Die Kultur im Koalitionsvertrag

Kaum war der Text des neuen zwischen CDU, CSU und SPD abgeschlossenen Koalitionsvertrags veröffentlicht, ließ die Kritik daran nicht lange auf sich warten. „Gemischte Gefühle unter Kulturschaffenden“ titelte der NDR. Die Zeitung „der Freitag“ hielt das, was der Vertrag zum Thema Kultur verkündete, für einen „Witz“ und die SZ sprach vom „Prinzip Weiterwurschteln“. Den Vogel schoss die FAZ mit ihrem harschen Urteil „beschämend arglos“ ab. Soweit ist also alles noch normal in deutschen Landen. Dass es bei der Veröffentlichung des Namens des neuen Kulturstaatsministers nicht sehr viel besser aussah, geschenkt. Von ihm soll hier nicht die Rede sein. Warten wir doch erst einmal ab, was er im Amt sagt und tut. Wenn uns Kulturleuten das nicht gefällt, sind wir doch wohl Frau, Manns oder divers genug, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Und um das ein wenig vorzubereiten, sollten wir das tun, was man mit Koalitionsverträgen am besten tut: Sie beim Wort nehmen.

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Ein Koalitionsvertrag ist kein Gesetz.

Was ist nun ein Koalitionsvertrag? Ein Koalitionsvertrag ist ein Koalitionsvertrag, nicht mehr und nicht weniger. In ihm legen die Vertragspartner fest, von welchen Überlegungen sie sich in der kommenden Legislaturperiode leiten lassen wollen, was sie in dieser Zeit vorhaben. Der Vertrag selbst ist noch kein Gesetz. Er ist interpretationsbedürftig, das haben Verträge so an sich, zumal wenn sie auf Kompromissen beruhen. Generationen von Juristen wären unterbeschäftigt, wenn es anders wäre. Deshalb ist es Aufgabe der Gesellschaft, der Kulturvereine und -verbände, die im Koalitionsvertrag geäußerten Absichten durch konkrete Vorschläge mit Leben zu füllen, die die Koalitionäre dann gerne umsetzen können. Das jedenfalls ist weit effektiver als den zu unkonkreten Wortlaut der Vereinbarung zu kritisieren. Und gute Absichten enthält der Koalitionsvertrag, auch im Bereich von Kunst und Kultur, in Hülle und Fülle.

Kommunalfinanzen und Vergaberecht

Wer also über die kulturpolitisch relevanten Inhalte Genaueres wissen will, tut gut daran, zunächst an anderer Stelle als im Kapitel „Kultur und Medien“ nachzulesen. So wird im kommunalpolitischen Teil des Papiers nicht nur konstatiert, dass es „eine grundsätzliche und systematische Verbesserung der Kommunalfinanzen“ braucht, sondern auch der Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt“ unmissverständlich postuliert. Das lässt auf eine Entschuldung der klammen Kommunen ebenso hoffen wie auf eine Bundesfinanzierung von Aufgaben, die der Bund immer wieder gerne der kommunalen Selbstverwaltung überträgt. Für die Kultur ist das von zentraler Bedeutung. Denn nach wie vor tragen die Kommunen den größten Teil der Kulturfinanzierung. Je knapper dort die Kassen sind, desto größer ist das Risiko, dass in die kommunalen Kulturhaushalte hineingeschnitten wird.

Anlass zur Hoffnung geben auch die Zeilen 2059 bis 2067 des Koalitionsvertrages. Dort schreibt sich die neue Regierung die Vereinfachung des Vergaberechts auf die Koalitionsfahnen. Auch der „sektoralen Befreiungsmöglichkeiten“ vom Vergabemoloch wird das Wort geredet. Und wenn in Zeile 3826, also nun im Kapitel „Kultur und Medien“, von der Entbürokratisierung  des Zuwendungsrechts die Rede ist, dann könnte man damit gleich dadurch beginnen, dass man den Kulturbereich vor allem für die Unterschwelle (vgl. https://stadtpunkt-kultur.de/2022/02/vergaberecht-und-kunst-ueber-die-unterschwelle-im-kulturbetrieb/) weitgehend vom bürokratischen Irrsinn des Vergabeverfahrens befreit. Hier könnte die Bundesförderung etwa der Bundeskulturstiftung mit gutem Beispiel voran gehen. Oder man schreibt in den vom Bund erarbeiteten Text der Unterschwellenvergabeordnung, der von den Ländern meist einfach übernommen wurde, einen Paragrafen hinein, der den Kulturbetrieben bei Vergaben mit Bezug zum künstlerischen Betrieb eine Direktvergabe grundsätzlich zulässt. Ein Aufatmen ginge durch die Branche.

Kultur konkret

Doch nun zum kulturellen Kern des Kapitels „Kultur und Medien“. Wer dort nach konkreten Inhalten sucht, kann sie haben. Hier einige Beispiele:

  • Kunstfreiheit verlangt, dass für Kunst keine inhaltlichen Vorgaben des Staates gelten dürfen.“ Das ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr, wenn man in die Programme mancher Rechtspopulisten in Deutschland, Europa und anderswo schaut.
  • „Wir fördern keine Projekte und Vorhaben, die antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Ziele verfolgen.“, ein Satz, der wohl überlegt ist, stellt er doch bei der öffentlichen Präsentation eines Kunstwerkes nicht auf das Kunstwerk selbst, sondern das Motiv dieser Präsentation ab (s. auch https://stadtpunkt-kultur.de/2024/01/antidiskriminierungsklausel-und-code-of-conduct-ueber-die-grenzen-der-kunstfreiheit/).
  • „Wir brauchen auch in Zukunft ein starkes Creative Europe Programm.“
  • „Die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bringen wir zu einem erfolgreichen Abschluss.“
  • „Wir … berücksichtigen bei der Bundesförderung Mindestgagen und Honoraruntergrenzen.“ Auch das ist ein wichtiges Bekenntnis, das aber nicht dazu führen darf, dass Projekte, die sich Honorare jenseits dieser Untergrenzen nicht leisten können, nicht mehr gefördert werden (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2024/07/ueber-mindesthonorare-in-der-kunst/).
  • „Wir stabilisieren die Finanzierung der Kulturstiftung des Bundes und aller acht Bundeskulturfonds.“
  • „Wir setzen das Programm „Kultur macht stark“ fort.“
  • „Öffentlichen Bibliotheken ermöglichen wir die Sonntagsöffnung.“
  • „Wir werden das Denkmalschutzsonderprogramm fortführen. Die vorbereitete Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes setzen wir zeitnah um.“
  • „Wir werden die Provenienzforschung intensivieren, die Schiedsgerichtsbarkeit einführen und ein wirksames Restitutionsgesetz schaffen.“

Die Liste ließe sich fortsetzen, auch mit Vorhaben, die noch der Konkretisierung bedürfen. Dazu gehört etwa die Ankündigung, die Filmförderung zeitnah durch „steuerliche Anreizsysteme sowie eine Investitionsverpflichtung“ zu verbessern. Dazu gehört aber vor allem der Plan, „die soziale Absicherung von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen innerhalb und außerhalb der Leistungen der Künstlersozialkasse (zu) stärken und unbürokratischer auf die besonderen Arbeits- und Lebensbedingungen in der Kunstbranche ab(zu)stimmen“. Jeder, der sich auch nur ein wenig mit den sozialen Problemen der Kulturbranche befasst hat, weiß dass es dabei vor allem um das Thema Arbeitslosenversicherung für Künstlerinnen und Künstler geht (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2025/02/die-arbeitslosenversicherung-fuer-selbststaendige-kuenstler-illusion-oder-reale-option/). Und Anlass zur Hoffnung gibt auch der im Kapitel Urheberrecht zu findende Satz: „Urheber müssen für die Nutzung ihrer bei der Entwicklung generativer KI notwendigerweise verwendeten Werke angemessen vergütet werden.“ Zu ergänzen ist da jedoch der Hinweis, dass es beim Thema KI nicht nur ums Urheberrecht, sondern auch um die Persönlichkeitsrechte geht – nicht zuletzt von Künstlerinnen und Künstlern ( s. https://stadtpunkt-kultur.de/2024/04/die-menschliche-stimme-ki-und-das-persoenlichkeitsrecht/  sowie https://stadtpunkt-kultur.de/2023/04/ist-kuenstliche-intelligenz-das-ende-des-urheberrechts-oder-was-man-dagegen-tun-muss/) .

Auch, was sich die neue Bundesregierung zum Thema „Medien“ vorgenommen hat, kann sich sehen lassen, sowohl was die Bekämpfung von fake news als auch den angekündigten „intensiven Diskurs über Medien“ oder die Sicherung der Meinungsvielfalt angeht.  An Arbeit wird es also dem neuen Kulturstaatsminister nicht mangeln. Unterstützen wir ihn dabei. Der Kultur und der Freiheit der Kunst sowie der Meinungsvielfalt wird das mehr dienen, als dass wir uns unnötig an seiner Person abzuarbeiten.

Die Kultur-GmbH

Seit das Land Berlin die Absicht geäußert hat, seine staatlichen Sprechbühnen (also Deutsches Theater, Volksbühne, Maxim Gorki Theater) in privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, nämlich in Gesellschaften mit beschränkter Haftung umzuwandeln, beginnt aufs Neue die Diskussion über den Sinn und Unsinn solcher GmbHs. Wie üblich gibt es Widerstand aus den Reihen der Gewerkschaften. Denn die Belegschaft ist zurecht verunsichert. Andererseits gibt es in Deutschland viele Theater, die seit Jahrzehnten als GmbH organisiert sind. Dazu gehören beispielsweise die Staatstheater der Freien und Hansestadt Hamburg oder das Düsseldorfer Schauspielhaus. Grundsätzlich besteht also kein Grund zur Beunruhigung. Umso wichtiger ist es jedoch, auf einige Aspekte aufmerksam zu machen, die bei einer solchen organisatorischen Privatisierung zu beachten sind.

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Die Gebietskörperschaft als Gesellschafter

Wichtig ist es, dass bei der Umwandlung der Trägerschaft staatlicher oder städtischer Kulturbetriebe in eine private Rechtsform die Verantwortung der jeweiligen öffentlichen Gebietskörperschaft(en) für die jeweilige Kultureinrichtung nicht aufgegeben wird. Eine solche öffentliche Verantwortung geht weitgehend verloren, wenn das Theater in eine echte private GmbH derart überführt wird, dass nur noch Privatpersonen oder -unternehmen als Gesellschafter fungieren. Das mag im Einzelfall funktionieren, etwa bei der Berliner Schaubühne, wo dies eine lange Tradition hat. Als generelles Modell taugt eine solche Konstruktion nicht. Denn sie reduziert die öffentliche Verantwortung für das Theater auf die mehr oder weniger umfangreiche öffentliche Finanzierung. Eine echte Verantwortung der öffentlichen Hand für den Kulturbetrieb setzt aber die formelle und direkte Beteiligung des Landes oder der Stadt an der Trägerschaft in Form des Gesellschafterstatus voraus. Soweit man hört, ist in Berlin auch nichts anderes geplant.

Öffentliche Zuschüsse und Insolvenz

Es ließe sich einwenden, eigentlich gehe es nur ums Geld. Würden die öffentlichen Zuschüsse für das Theater deutlich gekürzt, könne der Spielbetrieb so oder so nicht oder nicht vollständig aufrechterhalten werden. Insofern sei die Organisationsform egal. Doch so einfach ist es nicht. 

Werden einem als Regie- oder Eigenbetrieb organisierten Theater die Mittel entzogen, bleiben Stadt oder Land zunächst auf den Kosten sitzen. Denn der Vertragspartner aller Verträge, die das Theater abgeschlossen hat, ist und bleibt der Träger, also die Stadt oder das Land. Eine Insolvenz des Theaters kann in diesem Fall gar nicht eintreten. Vielmehr muss der Träger alle vom Theater abgeschlossenen Verträge erfüllen. Er muss die bestellten Waren bezahlen und abnehmen. Er muss die vereinbarten Dienstleistungen zumindest vergüten. Die Arbeitsverträge, die der Regie- oder Eigenbetrieb stets im Namen des Trägers abschließt, müssen von Stadt oder Land fortgeführt werden. Sie können nur nach den harten Regeln des Kündigungsschutzgesetzes, unter Umständen mit langer Kündigungsfrist, gekündigt werden. Nichtverlängerungsmitteilungen beim künstlerischen Theaterpersonal haben einen langen Vorlauf und sind rechtlich hoch kompliziert (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2020/12/wie-sozial-sind-der-befristete-arbeitsvertrag-und-das-nichtverlaengerungsrecht-im-deutschen-theater/). Manche Arbeitsverhältnisse sind auf Grund tariflicher Vereinbarungen gar nicht mehr zu beenden. Diese finanziellen Belastungen entstehen, obwohl das Theater nicht mehr spielt, ein Umstand, der bei den Rechnungsprüfern auf wenig Gegenliebe stoßen wird. Das alles muss man als Politiker, also als Bürgermeister oder Ministerin, als Stadtrat bzw. Landtagsabgeordnete erst einmal durchstehen, vor allem wenn man selbst noch die Entlassung von mehreren hundert Theatermitarbeitern umzusetzen und öffentlich zu vertreten hat. Angenehm ist das nicht und politisch zustimmungsverdächtig auch nicht. Da betriebt und finanziert man doch lieber das Theater weiter.

