Weniger öffentliches Geld für Kunst uns Kultur? Ein Blick auf alt bekannte Vorschläge in neuen Gewändern

Der Berliner Kulturetat soll um 130 Millionen Euro gekürzt werden, und zwar nicht erst in drei Jahren, sondern bereits 2025. Auch andernorts sind erhebliche Kürzungen der öffentlichen Kulturförderung geplant, etwa im Haushalt der Stadt Köln. Werden diese Pläne Realität, sind die Auswirkungen erheblich. Bisweilen entsteht der Eindruck, dass die Kultureinrichtungen hierzulande zum ersten Mal mit dem massiven Rotstift konfrontiert werden. Denn in den vergangenen Jahren haben sich Kommunen, Länder und der Bund eher großzügig gezeigt, wenn es um die Finanzierung der Künste ging. Doch für diejenigen, die schon länger dabei sind, ist das aktuelle Szenario nicht mehr als ein in neuen Kleidern daherkommendes Déjà-vu. Umso wichtiger ist es, genauer hinzuschauen, was erneut auf die Tagesordnung der Debatte um die öffentliche Kulturförderung gesetzt wird.

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Immer die gleichen Vorwürfe, immer die gleichen Ideen

Als gelte es, das Rad neu zu erfinden, wird ein neues Denken gefordert. Von mehr ökonomischem Sachverstand ist die Rede. Den Beweis, dass dieser fehlt, bleiben die Protagonisten der Debatte wie beispielsweise der Berliner Kultursenator schuldig. Die bloße Behauptung muss für den Versuch genügen, die Leitungen von Theatern und Orchestern, Museen und anderen Kultureinrichtungen in ein schlechtes Licht zu rücken. Selbst wenn man der Unterstellung folgen wollte, sei der Hinweis erlaubt, dass niemand anderes als die öffentliche Verwaltung selbst für die Auswahl des kulturellen Spitzenpersonals zuständig ist. Wurden hier etwa Fehler gemacht?

Wieder einmal setzt sich Berlin an die Spitze der Bewegung. Das war schon bei den damaligen Kürzungen der öffentlichen Kulturetats so. Nachdem der seinerzeitige Berliner Kultursenator Roloff-Momin 1993 das Schillertheater geschlossen hatte und die Befreiung der Theater von angeblichen Tarifzwängen forderte, gab es vor allem in den neuen Bundesländern kein Halten mehr. Unter dem Oberbegriff „Strukturveränderungen“ und flankiert von dem schillernden Begriff des „Weimarer Modells“ wurden Orchester abgewickelt, Personal abgebaut und Vergütungen gekürzt. Hinzu kam eine Flexibilisierung der Tarifverträge, vor allem im Bereich des Normalvertrages (NV) Bühne, der für das künstlerische Personal gilt, und die damit verbundene Arbeitsverdichtung. Umso mehr ist Skepsis angebracht, wenn heute wieder nach Strukturveränderungen gerufen wird, zumal sich niemand in der Lage sieht, genau zu beschreiben, was damit gemeint ist.

Ensemble und Repertoire und die Lage der Beschäftigten

Das war in den 1990er Jahren nicht anders. Am Ende stand die Frage, ob Ensemble und Repertoire nicht zu teuer seien und deshalb zugunsten eines En-Suite-Systems abgeschafft werden sollten. Der Bühnenverein und andere haben damals alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu zeigen, dass das deutsche Ensemble- und Repertoiretheater nicht nur eine außergewöhnliche künstlerische Vielfalt und ein hohes Maß an künstlerischen Experimenten erlaubt. Sondern die bestehende Struktur ermöglicht auch einen hohen und damit effizienten Ressourceneinsatz sowie die Sicherung bestimmter sozialer Ansprüche für die künstlerisch Tätigen. Denn im Ensemble- und Repertoirebetrieb wird kontinuierlich über die gesamte Spielzeit gespielt. Das vermeidet längere Leerstände der Häuser ebenso wie es die kontinuierliche Beschäftigung von Schauspielerinnen und Sängern, Tänzern und Dramaturginnen und vielen anderen über die gesamte Spielzeit oder gar mehrere Jahre zulässt. Im international weit verbreiteten En-Suite-System hingegen, bei dem eine Produktion nur für kurze Zeit fast täglich auf dem Spielplan steht, werden die Künstlerinnen und Künstler nur für diese eine Produktion engagiert, um nach ihrer Aufführung innerhalb weniger Wochen wieder auf den Arbeitsmarkt entlassen zu werden. Von einer längerfristigen Beschäftigung kann keine Rede sein. Diese Praxis geht einher mit einer hohen Anzahl von Schließtagen, an denen die Bühne leer steht.

Gerade wegen der sozialen Aspekte hat sich in den letzten Jahren, angestoßen etwa durch die Aktivitäten des Ensemble-Netzwerks, auf Seiten der Politik eine große Bereitschaft gezeigt, die sozialen Bedingungen für die künstlerisch Beschäftigten an den Theatern sogar weiter zu verbessern. Tarifgagen wurden zum Teil überdurchschnittlich erhöht, in der freien Szene wurden Mindestgagen zum Gegenstand öffentlicher Förderung, die Befristung von Arbeitsverträgen mit Künstlerinnen und Künstlern steht auf dem Prüfstand. Das ist verständlich und nachvollziehbar. Aber wer A sagt, muss bekanntlich auch B sagen. Wenn man politisch gegenüber Künstlerinnen und Künstlern seine soziale Ader entdeckt, dann muss man das bezahlen. Die vielerorts diskutierten Kürzungen öffentlicher Mittel stehen dazu in krassem Widerspruch und entlarven das soziale Gewissen manch eines kulturpolitischen Protagonisten als hohles Gerede.

Umso zynischer ist es, die Probleme etwa von VW und Ford und die damit möglicherweise verbundenen Kürzungen der Mitarbeitergehälter oder gar Entlassungen als Begründung für die Kürzungen der öffentlichen Mittel heranzuziehen. Auch hier soll suggeriert werden, die Leitungen der Kulturbetriebe hätten ihre Geschäftspolitik ähnlich verbockt wie das Management der Autokonzerne. Zudem sei der Hinweis erlaubt, dass es bei der öffentlich geförderten Kultur um Gesellschaftspolitik, Bildung, Literatur und Kunst geht. Schon deshalb ist der Vergleich mit der privatwirtschaftlich organisierten Autoindustrie mehr als abenteuerlich.

Sponsoring, Spenden und Kreditfinanzierung

Da aber die Privatwirtschaft mit ihren Milliardengewinnen so verlockend für die Finanzierung von Kunst und Kultur ist, werden wieder einmal Sponsoring und Spenden als neue Finanzierungsquellen ins Spiel gebracht. Nach der jüngsten Theaterstatistik des Bühnenvereins belaufen sich die privaten Zuwendungen an die deutschen Stadt- und Staatstheater und ihre Orchester auf insgesamt rund 35 Millionen Euro. Das ist etwas mehr als ein Prozent der öffentlichen Förderung und etwa ein Viertel des Betrages, den Berlin allein dem Kulturhaushalt als Kürzung zumuten will. Selbst wenn es gelänge, den Betrag bundesweit zu verdoppeln, stünden die Berliner Kultureinrichtungen immer noch stark im Regen.

Auch die Gepflogenheiten des Sponsorings scheinen denjenigen, die es nun als Ersatzfinanzierung fordern, nicht geläufig zu sein. Sponsoren, die bereit sind, Geld zur Verfügung zu stellen, tun dies vor allem, um künstlerische Projekte mit einer gewissen Strahlkraft zu fördern, die ohne Sponsorengelder nicht zustande kämen. Wenn bei Sponsoren der Verdacht aufkommt, dass es nur darum geht, fehlende öffentliche Mittel aufzufangen, kann man sich das Betteln erfahrungsgemäß gleich sparen. Dann nämlich dienen die Sponsorengelder und Spenden nicht der Kunstförderung, sondern der Entlastung der öffentlichen Kassen; dieser Umstand ist als Motiv für Kultursponsoring oder Spenden in der Wirtschaft mehr als unbeliebt. Das im Übrigen führt erfahrungsgemäß dazu, dass gerade diejenigen Häuser die meisten Sponsorengelder und Spenden einwerben können, die die höchsten öffentlichen Zuschüsse erhalten, wie z.B. die Bayerische Staatsoper in München mit rund 4,6 Mio. Euro Einnahmen aus privaten Mitteln (Quelle: Theaterstatistik 2021/22 des Deutschen Bühnenvereins). Und nicht zu vergessen: Wer in großem Stil auf privates Geld setzen will, braucht dafür einiges an Personal. Die Sponsoring-Abteilungen großer amerikanischer Kulturinstitutionen bestehen nicht aus einer schlecht bezahlten Sachbearbeiterin.

Weil das alles so ist, wird dann sofort die Möglichkeit der privaten Kreditfinanzierung in die Debatte geworfen, als ob es kein Problem wäre, wenn sich Theater und Museen einfach privates Geld leihen. Schließlich handelt es sich oft um kommunale oder staatliche Unternehmen. Der dann verfassungsrechtlich durch die Schuldenbremse vorgegebene Rahmen für die Aufnahme von Krediten ist von den jeweiligen Trägern bereits mehr als ausgeschöpft. Darüber hinaus müsste die öffentliche Hand natürlich bereit sein, die Kreditzinsen zu übernehmen, sonst rutscht die jeweilige Kultureinrichtung immer tiefer in die Schuldenfalle. Diese Bereitschaft ist bisher nicht erkennbar.

Fusionen und andere Zusammenschlüsse

Sparen kann ein Theater oder Orchester nur beim Personal. Das ist eine Binsenweisheit, die sich auch in der Kulturpolitik herumgesprochen haben sollte. Deshalb werden die Kürzungen, die Berlin der freien Szene auferlegen will, für viele der dortigen Projekte schlicht das Aus bedeuten. Ohne Künstlerinnen und Künstler gibt es keine Kunst, so einfach ist die Welt. 

Mit Blick auf die 2004 gegründete Opernstiftung wird nun für die vier öffentlich getragenen Sprechtheater Volksbühne, Deutsches Theater, Theater an der Parkaue und Maxim-Gorki-Theater (Berliner Ensemble und Schaubühne sind privatwirtschaftlich organisiert, werden dennoch mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert) ein der Opernstiftung ähnliches Modell ins Spiel gebracht. Das ist nicht falsch, aber was bringt es kurzfristig? Wie hoch auch immer die Kürzungen der öffentlichen Mittel für die vier Bühnen zusammen ausfallen werden, jeder Arbeitsplatz in den Theatern kostet im Durchschnitt ca. 50.000 Euro (inkl. Sozialabgaben). Das sind 20 Arbeitsplätze pro fehlender Million an öffentlichem Geld. Damit führt der Ausfall jeder dieser Millionen zu einem erheblichen Aderlass. Denn Entlassungen wären nur im künstlerischen Bereich des NV Bühne möglich. Hier sind die Arbeitsverträge mit den Künstlerinnen und Künstlern befristet und können durch die sogenannte Nichtverlängerungsmitteilung zum großen Teil kurzfristig beendet werden, derzeit jedoch erst zum Ende der Spielzeit 2025/26. Das nichtkünstlerische Personal, in der Regel mindestens 40 Prozent der Belegschaft, gehört dem öffentlichen Dienst des Landes Berlin an und ist nach dem geltenden Tarifvertrag der Länder nur schwer kündbar. Selbst als seinerzeit das Schillertheater in Berlin geschlossen wurde, gab es in diesem Bereich keine Entlassungen, sondern das nichtkünstlerische Personal des Theaters wurde in Berlin weitgehend anderweitig untergebracht.

