/04/ist-kuenstliche-intelligenz-das-ende-des-urheberrechts-oder-was-man-dagegen-tun-muss/) .
Auch, was sich die neue Bundesregierung zum Thema „Medien“ vorgenommen hat, kann sich sehen lassen, sowohl was die Bekämpfung von fake news als auch den angekündigten „intensiven Diskurs über Medien“ oder die Sicherung der Meinungsvielfalt angeht. An Arbeit wird es also dem neuen Kulturstaatsminister nicht mangeln. Unterstützen wir ihn dabei. Der Kultur und der Freiheit der Kunst sowie der Meinungsvielfalt wird das mehr dienen, als dass wir uns unnötig an seiner Person abzuarbeiten.