Immer die gleichen Vorwürfe, immer die gleichen Ideen
Als gelte es, das Rad neu zu erfinden, wird ein neues Denken gefordert. Von mehr ökonomischem Sachverstand ist die Rede. Den Beweis, dass dieser fehlt, bleiben die Protagonisten der Debatte wie beispielsweise der Berliner Kultursenator schuldig. Die bloße Behauptung muss für den Versuch genügen, die Leitungen von Theatern und Orchestern, Museen und anderen Kultureinrichtungen in ein schlechtes Licht zu rücken. Selbst wenn man der Unterstellung folgen wollte, sei der Hinweis erlaubt, dass niemand anderes als die öffentliche Verwaltung selbst für die Auswahl des kulturellen Spitzenpersonals zuständig ist. Wurden hier etwa Fehler gemacht?
Wieder einmal setzt sich Berlin an die Spitze der Bewegung. Das war schon bei den damaligen Kürzungen der öffentlichen Kulturetats so. Nachdem der seinerzeitige Berliner Kultursenator Roloff-Momin 1993 das Schillertheater geschlossen hatte und die Befreiung der Theater von angeblichen Tarifzwängen forderte, gab es vor allem in den neuen Bundesländern kein Halten mehr. Unter dem Oberbegriff „Strukturveränderungen“ und flankiert von dem schillernden Begriff des „Weimarer Modells“ wurden Orchester abgewickelt, Personal abgebaut und Vergütungen gekürzt. Hinzu kam eine Flexibilisierung der Tarifverträge, vor allem im Bereich des Normalvertrages (NV) Bühne, der für das künstlerische Personal gilt, und die damit verbundene Arbeitsverdichtung. Umso mehr ist Skepsis angebracht, wenn heute wieder nach Strukturveränderungen gerufen wird, zumal sich niemand in der Lage sieht, genau zu beschreiben, was damit gemeint ist.
Ensemble und Repertoire und die Lage der Beschäftigten
Das war in den 1990er Jahren nicht anders. Am Ende stand die Frage, ob Ensemble und Repertoire nicht zu teuer seien und deshalb zugunsten eines En-Suite-Systems abgeschafft werden sollten. Der Bühnenverein und andere haben damals alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu zeigen, dass das deutsche Ensemble- und Repertoiretheater nicht nur eine außergewöhnliche künstlerische Vielfalt und ein hohes Maß an künstlerischen Experimenten erlaubt. Sondern die bestehende Struktur ermöglicht auch einen hohen und damit effizienten Ressourceneinsatz sowie die Sicherung bestimmter sozialer Ansprüche für die künstlerisch Tätigen. Denn im Ensemble- und Repertoirebetrieb wird kontinuierlich über die gesamte Spielzeit gespielt. Das vermeidet längere Leerstände der Häuser ebenso wie es die kontinuierliche Beschäftigung von Schauspielerinnen und Sängern, Tänzern und Dramaturginnen und vielen anderen über die gesamte Spielzeit oder gar mehrere Jahre zulässt. Im international weit verbreiteten En-Suite-System hingegen, bei dem eine Produktion nur für kurze Zeit fast täglich auf dem Spielplan steht, werden die Künstlerinnen und Künstler nur für diese eine Produktion engagiert, um nach ihrer Aufführung innerhalb weniger Wochen wieder auf den Arbeitsmarkt entlassen zu werden. Von einer längerfristigen Beschäftigung kann keine Rede sein. Diese Praxis geht einher mit einer hohen Anzahl von Schließtagen, an denen die Bühne leer steht.
Gerade wegen der sozialen Aspekte hat sich in den letzten Jahren, angestoßen etwa durch die Aktivitäten des Ensemble-Netzwerks, auf Seiten der Politik eine große Bereitschaft gezeigt, die sozialen Bedingungen für die künstlerisch Beschäftigten an den Theatern sogar weiter zu verbessern. Tarifgagen wurden zum Teil überdurchschnittlich erhöht, in der freien Szene wurden Mindestgagen zum Gegenstand öffentlicher Förderung, die Befristung von Arbeitsverträgen mit Künstlerinnen und Künstlern steht auf dem Prüfstand. Das ist verständlich und nachvollziehbar. Aber wer A sagt, muss bekanntlich auch B sagen. Wenn man politisch gegenüber Künstlerinnen und Künstlern seine soziale Ader entdeckt, dann muss man das bezahlen. Die vielerorts diskutierten Kürzungen öffentlicher Mittel stehen dazu in krassem Widerspruch und entlarven das soziale Gewissen manch eines kulturpolitischen Protagonisten als hohles Gerede.