Freiwillige Aufgaben und Pflichtaufgaben

Blicken wir abschließend nach Köln. Dort hat die ehrenamtliche grüne Bürgermeisterin Brigitta von Bülow kürzlich dem WDR ein Interview gegeben. Es fiel in diesem Interview mit Blick auf die zu erwartenden Kürzungen im Kölner Kulturetat folgender Satz: „Wenn wir nicht konsolidieren…, dann kommen wir in die Haushaltssicherung, und das heißt gerade für die Kultur, dass sie als freiwillige Leistung dann erst recht auf dem Prüfstand steht und wahrscheinlich vieles gar nicht mehr fortgeführt werden kann.“ Bei diesem Satz und der darin enthaltenen Drohung sträuben sich dem geneigten Zuhörer schon etwas die Nackenhaare. Denn erstens waren in NRW schon viele Kommunen in der Haushaltssicherung, ohne dass dies gravierende Auswirkungen auf die Kulturausgaben gehabt hätte. Das liegt zweitens daran, dass die Regierungspräsidien den Kommunen mit Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der Haushaltssicherung gar nicht vorschreiben können, wo sie zu sparen haben. Drittens suggeriert der zitierte Satz wieder einmal, dass die Kommunen nur bei den freiwilligen Ausgaben sparen könnten, eine Behauptung, die seit Jahren auch in den Medien unreflektiert nachgebetet wird, aber schlichtweg falsch ist. Selbstverständlich kann auch bei den Pflichtausgaben weniger Geld ausgegeben werden, in Nordrhein-Westfalen gibt es sogar Verwaltungsvorschriften, die dies ausdrücklich vorsehen. Die Kommune kann zwar nicht auf die Erfüllung der Pflichtaufgaben verzichten. Sie kann auch der Bürgerin, der nach dem Gesetz ein Geldanspruch in bestimmter Höhe zusteht, diesen nicht einfach mangels öffentlicher Mittel kürzen. Nirgendwo steht aber geschrieben, dass die Wahrnehmung der Pflichtaufgaben mit einem bestimmten Personalaufwand, immer in Eigenregie und ohne Kooperation mit anderen Kommunen oder ohne Nutzung digitaler Unterstützung zu erfolgen hat. Machte man also einiges anders, könnte man sehr wohl bei den Pflichtausgaben sparen. Zudem sind es gerade die freiwilligen Aufgaben, die die kommunale Selbstverwaltung ausmachen. Sie aufzugeben oder zu sehr einzuschränken, würde bedeuten, die Kommune zur Vollstreckungsbehörde von Land und Bund zu machen, was politisch alles andere als erstrebenswert ist.

Es wäre daher schon viel gewonnen, wenn das Gerede von der Kultur als freiwillige Ausgabe, was sie zum Freiwild öffentlicher Sparzwänge machen soll, endlich einmal aufhören würde. Das Argument vom Vorrang der Pflichtaufgaben wird durch ständige Wiederholung weder besser noch richtiger. 

Schlussbemerkung

Es ist und bleibt mühsam, sich immer wieder aufs Neue mit den Schlagworten, mit denen Kürzungen in der Kultur untermauert werden, auseinanderzusetzen. Aber es ist unverzichtbar, damit die Künstler und ihre Arbeit nicht unter die Räder geraten. Zudem sollten wir nicht vergessen, dass beispielsweise für Kunst und Kultur nur ein Bruchteil dessen ausgegeben wird, was dieses Land etwa für Soziales und Bildung ausgibt. Das ist selbstverständlich und richtig und muss so sein. Vom Verteidigungsetat hierzulande wollen wir mal besser gar nicht reden. Das allein müsste auch die Vertreter der öffentlichen Hand zur Vorsicht mahnen, wenn es um die Kürzung von Kulturausgaben geht. 

Ist 3sat entbehrlich? Zur Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Seitdem die Länder ihren neuen Staatsvertrags-Entwurf „zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ vorgelegt haben, herrscht Unruhe in der Kulturszene. Das ist nicht überraschend, denn was als Reformwerk pompös in Szene gesetzt wurde, entpuppte sich schnell als erneuter Versuch, das Angebot von ARD und ZDF deutlich zu reduzieren. Spätestens beim Lesen von § 28a des Entwurfs wird erkennbar, was ein wesentliches Ziel der Reformpläne sein soll: Der Abbau des Kulturangebots der Spartenprogramme von 3sat und arte. Die Neuformulierung des Absatzes 1 der genannten Vorschrift läuft auf nichts anderes hinaus als die Abschaffung von 3sat durch Integration dieses Programms in den deutsch-französischen Kulturkanal. Dass beide Kanäle jeweils Programme unter Beteiligung anderer europäischer Staaten sind, interessiert scheinbar niemanden. Wer sind schon Frankreich, Österreich und die Schweiz? Ist die Politik in Deutschland für weniger Kunst und Kultur im Fernsehen, wird vorausgesetzt, dass man das woanders nicht anders sehen wird. Dies ist eine Annahme, die zuvorderst für die politischen rechtsgerichteten Kräfte in Europa zutrifft, vor allem mit Blick auf das Aufsässige, das Rebellische, das Aufklärerische, die Diversität der Künste. Aber auch das spielt offenkundig hierzulande nur eine unbedeutende Rolle, wenn das Ziel ist, die Spirale der steigenden Rundfunkgebühr auf Biegen und Brechen aufzuhalten.

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Ein uninspiriertes, kleinlautes Papier der Länder

Natürlich blieben die Proteste nicht aus. Petitionen wurden unterschrieben, Briefe verfasst. Es erschienen Artikel über Artikel in der deutschen Presse, die zurecht vor dem weiteren Kulturverfall im deutschen Fernsehen warnten. Doch geht es nicht um mehr? Geht es nicht um die Frage, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Gesamtheit ausmacht? Gibt es noch jemanden, der all den Tendenzen politisch am rechten Rand stehender Parteien in ganz Europa, den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk zu beschneiden und sich gefügig zu machen, überzeugt und mit dem notwendigen Maß des Enthusiasmus entgegentritt? Ein derartig uninspiriertes, kleinlautes Papier, wie es nun die Länder vorgelegt haben, ist dafür jedenfalls völlig ungeeignet. Auch hier sieht es so aus, als wolle man der Kritik aus rechten Kreisen am System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht entschieden entgegentreten, sondern ihr eher in vorauseilendem Gehorsam zumindest teilweise zuvorkommen.

Ich würde mir aus Länderkreisen etwas ganz anderes wünschen. Gefragt ist ein überzeugtes Einstehen für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gestaltet in gesellschaftlicher Verantwortung. Er ist in Zeiten zunehmender Fehlinformationen und mangelnder politischer wie kultureller Bildung ein hohes Gut, das es zu bewahren und fortzuentwickeln, nicht zu beschneiden gilt. Die öffentliche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht das Problem, sondern die Lösung, geht es um Freiheit und Unabhängigkeit der Programme. Statt stolz darauf zu sein, dass wir uns ein derart vielseitiges, regional angebundenes Fernsehen, einen mehrere Programme ausstrahlenden Hörfunk leisten können, hadern wir ständig mit der nach wie vor überschaubaren Rundfunkgebühr. Statt unmissverständlich klar zu machen, dass Qualitätsjournalismus, Kultur und anspruchsvolle Unterhaltung, Bildung mit der „Maus“ Geld kosten, knicken Teile der Politik gegenüber Kreisen ein, denen Aufklärung und Wissensvermittlung, der kritische Geist insgesamt ein Dorn im Auge sind. Zukunft geht aus meiner Sicht anders.

Hervorragende Sendungen, aber zu viele Kanäle?

Ohne einen engagierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit den Schwerpunkten Information, Bildung, Kultur, Wissen und kluge Unterhaltung ist sie jedenfalls nicht zu gestalten. Noch produzieren ARD, ZDF und Deutschlandfunk in diesen Bereichen immer wieder hervorragende Sendungen. Es gibt nach wie vor vieles zu sehen und zu hören, was interessant, anregend und spannend ist, natürlich auch Ärgerliches. Eine ärgerliche Sendung ist jedoch genauso wenig ein Grund, die Rundfunkgebühr abzuschaffen, wie man die öffentliche Finanzierung eines Theaters infrage stellt, nur weil eine Inszenierung missglückt ist. Manchmal lohnt es sich ja auch, sich zu ärgern. Immer noch besser als Langeweile!

Natürlich kann man darüber nachdenken, inwieweit ARD und ZDF zahlreiche zusätzliche Kanäle brauchen, um die produzierten Inhalte zu vermitteln. Auch auf dieser Seite wurde diese Frage schon aufgeworfen (siehehttps://stadtpunkt-kultur.de/2022/12/was-zu-beachten-waere-ein-beitrag-zur-reform-von-ard-und-zdf/).  Solche Frequenzen jedoch freizuräumen, damit sie am Ende von irgendwelchen privaten Anbietern für Dschungelcamps und Topmodel-Veranstaltungen genutzt werden, ist kein rundfunkpolitisches Zukunftskonzept. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Länder zur Verwendung der durch die vorgeschlagenen Fusionen freiwerdenden Frequenzen in ein dauerhaftes Schweigen hüllen.

Es fehlt an Phantasie

Erst recht gilt das mit Blick auf die Kulturkanäle. Sie zugunsten irgendwelcher Programm-Banalitäten abzuschaffen, ist sicher nicht das Gebot der Stunde. Doch die Existenz von 3sat lässt sich nicht allein dadurch rechtfertigen, dass es dort eine Sendung wie „Kulturzeit“ gibt, wie kürzlich in der SZ Arne Braun, der unter anderem für die Kunst zuständige Staatssekretär der baden-württembergischen Landesregierung versucht hat. Und der in der WDR-Hörfunksendung „Mosaik“ neulich erfolgte Hinweis, dass ständig sich wiederholende Tourismussendungen 3sat schnell entbehrlich machen können, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, so schön diese Sendungen zuweilen auch sind.

Doch was belegen die auch ansonsten im Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgestrahlten allzu häufigen Wiederholungen von Tatorten, Donna-Leon-Verfilmungen oder Zürich-Krimis? Entweder fehlt es den Programmmachern an Phantasie, an Ideen, aber auch an Mut und Engagement, sich der Einschaltquote zu widersetzen, oder das Geld reicht nicht, um die vorhandenen Programmplätze zu füllen. Es beschleicht einem als Zuschauer und Hörer der leise Verdacht, beides könnte stimmen. Dann wäre es wichtig, darüber endlich etwas mehr zu reden und in jedem Fall die Rundfunkgebühr zu erhöhen, verbunden mit der Anforderung an die Programmmacher: Lasst euch etwas einfallen, jedenfalls mehr als bisher. An Themen mangelt es nicht, vor allem nicht in Kunst und Kultur. Mit mehr Geld mehr Kreativität wagen, das wäre eine schöne Alternative zu den jetzt vorgelegten Vorschlägen der Länder, zumal mit dem Abbau von Spartenkanälen so schnell ohnehin keine Einsparungen zu erzielen sind. Das hat zumindest ein gerade vorgelegtes Gutachten der KEF unmissverständlich festgestellt.