Ganz anders stellt sich die Situation bei Theatern dar, die in Form einer GmbH organisiert sind. Kann ein GmbH-Theater seinen finanziellen Verpflichtungen wegen des ganz oder teilweisen Wegfalls der öffentlichen Gelder nicht mehr nachkommen, muss es Konkurs anmelden. Vertragliche Vereinbarungen werden dann nur in dem Umfang bedient, in dem Geld vorhanden ist. Entscheidend ist aber: Das Insolvenzverfahren erleichtert die Kündigung von Arbeitsverträgen jenseits aller tariflichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Es gibt also bei Insolvenz ein Sonderkündigungsrecht. Zudem werden alle Kündigungen vom Insolvenzverwalter ausgesprochen, also letztlich von einer neutralen Instanz. Niemand muss sich die Hände schmutzig machen und selbst kündigen. Umso wichtiger ist es, dass die öffentliche Hand als Gesellschafter an der Theater-GmbH beteiligt ist, weil sie sich so zumindest der auch formellen Mitverantwortung für das Konkursverfahren nicht ganz entziehen kann. Diese sollte dann im Gesellschaftsvertrag durch eine Klausel untermauert werden, die die Gesellschafter zur auskömmlichen Finanzierung des von ihnen getragenen Kulturbetriebs verpflichtet. Auch eine Regelung im Gesellschaftsvertrag, die die Träger im Falle der Insolvenz des Kulturbetriebs zur Übernahme der Beschäftigungsverträge zwingt, kann sich im Einzelfall als nützlich erweisen.

Arbeitsverträge und Betriebsübergang

Wird die Trägerschaft eines Kulturbetriebs in eine GmbH umgewandelt, gehen die Arbeitsverhältnisse nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die GmbH über. Dagegen hat jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin ein Widerspruchsrecht. Wer davon Gebrauch macht, wechselt nicht in die GmbH, sondern bleibt bei Stadt oder Land angestellt. Das aber nützt wenig, denn der jeweilige Träger hat dann das Theater auf die GmbH übertragen, hat also für die nicht von der GmbH übernommenen Angestellten keine Verwendung mehr. Zwar bestimmt § 613 a Abs. 4 BGB, dass weder der alte noch der neue Arbeitgeber wegen des Betriebsübergangs kündigen darf. Andere Kündigungsgründe bleiben aber ausdrücklich unberührt. Zudem laufen beim künstlerischen Personal ohnehin veranlasst durch die Nichtverlängerungsmitteilung nur befristete Arbeitsverträge aus, gekündigt werden muss gar nicht. Die Stadt oder das Land wird also letztlich doch alle die Beschäftigten entlassen, die nicht mehr direkt beim Träger eingesetzt werden können. Zwar muss in einigen Fällen geprüft werden, ob eine andere Verwendungsmöglichkeit innerhalb der Verwaltung besteht. Dies wird aber kaum der Fall sein, wenn viele Theaterbeschäftigte dem Übergang ihrer Arbeitsverträge auf die GmbH widersprochen haben. Man kann es drehen und wenden wie man will: Für die Arbeitnehmerseite ist die Trägerschaft der GmbH mit größeren Unsicherheiten verbunden. Das Widerspruchsrecht gegen den Übergang des Arbeitsvertrages auf die GmbH ist zumindest im Kulturbereich ein Rohrkrepierer.

Tariferhöhungen

§ 613 a Abs. 1 BGB schreibt jedoch wenigstens vor, dass im Falle des Betriebsübergangs, d.h. der Übertragung eines Kulturbetriebs auf eine GmbH, die Tarifverträge, die bisher für das übergehende Arbeitsverhältnis Anwendung fanden, mit auf die GmbH übergehen. An den Theatern gelten also der TVöD bzw. der TV-L für das nicht-künstlerische Personal sowie der Bühnentarifvertrag NV Bühne und der Orchestertarifvertrag TVK in der neuen GmbH weiter. In der Regel führt das auch zur Übernahme der für die genannten Tarifbereiche zukünftig vereinbarten Tariferhöhungen. Dies gilt vor allem im künstlerischen Bereich, weil nach der Satzung des Bühnenvereins die dortige Mitgliedschaft des Theaters für die neu gegründete GmbH bestehen bleibt.

Es ist jedoch bei einzelnen GmbH-Gründungen ein besonderes und unerwartetes Haushaltsproblem aufgetreten. Ist das Theater ein Regiebetrieb der Stadt oder des Landes, sind die Personalkosten des Theaters Teil des städtischen bzw. staatlichen Personaletats. Bei Tariferhöhungen wird dieser pauschal im Umfang des vereinbarten Prozentsatzes angehoben, was oft dazu führt, dass auch das Theater automatisch die für die Tariferhöhung notwendigen Haushaltsmittel eingestellt und zugewiesen bekommt. Ist das Theater eine GmbH, gibt es im städtischen Haushalt einen eigenen Titel für das Theater, der auch dessen Personalkosten umfasst. Dieser Titel wird dann aber nicht durch die Erhöhung der städtischen Personalkosten miterhöht, sondern die entsprechende Erhöhung ist zusätzlich in den Haushalt einzustellen. Dies wird dann gerne vom Kämmerer oder dem Finanzminister vergessen, manchmal aber auch ausdrücklich abgelehnt. Dann muss das Theater die erhöhten Lohnkosten aus dem eigenen Etat finanzieren.

Mehr Freiheit

Für die GmbH spricht vor allem, dass ein als solche organisierter Kulturbetrieb nicht mehr derart in die öffentliche Verwaltung eingebunden ist, wie das bei einem Regie- oder Eigenbetrieb der Fall ist. Doch oft bekommen die Träger dann, wenn sie ein Theater in eine GmbH umwandeln, so etwas wie die Angst vor der eigenen Courage. Gerne werden dann die Freiheiten, die man dem Kulturbetrieb lassen wollte und sollte, über den Gesellschaftsvertrag oder den Zuwendungsbescheid, mit dem der GmbH die öffentlichen Mittel zugesagt werden, wieder eingeschränkt. Als Beispiel sei auch hier die Verpflichtung zur Anwendung des Vergaberechts selbst dort, wo das nicht zwingend ist, genannt (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2022/02/vergaberecht-und-kunst-ueber-die-unterschwelle-im-kulturbetrieb/).

Als besonders problematisch erweisen sich in diesem Zusammenhang die Muster-GmbH-Verträge, die viele Träger jenseits des Kunstbetriebs entwickelt haben. Die für die Finanzen zuständigen Kämmerer oder Finanzministerien geben dann unmissverständlich vor, dass diese Musterverträge bei sogenannten Ausgründungen, also der Übertragung von städtischen und staatlichen Aufgaben auf eine GmbH, anzuwenden sind. Oft enthalten diese Musterverträge jedoch eher kunstfeindliche Regelungen. Dazu gehört beispielsweise die Bestimmung, dass die Geschäftsführung der GmbH, meist (zumindest teilweise) identisch mit der künstlerischen Leitung, den Weisungen des Aufsichtsrats Folge zu leisten hat. In künstlerischen Fragen öffnet dies dem Eingriff des Aufsichtsrats in den Spielplan und in Besetzungsfragen Tür und Tor. Dem steht nicht nur die übliche Gestaltung der Intendantenverträge entgegen, mit denen die künstlerische Leitung des Hauses dem Intendanten oder der Intendantin übertragen wird. Dies widerspricht bei einer Besetzung des Aufsichtsrats mit Vertretern des Trägers auch der verfassungsrechtlich garantierten Kunstfreiheit. Und wer derzeit beobachtet, wie in den USA die dortige politische Führung versucht, auf Wissenschaft, Forschung und Kultur inhaltlich zuzugreifen, dem kann bei solchen gesellschaftsvertraglich abgesicherten Zugriffsrechten des Aufsichtsrats auf die künstlerischen Inhalte nur angst und bange werden. Deshalb sollte man sich nicht blind auf die bestehenden Muster-GmbH-Verträge verlassen. Vielmehr ist genau zu prüfen, welche dort enthaltenen Regelungen gegebenenfalls den künstlerischen Aufgaben der Kulturinstitution entgegenstehen und deshalb nicht zur Anwendung gelangen sollten.

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass die Ausgliederung eines städtischen oder staatlichen Kulturbetriebs in eine GmbH durchaus ihre Tücken hat. Diese können freilich vermieden werden. Dazu bedarf es aber des notwendigen politischen Willens und der hohen Aufmerksamkeit sowie eines gewissen Durchsetzungsvermögens der von der organisatorischen Veränderung betroffenen Institution. Blindes Vertrauen in die Organisationsform der GmbH ist ebenso wenig angebracht wie eine trotzige Verweigerungshaltung. Wie immer lassen sich die Probleme lösen. Was es dazu braucht, ist eben der gute Wille aller Beteiligten, vor allem aber ein sensibles Verständnis der politisch Verantwortlichen für die besonderen Belange einer der Kunst verpflichteten Einrichtung.

Siehe auch: https://nachtkritik.de/recherche-debatte/thomas-heskia-theater-privatisierung

Bürokratie in der Kunst

1992 hatte ich gerade mein Amt als Direktor des Deutschen Bühnenvereins angetreten, als mich dessen damalige Präsident August Everding zu einem Gespräch über meine künftigen Aufgaben nach München einlud. Wir trafen uns in seinem beeindruckenden Intendantenbüro im Prinzregententheater. Everding hielt sich nicht lange mit Vorreden auf, sondern kam sogleich auf sein Herzensanliegen zu sprechen: Die Kunst und allem voran das Theater seien dringend aus den Fesseln gesetzlicher Vorschriften und der damit verbundenen Bürokratie zu befreien. Arbeitszeitregelungen und Vergaberecht, Tarifverträge und Haushaltsrecht, überzogene Sicherheitsvorschriften, unzählige zu beachtende Verwaltungsregelungen, alles Teufelszeug, das die Kunst beeinträchtige, wenn nicht sogar verhindere. Er wollte damals ein „Theatergesetz“, wie er es nannte, dessen einziger Zweck sein sollte, Gesetze für das Theater im Sinne der Kunstfreiheit außer Kraft zu setzen.

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Auflagen über Auflagen

Was sich seitdem getan hat, ist jedoch – bei allen Bemühungen des Bühnenvereins und anderer Institutionen, die Freiheit der Kunst hochzuhalten – eher das Gegenteil dessen, was Everding anstrebte. Die Regelungen sind wie überall engmaschiger geworden. Die Rechtslage wird von Tag zu Tag komplizierter. Auflagen über Auflagen, worum immer es auch geht. Wir regulieren uns noch zu Tode, hat es ein Intendant einmal formuliert, als es wieder einmal darum ging, ein neues Gesetz im Theater umzusetzen. Und da das Theater als ein strukturierter Kulturbetrieb eine Art Seismograf für die Probleme einer Gesellschaft ist, verwundert es nicht, dass plötzlich der Wunsch nach Bürokratieabbau nicht nur in der Kunst, sondern auch sonst in aller Munde ist.

Selbst Zeitgenossen (und natürlich auch *Genossinnen), die sich sonst vorwiegend mit allem anderen als mit Rechtsfragen zu befassen pflegen, runzeln beim Wort Bürokratie die Stirn. Vielen ist es zum Synonym für alles geworden, was mal wieder nicht funktioniert. Sie vermuten zudem (oft nicht ganz zu Unrecht), dass ihre berechtigten oder auch weniger berechtigten Anliegen viel zu oft in der Versenkung der „Krater“ staatlicher und städtischer „Büros“ verschwinden. Umso lauter wird der Ruf nach Bürokratieabbau. Was das genau bedeuten soll, ist oft gar nicht die Frage. Gerne wird das Wehklagen der deutschen Wirtschaft über zu viele staatliche Formalitäten, ja, so heißt es, über die Regulierungswut von Stadt, Land, Bund und vor allem der EU kritiklos übernommen. Es ist halt schön und allzu verlockend, im Mainstream mitzuschwimmen.