Umso zynischer ist es, die Probleme etwa von VW und Ford und die damit möglicherweise verbundenen Kürzungen der Mitarbeitergehälter oder gar Entlassungen als Begründung für die Kürzungen der öffentlichen Mittel heranzuziehen. Auch hier soll suggeriert werden, die Leitungen der Kulturbetriebe hätten ihre Geschäftspolitik ähnlich verbockt wie das Management der Autokonzerne. Zudem sei der Hinweis erlaubt, dass es bei der öffentlich geförderten Kultur um Gesellschaftspolitik, Bildung, Literatur und Kunst geht. Schon deshalb ist der Vergleich mit der privatwirtschaftlich organisierten Autoindustrie mehr als abenteuerlich.
Sponsoring, Spenden und Kreditfinanzierung
Da aber die Privatwirtschaft mit ihren Milliardengewinnen so verlockend für die Finanzierung von Kunst und Kultur ist, werden wieder einmal Sponsoring und Spenden als neue Finanzierungsquellen ins Spiel gebracht. Nach der jüngsten Theaterstatistik des Bühnenvereins belaufen sich die privaten Zuwendungen an die deutschen Stadt- und Staatstheater und ihre Orchester auf insgesamt rund 35 Millionen Euro. Das ist etwas mehr als ein Prozent der öffentlichen Förderung und etwa ein Viertel des Betrages, den Berlin allein dem Kulturhaushalt als Kürzung zumuten will. Selbst wenn es gelänge, den Betrag bundesweit zu verdoppeln, stünden die Berliner Kultureinrichtungen immer noch stark im Regen.
Auch die Gepflogenheiten des Sponsorings scheinen denjenigen, die es nun als Ersatzfinanzierung fordern, nicht geläufig zu sein. Sponsoren, die bereit sind, Geld zur Verfügung zu stellen, tun dies vor allem, um künstlerische Projekte mit einer gewissen Strahlkraft zu fördern, die ohne Sponsorengelder nicht zustande kämen. Wenn bei Sponsoren der Verdacht aufkommt, dass es nur darum geht, fehlende öffentliche Mittel aufzufangen, kann man sich das Betteln erfahrungsgemäß gleich sparen. Dann nämlich dienen die Sponsorengelder und Spenden nicht der Kunstförderung, sondern der Entlastung der öffentlichen Kassen; dieser Umstand ist als Motiv für Kultursponsoring oder Spenden in der Wirtschaft mehr als unbeliebt. Das im Übrigen führt erfahrungsgemäß dazu, dass gerade diejenigen Häuser die meisten Sponsorengelder und Spenden einwerben können, die die höchsten öffentlichen Zuschüsse erhalten, wie z.B. die Bayerische Staatsoper in München mit rund 4,6 Mio. Euro Einnahmen aus privaten Mitteln (Quelle: Theaterstatistik 2021/22 des Deutschen Bühnenvereins). Und nicht zu vergessen: Wer in großem Stil auf privates Geld setzen will, braucht dafür einiges an Personal. Die Sponsoring-Abteilungen großer amerikanischer Kulturinstitutionen bestehen nicht aus einer schlecht bezahlten Sachbearbeiterin.
Weil das alles so ist, wird dann sofort die Möglichkeit der privaten Kreditfinanzierung in die Debatte geworfen, als ob es kein Problem wäre, wenn sich Theater und Museen einfach privates Geld leihen. Schließlich handelt es sich oft um kommunale oder staatliche Unternehmen. Der dann verfassungsrechtlich durch die Schuldenbremse vorgegebene Rahmen für die Aufnahme von Krediten ist von den jeweiligen Trägern bereits mehr als ausgeschöpft. Darüber hinaus müsste die öffentliche Hand natürlich bereit sein, die Kreditzinsen zu übernehmen, sonst rutscht die jeweilige Kultureinrichtung immer tiefer in die Schuldenfalle. Diese Bereitschaft ist bisher nicht erkennbar.