Zu guter Letzt: Eine Utopie

Wäre es jenseits aller Rundfunkpolitik, so ist zu fragen, im Übrigen nicht an der Zeit, seitens der Länder eine europäische Perspektive im Bereich Social Media zu entwickeln? Spätestens seit der Übernahme von Twitter (heute X) durch Elon Musk ist nun wirklich nicht mehr zu übersehen, wie verhängnisvoll es ist, dass die Dialog-Plattformen für den direkten elektronischen Meinungs- und Informationsaustausch nicht nur in den Händen der USA (oder Chinas) sind, sondern auch von kommerziellen Privatunternehmen betrieben werden. Es ist höchst Zeit, dass Europa dem etwas entgegensetzt. Nichts liegt da näher als eine öffentlich finanzierte und durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk redaktionell betreute Plattform des fairen Meinungsaustausches, verantwortet zum Beispiel von einer deutschen Rundfunkanstalt in Kooperation mit der BBC. Sie stand schließlich Pate, als es nach dem Zweiten Weltkrieg um die Neugestaltung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland ging. Ein solches Europa-Twitter, das wäre endlich mal echte Zukunftsmusik und bewiese so etwas wie Aufbruchstimmung, die wir für die Zukunft Europas mehr als nötig haben. Zudem ist kaum ein schöneres Projekt vorstellbar, um Großbritannien wieder sichtbar dem vereinigten Europa anzunähern.

Über Mindesthonorare in der Kunst

Es klingt nicht nur gut, es ist auch gut, dass sich bei der Frage der Mindesthonorare für Künstlerinnen und Künstler etwas tut. Öffentliche Förderung soll es nur noch geben, wenn bei der Umsetzung eines künstlerischen Projektes bestimmte Vergütungen gezahlt werden. Ist das nicht garantiert, entfällt die Möglichkeit der öffentlichen Förderung. Der Bund ist gerade vorangegangen, das Land Nordrhein-Westfalen ihm soeben gefolgt. In beiden Fällen werden die Mindesthonorare als Bedingungen in den Förderbescheiden etwa der Bundeskulturstiftung oder des Landes NRW festgeschrieben werden. Grundsätzlich ist die Begeisterung der Branche groß, aber es regen sich auch kritische Stimmen.

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Die Verbindlichkeit

So stellt sich unter anderem die Frage nach der Verbindlichkeit. Der Bund überlässt die Festlegung der Honoraruntergrenzen den „bundesweiten Empfehlungen der jeweils einschlägigen Berufs- und Fachverbände der Künstlerinnen, Künstler und Kreativen.“ Ein Blick auf die Vielfalt der Verbandsstrukturen im Kulturbereich zeigt, wie schwierig es sein kann, zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. Hier wird es dringend erforderlich sein, schnell zu Verständigungen zu kommen, will man den Förderstrukturen des Bundes die notwendige Orientierung geben.

Auch in NRW hat man sich eine Zeit lang um verbindliche Regelungen herumgedrückt. Zunächst sah der § 16 Abs. 3 Kulturgesetzbuch NRW im Entwurf nur eine Anknüpfung an die gesetzliche Mindestlohnregelung vor. Als es daran Kritik gab (siehe z.B. https://stadtpunkt-kultur.de/2021/06/der-entwurf-eines-kulturgesetzbuchs-nrw-meilenstein-der-kulturfoerderung-oder-vages-versprechen/) änderte man die Vorschrift. Heute lautet die einschlägige Regelung:

 „Bei allen Förderungen des Landes sind Honoraruntergrenzen zu beachten, die von dem für Kultur zuständigen Ministerium, den kommunalen Spitzenverbänden und den jeweiligen kulturellen Fachverbänden erarbeitet werden. Bundesweite Empfehlungen sind hierbei zu beachten. Das Nähere regelt eine Richtlinie.“

Diese Regelung ist seit dem 1. Januar 2022 (!) in Kraft. Auch sie ließ viel Spielraum. Nun geht es voran, allerdings zunächst nur mit zwei Landesprogrammen der Kulturellen Bildung. Endlich beginnen will man ansonsten erst am 1. Januar 2026. Dann soll es wohl die im Gesetz vorgesehene Richtlinie geben, nach der dann die Landesregierung im Sinne der Selbstbindung bei der Mittelbewilligung zu verfahren hat.

Für wen die Mindesthonorarregelungen gelten

Interessant wird der Geltungsbereich der Honorarregelungen sein. Das Wort „Honorar“ lässt darauf schließen, dass es um die Vergütungen von selbstständig tätigen Künstlerinnen und Künstlern gehen wird. Das wäre fragwürdig. Schon bei den Corona-Hilfen im Bereich der Künste hatten fast alle getroffenen Regelungen genau das Problem, dass sie sich nur an die Selbstständigen wandten, nicht an die abhängig Beschäftigten. Gerade im Bereich der darstellenden Künste sind aber zahlreiche Beschäftigungsverhältnisse, selbst wenn sie nur einen einzelnen Tages-Einsatz einer Künstlerin vorsehen, Arbeitsverhältnisse. Würden hier die in Aussicht genommenen „Mindesthonorarregelungen“ nicht greifen, gingen sie vor allem für viele Tänzer und Schauspielerinnen, Musikerinnen und Sänger ins Leere. Und was ist eigentlich mit all den nichtkünstlerisch Tätigen, die an einem Projekt beteiligt sind? Soll für die auch die Mindesthonorarregelung gelten? Hier steckt also die Tücke im Detail.

Wohin die Mindesthonorarregelungen führen können

Was gut klingt, ist aber nur dann wirklich gut, wenn dafür das notwendige Geld da ist. Die erste Rechnung dazu ist noch mehr als einfach. Stehen in einem Fördertopf (vom Bund oder dem Land NRW) beispielsweise 200.000 Euro zur Verfügung und hat man damit insgesamt 20 Projekte mit 10.000 Euro gefördert, ohne auf Mindesthonorare zu achten, dann wäre mal nachzurechnen, was die 20 Projekte denn unter Einhaltung der Mindesthonorare kosten würden. Verteuerte die Mindesthonorarregelung jedes der Projekte um 10 Prozent, dann muss entweder der Fördertopf um 10 Prozent erhöht werden oder es werden etwa zwei Projekte weniger gefördert. Dass gerade die Fördertöpfe sich vergrößern, ist allenthalben nicht zu hören. Dann aber lautete die einfache Konsequenz: Weniger Kunst für bessere Bezahlung.

Schwieriger wird die Rechnung dadurch, dass viele Projekte einer Komplementärförderung etwa durch die Kommunen bedürfen. Kann also die Bundeskulturstiftung zum Beispiel noch den Förderbetrag erhöhen, um die Mindesthonorare zu finanzieren, bleibt völlig offen, ob die komplementär fördernde Kommune auch dazu in der Lage (oder bereit) ist. Ist sie es nicht, erhöht dann die Bundeskulturstiftung ihrerseits den Förderbetrag noch einmal, um die wegen der Mindesthonorare entstehenden Fehlbeträge aufzufangen, oder fällt die öffentliche Förderung des Projektes dann aus? Oder wird es etwa nur kommunal gefördert, was dazu führen würde, dass die Vergütung der Künstlerinnen und Künstler viel weiter hinter den nun in Aussicht genommenen Mindesthonoraren zurückbleiben würde.

Doch das größte Problem bleibt die Förderung zahlloser Projekte, bei denen von vorneherein klar ist, dass keinesfalls die vorgesehenen Mindesthonorare gezahlt werden können. War es bisher möglich, solche Projekte zu fördern, um die krassesten Fälle der Selbstausbeutung von Künstlerinnen und Künstlern zu vermeiden, fällt diese Förderung bei der Einführung von Mindesthonorargrenzen eindeutig weg. Kleinprojekte drohen also völlig ins Abseits zu geraten. Zugespitzt ist zu fragen: Ist es der Künstlerin lieber, dass ihr Projekt ausfällt oder fast nur ohne Vergütung realisierbar ist, dafür aber Projekte anderer Künstler mit Mindesthonorargarantie gefördert werden, weil die beteiligten Künstler bereits etabliert sind und dadurch gewisse Eigeneinnahmen generieren können? Das wäre ein neues Zweiklassensystem der öffentlichen Förderung, an dem niemand Interesse haben kann. Also sollte es unbedingt auch in Zukunft Förderstrukturen jenseits der Mindesthonorarregelungen geben, gerade um dem Entlegenen eine Chance zu geben.

„A Mentsh is a Mentsh.“ Der Antisemitismus und die Grundrechte, eine Diskussion in der Bundeskunsthalle

Der entscheidende Satz fiel am Schluss der Veranstaltung. „Die Meinungsfreiheit ist wie die Kunstfreiheit inhaltsneutral.“, hob der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers hervor, der unter anderem aus Anlass der Antisemitismusdebatte über die documenta 15 im Auftrag Claudia Roths ein Gutachten über die Grenzen der Kunstfreiheit verfasst hatte. Er sage das durchaus mit einem gewissen Unwohlsein, fügte er hinzu, aber das sei der harte Preis, den man in der liberalen Ordnung zu zahlen habe. Ein drittes Mal ging es kürzlich im Rahmen der Gesprächsreihe der Bundeskunsthalle „A Mentsh is a Mentsh.“ um die öffentliche Antisemitismusdebatte, die vor allem in Deutschland teils mit fast unerträglichen Zuspitzungen geführt wird. Auch in der Bonner Runde lagen die Ansichten der beteiligten Diskutanten, neben Möllers der Antisemitismusbeauftragte der Hessischen Landesregierung Uwe Becker und die deutsch-palästinensische Journalistin Alena Isabelle Jabarine – mit israelischem Pass, wie sie ausdrücklich betonte – weit auseinander. Endlich einmal wurde aber das Feld dieses komplexen Themas bis an seine Grenzen gehend und dennoch in Ruhe ausgeleuchtet.