Das Beispiel Vergaberecht

Dennoch ist nicht zu leugnen, an der Sache ist etwas dran. Man denke nur an den Aufwand, den sich die Bundesrepublik Deutschland hat einfallen lassen, um auch bei öffentlichen Aufträgen finanziell untergeordneter Bedeutung (also kleinere Aufträge mit überschaubaren Auftragssummen) den Verwaltungsapparat auf Touren zu bringen (s. dazu https://stadtpunkt-kultur.de/2022/02/vergaberecht-und-kunst-ueber-die-unterschwelle-im-kulturbetrieb/). Davon sind gerade auch die öffentlich getragenen Kultureinrichtungen wie Theater und Museen betroffen. Diese Überregulierung geschah zumal ohne Not, denn ausnahmsweise hat sich in dieser Frage selbst die EU erstaunlicherweise mit eher bescheidenen Vorgaben zurückgehalten. Aber so ist das nun einmal in Deutschland: Erlässt die EU eine Regelung, weiß man hierzulande mit Sicherheit, wie es auch noch komplizierte geht und setzt die EU-Vorgaben nicht nur zu hundert Prozent, sondern gerne einhundertfünfzig prozentig um. Ehe man sich versieht, wird dann in den rechtspopulistischen Kreisen der völlig abwegige Austritt aus der Europäischen Union postuliert.

Was das Problem ist und was nicht

Um der Sache ein wenig auf den Grund zu gehen, müsste zunächst geklärt werden, was denn staatliche Bürokratie im eigentlichen Sinne bedeutet. Letztlich handelt es sich um nichts anderes als die Ausübung der dritten Gewalt, also die Exekutive. Sie muss es geben, denn irgendjemand muss die erlassenen Gesetze ja ausführen. Das geschieht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, vor allem wenn der Staat Leistungen an sie erbringt, ist aber auch zur Steuerung von Vorgängen unterschiedlichster Art bis hin zur Kontrolle ökonomischer Macht sowie des mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Handelns unverzichtbar. Bürokratie ist also zunächst einmal nichts Schlechtes, auch wenn der Begriff eher negativ konnotiert ist.

Die das Verwaltungshandeln regelnden Gesetze haben zugleich eine darüberhinausgehende Bedeutung: Sie sollen die Menschen vor Fehlern oder gar willkürlichem Verhalten der Exekutive schützen. Je mehr der Gesetzgeber genau das ausschließen will, umso detaillierter fallen die gesetzlichen Bestimmungen im Sinne der Gerechtigkeit aus. Sind deshalb die Regelungen sehr detailliert, wird natürlich auch das Verwaltungshandeln kleinteiliger und zugleich der Informationsbedarf der Verwaltung, der sich dann in komplizierten Antragsformularen niederschlägt, größer. Lässt der Gesetzgeber dagegen Spielräume, überlässt er der Exekutive, ob sie die Spielräume mit dem Risiko von Ungerechtigkeiten nutzt oder ob sie die Spielräume in eigener Verantwortung einschränkt, um der jeweiligen Konstellation des Einzelfalls möglichst gerecht zu werden. 

Was dies konkret bedeutet, ließ sich gut im Falle der staatlichen Coronahilfen beobachten. Im Sinne einer unbürokratischen Soforthilfe gestaltete der Gesetzgeber die Bedingungen für die Auszahlung der jeweiligen Geldbeträge zunächst relativ großzügig. Das wurde von den Betroffenen zum Teil gezielt ausgenutzt, zum Teil nicht ernst genommen. In der deutschen Öffentlichkeit kursierten bald Berichte über die mangelnde Rechtfertigung einiger Zahlungen, vor allem an diejenigen, die sie nicht nötig hatten. Dass dieser Umstand der Preis für eine möglichst zügige Auszahlung der Gelder war und die Bürokratie der Prüfung von Auszahlungsvoraussetzungen wegen des damit verbundenen Aufwands zudem teurer gewesen wäre als manche ungerechtfertigte Anweisung von Beträgen, war der kritischen Öffentlichkeit kaum zu vermitteln. 

Die Bürokratie gehört im Grunde zu einem gut organisierten Rechtsstaat. Ihn mit der Kettensäge zu bearbeiten, wie es derzeit etwa in den USA oder in Argentinien geschieht, kann für das auf seine Rechtsordnung zu Recht stolze Europa keinesfalls in Frage kommen. Gerade in Zeiten von andernorts völlig willkürlichem staatlichem Handeln ist es vielmehr die Aufgabe Europas, den Rechtsstaat hochzuhalten. Bei allem Verständnis für die Kritik an mancher wenig überzeugenden rechtliche Hürde ist daher Vorsicht geboten, wenn es darum geht, sie abzubauen. Niemandem ist geholfen, wenn durch einen zu weit gehenden Bürokratieabbau das Kind der Gerechtigkeit staatlichen Handelns mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Exkurs I: Die Verantwortung

Lässt der Gesetzgeber der Exekutive Handlungsspielräume, so steigt die Verantwortung der handelnden Personen. Denn diese haben es in der Hand, durch ihr Handeln die zu entscheidenden praktischen Fragen unterschiedlich zu lösen. Dies ist ungleich schwieriger als der bloße Vollzug eines Gesetzes, das die Einzelheiten genau festlegt. Zu Recht wird daher im Zusammenhang mit dem angestrebten Bürokratieabbau eine wachsende Bereitschaft der Verwaltung gefordert, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen. Diese Bereitschaft nimmt jedoch eher ab als zu. Denn zum einen fehlt es in vielen Bereichen der Verwaltung an Personal, was die Fehlerquote erhöht. Zum anderen steht der einzelne Verwaltungsmitarbeiter, vor allem wenn er ein politisches Amt bekleidet, heute unter einem viel höheren Druck als früher. Dies liegt nicht zuletzt an einer viel stärkeren öffentlichen Wahrnehmung und ebenso stärkeren kritischen Bewertung staatlichen Handelns durch die Medien, insbesondere durch die sozialen Medien, zum Teil mit Maßstäben, die der Sache in keiner Weise gerecht werden.

Exkurs II: Die individuellen Rechte 

Gerade bei Bauvorhaben wird beklagt, dass die notwendigen Genehmigungen viel zu lange dauern. Das mag sein. Oft liegt es aber nicht an einer überbordenden Bürokratie, sondern daran, dass wir die Rechte des Einzelnen so gestärkt haben, dass gegen verschiedene Tätigkeiten der Exekutive individuelle Rechte, die diesem Handeln entgegenstehen, gerichtlich geltend gemacht werden können. Dies gilt für nachbarrechtliche Ansprüche (Abstandsflächen, Immissionen), aber auch für allgemein anerkannte Werte wie den Natur- und Umweltschutz. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich halte das nicht in jeder Hinsicht für falsch. Aber auch hier gilt es abzuwägen zwischen wirklich berechtigten Interessen und solchen, die unter dem Deckmantel des Schutzes von Rechten Notwendiges (z.B. verstärkten Wohnungsbau) verhindern.

Aus all dem folgt: Differenzierung ist das Gebot der Stunde. Insofern dürfen wir gespannt sein, welche Maßnahmen zur Entbürokratisierung die neue Bundesregierung ergreifen wird. Wichtig ist, dass es nicht bei Allgemeinplätzen bleibt, sondern dass konkret benannt und umgesetzt wird, was verändert werden soll. Ob die neue Koalitionsvereinbarung Anlass zur Hoffnung ist, kann man bezweifeln. Die Abschaffung der Bonpflicht in der Bäckerei ist schön, aber im Vergleich zu den weitaus schwierigeren grundsätzlichen Fragen, die sich stellen, ein bescheidener Anfang. Das bisherige eher allgemeine Gerede vom Bürokratieabbau allein bringt uns jedenfalls nicht weiter, vor allem nicht in den durch Institutionen verwalteten Kunstbetrieb.

Die Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler, Illusion oder reale Option

Die Corona-Pandemie hat sich in den Lebenslauf vieler selbstständig tätiger Künstlerinnen und Künstler als schwerwiegende existentielle Erfahrung eingebrannt. Theater wurden geschlossen, Filme nicht mehr gedreht. Konzerte wurden abgesagt und fanden nicht statt. Galerien verkauften keine Bilder mehr. Künstler-Verträge wurden mit der Begründung Force Majeure (höhere Gewalt) aufgehoben. Die Kunstszene saß auf dem Trockenen. Vielen blieb nur noch das Arbeitslosengelds II, was in Wahrheit kein Arbeitslosengeld war, sondern eine soziale Unterstützung. Heute heißt es deshalb Bürgergeld und steht, wenn man manchen Wahlkampfparolen glauben darf, schon wieder auf dem Prüfstand. Umso lauter wurden damals die Forderungen nach einer echten Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstlerinnen und Künstler. Doch geht das überhaupt, jemanden, der selbstständig künstlerisch tätig ist, gegen Arbeitslosigkeit zu versichern?

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Ein Gutachten im Auftrag von NRW

Es ist das Verdienst des Landes NordrheinWestfalens, zu diesem Thema ein Gutachten in Auftrag gegeben zu haben. Seitdem Frühjahr 2022 liegt dieses Gutachten vor. Die Landesregierung NRW hat die von Professor Daniel Ulber verfasste Studie im November vergangenen Jahres zum Anlass genommen, in den Bundesrat einen Entschließungsantrag (Bundesrats -Drucksache 578-28) einzubringen. Mit dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, in der Künstlersozialversicherung eine „Absicherung von Lücken in der Erwerbsbiografie für selbständige Künstlerinnen und Künstler“ einzuführen. Der Bundesrat hat diesen Antrag in seiner Sitzung am 22. November 2024 an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

Denn bekanntlich hat die Bundesregierung derzeit andere Sorgen. Und eine nach der Bundestagswahl (hoffentlich auch kulturell) gebildete neue Koalition, wird sich vielleicht auch mit anderen Themen als der Migration befassen, aber kaum die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler ganz oben auf die Agenda setzen. Das gilt erst recht, wenn es um so ein heikles Thema wie die Arbeitslosenversicherung für selbstständig tätige Künstler geht. Eines hat nämlich das NRW-Gutachten trotz aller Versuche, Lösungsansätze zu finden, gezeigt: Die Probleme sind größer als erwartet. Und sie sind sehr unterschiedlicher Natur. Sie reichen von der Frage, wann bei einem selbstständig tätigen Künstler überhaupt von einer Arbeitslosigkeit gesprochen werden kann, über die Finanzierbarkeit der Versicherungsleistungen bis hin zu deren genauer Ausgestaltung, besser noch deren Umfang.

Selbstständige Tätigkeit und Arbeitslosigkeit

Bei einem Arbeitnehmer ist der Eintritt der Arbeitslosigkeit einfach zu definieren. Sie tritt ein, wenn der Arbeitnehmer in einem festen Arbeitsverhältnis steht, dieses beendet wird und bei einem anderen Arbeitgeber mit ihm kein neuer Arbeitsvertrag zustande kommt. Solange ein Arbeitsvertrag besteht, kann keine Arbeitslosigkeit vorliegen. Arbeitet der Arbeitnehmer als Teilzeitkraft etwa nur drei Tage in der Woche, so ist er an den anderen Tagen nicht arbeitslos, da er auch an diesen Tagen über einen Arbeitsvertrag verfügt. Nur das Ende eines Arbeitsvertrags führt zur Arbeitslosigkeit.

Völlig anders ist etwa die Situation einer selbstständigen Solo-Cellistin, die mit drei unterschiedlichen Konzertveranstaltern jeweils ein Konzert (zuzüglich einer oder zwei Proben) für denselben Monat vertraglich vereinbart hat und das zu festen Terminen. Sie ist über den Monat verteilt an nur wenigen Tagen im Rahmen der abgeschlossenen Verträge tätig. Selbst wenn sie sich zwischendurch auf die Konzerte vorbereitet oder übt, gelten im Rahmen des abgeschlossenen Dienstvertrags nur die Vorstellungs- und Probentage als Beschäftigungstage. Dazwischen ist sie rechtlich gesehen arbeitslos. Daher stellt sich die Frage, ob ihr für diese Tage Arbeitslosengeld gewährt werden müsste, sofern für sie eine Arbeitslosenversicherung bestünde und sie lang genug die notwendigen Beiträge entrichtet hätte.

Man zögert, das mit ja zu beantworten. Bekäme die Cellistin für jedes dieser drei Konzerte nämlich einen Betrag von 3.000,- Euro, bestünde bei einem Brutto-Monatsverdienst von 9.000,- Euro überhaupt keine soziale Schutzbedürftigkeit. Würden je Konzert aber 200,- Euro gezahlt, wäre diese Schutzbedürftigkeit zu bejahen. Zahlte man ihr nun für alle Tage der Arbeitslosigkeit, die zwischen den drei Konzerten (mit der einen oder anderen oft unvergüteten Probe) liegen, je 200.- Euro, bekäme sie weit mehr, als sie eigentlich in dem Monat verdient hätte. Aber ist es die Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, Künstlerinnen und Künstler ein bestimmtes Einkommen, das sie auf dem Markt nicht erzielen, zu garantieren, etwa im Sinne eines bedingungslosen Grundeinkommens? Wohl kaum!

Noch schwieriger wird die Lage bei einem selbstständig tätigen bildenden Künstler. Er arbeitet völlig frei, an welchen Tagen im Monat auch immer. Sein Einkommen erzielt er durch den Verkauf seiner künstlerischen Produkte, etwa Gemälde, Skulpturen oder Fotografien. Wann soll er nun als arbeitslos gelten? In seinem Fall liefe eine Arbeitslosenversicherung also erst recht auf die Garantie eines Grundeinkommens hinaus.

Die Finanzierung

In dem Gutachten wird empfohlen, die Arbeitslosenversicherung für selbstständig tätige Künstler bei der Künstlersozialkasse (KSK) anzusiedeln. Das ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Denn wenn eine Künstlerin oder ein Künstler dort bereits pflichtversichert sind, bestehen weder an der Künstlereigenschaft noch an der überwiegend selbstständigen Tätigkeit ernsthafte Zweifel. Es stellt sich allenfalls die Frage, ob die Arbeitslosenversicherung auf die ebenfalls über die KSK kranken-, pflege- und rentenversicherten Publizisten auszudehnen wäre. Dafür sprechen zumindest Gründe der Gleichbehandlung und der strukturellen Einheitlichkeit. Zwingend ist das jedoch nicht.

Zu Recht wirft das vorliegende Gutachten die Frage der Finanzierung auf. Die KSK-Versicherungen sind so ausgestaltet, dass eine Künstlerin ihren Beitrag zu ihrer Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Rentenversicherung zahlt, jedoch nur in der Höhe des bei Arbeitnehmern anfallenden Arbeitnehmeranteils. Die dem Arbeitgeberanteil entsprechende Zahlung wird von der KSK übernommen. Finanziert wird diese Zuzahlung letztlich durch die Künstlersozialabgabe, die von den Auftraggebern künstlerischer Leistungen zu entrichten ist, sowie durch einen Bundeszuschuss. Wird nun die Versicherung der Künstlerin um eine Arbeitslosenversicherung erweitert, müsste die Finanzierung ähnlich gestaltet werden. Das ist leichter gesagt als getan. Denn die versicherte Künstlerin müsste aus ihrem möglicherweise bescheidenen Einkommen einen zusätzlichen Beitrag leisten. Zudem wird der Bundeszuschuss trotz knapper Kassen ebenso ansteigen müssen wie die Künstlersozialabgabe der Unternehmen. Letzteres ist nicht ohne Risiko. Schon in der Vergangenheit hat eine steigende Künstlersozialabgabe große Unternehmensverbände wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) oder den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) veranlasst, die Abschaffung der KSK zu fordern. Das konnte zwar stets mit guten Argumenten abgewehrt werden. An der Skepsis der beiden genannten Verbände gegenüber jeglicher Sozialversicherung für Selbstständige hat dies jedoch nichts geändert.

Arbeitslosenversicherung für „Lücken in der Erwerbsbiografie“?

Schon die zuvor aufgezeigten Probleme machen deutlich, dass zumindest beim Einstieg in eine Arbeitslosenversicherung für selbstständig tätige Künstlerinnen und Künstler große Zurückhaltung und Vorsicht geboten sind, will man die Politik zu einem Schritt in diese Richtung bewegen. Das oben genannte Gutachten nennt als abzusicherndes Risiko „Lücken in der Erwerbsbiographie von selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern“ und setzt für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld voraus, dass „mehrere Monate ein Einkommensausfall besteht“ und dass „das Durchschnittseinkommen in einem Rückrechnungszeitraum deutlich unterschritten wird“. Das zu konkretisieren, wird jedoch gesetzgeberisch sehr schwerfallen. Zudem werden sich die Kosten ebenso wenig vorausberechnen lassen wie es sich ausschließen lässt, dass die Versicherung dann doch auf ein garantiertes Grundeinkommen für Künstlerinnen und Künstler hinausläuft.

Konkrete Anlässe absichern

Deshalb ist die Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler und Künstlerinnen zunächst auf den Fall der Nichterfüllung eines wirksam abgeschlossenen Vertrages seitens des Unternehmens zu beschränken, dem eine Leistung zu erbringen ist oder erbracht wurde. Zudem ist eine weitere Beschränkung auf bestimmte Anlässe für diese Nichterfüllung erforderlich. Dazu gehören vor allem die oben schon erwähnte Force Majeure, aber auch die Zahlungsunfähigkeit, also der Konkurs des Unternehmens. Der Künstler erhielte also Arbeitslosengeld, wenn aus den genannten Gründen ein Konzert ausfällt, eine Theateraufführung nicht stattfindet oder der vertraglich vereinbarte Verkauf eines von ihm geschaffenen Kunstgegenstandes nicht durchgeführt werden kann.

Das zweite abzusichernde Risiko ist der Totalausfall von Aufträgen mit der Folge des Wegfalls wesentlicher Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit. Das kann einerseits eintreten durch die Beendigung der dauerhaften Zusammenarbeit veranlasst von einem Unternehmen, von dessen Beauftragung die wirtschaftliche Existenz eines Künstlers oder einer Künstlerin abhängt. Hier jedoch geht es nicht nur um Konkurs und Schließung des Unternehmens, sondern auch um die einfache Beendigung der Beauftragung, etwa durch Auslaufen eines Rahmenvertrages. Andererseits wäre aber der Fall zu erfassen, dass beispielsweise durch eine Pandemie alle oder mehrere potentielle Auftraggeber plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen, so wie es bei Corona geschehen ist.

In allen Fällen liefe die anzustrebende Arbeitslosenversicherung eher auf eine Versicherung des Honorarausfalls hinaus. Man sollte dann das Kind auch bei dem entsprechenden Namen benennen. Unbedingt ist eine Beschränkung der Versicherungsleistung auf eine Obergrenze sowohl für den einzelnen Ausfall als auch für die Zahlungen pro Monat erforderlich. Diese muss sich prozentual an der ausgefallenen Honorarsumme orientieren, zugleich aber an einem generell festzulegenden Höchstbetrag. Ob der Künstler oder die Künstlerin in späteren bzw. früheren Zeiträumen ausreichendes oder sogar mehr als ausreichendes Geld verdient hat, muss außer Betracht bleiben. Denn auch ein arbeitsloser Arbeitnehmer bekommt im Falle einer dreimonatigen Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld, selbst wenn er in den Monaten davor und danach sehr viel verdient. Vernachlässigt werden kann ebenso die Frage der Wartezeit, sofern der Künstler bereits in der Künstlersozialkasse versichert ist.

Kurzzeitige Beschäftigung, mal mit Arbeitsvertrag mal mit selbstständigem Honorarvertrag

Viele vor allem darstellende Künstler springen bei kurzzeitiger Beschäftigung ständig zwischen Arbeitsverhältnissen und abhängiger Beschäftigung hin und her. Die daraus resultierenden Probleme bedürfen vor allem dann, wenn man eine Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler einführt, einer Klärung. Die beste Lösung dafür wäre es aus meiner Sicht, wenn im Falle der Versicherung in der Künstlersozialkasse diese für alle Versicherungsverhältnisse eines Künstlers oder einer Künstlerin insgesamt zuständig bliebe. Für den Fall des Abschlusses eines Arbeitsvertrags müsste der Arbeitgeber dann die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge an die Künstlersozialkasse abführen. Erst wenn der Künstler oder die Künstlerin ein Arbeitsverhältnis von mehr als beispielsweise drei Monate einginge, käme die allgemeine Sozialversicherung wieder ins Spiel. Solche Überlegungen sind im Übrigen nicht nur im Sinne des Bürokratieabbaus, sondern erleichtern den künstlerisch Beschäftigten auch die Akzeptanz.

Schlussbemerkung

Schon die hier skizzierte Lösung zur Versicherung des Honorarausfalls bei selbstständiger künstlerischer Tätigkeit wäre schwierig genug. Dennoch ist zu hoffen, dass eine neue Bundesregierung den Mut und den Elan aufbringt, sich der Sache anzunehmen. Vielleicht finden ja doch die CDU und die in sozialen Fragen stets engagierte SPD nach der Bundestagswahl zu einer gemeinsamen Regierung. Jedenfalls sollten die Kulturverbände unmittelbar nach der Regierungsbildung eine entsprechende Initiative ergreifen. Denn ehe man sich versieht, ist die Legislaturperiode wieder beendet, manchmal, wie wir gerade feststellen, früher als alle dachten.

Siehe hierzu auch: https://stadtpunkt-kultur.de/2021/01/wohin-die-reise-fuehrt-ueber-die-zukunft-der-theater-und-die-soziale-lage-der-kuenstler/

Weniger öffentliches Geld für Kunst uns Kultur? Ein Blick auf alt bekannte Vorschläge in neuen Gewändern

Der Berliner Kulturetat soll um 130 Millionen Euro gekürzt werden, und zwar nicht erst in drei Jahren, sondern bereits 2025. Auch andernorts sind erhebliche Kürzungen der öffentlichen Kulturförderung geplant, etwa im Haushalt der Stadt Köln. Werden diese Pläne Realität, sind die Auswirkungen erheblich. Bisweilen entsteht der Eindruck, dass die Kultureinrichtungen hierzulande zum ersten Mal mit dem massiven Rotstift konfrontiert werden. Denn in den vergangenen Jahren haben sich Kommunen, Länder und der Bund eher großzügig gezeigt, wenn es um die Finanzierung der Künste ging. Doch für diejenigen, die schon länger dabei sind, ist das aktuelle Szenario nicht mehr als ein in neuen Kleidern daherkommendes Déjà-vu. Umso wichtiger ist es, genauer hinzuschauen, was erneut auf die Tagesordnung der Debatte um die öffentliche Kulturförderung gesetzt wird.

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Immer die gleichen Vorwürfe, immer die gleichen Ideen

Als gelte es, das Rad neu zu erfinden, wird ein neues Denken gefordert. Von mehr ökonomischem Sachverstand ist die Rede. Den Beweis, dass dieser fehlt, bleiben die Protagonisten der Debatte wie beispielsweise der Berliner Kultursenator schuldig. Die bloße Behauptung muss für den Versuch genügen, die Leitungen von Theatern und Orchestern, Museen und anderen Kultureinrichtungen in ein schlechtes Licht zu rücken. Selbst wenn man der Unterstellung folgen wollte, sei der Hinweis erlaubt, dass niemand anderes als die öffentliche Verwaltung selbst für die Auswahl des kulturellen Spitzenpersonals zuständig ist. Wurden hier etwa Fehler gemacht?

Wieder einmal setzt sich Berlin an die Spitze der Bewegung. Das war schon bei den damaligen Kürzungen der öffentlichen Kulturetats so. Nachdem der seinerzeitige Berliner Kultursenator Roloff-Momin 1993 das Schillertheater geschlossen hatte und die Befreiung der Theater von angeblichen Tarifzwängen forderte, gab es vor allem in den neuen Bundesländern kein Halten mehr. Unter dem Oberbegriff „Strukturveränderungen“ und flankiert von dem schillernden Begriff des „Weimarer Modells“ wurden Orchester abgewickelt, Personal abgebaut und Vergütungen gekürzt. Hinzu kam eine Flexibilisierung der Tarifverträge, vor allem im Bereich des Normalvertrages (NV) Bühne, der für das künstlerische Personal gilt, und die damit verbundene Arbeitsverdichtung. Umso mehr ist Skepsis angebracht, wenn heute wieder nach Strukturveränderungen gerufen wird, zumal sich niemand in der Lage sieht, genau zu beschreiben, was damit gemeint ist.

Ensemble und Repertoire und die Lage der Beschäftigten

Das war in den 1990er Jahren nicht anders. Am Ende stand die Frage, ob Ensemble und Repertoire nicht zu teuer seien und deshalb zugunsten eines En-Suite-Systems abgeschafft werden sollten. Der Bühnenverein und andere haben damals alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu zeigen, dass das deutsche Ensemble- und Repertoiretheater nicht nur eine außergewöhnliche künstlerische Vielfalt und ein hohes Maß an künstlerischen Experimenten erlaubt. Sondern die bestehende Struktur ermöglicht auch einen hohen und damit effizienten Ressourceneinsatz sowie die Sicherung bestimmter sozialer Ansprüche für die künstlerisch Tätigen. Denn im Ensemble- und Repertoirebetrieb wird kontinuierlich über die gesamte Spielzeit gespielt. Das vermeidet längere Leerstände der Häuser ebenso wie es die kontinuierliche Beschäftigung von Schauspielerinnen und Sängern, Tänzern und Dramaturginnen und vielen anderen über die gesamte Spielzeit oder gar mehrere Jahre zulässt. Im international weit verbreiteten En-Suite-System hingegen, bei dem eine Produktion nur für kurze Zeit fast täglich auf dem Spielplan steht, werden die Künstlerinnen und Künstler nur für diese eine Produktion engagiert, um nach ihrer Aufführung innerhalb weniger Wochen wieder auf den Arbeitsmarkt entlassen zu werden. Von einer längerfristigen Beschäftigung kann keine Rede sein. Diese Praxis geht einher mit einer hohen Anzahl von Schließtagen, an denen die Bühne leer steht.