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Keine eitlen Tweets für die Galerie

Moderiert wurde der Abend von Nicole Deitelhoff und Meron Mendel, die eine Politikwissenschaftlerin, der andere Direktor der Bildungsstätte Anne Frank; beide waren in unterschiedlicher Weise und Funktion auch an der Debatte über die documenta 15 beteiligt. Wie sehr man auseinanderlag in der Beurteilung der Gemengelage, zeigte sich gleich am Anfang. Deitelhoff fragte, ob denn die Präsidentin der TU in Berlin Geraldine Rauch zurücktreten müsse anlässlich ihrer Likes von als antisemitisch zu bewertenden Tweets auf X. Das wurde von Uwe Becker ohne Zögern bejaht. Alena Jabarine hingegen schloss sich zwar der Kritik an dem Verhalten der TU-Präsidentin an, fand aber sogleich mildere Töne, indem sie vor einer Hetzjagd warnte und dafür plädierte, die öffentliche Entschuldigung von Frau Rauch anzunehmen und ihr sowie der Gesellschaft die Chance zu geben, aus einem solchen Fehler zu lernen. Das veranlasste Christoph Möller zu der Anregung, doch nicht immer dem Drang nachzugeben, sich mit Tweets und ähnlichen Aktionen an schwierigen und differenziert zu führenden Debatten zu beteiligen. Nichts zu äußern, sei manchmal der bessere Weg. Mit dieser Feststellung drängte sich das „dröhnende Schweigen“ (Deitelhoff) der deutschen Kulturszene zu dem brutalen Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober geradezu als Thema auf. Möllers regte erneut ein sich Kümmern der Zivilgesellschaft um die Belange der Betroffenen an, statt sich mit eitlen Tweets für die Galerie in Pose zu setzen. Dies gelte umso mehr, ergänzte Alena Jabarine, als Bekenntnisse allein überhaupt nichts änderten.

Kritik an Israel und Antsemitismus

Es folgte eine von Meron Mendel angestoßene Debatte über die Frage, was denn nun genau antisemitisch sei. Die Diskussion darüber changierte zwischen der weitergehenden Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die von einigen als Mittel zur Unterdrückung von Kritik an israelischer Politik infrage gestellt wird, und der Jerusalemer Erklärung, die Antisemitismus konkreter als Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden beschreibt. Es blieb am Ende offen, wie weit die Kritik an der Politik Israels gehen darf, wann das zulässige Maß hin zum Antisemitismus überschritten wird. Letztlich, so wurde in der Runde festgestellt, lasse sich das, was geht und was nicht geht, kaum durch Definitionen erreichen. Christoph Möller nannte die Definitionsversuche sogar „Eingekästel“ und fordert stattdessen einen offen gehaltenen Diskurs, um so wie auch in anderen Bereichen eine Verständigung zu erzielen. Er appelliert schon hier unmissverständlich dafür, dass sich die Politik in bestimmtem Maße aus der intellektuellen und moralischen Ordnungsdebatte heraushalten solle, weil sie sich sonst auf gefährliches Terrain begebe. Zudem sei die Politik damit überfordert. Schon gar nicht solle sie versuchen, bestimmte Standpunkte mit Sanktionen zu belegen. Kulturinstitutionen müssten selbst die Verantwortung übernehmen, vorschreiben könne man ihnen letztlich nichts. Für sie sei es aber auch nicht damit getan, sich in jeder Beziehung einfach auf die Kunstfreiheit zu berufen.

Falsche Prioritäten in der Debatte

Man müsse sich fragen, worauf wir unser Augenmerk richten, so Jabarine. Statt sich über die Berliner TU-Präsidenten zu erregen, sei es wichtiger, dort intensiv hinzuschauen, wo sich Rechtsradikale organisierten. Wachsamkeit gegenüber solchen rechtsradikalen Kreisen in Polizei und Bundeswehr oder angesichts von Nazis in den Parlamenten sei das Gebot der Stunde. Ebenso forderte sie, sich die Lage von palästinensischen Menschen hierzulande bewusst zu machen. Sie würden generell und ohne zu differenzieren kriminalisiert, ja sogar als gefährlich eingestuft, längst trauten sich viele Palästinenser überhaupt nicht mehr, sich öffentlich zu äußern; vielmehr gebe es mittlerweile unter ihnen eine schweigende Mehrheit, die sich abgekoppelt und vom Diskurs zurückgezogen habe.

Zu wenig Empathie

Ob auch da eine gewisse Empathielosigkeit, die der deutschen Gesellschaft von der Diskussionsrunde in Bonn bescheinigt wurde, eine Rolle spielt, blieb offen. Überhaupt waren an dieser Stelle doch eher Zweifel anzubringen, ob es solche Empathielosigkeit tatsächlich gibt. Das hohe Spendenaufkommen, das im Falle von nationalen und internationalen Naturkatastrophen festzustellen ist, zeichnet ein anderes Bild. Die Reaktionen hierzulande auf die Anschläge in Frankreich (Bataclan, Charlie Hebdo) sprechen ebenfalls eine andere Sprache. Zudem ist zu unterscheiden zwischen der oft sicher empfundenen Empathie und der Bereitschaft, sie öffentlich zu äußern. Diese Bereitschaft sinkt, je mehr die öffentliche Äußerung ein politisch nicht gewünschtes oder zumindest kritisch wahrgenommenes System stützt. Im Fall Israel gibt es in der schweigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung viele, die gerade jetzt Netanjahu nicht in die Hände spielen wollen, dennoch den Anschlag der Hamas am 7. Oktober als grauenerregend empfinden und sich für die israelischen Familien nichts mehr wünschen, als dass die Geiseln so schnell wie möglich freigelassen werden.

Was tun?

Am Ende brachte Nicole Deitelhoff die Diskussion mit der Frage auf den entscheidenden Punkt, ob man denn dem unzweifelhaft vorhandenen Antisemitismus im Kunstbetrieb nicht doch durch eine Antidiskriminierungsklausel als Teil der öffentlichen Förderung beikommen könne. Erneut warf Möllers ein, Recht sei nicht die Lösung, vielmehr seien moralische Abrüstung und Konsenssuche der einzige gangbare Weg. Er warnte zudem vor einem „flächendeckenden System der Gesinnungsprüfung“. Dem pflichtete Jabarine bei und warnte ebenfalls vor „Regularien im Kunstbetrieb“. Den Gedanken an solche Regularien bei gleichzeitiger Steigerung der Anzahl von AfD-Wählern empfinde sie als unangenehm und extrem gefährlich. Zudem dienten solche Regularien doch nur der Unterdrückung von Meinungen, am Ende wisse man nicht, was die Gesellschaft denke, wenn alles Fragwürdige aus dem öffentlichen Raum verbannt werde. Die Essenz der Kunst sei zudem Meinungsvielfalt und Provokation. Mittlerweile stehe der deutsche Kultur- und Diskursstandort international infrage. Als Becker dennoch konsequent forderte, Antisemitismus sei auch im Kunstbetrieb konsequent zu unterbinden, sie verletze die Menschenwürde und die Freiheit der Kunst ende genau da, konnte das Möllers so nicht stehen lassen. Dann müsse man Céline aus den Büchereien und Wagner aus den Opernhäusern verbannen, und das gehe ja wohl doch zu weit.

So ist es, dachte man da als Zuschauer. Die Kunst und die Literatur, der Film, sie strotzen doch nur so von Verletzungen der Menschenwürde. Juristisch problematisch wird das erst, wenn von dieser Verletzung eine konkrete identifizierbare Person betroffen ist. Und so ist zu hoffen, dass sich diejenigen, die gerade einer Regulierung des Kunstbetriebs das Wort reden, wie etwa die Berliner Justizsenatorin kürzlich in der Süddeutschen Zeitung, diese hoch qualifizierte und sachliche Debatte im Nachhinein auf der Website der Bundeskunsthalle (https://www.bundeskunsthalle.de/studiobonn/a-mentsh-is-a-mentsh) genau anschauen. Es könnte der Kunst- und der Meinungsfreiheit ebenso dienen wie dem Kampf gegen Antisemitismus.

Siehe auch:

Über Defizite am Theater und wie sie entstehen

Etwa drei Milliarden Euro öffentliche Förderung stehen hierzulande Stadt- und Staatstheatern einschließlich Landesbühnen jährlich zur Verfügung. Eine Menge Geld! Dennoch kommt es am Ende eines Haushaltsjahres immer mal wieder zu Defiziten. Manchmal liegt es an einem zu leichtfertigen Umgang mit den bereitstehenden Haushaltsmitteln durch die künstlerische Leitung, wie vor mehr als 30 Jahren seitens des mittlerweile verstorbenen Generalintendanten des Staatstheaters Stuttgart, Wolfgang Gönnenwein. Der hatte zur Finanzierung seiner künstlerischen Ambitionen die sogenannte Bugwelle erfunden, mit der man Schulden aus dem alten Haushaltsjahr in schöner und steigender Regelmäßigkeit unter Einsatz der öffentlichen Gelder des neuen Haushaltsjahrs finanzierte. Das brachte ihm angesichts seines vorsätzlichen Verstoßes gegen die öffentlichen Haushaltsregelungen sogar ein Strafverfahren wegen Untreue ein, das dann aber gegen Auflagen eingestellt wurde. Zuweilen ist die Ursache aber erfreulicherweise harmloser. Nicht selten liegt sie in einer strukturellen Unterfinanzierung, also einer nicht ausreichenden Ausstattung des jeweiligen Theaterhaushaltes mit öffentlichen Mitteln, vor allem dann, wenn unvorhersehbare Ereignisse eintreten und diese auf die Ausgaben (oder Einnahmen) durchschlagen.

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Vor allem von Mitte der 1990er Jahre bis etwa 2010 beherrschte das große Sparen Deutschlands öffentliche Haushalte. Man könne späteren Generationen die stetig steigenden Schulden nicht mehr zumuten, hieß es. Heute ist eine völlig marode öffentliche Infrastruktur die Quittung für diese verfehlte Haushaltspolitik. Unter ihr haben auch viele öffentliche Theatergebäude mit einem massiven Renovierungsbedarf zu leiden. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Lohnerhöhungen als ungedeckter Scheck

Gehen soll es – zwecks näherer Erläuterung der strukturellen Unterfinanzierung – um die zweifelhafte Weise, mit der mancher Rechtsträger die Theater- und Orchesterförderung damals zusammenstrich. Nicht nur das Hineinkürzen in den laufenden Haushalt war an der Tagesordnung. Weit verbreitet war es, mit den Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst oft nicht unerhebliche Lohnsteigerungen zu vereinbaren. Diese standen dann kraft tarifvertraglicher Vereinbarung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadttheater, Staatstheater und Landesbühnen ebenso zu. Warum sollten die Beschäftigten des Kulturamts auch mehr Geld bekommen, die Schauspielerin oder der Inspizient nicht? Doch dafür die notwendigen öffentlichen Mittel bereitzustellen, dazu war manche Gemeinde zwar beim Einwohnermeldeamt bereit, jedoch nicht bei den Theatern und Orchestern. Für die war die Lohnerhöhung so etwas wie ein ungedeckter Scheck, den sie zu zahlen hatten. Viele dieser Betriebe, vor allem in den neuen Bundesländern, wussten sich zur Vermeidung von Defiziten nur noch mit Personalabbau und Gehaltsverzicht der Mitarbeiterinnen zu helfen. So wurde etwa Künstlern, die jeden Tag auf der Bühne standen, bei einem Jahreseinkommen von gerade einmal 20.000 Euro kurzerhand das 13. Monatsgehalt gestrichen, um das Überleben eines Theaters zu sichern, für die Gewerkschaften wie für den auf Arbeitgeberseite agierenden Deutschen Bühnenverein in vielerlei Hinsicht mehr als eine bittere Pille. Denn die immer geringer werdende Anzahl von Mitarbeitern führte zusätzlich noch zu einer enormen Arbeitsverdichtung ebenso wie das höhere Einnahmesoll, das meist nur mit einem Mehr an Produktionen zu erwirtschaften war. Ein schlechtes Gewissen hatte dabei auf Seiten der Theater- und Orchesterträger damals offenkundig kaum jemand.