Gerade wegen der sozialen Aspekte hat sich in den letzten Jahren, angestoßen etwa durch die Aktivitäten des Ensemble-Netzwerks, auf Seiten der Politik eine große Bereitschaft gezeigt, die sozialen Bedingungen für die künstlerisch Beschäftigten an den Theatern sogar weiter zu verbessern. Tarifgagen wurden zum Teil überdurchschnittlich erhöht, in der freien Szene wurden Mindestgagen zum Gegenstand öffentlicher Förderung, die Befristung von Arbeitsverträgen mit Künstlerinnen und Künstlern steht auf dem Prüfstand. Das ist verständlich und nachvollziehbar. Aber wer A sagt, muss bekanntlich auch B sagen. Wenn man politisch gegenüber Künstlerinnen und Künstlern seine soziale Ader entdeckt, dann muss man das bezahlen. Die vielerorts diskutierten Kürzungen öffentlicher Mittel stehen dazu in krassem Widerspruch und entlarven das soziale Gewissen manch eines kulturpolitischen Protagonisten als hohles Gerede.

Umso zynischer ist es, die Probleme etwa von VW und Ford und die damit möglicherweise verbundenen Kürzungen der Mitarbeitergehälter oder gar Entlassungen als Begründung für die Kürzungen der öffentlichen Mittel heranzuziehen. Auch hier soll suggeriert werden, die Leitungen der Kulturbetriebe hätten ihre Geschäftspolitik ähnlich verbockt wie das Management der Autokonzerne. Zudem sei der Hinweis erlaubt, dass es bei der öffentlich geförderten Kultur um Gesellschaftspolitik, Bildung, Literatur und Kunst geht. Schon deshalb ist der Vergleich mit der privatwirtschaftlich organisierten Autoindustrie mehr als abenteuerlich.

Sponsoring, Spenden und Kreditfinanzierung

Da aber die Privatwirtschaft mit ihren Milliardengewinnen so verlockend für die Finanzierung von Kunst und Kultur ist, werden wieder einmal Sponsoring und Spenden als neue Finanzierungsquellen ins Spiel gebracht. Nach der jüngsten Theaterstatistik des Bühnenvereins belaufen sich die privaten Zuwendungen an die deutschen Stadt- und Staatstheater und ihre Orchester auf insgesamt rund 35 Millionen Euro. Das ist etwas mehr als ein Prozent der öffentlichen Förderung und etwa ein Viertel des Betrages, den Berlin allein dem Kulturhaushalt als Kürzung zumuten will. Selbst wenn es gelänge, den Betrag bundesweit zu verdoppeln, stünden die Berliner Kultureinrichtungen immer noch stark im Regen.

Auch die Gepflogenheiten des Sponsorings scheinen denjenigen, die es nun als Ersatzfinanzierung fordern, nicht geläufig zu sein. Sponsoren, die bereit sind, Geld zur Verfügung zu stellen, tun dies vor allem, um künstlerische Projekte mit einer gewissen Strahlkraft zu fördern, die ohne Sponsorengelder nicht zustande kämen. Wenn bei Sponsoren der Verdacht aufkommt, dass es nur darum geht, fehlende öffentliche Mittel aufzufangen, kann man sich das Betteln erfahrungsgemäß gleich sparen. Dann nämlich dienen die Sponsorengelder und Spenden nicht der Kunstförderung, sondern der Entlastung der öffentlichen Kassen; dieser Umstand ist als Motiv für Kultursponsoring oder Spenden in der Wirtschaft mehr als unbeliebt. Das im Übrigen führt erfahrungsgemäß dazu, dass gerade diejenigen Häuser die meisten Sponsorengelder und Spenden einwerben können, die die höchsten öffentlichen Zuschüsse erhalten, wie z.B. die Bayerische Staatsoper in München mit rund 4,6 Mio. Euro Einnahmen aus privaten Mitteln (Quelle: Theaterstatistik 2021/22 des Deutschen Bühnenvereins). Und nicht zu vergessen: Wer in großem Stil auf privates Geld setzen will, braucht dafür einiges an Personal. Die Sponsoring-Abteilungen großer amerikanischer Kulturinstitutionen bestehen nicht aus einer schlecht bezahlten Sachbearbeiterin.

Weil das alles so ist, wird dann sofort die Möglichkeit der privaten Kreditfinanzierung in die Debatte geworfen, als ob es kein Problem wäre, wenn sich Theater und Museen einfach privates Geld leihen. Schließlich handelt es sich oft um kommunale oder staatliche Unternehmen. Der dann verfassungsrechtlich durch die Schuldenbremse vorgegebene Rahmen für die Aufnahme von Krediten ist von den jeweiligen Trägern bereits mehr als ausgeschöpft. Darüber hinaus müsste die öffentliche Hand natürlich bereit sein, die Kreditzinsen zu übernehmen, sonst rutscht die jeweilige Kultureinrichtung immer tiefer in die Schuldenfalle. Diese Bereitschaft ist bisher nicht erkennbar.

Fusionen und andere Zusammenschlüsse

Sparen kann ein Theater oder Orchester nur beim Personal. Das ist eine Binsenweisheit, die sich auch in der Kulturpolitik herumgesprochen haben sollte. Deshalb werden die Kürzungen, die Berlin der freien Szene auferlegen will, für viele der dortigen Projekte schlicht das Aus bedeuten. Ohne Künstlerinnen und Künstler gibt es keine Kunst, so einfach ist die Welt. 

Mit Blick auf die 2004 gegründete Opernstiftung wird nun für die vier öffentlich getragenen Sprechtheater Volksbühne, Deutsches Theater, Theater an der Parkaue und Maxim-Gorki-Theater (Berliner Ensemble und Schaubühne sind privatwirtschaftlich organisiert, werden dennoch mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert) ein der Opernstiftung ähnliches Modell ins Spiel gebracht. Das ist nicht falsch, aber was bringt es kurzfristig? Wie hoch auch immer die Kürzungen der öffentlichen Mittel für die vier Bühnen zusammen ausfallen werden, jeder Arbeitsplatz in den Theatern kostet im Durchschnitt ca. 50.000 Euro (inkl. Sozialabgaben). Das sind 20 Arbeitsplätze pro fehlender Million an öffentlichem Geld. Damit führt der Ausfall jeder dieser Millionen zu einem erheblichen Aderlass. Denn Entlassungen wären nur im künstlerischen Bereich des NV Bühne möglich. Hier sind die Arbeitsverträge mit den Künstlerinnen und Künstlern befristet und können durch die sogenannte Nichtverlängerungsmitteilung zum großen Teil kurzfristig beendet werden, derzeit jedoch erst zum Ende der Spielzeit 2025/26. Das nichtkünstlerische Personal, in der Regel mindestens 40 Prozent der Belegschaft, gehört dem öffentlichen Dienst des Landes Berlin an und ist nach dem geltenden Tarifvertrag der Länder nur schwer kündbar. Selbst als seinerzeit das Schillertheater in Berlin geschlossen wurde, gab es in diesem Bereich keine Entlassungen, sondern das nichtkünstlerische Personal des Theaters wurde in Berlin weitgehend anderweitig untergebracht.

Freiwillige Aufgaben und Pflichtaufgaben

Blicken wir abschließend nach Köln. Dort hat die ehrenamtliche grüne Bürgermeisterin Brigitta von Bülow kürzlich dem WDR ein Interview gegeben. Es fiel in diesem Interview mit Blick auf die zu erwartenden Kürzungen im Kölner Kulturetat folgender Satz: „Wenn wir nicht konsolidieren…, dann kommen wir in die Haushaltssicherung, und das heißt gerade für die Kultur, dass sie als freiwillige Leistung dann erst recht auf dem Prüfstand steht und wahrscheinlich vieles gar nicht mehr fortgeführt werden kann.“ Bei diesem Satz und der darin enthaltenen Drohung sträuben sich dem geneigten Zuhörer schon etwas die Nackenhaare. Denn erstens waren in NRW schon viele Kommunen in der Haushaltssicherung, ohne dass dies gravierende Auswirkungen auf die Kulturausgaben gehabt hätte. Das liegt zweitens daran, dass die Regierungspräsidien den Kommunen mit Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der Haushaltssicherung gar nicht vorschreiben können, wo sie zu sparen haben. Drittens suggeriert der zitierte Satz wieder einmal, dass die Kommunen nur bei den freiwilligen Ausgaben sparen könnten, eine Behauptung, die seit Jahren auch in den Medien unreflektiert nachgebetet wird, aber schlichtweg falsch ist. Selbstverständlich kann auch bei den Pflichtausgaben weniger Geld ausgegeben werden, in Nordrhein-Westfalen gibt es sogar Verwaltungsvorschriften, die dies ausdrücklich vorsehen. Die Kommune kann zwar nicht auf die Erfüllung der Pflichtaufgaben verzichten. Sie kann auch der Bürgerin, der nach dem Gesetz ein Geldanspruch in bestimmter Höhe zusteht, diesen nicht einfach mangels öffentlicher Mittel kürzen. Nirgendwo steht aber geschrieben, dass die Wahrnehmung der Pflichtaufgaben mit einem bestimmten Personalaufwand, immer in Eigenregie und ohne Kooperation mit anderen Kommunen oder ohne Nutzung digitaler Unterstützung zu erfolgen hat. Machte man also einiges anders, könnte man sehr wohl bei den Pflichtausgaben sparen. Zudem sind es gerade die freiwilligen Aufgaben, die die kommunale Selbstverwaltung ausmachen. Sie aufzugeben oder zu sehr einzuschränken, würde bedeuten, die Kommune zur Vollstreckungsbehörde von Land und Bund zu machen, was politisch alles andere als erstrebenswert ist.

Es wäre daher schon viel gewonnen, wenn das Gerede von der Kultur als freiwillige Ausgabe, was sie zum Freiwild öffentlicher Sparzwänge machen soll, endlich einmal aufhören würde. Das Argument vom Vorrang der Pflichtaufgaben wird durch ständige Wiederholung weder besser noch richtiger. 

Schlussbemerkung

Es ist und bleibt mühsam, sich immer wieder aufs Neue mit den Schlagworten, mit denen Kürzungen in der Kultur untermauert werden, auseinanderzusetzen. Aber es ist unverzichtbar, damit die Künstler und ihre Arbeit nicht unter die Räder geraten. Zudem sollten wir nicht vergessen, dass beispielsweise für Kunst und Kultur nur ein Bruchteil dessen ausgegeben wird, was dieses Land etwa für Soziales und Bildung ausgibt. Das ist selbstverständlich und richtig und muss so sein. Vom Verteidigungsetat hierzulande wollen wir mal besser gar nicht reden. Das allein müsste auch die Vertreter der öffentlichen Hand zur Vorsicht mahnen, wenn es um die Kürzung von Kulturausgaben geht. 

Ist 3sat entbehrlich? Zur Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Seitdem die Länder ihren neuen Staatsvertrags-Entwurf „zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ vorgelegt haben, herrscht Unruhe in der Kulturszene. Das ist nicht überraschend, denn was als Reformwerk pompös in Szene gesetzt wurde, entpuppte sich schnell als erneuter Versuch, das Angebot von ARD und ZDF deutlich zu reduzieren. Spätestens beim Lesen von § 28a des Entwurfs wird erkennbar, was ein wesentliches Ziel der Reformpläne sein soll: Der Abbau des Kulturangebots der Spartenprogramme von 3sat und arte. Die Neuformulierung des Absatzes 1 der genannten Vorschrift läuft auf nichts anderes hinaus als die Abschaffung von 3sat durch Integration dieses Programms in den deutsch-französischen Kulturkanal. Dass beide Kanäle jeweils Programme unter Beteiligung anderer europäischer Staaten sind, interessiert scheinbar niemanden. Wer sind schon Frankreich, Österreich und die Schweiz? Ist die Politik in Deutschland für weniger Kunst und Kultur im Fernsehen, wird vorausgesetzt, dass man das woanders nicht anders sehen wird. Dies ist eine Annahme, die zuvorderst für die politischen rechtsgerichteten Kräfte in Europa zutrifft, vor allem mit Blick auf das Aufsässige, das Rebellische, das Aufklärerische, die Diversität der Künste. Aber auch das spielt offenkundig hierzulande nur eine unbedeutende Rolle, wenn das Ziel ist, die Spirale der steigenden Rundfunkgebühr auf Biegen und Brechen aufzuhalten.

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Ein uninspiriertes, kleinlautes Papier der Länder

Natürlich blieben die Proteste nicht aus. Petitionen wurden unterschrieben, Briefe verfasst. Es erschienen Artikel über Artikel in der deutschen Presse, die zurecht vor dem weiteren Kulturverfall im deutschen Fernsehen warnten. Doch geht es nicht um mehr? Geht es nicht um die Frage, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Gesamtheit ausmacht? Gibt es noch jemanden, der all den Tendenzen politisch am rechten Rand stehender Parteien in ganz Europa, den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk zu beschneiden und sich gefügig zu machen, überzeugt und mit dem notwendigen Maß des Enthusiasmus entgegentritt? Ein derartig uninspiriertes, kleinlautes Papier, wie es nun die Länder vorgelegt haben, ist dafür jedenfalls völlig ungeeignet. Auch hier sieht es so aus, als wolle man der Kritik aus rechten Kreisen am System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht entschieden entgegentreten, sondern ihr eher in vorauseilendem Gehorsam zumindest teilweise zuvorkommen.

Ich würde mir aus Länderkreisen etwas ganz anderes wünschen. Gefragt ist ein überzeugtes Einstehen für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gestaltet in gesellschaftlicher Verantwortung. Er ist in Zeiten zunehmender Fehlinformationen und mangelnder politischer wie kultureller Bildung ein hohes Gut, das es zu bewahren und fortzuentwickeln, nicht zu beschneiden gilt. Die öffentliche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht das Problem, sondern die Lösung, geht es um Freiheit und Unabhängigkeit der Programme. Statt stolz darauf zu sein, dass wir uns ein derart vielseitiges, regional angebundenes Fernsehen, einen mehrere Programme ausstrahlenden Hörfunk leisten können, hadern wir ständig mit der nach wie vor überschaubaren Rundfunkgebühr. Statt unmissverständlich klar zu machen, dass Qualitätsjournalismus, Kultur und anspruchsvolle Unterhaltung, Bildung mit der „Maus“ Geld kosten, knicken Teile der Politik gegenüber Kreisen ein, denen Aufklärung und Wissensvermittlung, der kritische Geist insgesamt ein Dorn im Auge sind. Zukunft geht aus meiner Sicht anders.

Hervorragende Sendungen, aber zu viele Kanäle?

Ohne einen engagierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit den Schwerpunkten Information, Bildung, Kultur, Wissen und kluge Unterhaltung ist sie jedenfalls nicht zu gestalten. Noch produzieren ARD, ZDF und Deutschlandfunk in diesen Bereichen immer wieder hervorragende Sendungen. Es gibt nach wie vor vieles zu sehen und zu hören, was interessant, anregend und spannend ist, natürlich auch Ärgerliches. Eine ärgerliche Sendung ist jedoch genauso wenig ein Grund, die Rundfunkgebühr abzuschaffen, wie man die öffentliche Finanzierung eines Theaters infrage stellt, nur weil eine Inszenierung missglückt ist. Manchmal lohnt es sich ja auch, sich zu ärgern. Immer noch besser als Langeweile!

Natürlich kann man darüber nachdenken, inwieweit ARD und ZDF zahlreiche zusätzliche Kanäle brauchen, um die produzierten Inhalte zu vermitteln. Auch auf dieser Seite wurde diese Frage schon aufgeworfen (siehehttps://stadtpunkt-kultur.de/2022/12/was-zu-beachten-waere-ein-beitrag-zur-reform-von-ard-und-zdf/).  Solche Frequenzen jedoch freizuräumen, damit sie am Ende von irgendwelchen privaten Anbietern für Dschungelcamps und Topmodel-Veranstaltungen genutzt werden, ist kein rundfunkpolitisches Zukunftskonzept. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Länder zur Verwendung der durch die vorgeschlagenen Fusionen freiwerdenden Frequenzen in ein dauerhaftes Schweigen hüllen.

Es fehlt an Phantasie

Erst recht gilt das mit Blick auf die Kulturkanäle. Sie zugunsten irgendwelcher Programm-Banalitäten abzuschaffen, ist sicher nicht das Gebot der Stunde. Doch die Existenz von 3sat lässt sich nicht allein dadurch rechtfertigen, dass es dort eine Sendung wie „Kulturzeit“ gibt, wie kürzlich in der SZ Arne Braun, der unter anderem für die Kunst zuständige Staatssekretär der baden-württembergischen Landesregierung versucht hat. Und der in der WDR-Hörfunksendung „Mosaik“ neulich erfolgte Hinweis, dass ständig sich wiederholende Tourismussendungen 3sat schnell entbehrlich machen können, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, so schön diese Sendungen zuweilen auch sind.

Doch was belegen die auch ansonsten im Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgestrahlten allzu häufigen Wiederholungen von Tatorten, Donna-Leon-Verfilmungen oder Zürich-Krimis? Entweder fehlt es den Programmmachern an Phantasie, an Ideen, aber auch an Mut und Engagement, sich der Einschaltquote zu widersetzen, oder das Geld reicht nicht, um die vorhandenen Programmplätze zu füllen. Es beschleicht einem als Zuschauer und Hörer der leise Verdacht, beides könnte stimmen. Dann wäre es wichtig, darüber endlich etwas mehr zu reden und in jedem Fall die Rundfunkgebühr zu erhöhen, verbunden mit der Anforderung an die Programmmacher: Lasst euch etwas einfallen, jedenfalls mehr als bisher. An Themen mangelt es nicht, vor allem nicht in Kunst und Kultur. Mit mehr Geld mehr Kreativität wagen, das wäre eine schöne Alternative zu den jetzt vorgelegten Vorschlägen der Länder, zumal mit dem Abbau von Spartenkanälen so schnell ohnehin keine Einsparungen zu erzielen sind. Das hat zumindest ein gerade vorgelegtes Gutachten der KEF unmissverständlich festgestellt.

Zu guter Letzt: Eine Utopie

Wäre es jenseits aller Rundfunkpolitik, so ist zu fragen, im Übrigen nicht an der Zeit, seitens der Länder eine europäische Perspektive im Bereich Social Media zu entwickeln? Spätestens seit der Übernahme von Twitter (heute X) durch Elon Musk ist nun wirklich nicht mehr zu übersehen, wie verhängnisvoll es ist, dass die Dialog-Plattformen für den direkten elektronischen Meinungs- und Informationsaustausch nicht nur in den Händen der USA (oder Chinas) sind, sondern auch von kommerziellen Privatunternehmen betrieben werden. Es ist höchst Zeit, dass Europa dem etwas entgegensetzt. Nichts liegt da näher als eine öffentlich finanzierte und durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk redaktionell betreute Plattform des fairen Meinungsaustausches, verantwortet zum Beispiel von einer deutschen Rundfunkanstalt in Kooperation mit der BBC. Sie stand schließlich Pate, als es nach dem Zweiten Weltkrieg um die Neugestaltung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland ging. Ein solches Europa-Twitter, das wäre endlich mal echte Zukunftsmusik und bewiese so etwas wie Aufbruchstimmung, die wir für die Zukunft Europas mehr als nötig haben. Zudem ist kaum ein schöneres Projekt vorstellbar, um Großbritannien wieder sichtbar dem vereinigten Europa anzunähern.

Über Mindesthonorare in der Kunst

Es klingt nicht nur gut, es ist auch gut, dass sich bei der Frage der Mindesthonorare für Künstlerinnen und Künstler etwas tut. Öffentliche Förderung soll es nur noch geben, wenn bei der Umsetzung eines künstlerischen Projektes bestimmte Vergütungen gezahlt werden. Ist das nicht garantiert, entfällt die Möglichkeit der öffentlichen Förderung. Der Bund ist gerade vorangegangen, das Land Nordrhein-Westfalen ihm soeben gefolgt. In beiden Fällen werden die Mindesthonorare als Bedingungen in den Förderbescheiden etwa der Bundeskulturstiftung oder des Landes NRW festgeschrieben werden. Grundsätzlich ist die Begeisterung der Branche groß, aber es regen sich auch kritische Stimmen.

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Die Verbindlichkeit

So stellt sich unter anderem die Frage nach der Verbindlichkeit. Der Bund überlässt die Festlegung der Honoraruntergrenzen den „bundesweiten Empfehlungen der jeweils einschlägigen Berufs- und Fachverbände der Künstlerinnen, Künstler und Kreativen.“ Ein Blick auf die Vielfalt der Verbandsstrukturen im Kulturbereich zeigt, wie schwierig es sein kann, zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. Hier wird es dringend erforderlich sein, schnell zu Verständigungen zu kommen, will man den Förderstrukturen des Bundes die notwendige Orientierung geben.

Auch in NRW hat man sich eine Zeit lang um verbindliche Regelungen herumgedrückt. Zunächst sah der § 16 Abs. 3 Kulturgesetzbuch NRW im Entwurf nur eine Anknüpfung an die gesetzliche Mindestlohnregelung vor. Als es daran Kritik gab (siehe z.B. https://stadtpunkt-kultur.de/2021/06/der-entwurf-eines-kulturgesetzbuchs-nrw-meilenstein-der-kulturfoerderung-oder-vages-versprechen/) änderte man die Vorschrift. Heute lautet die einschlägige Regelung:

 „Bei allen Förderungen des Landes sind Honoraruntergrenzen zu beachten, die von dem für Kultur zuständigen Ministerium, den kommunalen Spitzenverbänden und den jeweiligen kulturellen Fachverbänden erarbeitet werden. Bundesweite Empfehlungen sind hierbei zu beachten. Das Nähere regelt eine Richtlinie.“

Diese Regelung ist seit dem 1. Januar 2022 (!) in Kraft. Auch sie ließ viel Spielraum. Nun geht es voran, allerdings zunächst nur mit zwei Landesprogrammen der Kulturellen Bildung. Endlich beginnen will man ansonsten erst am 1. Januar 2026. Dann soll es wohl die im Gesetz vorgesehene Richtlinie geben, nach der dann die Landesregierung im Sinne der Selbstbindung bei der Mittelbewilligung zu verfahren hat.

Für wen die Mindesthonorarregelungen gelten

Interessant wird der Geltungsbereich der Honorarregelungen sein. Das Wort „Honorar“ lässt darauf schließen, dass es um die Vergütungen von selbstständig tätigen Künstlerinnen und Künstlern gehen wird. Das wäre fragwürdig. Schon bei den Corona-Hilfen im Bereich der Künste hatten fast alle getroffenen Regelungen genau das Problem, dass sie sich nur an die Selbstständigen wandten, nicht an die abhängig Beschäftigten. Gerade im Bereich der darstellenden Künste sind aber zahlreiche Beschäftigungsverhältnisse, selbst wenn sie nur einen einzelnen Tages-Einsatz einer Künstlerin vorsehen, Arbeitsverhältnisse. Würden hier die in Aussicht genommenen „Mindesthonorarregelungen“ nicht greifen, gingen sie vor allem für viele Tänzer und Schauspielerinnen, Musikerinnen und Sänger ins Leere. Und was ist eigentlich mit all den nichtkünstlerisch Tätigen, die an einem Projekt beteiligt sind? Soll für die auch die Mindesthonorarregelung gelten? Hier steckt also die Tücke im Detail.

Wohin die Mindesthonorarregelungen führen können

Was gut klingt, ist aber nur dann wirklich gut, wenn dafür das notwendige Geld da ist. Die erste Rechnung dazu ist noch mehr als einfach. Stehen in einem Fördertopf (vom Bund oder dem Land NRW) beispielsweise 200.000 Euro zur Verfügung und hat man damit insgesamt 20 Projekte mit 10.000 Euro gefördert, ohne auf Mindesthonorare zu achten, dann wäre mal nachzurechnen, was die 20 Projekte denn unter Einhaltung der Mindesthonorare kosten würden. Verteuerte die Mindesthonorarregelung jedes der Projekte um 10 Prozent, dann muss entweder der Fördertopf um 10 Prozent erhöht werden oder es werden etwa zwei Projekte weniger gefördert. Dass gerade die Fördertöpfe sich vergrößern, ist allenthalben nicht zu hören. Dann aber lautete die einfache Konsequenz: Weniger Kunst für bessere Bezahlung.