Mehr Work-Life-Balance

Kein Wunder also, dass die Debatte über die Work-Life-Balance die Theater irgendwann erreichen würde. So kam es dann schließlich vor einigen Jahren. Mittlerweile hat es im einschlägigen Tarifvertrag, der Normalvertrag (NV) Bühne einige wesentliche Verbesserungen für die Arbeitsnehmerseite gegeben, von mehr und besser planbarer Freizeit über einen Nichtverlängerungsschutz für Schwangere bis hin zu einer kräftigen Erhöhung der Mindestgage. Sie betrug 2016 noch 1850.- Euro. Gerade ist sie auf einen Betrag von über 3.000 Euro angestiegen. Alles das kostet Geld und reduziert die Einsatzmöglichkeiten des Personals und damit die Einnahmemöglichkeiten.

Solche Verbesserungen stoßen natürlich in unseren woken Zeiten auf große Akzeptanz, auch in der Politik. Finanziert werden sie deshalb von dort nicht unbedingt. Das kann in den nächsten Monaten noch bitter werden. Denn allenthalben wird plötzlich sogar wieder von der Kürzung der öffentlichen Kulturförderung gesprochen. Doch viele Theater und Orchester haben die Corona-Einbrüche des Publikums, anders als erwartet oder zumindest erhofft, noch nicht vollständig überwunden. Ob und wie das gänzlich gelingen wird, steht mancherorts noch ein wenig in den Sternen. Gerade im Schauspiel ist in vielen Betrieben die Suche nach den Formen und Inhalten, mit denen das Publikum erreicht werden kann, keinesfalls abgeschlossen. Das gilt erst recht dort, wo nun noch ein Intendantenwechsel stattfindet, zumal der ohnehin stets mit besonderen Kosten verbunden ist (zahlreiche, zum Teil hohe Abfindungen nach NV Bühne bei Nichtverlängerungsmitteilungen wegen Intendantenwechsel, Vorbereitungsetat der neuen Intendanz, Kosten für die Beendigung der bisherigen Intendanz). Künstlerische Neuprofilierungen, denen ein Intendantenwechsel ja dient, sind zudem in der Regel keine Zeiten der explodierenden Einnahmesteigerung. Hinzu kommen (und kamen gerade in jüngster Vergangenheit) die emporschnellenden und sehr volatilen Energiekosten. Theater sind energieträchtige Betriebe, auch wenn noch so sehr das Thema Nachhaltigkeit nicht nur auf dem Spielplan steht. Das alles lässt sich nicht vorauskalkulieren, erst recht nicht in diesen doch schwierigen Zeiten.

Die Finanzierung in der Zukunft

Werden diese zuweilen nicht in allen Details vorauszusehenden Entwicklungen nicht durch die notwendigen öffentlichen Mittel aufgefangen, kann man nur das tun, was oben für die Zeit vor und nach der Jahrtausendwendeschon stattgefunden hat: Es wird wieder an der Personalschraube zu drehen sein. Das kostet Zeit, geht also nicht von heute auf morgen. Kündigungs- und Nichtverlängerungsfristen sind zu beachten, Gagen müssen neu verhandelt werden, Tarifverträge mit Vergütungskürzungen fallen nicht vom Himmel. Und es bündelt Energien, die dann an anderer Stelle fehlen. Wegen des Zeitfaktors konstatieren die Stauten vieler Theater im Übrigen, dass Defizite in einem Haushaltsjahr angesichts der vielen Geschilderten Imponderabilien sehr wohl eintreten können. Man ist ja auf Trägerseite nicht betriebsblind. Diese sind dann aber in den Folgespielzeiten aufzufangen, es sei denn, es gibt Rückstellungen, die das Problem ganz oder zumindest teilweise lösen. Man sorgt ja vor. Aber es ist so wie in der privaten Haushaltskasse. Deren Rücklagen reichen manchmal ebenfalls nicht, wenn plötzlich gleichzeitig die Waschmaschine sowie der Geschirrspüler ausfällt. Auch da geht – Geld hin, Geld her – kein Weg an einer Neuanschaffung vorbei, will niemand der Familie das Leben schwerer machen als es ohnehin schon ist. Die Mittel dafür müssen dann eben später wieder erwirtschaftet werden. So ist es das auch in den Theatern. Schon deshalb sind Kürzungen der öffentlichen Kulturmittel nun wirklich nicht das Gebot der Stunde, erst recht nicht angesichts des drohenden Fachkräftemangels, der gerade die Theater erreicht.

Europa, die Künste und eine bevorstehende Wahl zum Europaparlament

Maria Lassnig war eine großartige und ebenso eigenwillige österreichische Künstlerin. Soeben ist der Film über ihr Leben unter dem Titel „Mit einem Tiger schlafen“ in den Kinos angelaufen. In genialer Weise wird diese hochsensible Künstlerin dargestellt von der wunderbaren Schauspielerin Birgit Minichmayr. Es ist eine Sternstunde des Kinos, ein einzigartiges Wechselspiel zwischen hoher körperlicher Empfindsamkeit einerseits und stoischer Beharrlichkeit gegenüber einer manchmal allzu arrogant daherkommenden Welt der Galerien und Kuratoren andererseits. Allein die Szene im österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig möchte man als Zuschauer nicht mehr missen. Maria Lassnig beklagt sich, sie könne bei der Lautstärke der ebenfalls dort installierten Videokunst ihre eigenen Arbeiten nicht „sehen“, und lässt dem einen fast dahingerotzten Vorwurf an den Kurator folgen, er habe sich ja nicht getraut, den Pavillon mit ihren Werken alleine zu gestalten. Welch eine Selbstbehauptung der eigenen Kunst! Doch hier soll es nicht um dieses cineastische Meisterwerk gehen. Vielmehr ist eine Einblendung vor Beginn des Films hervorzuheben, nämlich der Hinweis auf das Kulturförderprogramm der Europäischen Union, „Creative Europe“. Auch von dort floss offenkundig Geld für dieses sehenswerte Kinostück.

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In Europa mit der Kultur beginnen

Natürlich gab es auch an „Creative Europe“ Kritik. Zu strukturlastig, zu wenig künstlerisch. Was seien zudem schon ca. 2,5 Milliarden Euro für sechs Jahre, wenn man das mit der Kunstförderung der europäischen EU-Mitgliedstaaten vergleiche, hieß es zuweilen. Allein in Deutschland werden von Ländern, Kommunen und Bund für die Förderung von Kunst und Kultur jährlich ca. 15 Milliarden Euro ausgegeben. Und doch: Eingedenk der dem Wegbereiter der Europäischen Union, Jean Monnet, zugeschriebenen Worte „Wenn ich nochmals mit dem Aufbau Europas beginnen könnte, dann würde ich mit der Kultur beginnen.“ hat die EU lange schon entdeckt, wie wichtig Kunst und Kultur für die Gemeinsamkeiten, für den Zusammenhalt Europas sind. Intensiv arbeiten seit Jahren europäische Kulturverbände, wie beispielsweise Pearle* für den Bereich der darstellenden Künste (https://www.pearle.eu), daran, dieses Bewusstsein weiter zu stärken.

Über 20 Jahre hatte ich die Möglichkeit, im Executive Committee dieser Vereinigung, an deren Gründung auch der Deutsche Bühnenverein beteiligt war, mitzuarbeiten. In ihr kommen viele Europa-Enthusiasten aus dem Theater- und Musikleben der verschiedenen Ländern Europas zusammen, um sich für eine der Kunst dienende Europa-Politik einzusetzen. Musical und Oper, Tanz, Schauspiel und Kabarett, alles ist dort vertreten. Eines der großen Themen war immer und ist noch heute der künstlerische Austausch, zwischen den Ländern der Europäischen Union sowie zwischen Europa und der Welt. Mehr denn je muss dabei das Ziel sein, die Schlagbäume zu öffnen, um den kulturellen Dialog zu stärken. Denn wie wollen wir uns und die Welt verstehen, wenn wir nichts voneinander wissen. Das Lesen von Büchern ausländischer Autorinnen und Autoren, teils übersetzt mit Fördermitteln der EU, das Hören der Musik dieser Welt, der internationale Tanz, die länderübergreifende Kooperation von Theatern, große Festivals, Filme aus aller Welt, das alles ist ein Beitrag zur Verständigung, ein Weg zum friedlichen Miteinander, in der Europäischen Union und überall in der Welt. 

Kunst gegen rechts

Und wie lauten die kulturellen Rezepte vom rechten Rand des politischen Spektrums? Da ist die Rede von ideologischer Gängelung durch die EU, von Aushöhlung der nationalen Leitkultur, künstlerische Kooperationen werden unter den Generalverdacht eines von der EU angeblich ausgehenden Konformitätszwangs gestellt, abgelehnt werden Inklusion, Chancengleichheit, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit. Das alles ist nichts anderes als eine Welt von gestern, eine Welt des Gegeneinanders, eine Welt ohne Suche nach Verständigung, eine Welt ohne Interesse an der Andersartigkeit anderer Kulturen. Eine kalte Welt frei von jeder Solidarität, darum geht es den Parteien rechts außen in Europa. 

Niemand, der als Bürgerin oder Bürger Europas an der Vielfalt der Kultur, an der Phantasie und der Kreativität der Künste interessiert ist, niemand der als Künstlerin oder als Künstler in Europa arbeitet, niemand, der Kulturpolitik für die Künste und für den künstlerischen Austausch macht, kann an einem solchen Roll back von rechts in die Welt der ewig Gestrigen interessiert sein. 

Lassen Sie uns also in Europa dafür sorgen, dass der bevorstehende Europa-Wahltag ein Tag für die Demokratie in Europa wird, ein Tag für die Freiheit im Allgemeinen und für die Freiheit der Künste im Besonderen, ein Tag der Verständigung gegen rechts unabhängig von der jeweiligen Sympathie für welche der demokratischen Parteien auch immer, ein Tag der Besonnenheit, der Aufklärung, des Verstandes. Das Gebot der Stunde: Wählen gehen für eine von Humanismus und Menschenwürde bestimmte Zukunft Europas, in Frieden und Freiheit.

Die Antisemitismusdebatte in der Kultur – ein Aufruf zu mehr Besonnenheit

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“, dichtete einst Heinrich Heine. Das Zitat geht mir zunehmend nicht aus dem Kopf angesichts einer immer mehr sich verschärfenden Antisemitismusdebatte im Kulturbetrieb. Die Anzahl der um Augenmaß bemühten Diskursteilnehmer befindet im freien Fall. Zuspitzungen allerorten! „Geht es ein bisschen kleiner, ruhiger, vorsichtiger?“, möchte man so manchem zurufen. Doch die (nicht nur) durch die sozialen Medien überhitzte Gesellschaft beginnt, sich daran zu gewöhnen, dass offenkundig nur noch die Übertreibung die gewünschte Aufmerksamkeit erzielt. Zunehmend entsteht ein Zustand der Vergiftung, der für den Kulturbetrieb verhängnisvoll ist. Deswegen ist Abrüstung das Gebot der Stunde.