Schwieriger wird die Rechnung dadurch, dass viele Projekte einer Komplementärförderung etwa durch die Kommunen bedürfen. Kann also die Bundeskulturstiftung zum Beispiel noch den Förderbetrag erhöhen, um die Mindesthonorare zu finanzieren, bleibt völlig offen, ob die komplementär fördernde Kommune auch dazu in der Lage (oder bereit) ist. Ist sie es nicht, erhöht dann die Bundeskulturstiftung ihrerseits den Förderbetrag noch einmal, um die wegen der Mindesthonorare entstehenden Fehlbeträge aufzufangen, oder fällt die öffentliche Förderung des Projektes dann aus? Oder wird es etwa nur kommunal gefördert, was dazu führen würde, dass die Vergütung der Künstlerinnen und Künstler viel weiter hinter den nun in Aussicht genommenen Mindesthonoraren zurückbleiben würde.

Doch das größte Problem bleibt die Förderung zahlloser Projekte, bei denen von vorneherein klar ist, dass keinesfalls die vorgesehenen Mindesthonorare gezahlt werden können. War es bisher möglich, solche Projekte zu fördern, um die krassesten Fälle der Selbstausbeutung von Künstlerinnen und Künstlern zu vermeiden, fällt diese Förderung bei der Einführung von Mindesthonorargrenzen eindeutig weg. Kleinprojekte drohen also völlig ins Abseits zu geraten. Zugespitzt ist zu fragen: Ist es der Künstlerin lieber, dass ihr Projekt ausfällt oder fast nur ohne Vergütung realisierbar ist, dafür aber Projekte anderer Künstler mit Mindesthonorargarantie gefördert werden, weil die beteiligten Künstler bereits etabliert sind und dadurch gewisse Eigeneinnahmen generieren können? Das wäre ein neues Zweiklassensystem der öffentlichen Förderung, an dem niemand Interesse haben kann. Also sollte es unbedingt auch in Zukunft Förderstrukturen jenseits der Mindesthonorarregelungen geben, gerade um dem Entlegenen eine Chance zu geben.

„A Mentsh is a Mentsh.“ Der Antisemitismus und die Grundrechte, eine Diskussion in der Bundeskunsthalle

Der entscheidende Satz fiel am Schluss der Veranstaltung. „Die Meinungsfreiheit ist wie die Kunstfreiheit inhaltsneutral.“, hob der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers hervor, der unter anderem aus Anlass der Antisemitismusdebatte über die documenta 15 im Auftrag Claudia Roths ein Gutachten über die Grenzen der Kunstfreiheit verfasst hatte. Er sage das durchaus mit einem gewissen Unwohlsein, fügte er hinzu, aber das sei der harte Preis, den man in der liberalen Ordnung zu zahlen habe. Ein drittes Mal ging es kürzlich im Rahmen der Gesprächsreihe der Bundeskunsthalle „A Mentsh is a Mentsh.“ um die öffentliche Antisemitismusdebatte, die vor allem in Deutschland teils mit fast unerträglichen Zuspitzungen geführt wird. Auch in der Bonner Runde lagen die Ansichten der beteiligten Diskutanten, neben Möllers der Antisemitismusbeauftragte der Hessischen Landesregierung Uwe Becker und die deutsch-palästinensische Journalistin Alena Isabelle Jabarine – mit israelischem Pass, wie sie ausdrücklich betonte – weit auseinander. Endlich einmal wurde aber das Feld dieses komplexen Themas bis an seine Grenzen gehend und dennoch in Ruhe ausgeleuchtet.

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Keine eitlen Tweets für die Galerie

Moderiert wurde der Abend von Nicole Deitelhoff und Meron Mendel, die eine Politikwissenschaftlerin, der andere Direktor der Bildungsstätte Anne Frank; beide waren in unterschiedlicher Weise und Funktion auch an der Debatte über die documenta 15 beteiligt. Wie sehr man auseinanderlag in der Beurteilung der Gemengelage, zeigte sich gleich am Anfang. Deitelhoff fragte, ob denn die Präsidentin der TU in Berlin Geraldine Rauch zurücktreten müsse anlässlich ihrer Likes von als antisemitisch zu bewertenden Tweets auf X. Das wurde von Uwe Becker ohne Zögern bejaht. Alena Jabarine hingegen schloss sich zwar der Kritik an dem Verhalten der TU-Präsidentin an, fand aber sogleich mildere Töne, indem sie vor einer Hetzjagd warnte und dafür plädierte, die öffentliche Entschuldigung von Frau Rauch anzunehmen und ihr sowie der Gesellschaft die Chance zu geben, aus einem solchen Fehler zu lernen. Das veranlasste Christoph Möller zu der Anregung, doch nicht immer dem Drang nachzugeben, sich mit Tweets und ähnlichen Aktionen an schwierigen und differenziert zu führenden Debatten zu beteiligen. Nichts zu äußern, sei manchmal der bessere Weg. Mit dieser Feststellung drängte sich das „dröhnende Schweigen“ (Deitelhoff) der deutschen Kulturszene zu dem brutalen Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober geradezu als Thema auf. Möllers regte erneut ein sich Kümmern der Zivilgesellschaft um die Belange der Betroffenen an, statt sich mit eitlen Tweets für die Galerie in Pose zu setzen. Dies gelte umso mehr, ergänzte Alena Jabarine, als Bekenntnisse allein überhaupt nichts änderten.

Kritik an Israel und Antsemitismus

Es folgte eine von Meron Mendel angestoßene Debatte über die Frage, was denn nun genau antisemitisch sei. Die Diskussion darüber changierte zwischen der weitergehenden Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die von einigen als Mittel zur Unterdrückung von Kritik an israelischer Politik infrage gestellt wird, und der Jerusalemer Erklärung, die Antisemitismus konkreter als Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden beschreibt. Es blieb am Ende offen, wie weit die Kritik an der Politik Israels gehen darf, wann das zulässige Maß hin zum Antisemitismus überschritten wird. Letztlich, so wurde in der Runde festgestellt, lasse sich das, was geht und was nicht geht, kaum durch Definitionen erreichen. Christoph Möller nannte die Definitionsversuche sogar „Eingekästel“ und fordert stattdessen einen offen gehaltenen Diskurs, um so wie auch in anderen Bereichen eine Verständigung zu erzielen. Er appelliert schon hier unmissverständlich dafür, dass sich die Politik in bestimmtem Maße aus der intellektuellen und moralischen Ordnungsdebatte heraushalten solle, weil sie sich sonst auf gefährliches Terrain begebe. Zudem sei die Politik damit überfordert. Schon gar nicht solle sie versuchen, bestimmte Standpunkte mit Sanktionen zu belegen. Kulturinstitutionen müssten selbst die Verantwortung übernehmen, vorschreiben könne man ihnen letztlich nichts. Für sie sei es aber auch nicht damit getan, sich in jeder Beziehung einfach auf die Kunstfreiheit zu berufen.

Falsche Prioritäten in der Debatte

Man müsse sich fragen, worauf wir unser Augenmerk richten, so Jabarine. Statt sich über die Berliner TU-Präsidenten zu erregen, sei es wichtiger, dort intensiv hinzuschauen, wo sich Rechtsradikale organisierten. Wachsamkeit gegenüber solchen rechtsradikalen Kreisen in Polizei und Bundeswehr oder angesichts von Nazis in den Parlamenten sei das Gebot der Stunde. Ebenso forderte sie, sich die Lage von palästinensischen Menschen hierzulande bewusst zu machen. Sie würden generell und ohne zu differenzieren kriminalisiert, ja sogar als gefährlich eingestuft, längst trauten sich viele Palästinenser überhaupt nicht mehr, sich öffentlich zu äußern; vielmehr gebe es mittlerweile unter ihnen eine schweigende Mehrheit, die sich abgekoppelt und vom Diskurs zurückgezogen habe.

Zu wenig Empathie

Ob auch da eine gewisse Empathielosigkeit, die der deutschen Gesellschaft von der Diskussionsrunde in Bonn bescheinigt wurde, eine Rolle spielt, blieb offen. Überhaupt waren an dieser Stelle doch eher Zweifel anzubringen, ob es solche Empathielosigkeit tatsächlich gibt. Das hohe Spendenaufkommen, das im Falle von nationalen und internationalen Naturkatastrophen festzustellen ist, zeichnet ein anderes Bild. Die Reaktionen hierzulande auf die Anschläge in Frankreich (Bataclan, Charlie Hebdo) sprechen ebenfalls eine andere Sprache. Zudem ist zu unterscheiden zwischen der oft sicher empfundenen Empathie und der Bereitschaft, sie öffentlich zu äußern. Diese Bereitschaft sinkt, je mehr die öffentliche Äußerung ein politisch nicht gewünschtes oder zumindest kritisch wahrgenommenes System stützt. Im Fall Israel gibt es in der schweigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung viele, die gerade jetzt Netanjahu nicht in die Hände spielen wollen, dennoch den Anschlag der Hamas am 7. Oktober als grauenerregend empfinden und sich für die israelischen Familien nichts mehr wünschen, als dass die Geiseln so schnell wie möglich freigelassen werden.

Was tun?

Am Ende brachte Nicole Deitelhoff die Diskussion mit der Frage auf den entscheidenden Punkt, ob man denn dem unzweifelhaft vorhandenen Antisemitismus im Kunstbetrieb nicht doch durch eine Antidiskriminierungsklausel als Teil der öffentlichen Förderung beikommen könne. Erneut warf Möllers ein, Recht sei nicht die Lösung, vielmehr seien moralische Abrüstung und Konsenssuche der einzige gangbare Weg. Er warnte zudem vor einem „flächendeckenden System der Gesinnungsprüfung“. Dem pflichtete Jabarine bei und warnte ebenfalls vor „Regularien im Kunstbetrieb“. Den Gedanken an solche Regularien bei gleichzeitiger Steigerung der Anzahl von AfD-Wählern empfinde sie als unangenehm und extrem gefährlich. Zudem dienten solche Regularien doch nur der Unterdrückung von Meinungen, am Ende wisse man nicht, was die Gesellschaft denke, wenn alles Fragwürdige aus dem öffentlichen Raum verbannt werde. Die Essenz der Kunst sei zudem Meinungsvielfalt und Provokation. Mittlerweile stehe der deutsche Kultur- und Diskursstandort international infrage. Als Becker dennoch konsequent forderte, Antisemitismus sei auch im Kunstbetrieb konsequent zu unterbinden, sie verletze die Menschenwürde und die Freiheit der Kunst ende genau da, konnte das Möllers so nicht stehen lassen. Dann müsse man Céline aus den Büchereien und Wagner aus den Opernhäusern verbannen, und das gehe ja wohl doch zu weit.

So ist es, dachte man da als Zuschauer. Die Kunst und die Literatur, der Film, sie strotzen doch nur so von Verletzungen der Menschenwürde. Juristisch problematisch wird das erst, wenn von dieser Verletzung eine konkrete identifizierbare Person betroffen ist. Und so ist zu hoffen, dass sich diejenigen, die gerade einer Regulierung des Kunstbetriebs das Wort reden, wie etwa die Berliner Justizsenatorin kürzlich in der Süddeutschen Zeitung, diese hoch qualifizierte und sachliche Debatte im Nachhinein auf der Website der Bundeskunsthalle (https://www.bundeskunsthalle.de/studiobonn/a-mentsh-is-a-mentsh) genau anschauen. Es könnte der Kunst- und der Meinungsfreiheit ebenso dienen wie dem Kampf gegen Antisemitismus.

Siehe auch:

Über Defizite am Theater und wie sie entstehen

Etwa drei Milliarden Euro öffentliche Förderung stehen hierzulande Stadt- und Staatstheatern einschließlich Landesbühnen jährlich zur Verfügung. Eine Menge Geld! Dennoch kommt es am Ende eines Haushaltsjahres immer mal wieder zu Defiziten. Manchmal liegt es an einem zu leichtfertigen Umgang mit den bereitstehenden Haushaltsmitteln durch die künstlerische Leitung, wie vor mehr als 30 Jahren seitens des mittlerweile verstorbenen Generalintendanten des Staatstheaters Stuttgart, Wolfgang Gönnenwein. Der hatte zur Finanzierung seiner künstlerischen Ambitionen die sogenannte Bugwelle erfunden, mit der man Schulden aus dem alten Haushaltsjahr in schöner und steigender Regelmäßigkeit unter Einsatz der öffentlichen Gelder des neuen Haushaltsjahrs finanzierte. Das brachte ihm angesichts seines vorsätzlichen Verstoßes gegen die öffentlichen Haushaltsregelungen sogar ein Strafverfahren wegen Untreue ein, das dann aber gegen Auflagen eingestellt wurde. Zuweilen ist die Ursache aber erfreulicherweise harmloser. Nicht selten liegt sie in einer strukturellen Unterfinanzierung, also einer nicht ausreichenden Ausstattung des jeweiligen Theaterhaushaltes mit öffentlichen Mitteln, vor allem dann, wenn unvorhersehbare Ereignisse eintreten und diese auf die Ausgaben (oder Einnahmen) durchschlagen.