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Die eine Seite treibt die Debatte auf die Spitze, indem sie etwa die israelische Kriegsführung im Gaza-Streifen mit Begriffen wie „Apartheid“ und „Genozid“ belegt. Veranstaltungen mit jüdischer Beteiligung werden niedergebrüllt. Seinen neuen Höhepunkt hat dieses Irrlichtern mit der Forderung erreicht, Israel die Beteiligung an der Kunst-Biennale in Venedig zu verweigern. Ein völlig unsinniges Postulat, genauso wie die Boykottaufrufe der Bewegung „Strike Germany“, die so tut, als sei hierzulande die Zensur wieder eingeführt worden. Die Kunst schafft sich damit selbst ab, anstatt sich ihrer Aufgabe zu besinnen, ein internationaler Raum der Reflexion zu sein, in dem die Zustände dieser Welt zur Debatte gestellt werden. 

Der Blickwinkel der Humanität

Natürlich ist insofern die Kunst immer politisch. Erst recht dürfen, ja müssen sich Künstlerinnen und Künstler an der politischen Debatte beteiligen. Aber so sehr die Kunstfreiheit die Tür zur Provokation weit aufstößt, so sehr täten die handelnden Personen gut daran, sich in ihren politischen Äußerungen darauf zu konzentrieren, gegen das Elend zu protestieren, das den Menschen durch Krieg, Terror und Gewalt angetan wird, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Wenn die Hamas über tausend Menschen sinnlos ermordet und hunderte verschleppt, dann ist das einfach grauenhaft und erfordert eine unmissverständliche Verurteilung, die durch nichts zu relativieren ist. Dasselbe gilt im umgekehrten Fall, wenn Israels Militär die palästinensische Zivilbevölkerung tötet und vertreibt. Es sind gerade die Künstlerinnen und Künstler, die oft das Recht für sich in Anspruch nehmen, die Dinge ausschließlich und mit einer gewissen Absolutheit aus dem Blickwinkel der Humanität zu betrachten und diese einzufordern. Wer dann aber ein solches Recht nutzt, um in die eine oder andere Richtung zu agitieren oder einer Ideologie zu dienen, riskiert seine Reputation, seine Integrität als Künstler. 

Einseitigkeit und Meinungsfreiheit

Und die andere Seite? Teils aus Hilflosigkeit, teils aus politischem (und zuweilen auch journalistischem) Kalkül wirft sie immer wieder Antisemitismus und Israelkritik durcheinander. Sie fordert die Reglementierung des künstlerischen und kuratorischen Schaffens, obwohl dem die verfassungsrechtlich garantierte Kunstfreiheit eindeutig entgegensteht. Sie bemüht in diesem Zusammenhang den Begriff des „Deckmantels“ der Kunst- und der Meinungsfreiheit (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2024/01/antidiskriminierungsklausel-und-code-of-conduct-ueber-die-grenzen-der-kunstfreiheit/ ). Sie bringt ohne Not Straftatbestände ins Spiel. Sie verlangt, wer das eine fordere, müsse auch das andere fordern, als ob Einseitigkeit nicht zur Meinungsfreiheit gehöre. Am Ende wird die gesamte Kulturszene unter den Generalverdacht des Antisemitismus gestellt.

Was zu tun ist

Innehalten und nachdenken, wäre in vielen Fällen eine gute Alternative. Was auf all die hier aufgeworfenen Fragen die richtige oder die falsche Antwort ist, ist ein schwieriges Thema. Vereinfachungen führen zu nichts und sind nichts anderes als Populismus. Daran herrscht zurzeit ohnehin kein Mangel. Hört deshalb auf, eure Israelkritik ständig mit überzogenen Begriffen aufzuladen! Hört auf mit dem Geschrei! Hört auf, euch und andere immer wieder unter Erklärungsdruck zu setzen! Nicht jedes Schweigen bedeutet Zustimmung. Hört auf, die Kunst- und die Meinungsfreiheit kleinzureden und Hände weg von der Regulierung der Kunstfreiheit! Hört auf mit den Boykottaufrufen, den oft sinnlosen offenen Briefen und Ausladungen von Menschen, die uns was zu sagen haben, auch wenn es nicht allen gefällt! Hört auf, euch wechselseitig alles Mögliche zu unterstellen! Kommt zur Besinnung und kehrt zu einem sachlichen Dialog zurück! Es gibt zu viele nachdenkliche Menschen, die inzwischen über die Art und Weise den Kopf schütteln, wie in der Kulturszene (manchmal einschließlich des Feuilletons) agiert wird, nicht nur in der Antisemitismus-Debatte.

Heute stehen genügend Möglichkeiten bereit, sich differenziert an der Meinungsbildung in diesem Land zu beteiligen, in Zeitungen und Zeitschriften, in Radio und Fernsehen, auf unzähligen Diskussionsveranstaltungen, durch einen Blog wie diesen im Internet, ja, auch in den sogenannten sozialen Medien. Schreibt Leser-, Hörer- und Zuschauerbriefe; gebt sachliche Interviews, wenn ihr prominente Künstlerinnen und Künstler seid! Redet mit Freunden, Familie und Bekannten über die Lage der Welt! Nutzt den öffentlichen Raum von Theatern, Museen und anderen Kultureinrichtungen für den offenen Dialog! Protestiert und demonstriert friedlich! Was für eine beeindruckende Bewegung gegen rechts hat sich in den letzten Wochen in unseren Straßen gezeigt! Beteiligt euch an der Hilfe für Menschen, die eingesperrt, verfolgt oder getötet werden, weil sie ihre Meinung sagen, oder für Menschen, die in Not sind! Organisiert euch in demokratischen Parteien oder in den verschiedenen Interessenverbänden, schreibt an eure Abgeordneten! Nehmt einfach am öffentlichen Leben teil und engagiert euch gegen Antisemitismus und Fremdenhass, für jede Art der Verständigung, für die Demokratie, für Freiheit, Gleichheit uns Solidarität! Nicht zuletzt diese zivilen Formen des Umgangs haben Europa zu einem der lebenswertesten und begehrtesten Orte in der Welt gemacht. Es lohnt sich, ihn zu erhalten und konstruktiv weiterzuentwickeln.

Antidiskriminierungsklausel und Code of Conduct: Über die Grenzen der Kunstfreiheit

Seit den Antisemitismus-Vorwürfen gegen die Documenta 15 führt die Kulturbranche hierzulande eine Debatte über die Freiheit der Kunst. Vor allem geht es um die Frage, in welcher Relation dieses hohe Gut unserer Verfassung zu anderen Rechten oder Wertvorstellungen steht. Begriffe wie Antidiskriminierung, Diversität, Rassismus und Antisemitismus bestimmen den Diskurs. Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde werden der Kunstfreiheit entgegengesetzt. Während sich die Gesellschaft mehrheitlich auf bestimmte Rechte und Wertvorstellungen weitgehend verständigen kann, ist der Umgang mit ihnen in der Kunst umso schwieriger.

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Zwischenzeitlich forderte die Berliner Kulturverwaltung im Zusammenhang mit der öffentlichen Kulturförderung die Unterzeichnung einer Antidiskriminierungsklausel, die, so die seinerzeitige Pressemitteilung, sicherstellen soll, „dass mit öffentlichen Geldern keine rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen oder anderweitig ausgrenzenden Ausdrucksweisen gefördert werden“. Die Klausel wurde wegen juristischer Bedenken vorerst auf Eis gelegt. Auf ähnlicher Linie wie die Berliner Antidiskriminierungsklausel liegt der Abschlussbericht über die letzte Documenta, der kürzlich von der Metrum Management GmbH vorgelegt wurde. Dort wird nicht nur der in deutschen Kultureinrichtungen mittlerweile weit verbreitete Code of Conduct gefordert, der sich auf das innerbetriebliche Verhalten von Leitung und Mitarbeitern sowie ihren zwischenmenschlichen Umgang miteinander bezieht. Vielmehr soll die jeweils bestellte künstlerische Leitung, so der Abschlussbericht, selbst einen zweiten Code of Conduct formulieren, der „in den kuratorisch-künstlerischen Bereich hineinragen“ und „direkten Einfluss auf die künstlerischen Inhalte selbst“ haben soll. Dadurch sei sicherzustellen, dass die Kunstausstellung die Menschenwürde nicht verletzt, da im Grundgesetz „die Menschenwürde an allererster Stelle“ stehe. Richtig oder vielleicht doch nicht zu Ende gedacht?

Wo die Kunstfreiheit beginnt und wo sie aufhört

Die durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 geschützte Kunstfreiheit unterliegt keinem Gesetzesvorbehalt. Ein Gesetz, das die Kunstfreiheit gezielt regelt, wäre also per se verfassungswidrig. Das bedeutet nicht, dass es für dieses Grundrecht keine Grenzen gibt. Sie liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Grundrechten Dritter sowie in anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang. Sind solche Grundrechte oder Rechtsgüter von der Kunstausübung tangiert, hat eine Abwägung im Einzelfall stattzufinden. Keinesfalls hat also dann die Kunstfreiheit von vornherein zurückzustehen, selbst dann nicht, wenn bestimmte Straftatbestände erfüllt sind. Ist die Menschenwürde durch eine Kunstausübung tangiert, gilt letztlich nichts anderes. Denn auch die Kunstfreiheit ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Mephisto-Entscheidung vom 24. Februar 1971 bereits ausdrücklich festgestellt hat, Teil der Menschenwürde. Es steht also im Zweifel Menschenwürde gegen Menschenwürde.

Daher lohnt es sich, etwas genauer die Rechtsprechung dieses Gerichts anzuschauen. In der schon erwähnten Mephisto-Entscheidung heißt es: „Da die Kunstfreiheit keinen Vorbehalt für den einfachen Gesetzgeber enthält, darf sie weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung auf eine Gefährdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter abhebt. Vielmehr ist ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen.“ Und in der Entscheidung vom 17. Juli 1984 zum anachronistischen Zug hat das Bundesverfassungsgericht ergänzt: „Es bedarf der Klärung, ob diese Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat; eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. Lässt sich freilich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden.“

Keine allgemeine Relativierung der Kunstfreiheit

Mit der zitierten Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht die Kunstfreiheit in besonderer Weise gestärkt. Eine allgemeine Relativierung der Kunstfreiheit durch welche wie auch immer gesellschaftlich anerkannte Werte ist im Grundgesetz schlicht nicht vorgesehen. Diese Relativierung durch eine, wie die Mephisto-Entscheidung es vorausschauend formuliert hat, „unbestimmte Klausel“ scheidet dementsprechend ebenso aus wie jedes die Kunst regelndes Gesetz. Das schiebt einer im Förderungsrecht verankerten Antidiskriminierungsklausel einen deutlichen Riegel vor. Nicht anders steht es um einen die künstlerische Arbeit regelnden Code of Conduct, selbst wenn er in Form der Selbstbindung von einer künstlerischen Leitung eigenständig formuliert wird. Denn im Falle der Tangierung von Grundrechten Dritter oder anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang, hat die künstlerische Leitung selbst in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sie dies an der Kunstausübung hindert oder nicht. Versuchte man dafür allgemeine Regeln aufzustellen, wären sie entweder (im Verhältnis zu den betroffenen Künstlern) verfassungswidrig oder verlören sich in nicht aussagefähige Allgemeinplätze.

Die Kunst ist frei

Nun ist der Satz „Die Kunst ist frei.“ für sich genommen zumindest so lange nicht von Bedeutung, als die Kunst nicht nach außen tritt, nicht öffentlich wird. So wie jeder denken kann, was er will, kann auch jeder schreiben, malen oder anders künstlerisch gestalten, was ihm durch den Kopf geht. Doch will er seine Kunst Dritten zugänglich machen, damit gar an die Öffentlichkeit gehen, tritt er in Beziehung zum Gemeinwesen, und dann stellen sich die Fragen nach den Grenzen der Kunstfreiheit. Damit gelangen alle die öffentlichen Institutionen ins Visier, die wesentlich für die Herstellung dieser Öffentlichkeit zuständig sind: Theater, Museen, Ausstellungshallen, Verlage, Bibliotheken, Konzertsäle und vieles mehr, erst recht, wenn sie mehr oder weniger öffentlich gefördert werden. Tangieren die von ihnen veröffentlichten Kunstwerke die Grundrechte Dritter, und zwar einer konkreten, identifizierbaren Person (so ebenfalls das Bundesverfassungsgericht), oder andere Rechtsgüter von Verfassungsrang, erfordert dies die oben bereits eingeforderte Abwägung im Einzelfall.

Der Kunst obliegen viele Aufgaben, eine der wichtigsten ist es, den Zustand, vor allem das Elend dieser Welt auf künstlerische Weise sichtbar zu machen und eine Auseinandersetzung damit zu provozieren oder voranzutreiben. Das impliziert geradezu die Berechtigung, ja die Notwendigkeit, Menschenunwürdiges erkennbar werden zu lassen, zu zeigen, sei es nun Mord und Totschlag, Intrige, Ausbeutung, Antisemitismus, Vergewaltigung, Krieg, Rassismus, Fremdenhass und vieles mehr, was den Menschen seit Jahrhunderten so an unerträglichen Verhaltensweisen einfällt. Davon leben beispielsweise Shakespeare-Dramen, Bilder von George Grosz sowie zahlreiche Spielfilme, ob gestreamt, im Kino oder im Fernsehen. Genau das macht es so gut wie unmöglich, abstrakt zu regeln, was in der Kunst erlaubt ist und was nicht, die Grenze des Zulässigen allgemeingültig zu formulieren.

Die öffentliche Förderung und künstlerische Verantwortung

Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die öffentliche Hand alles fördern muss, was künstlerisch erlaubt ist. Macht sie auch nicht. Vor allem in der Projektförderung kann sie nach eigener politischer Anschauung entscheiden, welches Projekt mit öffentlichem Geld gefördert wird und welches nicht. Schwieriger wird dies erst, wenn ein Projekt gefördert wird, dessen künstlerischer Inhalt beim Entscheid über die Förderung noch gar nicht im Detail feststeht oder gar eine dauerhafte Förderung einer Institution, etwa eines Theaters oder eines Museums, stattfindet, wie es bei der Konzeptförderung oder erst recht bei der institutionellen Förderung der Fall ist. In diesen Fällen überträgt die öffentliche Hand die volle Verantwortung für die künstlerische Gestaltung auf die künstlerische Leitung der Institution und hat sich auf die Rechtsaufsicht zu beschränken, sofern sie überhaupt rechtlicher Träger der Kultureinrichtung ist. Diese Rechtsaufsicht erlaubt nur einen Eingriff in die künstlerische Arbeit der geförderten Institution, wenn Rechte Dritter oder andere Rechtsgüter von Verfassungsrang tangiert sind und dies gerade nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt ist.

Insofern spielt die Frage der Ausgestaltung künstlerischer Verantwortung in den öffentlich getragenen Kulturbetrieben eine herausragende Rolle. Sie reicht von der sorgfältigen Auswahl des künstlerischen Leitungspersonals (siehe https://stadtpunkt-kultur.de/2017/07/ueber-die-intendantenwahl/), über die ordnungsgemäße und eindeutige Verteilung von Befugnissen (https://stadtpunkt-kultur.de/2022/09/ueber-kollektive-verantwortung-in-kultureinrichtungen/bis hin zu einem klaren System der Rechtsaufsicht. Befindet sich die fördernde öffentliche Institution (Bund, Land, Kommune, Stiftung) nicht in der Trägerverantwortung für den geförderten Kulturbetrieb, hat sie schlicht die Pflicht, bezogen auf die künstlerische Verantwortung und die dafür zuständigen Personen genauer hinzusehen.

Und die künstlerische Leitung einer öffentlich geförderten Kultureinrichtung? Sie hat die oben eingeforderte Einzelfallprüfung bei der Veröffentlichung von Kunstwerken jeglicher Art um so mehr vorzunehmen, als sie sich mit der Veröffentlichung des Kunstwerks den Grenzen der Kunstfreiheit nähert. Das heißt: Je mehr die Veröffentlichung eines Kunstwerks die Gefahr in sich birgt, die Rechte einer dritten Person oder Rechtsgüter von Verfassungsrang zu verletzen, desto genauer muss überlegt werden, zu welchem Zweck, mit welchem Ziel die Veröffentlichung vorgenommen wird. Dabei spielt auch eine Rolle, ob bereits eine anderweitige Veröffentlichung stattgefunden hat. In besonderen Zweifelsfällen bedarf es der eindeutigen Kontextualisierung. Diese ist aber gerade dann schwierig, wenn die Veröffentlichung zum Zwecke der Provokation einer Debatte erfolgt. Denn die Voraberläuterung einer Provokation ist ein Widerspruch zu ihr selbst. Gerade hier ist deshalb besondere Sorgfalt in der Auswahl der Mittel erforderlich.

Corona-Betrug bei den Salzburger Festspielen? Über den Sinn oder Unsinn von Strafanzeigen

Es ist ein beliebtes Mittel zur Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit: Das Erstatten einer Strafanzeige. Jemand wendet sich an die zuständige Polizeistation oder an die Staatsanwaltschaft, um dort einen Sachverhalt mitzuteilen, mit dem angeblich eine Straftat begangen wurde. Soeben sind die Salzburger Festspiele von einer solchen Strafanzeige betroffen. Anlass sind Auseinandersetzungen über Gagenausfälle wegen der Corona-Pandemie. Ob Strafanzeigen dieser Art sinnvoll sind, ist mehr als fraglich. Oft sind sie auch nur eine unnötige Belastung des Justizapparates.

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Der Sachverhalt

Was war passiert? Auch bei den Salzburger Festspielen sind in den Corona-Jahren Veranstaltungen ausgefallen. Wie jedes Theater stand einer der bedeutendsten Festspielbetriebe in Europa vor der Frage, ob und inwieweit Künstlerverträge, die mangels Proben und Vorstellungen nicht umgesetzt werden konnten, auszubezahlen waren. Dabei ging es immer und überall nur um kurzfristig, also etwa für eine Produktion, Beschäftigte. Die Praxis war in allen Theatern des deutschsprachigen Raums sehr unterschiedlich. Eine Reihe von Häusern zahlte nichts, einige waren sogar von ihren Rechtsträgern, also den Städten oder Ländern, entsprechend angewiesen worden. Viele zahlten, wie in einer nicht öffentlichen Expertise von stadtpunkt.kultur empfohlen, angemessene Teilbeträge. Mancher entschied sich, die Verträge insgesamt auszubezahlen, vor allem wenn schon erhebliche Vorleistungen von Künstlerinnen oder Künstlern in Proben oder etwa für die Produktion von Bühnen- und Kostümbild erbracht worden waren.

Die Rechtslage

So etwas wie die Corona-Epidemie hatte es in den letzten Jahrzehnten noch nie gegeben. Reihenweise waren die Theater zum Zweck des Infektionsschutz geschlossen worden. Umso unübersichtlicher war die Rechtslage. In vielen Künstlerverträgen standen sogenannte Force-Majeure-Klauseln, die für den Fall der höheren Gewalt Künstler und Künstlerinnen von der Leistungspflicht befreiten, ihnen aber zugleich den Vergütungsanspruch, also die Gage nahmen. Es gab erhebliche Zweifel, ob solche Klauseln überhaupt mit den europäischen Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbar sind. Zudem war es nicht so einfach, sich auf höhere Gewalt zu berufen, wenn die Theaterträger ihre eigenen Theater zur Vorsicht schlossen. Zurückgegriffen wurde hierzulande vielfach auf § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der eine Vertragsanpassung bei Störung der Geschäftsgrundlage vorsieht (siehe auch  https://stadtpunkt-kultur.de/2020/04/infektionsschutzgesetz-und-kunstfreiheit-ueber-die-rechtsfolgen-der-corona-pandemie-in-der-kunst/). Dieser Rückgriff erlaubte eine flexible Handhabung der sehr unterschiedlichen Einzelfälle und führte bei corona-bedingtem Ausfall von Proben oder Vorstellungen nicht zwingend zum Ausfall aller Honorare.

Das Strafrecht ist hier fehl am Platze

Bei der Durchführung und Abwicklung der vielen zur Disposition stehenden Verträge sind sicher Fehler gemacht worden. Zu groß war die Unsicherheit in vielen Fällen. So ist es nicht überraschend, dass es auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über das Zahlen oder das Nichtzahlen von Gagen bzw. die Höhe der zu zahlenden Vergütung kam. Dafür sind Gerichte da. Aber eine Betrugsanzeige?

Betrug ist ein sogenanntes Offizialdelikt. Das heißt, die Staatsanwaltschaft muss Ermittlungen aufnehmen, wenn sie – auf welchem Wege auch immer – Umstände erfährt, die darauf schließen lassen, dass ein Betrug begangen wurde. Einer Strafanzeige bedarf es dafür nicht. Corona hat zu zahlreichen rechtlichen Problemen in der Abwicklung von Beschäftigungsverhältnissen gegeben, nicht nur in der Kulturbranche. Dass das Auszahlen von zu geringen Vergütungen oder das gänzliche Ausbleiben von entsprechenden Zahlungen regelmäßig zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wegen Betrugs geführt haben, ist nicht ersichtlich. Da hätten die Damen und Herren Staatsanwälte auch eine Menge zu tun gehabt. Insofern drängen sich auch keine Strafanzeigen auf, weder in Salzburg noch anderswo.

Interessant ist auch, dass sich auf Seiten der die Salzburger Festspiele Anzeigenden niemand die Mühe macht, nur annähernd zu erläutern, worin denn der Betrug genau liegen soll. Welche falschen Tatsachen sind vorgespiegelt worden? Welcher Irrtum ist bei den Beschäftigten entstanden? Was war angesichts der undurchsichtigen Rechtslage eindeutig rechtswidrig? Inwieweit haben die Verantwortlichen der Salzburger Festspiele das alles gewusst und gewollt, also vorsätzlich gehandelt? Fragen über Fragen, zumindest öffentlich keine Antworten.