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Vor allem von Mitte der 1990er Jahre bis etwa 2010 beherrschte das große Sparen Deutschlands öffentliche Haushalte. Man könne späteren Generationen die stetig steigenden Schulden nicht mehr zumuten, hieß es. Heute ist eine völlig marode öffentliche Infrastruktur die Quittung für diese verfehlte Haushaltspolitik. Unter ihr haben auch viele öffentliche Theatergebäude mit einem massiven Renovierungsbedarf zu leiden. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Lohnerhöhungen als ungedeckter Scheck

Gehen soll es – zwecks näherer Erläuterung der strukturellen Unterfinanzierung – um die zweifelhafte Weise, mit der mancher Rechtsträger die Theater- und Orchesterförderung damals zusammenstrich. Nicht nur das Hineinkürzen in den laufenden Haushalt war an der Tagesordnung. Weit verbreitet war es, mit den Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst oft nicht unerhebliche Lohnsteigerungen zu vereinbaren. Diese standen dann kraft tarifvertraglicher Vereinbarung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadttheater, Staatstheater und Landesbühnen ebenso zu. Warum sollten die Beschäftigten des Kulturamts auch mehr Geld bekommen, die Schauspielerin oder der Inspizient nicht? Doch dafür die notwendigen öffentlichen Mittel bereitzustellen, dazu war manche Gemeinde zwar beim Einwohnermeldeamt bereit, jedoch nicht bei den Theatern und Orchestern. Für die war die Lohnerhöhung so etwas wie ein ungedeckter Scheck, den sie zu zahlen hatten. Viele dieser Betriebe, vor allem in den neuen Bundesländern, wussten sich zur Vermeidung von Defiziten nur noch mit Personalabbau und Gehaltsverzicht der Mitarbeiterinnen zu helfen. So wurde etwa Künstlern, die jeden Tag auf der Bühne standen, bei einem Jahreseinkommen von gerade einmal 20.000 Euro kurzerhand das 13. Monatsgehalt gestrichen, um das Überleben eines Theaters zu sichern, für die Gewerkschaften wie für den auf Arbeitgeberseite agierenden Deutschen Bühnenverein in vielerlei Hinsicht mehr als eine bittere Pille. Denn die immer geringer werdende Anzahl von Mitarbeitern führte zusätzlich noch zu einer enormen Arbeitsverdichtung ebenso wie das höhere Einnahmesoll, das meist nur mit einem Mehr an Produktionen zu erwirtschaften war. Ein schlechtes Gewissen hatte dabei auf Seiten der Theater- und Orchesterträger damals offenkundig kaum jemand.

Mehr Work-Life-Balance

Kein Wunder also, dass die Debatte über die Work-Life-Balance die Theater irgendwann erreichen würde. So kam es dann schließlich vor einigen Jahren. Mittlerweile hat es im einschlägigen Tarifvertrag, der Normalvertrag (NV) Bühne einige wesentliche Verbesserungen für die Arbeitsnehmerseite gegeben, von mehr und besser planbarer Freizeit über einen Nichtverlängerungsschutz für Schwangere bis hin zu einer kräftigen Erhöhung der Mindestgage. Sie betrug 2016 noch 1850.- Euro. Gerade ist sie auf einen Betrag von über 3.000 Euro angestiegen. Alles das kostet Geld und reduziert die Einsatzmöglichkeiten des Personals und damit die Einnahmemöglichkeiten.

Solche Verbesserungen stoßen natürlich in unseren woken Zeiten auf große Akzeptanz, auch in der Politik. Finanziert werden sie deshalb von dort nicht unbedingt. Das kann in den nächsten Monaten noch bitter werden. Denn allenthalben wird plötzlich sogar wieder von der Kürzung der öffentlichen Kulturförderung gesprochen. Doch viele Theater und Orchester haben die Corona-Einbrüche des Publikums, anders als erwartet oder zumindest erhofft, noch nicht vollständig überwunden. Ob und wie das gänzlich gelingen wird, steht mancherorts noch ein wenig in den Sternen. Gerade im Schauspiel ist in vielen Betrieben die Suche nach den Formen und Inhalten, mit denen das Publikum erreicht werden kann, keinesfalls abgeschlossen. Das gilt erst recht dort, wo nun noch ein Intendantenwechsel stattfindet, zumal der ohnehin stets mit besonderen Kosten verbunden ist (zahlreiche, zum Teil hohe Abfindungen nach NV Bühne bei Nichtverlängerungsmitteilungen wegen Intendantenwechsel, Vorbereitungsetat der neuen Intendanz, Kosten für die Beendigung der bisherigen Intendanz). Künstlerische Neuprofilierungen, denen ein Intendantenwechsel ja dient, sind zudem in der Regel keine Zeiten der explodierenden Einnahmesteigerung. Hinzu kommen (und kamen gerade in jüngster Vergangenheit) die emporschnellenden und sehr volatilen Energiekosten. Theater sind energieträchtige Betriebe, auch wenn noch so sehr das Thema Nachhaltigkeit nicht nur auf dem Spielplan steht. Das alles lässt sich nicht vorauskalkulieren, erst recht nicht in diesen doch schwierigen Zeiten.

Die Finanzierung in der Zukunft

Werden diese zuweilen nicht in allen Details vorauszusehenden Entwicklungen nicht durch die notwendigen öffentlichen Mittel aufgefangen, kann man nur das tun, was oben für die Zeit vor und nach der Jahrtausendwendeschon stattgefunden hat: Es wird wieder an der Personalschraube zu drehen sein. Das kostet Zeit, geht also nicht von heute auf morgen. Kündigungs- und Nichtverlängerungsfristen sind zu beachten, Gagen müssen neu verhandelt werden, Tarifverträge mit Vergütungskürzungen fallen nicht vom Himmel. Und es bündelt Energien, die dann an anderer Stelle fehlen. Wegen des Zeitfaktors konstatieren die Stauten vieler Theater im Übrigen, dass Defizite in einem Haushaltsjahr angesichts der vielen Geschilderten Imponderabilien sehr wohl eintreten können. Man ist ja auf Trägerseite nicht betriebsblind. Diese sind dann aber in den Folgespielzeiten aufzufangen, es sei denn, es gibt Rückstellungen, die das Problem ganz oder zumindest teilweise lösen. Man sorgt ja vor. Aber es ist so wie in der privaten Haushaltskasse. Deren Rücklagen reichen manchmal ebenfalls nicht, wenn plötzlich gleichzeitig die Waschmaschine sowie der Geschirrspüler ausfällt. Auch da geht – Geld hin, Geld her – kein Weg an einer Neuanschaffung vorbei, will niemand der Familie das Leben schwerer machen als es ohnehin schon ist. Die Mittel dafür müssen dann eben später wieder erwirtschaftet werden. So ist es das auch in den Theatern. Schon deshalb sind Kürzungen der öffentlichen Kulturmittel nun wirklich nicht das Gebot der Stunde, erst recht nicht angesichts des drohenden Fachkräftemangels, der gerade die Theater erreicht.

Europa, die Künste und eine bevorstehende Wahl zum Europaparlament

Maria Lassnig war eine großartige und ebenso eigenwillige österreichische Künstlerin. Soeben ist der Film über ihr Leben unter dem Titel „Mit einem Tiger schlafen“ in den Kinos angelaufen. In genialer Weise wird diese hochsensible Künstlerin dargestellt von der wunderbaren Schauspielerin Birgit Minichmayr. Es ist eine Sternstunde des Kinos, ein einzigartiges Wechselspiel zwischen hoher körperlicher Empfindsamkeit einerseits und stoischer Beharrlichkeit gegenüber einer manchmal allzu arrogant daherkommenden Welt der Galerien und Kuratoren andererseits. Allein die Szene im österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig möchte man als Zuschauer nicht mehr missen. Maria Lassnig beklagt sich, sie könne bei der Lautstärke der ebenfalls dort installierten Videokunst ihre eigenen Arbeiten nicht „sehen“, und lässt dem einen fast dahingerotzten Vorwurf an den Kurator folgen, er habe sich ja nicht getraut, den Pavillon mit ihren Werken alleine zu gestalten. Welch eine Selbstbehauptung der eigenen Kunst! Doch hier soll es nicht um dieses cineastische Meisterwerk gehen. Vielmehr ist eine Einblendung vor Beginn des Films hervorzuheben, nämlich der Hinweis auf das Kulturförderprogramm der Europäischen Union, „Creative Europe“. Auch von dort floss offenkundig Geld für dieses sehenswerte Kinostück.

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In Europa mit der Kultur beginnen

Natürlich gab es auch an „Creative Europe“ Kritik. Zu strukturlastig, zu wenig künstlerisch. Was seien zudem schon ca. 2,5 Milliarden Euro für sechs Jahre, wenn man das mit der Kunstförderung der europäischen EU-Mitgliedstaaten vergleiche, hieß es zuweilen. Allein in Deutschland werden von Ländern, Kommunen und Bund für die Förderung von Kunst und Kultur jährlich ca. 15 Milliarden Euro ausgegeben. Und doch: Eingedenk der dem Wegbereiter der Europäischen Union, Jean Monnet, zugeschriebenen Worte „Wenn ich nochmals mit dem Aufbau Europas beginnen könnte, dann würde ich mit der Kultur beginnen.“ hat die EU lange schon entdeckt, wie wichtig Kunst und Kultur für die Gemeinsamkeiten, für den Zusammenhalt Europas sind. Intensiv arbeiten seit Jahren europäische Kulturverbände, wie beispielsweise Pearle* für den Bereich der darstellenden Künste (https://www.pearle.eu), daran, dieses Bewusstsein weiter zu stärken.

Über 20 Jahre hatte ich die Möglichkeit, im Executive Committee dieser Vereinigung, an deren Gründung auch der Deutsche Bühnenverein beteiligt war, mitzuarbeiten. In ihr kommen viele Europa-Enthusiasten aus dem Theater- und Musikleben der verschiedenen Ländern Europas zusammen, um sich für eine der Kunst dienende Europa-Politik einzusetzen. Musical und Oper, Tanz, Schauspiel und Kabarett, alles ist dort vertreten. Eines der großen Themen war immer und ist noch heute der künstlerische Austausch, zwischen den Ländern der Europäischen Union sowie zwischen Europa und der Welt. Mehr denn je muss dabei das Ziel sein, die Schlagbäume zu öffnen, um den kulturellen Dialog zu stärken. Denn wie wollen wir uns und die Welt verstehen, wenn wir nichts voneinander wissen. Das Lesen von Büchern ausländischer Autorinnen und Autoren, teils übersetzt mit Fördermitteln der EU, das Hören der Musik dieser Welt, der internationale Tanz, die länderübergreifende Kooperation von Theatern, große Festivals, Filme aus aller Welt, das alles ist ein Beitrag zur Verständigung, ein Weg zum friedlichen Miteinander, in der Europäischen Union und überall in der Welt. 

Kunst gegen rechts

Und wie lauten die kulturellen Rezepte vom rechten Rand des politischen Spektrums? Da ist die Rede von ideologischer Gängelung durch die EU, von Aushöhlung der nationalen Leitkultur, künstlerische Kooperationen werden unter den Generalverdacht eines von der EU angeblich ausgehenden Konformitätszwangs gestellt, abgelehnt werden Inklusion, Chancengleichheit, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit. Das alles ist nichts anderes als eine Welt von gestern, eine Welt des Gegeneinanders, eine Welt ohne Suche nach Verständigung, eine Welt ohne Interesse an der Andersartigkeit anderer Kulturen. Eine kalte Welt frei von jeder Solidarität, darum geht es den Parteien rechts außen in Europa. 

Niemand, der als Bürgerin oder Bürger Europas an der Vielfalt der Kultur, an der Phantasie und der Kreativität der Künste interessiert ist, niemand der als Künstlerin oder als Künstler in Europa arbeitet, niemand, der Kulturpolitik für die Künste und für den künstlerischen Austausch macht, kann an einem solchen Roll back von rechts in die Welt der ewig Gestrigen interessiert sein. 

Lassen Sie uns also in Europa dafür sorgen, dass der bevorstehende Europa-Wahltag ein Tag für die Demokratie in Europa wird, ein Tag für die Freiheit im Allgemeinen und für die Freiheit der Künste im Besonderen, ein Tag der Verständigung gegen rechts unabhängig von der jeweiligen Sympathie für welche der demokratischen Parteien auch immer, ein Tag der Besonnenheit, der Aufklärung, des Verstandes. Das Gebot der Stunde: Wählen gehen für eine von Humanismus und Menschenwürde bestimmte Zukunft Europas, in Frieden und Freiheit.