Was erreicht werden soll

Das Motiv für solche Strafanzeigen ist oft politischer Natur. Gerne ist die Anzeige aber auch, wie hier, willkommenes Mittel zur Unterstützung zivilrechtlicher Forderungen, beispielsweise von Schadensersatzansprüchen. Von dem eingeleiteten Ermittlungsverfahren erhofft man sich zudem eine gewisse Vorverurteilung und damit einhergehenden Schwächung des Betroffenen. Verkannt wird, dass das Ermittlungsverfahren noch gar nichts aussagt über Schuld oder Unschuld. Vielmehr ist es gerade Aufgabe des Ermittlungsverfahrens festzustellen, ob das Vorliegen einer Straftat in Betracht kommt oder eben nicht. Erst die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft belegt deren Überzeugung davon, dass eine Straftat begangen worden ist. Verurteilt ist man erst, wenn man von einem Gericht verurteilt ist. Aber wieviel bleibt oft an der von einer Strafanzeige betroffenen Person hängen, wenn sie später freigesprochen wird?

Überflüssige Strafanzeigen

Das alles sollte man sich überlegen, bevor man eine Strafanzeige erstattet. Herausstellen würde sich dann: Strafanzeigen sind oft überflüssig. Sie halten die Justiz davon ab, wirklichen Verbrechen, auch Wirtschaftsverbrechen nachzugehen. Derer gibt in großer Zahl. Sie aufzuklären, ist schwierig genug. Für die Künstlerinnen und Künstler, die wegen Corona-Ausfällen keine oder aus ihrer Sicht eine zu geringe Gage erhalten haben, mag die Einbuße bitter sein. Sie haben das Recht, sich auf zivilrechtlichem Weg dagegen zu wehren. Die Staatsanwaltschaft wegen angeblichen Betruges zu bemühen, ist alles andere als ein vernünftiges Vorgehen. Darauf noch eine Strafanzeige wegen Verleumdung zu setzen, erst recht nicht.

Warum die Künstlersozialkasse für Kunst und Kultur auch nach 40 Jahren so wichtig ist

Kürzlich gab es in Berlin einen „großen Bahnhof“, wie es so schön heißt, wenn aus gegebenem Anlass viele Leute und einiges an Prominenz auflaufen. Es gab das 40-jährige Bestehen der Künstlersozialkasse zu feiern, ausgerechnet in der „Bar jeder Vernunft“. Gerade diese Tugend der Aufklärung kann man jedoch der KSK, wie sie verkürzt gerne genannt wird, nicht absprechen. Denn sie betreibt ein kompliziertes Versicherungsgebilde mit einer Renten-, einer Kranken- und einer Pflegeversicherung für selbstständige Künstlerinnen und Publizisten, und das mit einem hohen Maß an Sachverstand und Korrektheit. Und so bescheinigte der Bühnenlyriker Bas Böttcher zur Erheiterung des Geburstatgs-Publikums der Künstlersozialkasse „Bei all dem sich ständig mit Künstlern befassen, hast du dich nie verrückt machen lassen. Glanz und Pomp sind dir nie zu Kopfe gestiegen, du bist immer korrekt und nüchtern geblieben. Auch wenn die Klienten noch so krass fett rocken, du bleibst solide, sachlich und trocken.“

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Die 40-Jahr-Feier

Die anwesenden Politiker von Hubertus Heil über Claudia Roth bis zu Carsten Brosda ließen dann auch in ihren Statements an der Bedeutung der Künstlersozialkasse nicht den geringsten Zweifel und unterstützten damit Monika Heinzelmann, eine KSK-Mitarbeiterin der ersten Stunde. Sie wusste in Berlin anschaulich über die Anlaufschwierigkeiten der KSK zu berichten. Vor allem die seinerzeitige Software habe zuweilen Anlass zur Heiterkeit gegeben, wenn etwa versehentlich Rückzahlungsbescheide an Künstler über einen einzelnen Pfennig verschickt worden seien und diese dann in bar oder durch Übersendung einer Briefmarke beglichen wurden. „Es ist ein spezieller Personenkreis und es lohnt sich jeglicher Einsatz dafür. Das war das, was uns immer bewegt hat, uns motiviert hat“. Mit diesen Sätzen vermittelte Monika Heinzelmann den Zuhörern ihr immer noch vorhandenes Engagement. Wer so über sein langes Berufsleben am Ende spricht, hat nicht nur die richtige Wahl getroffen, sondern sich auch um eine unverzichtbare Sache verdient gemacht. Das ist ermutigend für alle, die heute für die Künstlersozialkasse arbeiten.

Wie unverzichtbar die KSK ist, lies Klaus Staeck, der seit Jahrzehnten die Zeitläufte dieser Republik begleitende und kommentierende Künstler, lange Präsident der Akademie der Künste, erkennen. Er mache sich Sorge, so sagte er in Berlin, über den heute zerrissenen Zustand der Gesellschaft, um unsere Demokratie, um die zunehmende Polarisierung und nicht zuletzt um die eine Gesellschaft tragende, unverzichtbare Solidarität. Die Künstlersozialkasse ist ein Teil dieser Solidarität. Um so erstaunlicher ist es, dass sie immer wieder in Frage gestellt wurde, zum Teil aus dem Kreis der Unternehmen, die mit der Künstlersozialabgabe wesentlich zur Finanzierung der Künstlersozialkasse beitragen, zum Teil aus bestimmten politischen Gruppierungen, die sich bemüßigt fühlten, den Anliegen dieser Unternehmen nachzukommen. Verständlich war das alles nicht.

Die Künstlersozialkasse und die Freiheit der Kunst

Die Freiheit der Kunst ist wie die Freiheit von Presse und Rundfunk unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Diese Freiheiten gibt es aber nicht, ohne dass es Künstlerinnen und Journalisten, Schauspieler, Musikerinnen, Tänzer, Sängerinnen oder Rezensenten, Moderatorinnen oder Korrespondenten, Grafikerinnen oder Designer gibt. Wenn niemand mehr diese Berufe ergreift, ist einfach Schluss mit freier Presse oder freiem künstlerischem Schaffen. Deshalb müssen diese Berufe, die oft nicht in arbeitsrechtlich abgesicherte Verhältnisse münden, weiterhin auch dann attraktiv bleiben, wenn sie in sehr wechselhaft verlaufender Selbstständigkeit ausgeübt werden. Dazu leistet die KSK mit ihren Versicherungen einen wesentlichen Beitrag. 

Da die Einnahmen, die bei Ausübung künstlerischer sowie publizistischer Berufe erzielt werden, oft überschaubar sind, lassen sich die Versicherungsleistungen jedoch nicht alleine aus hälftig von den Versicherten gezahlten Beiträgen finanzieren. Deshalb hilft dankenswerterweise der Bund mit einem hohen finanziellen Betrag, die Finanzierung der Künstlersozialkasse sicherzustellen. Das kommt nicht nur den in der KSK (pflicht-)versicherten Künstlern und Publizistinnen zugute, sondern auch all den Unternehmen, die die Künstlersozialabgabe zahlen, den sogenannten Abgabepflichtigen. Sie wird mit einem Prozentsatz von meist rund fünf Prozent auf die an selbstständige Künstler und Publizisten gezahlten Honorare erhoben. Vergleicht man sie mit dem Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung von etwa 20 Prozent ist das ein harmloser, eben durch den Bund subventionierter Betrag. Da sollte man eigentlich die Füße stillhalten. Alle sitzen in einem Boot. Ich bin in meiner Zeit als langjähriger für abgabepflichtigen Unternehmen gewählter Vorsitzender des Beirats nicht müde geworden, die Kolleginnen und Kollegen Beiratsmitglieder auf meiner Seite genau daran zu erinnern und mit dem damaligen Vorsitzenden für die Versicherten, Gerd Pfennig, für einen Ausgleich zwischen den Interessen beider Seiten Sorge zu tragen.

Dieser ist umso erforderlicher, als viele Unternehmen, die auf die von ihnen gezahlten Honorare die Künstlersozialabgabe zahlen, zumachen könnten, wenn es keine Künstlerinnen oder Publizisten gäbe. Niemand würde dann mit Theater, mit Konzerten, mit Galerien, mit Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, mit Filmen, mit Werbeagenturen, Modehäusern, mit Hörfunk und Fernsehen und vielem mehr irgendwelche Einnahmen erzielen oder eine öffentliche Finanzierung erhalten. Die Künstler und Publizisten sind für alle diese Unternehmen das Kapital, ohne dass gar nichts geht. Klar, man kann sie alle anstellen, aber dann fallen halt die hohen Sozialabgaben an. Dagegen ist die Künstlersozialkasse doch eher eine Spardose. Die meisten Kultureirichtungen zahlen die Künstlersozialabgabe deshalb anstandslos. 

Wie es weiter geht

Corona sitzt vielen selbstständigen Künstlern und Publizistinnen gewaltig in den Knochen. Von heute auf morgen verloren sie ihre Beschäftigung. Ihre Einnahmen stürzten in den Keller. In bewundernswerter Weise hat die Künstlersozialkasse, teils mit Unterstützung aus der Politik, das schlimmste, nämlich den durch Einnahmeausfall bedingten Verlust des Versicherungsschutzes verhindert. Doch schmerzlich gespürt hat die Szene, dass es an einer Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler und Publizisten fehlt. Sie zu entwickeln, ist alles andere als einfach (https://stadtpunkt-kultur.de/2021/01/wohin-die-reise-fuehrt-ueber-die-zukunft-der-theater-und-die-soziale-lage-der-kuenstler/). Ob die Künstlersozialkasse die richtige Adresse dafür ist, wäre zu überlegen. Auf die lange Bank schieben sollte man das Thema ebenso wenig wie die längst überfällige Frage nach einer ausreichenden Altersversorgung für die selbstständigen Künstlerinnen und Publizistinnen. Denn was jetzt am Ende deren Berufslebens über die aus der Künstlersozialversicherung gezahlt wird, ist alles andere als ausreichend; dafür sind die Lebenseinkommen der Versicherten zu gering und oft zu volatil. Dass eine stärkere Beteiligung der Kreativen an den Einnahmen der großen Internetkonzerne hier weiterhelfen könnten, wie die Politikerinnen und Politiker auf der Feier in Berlin anmahnten, ist zweifelsohne zutreffend. Es gibt also viel zu tun, packen wir es an, bevor die Legislaturperiode vorbei ist. Wahlen kommen, im Gegensatz zu Weihnachten, immerhin weniger plötzlich. Die nächste Bundestagswahl ist, so wie es aussieht, im Herbst 2025, also in zwei Jahren. Und im Januar 2025 beginnt der Wahlkampf, vor allem unter den streitlustigen kleineren Partnern der jetzigen Koalition. Dann wird sich niemand mehr auf grundsätzlich Neues verständigen wollen. Es ist also fast fünf vor zwölf.