Fusionen und andere Zusammenschlüsse
Sparen kann ein Theater oder Orchester nur beim Personal. Das ist eine Binsenweisheit, die sich auch in der Kulturpolitik herumgesprochen haben sollte. Deshalb werden die Kürzungen, die Berlin der freien Szene auferlegen will, für viele der dortigen Projekte schlicht das Aus bedeuten. Ohne Künstlerinnen und Künstler gibt es keine Kunst, so einfach ist die Welt.
Mit Blick auf die 2004 gegründete Opernstiftung wird nun für die vier öffentlich getragenen Sprechtheater Volksbühne, Deutsches Theater, Theater an der Parkaue und Maxim-Gorki-Theater (Berliner Ensemble und Schaubühne sind privatwirtschaftlich organisiert, werden dennoch mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert) ein der Opernstiftung ähnliches Modell ins Spiel gebracht. Das ist nicht falsch, aber was bringt es kurzfristig? Wie hoch auch immer die Kürzungen der öffentlichen Mittel für die vier Bühnen zusammen ausfallen werden, jeder Arbeitsplatz in den Theatern kostet im Durchschnitt ca. 50.000 Euro (inkl. Sozialabgaben). Das sind 20 Arbeitsplätze pro fehlender Million an öffentlichem Geld. Damit führt der Ausfall jeder dieser Millionen zu einem erheblichen Aderlass. Denn Entlassungen wären nur im künstlerischen Bereich des NV Bühne möglich. Hier sind die Arbeitsverträge mit den Künstlerinnen und Künstlern befristet und können durch die sogenannte Nichtverlängerungsmitteilung zum großen Teil kurzfristig beendet werden, derzeit jedoch erst zum Ende der Spielzeit 2025/26. Das nichtkünstlerische Personal, in der Regel mindestens 40 Prozent der Belegschaft, gehört dem öffentlichen Dienst des Landes Berlin an und ist nach dem geltenden Tarifvertrag der Länder nur schwer kündbar. Selbst als seinerzeit das Schillertheater in Berlin geschlossen wurde, gab es in diesem Bereich keine Entlassungen, sondern das nichtkünstlerische Personal des Theaters wurde in Berlin weitgehend anderweitig untergebracht.
Freiwillige Aufgaben und Pflichtaufgaben
Blicken wir abschließend nach Köln. Dort hat die ehrenamtliche grüne Bürgermeisterin Brigitta von Bülow kürzlich dem WDR ein Interview gegeben. Es fiel in diesem Interview mit Blick auf die zu erwartenden Kürzungen im Kölner Kulturetat folgender Satz: „Wenn wir nicht konsolidieren…, dann kommen wir in die Haushaltssicherung, und das heißt gerade für die Kultur, dass sie als freiwillige Leistung dann erst recht auf dem Prüfstand steht und wahrscheinlich vieles gar nicht mehr fortgeführt werden kann.“ Bei diesem Satz und der darin enthaltenen Drohung sträuben sich dem geneigten Zuhörer schon etwas die Nackenhaare. Denn erstens waren in NRW schon viele Kommunen in der Haushaltssicherung, ohne dass dies gravierende Auswirkungen auf die Kulturausgaben gehabt hätte. Das liegt zweitens daran, dass die Regierungspräsidien den Kommunen mit Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der Haushaltssicherung gar nicht vorschreiben können, wo sie zu sparen haben. Drittens suggeriert der zitierte Satz wieder einmal, dass die Kommunen nur bei den freiwilligen Ausgaben sparen könnten, eine Behauptung, die seit Jahren auch in den Medien unreflektiert nachgebetet wird, aber schlichtweg falsch ist. Selbstverständlich kann auch bei den Pflichtausgaben weniger Geld ausgegeben werden, in Nordrhein-Westfalen gibt es sogar Verwaltungsvorschriften, die dies ausdrücklich vorsehen. Die Kommune kann zwar nicht auf die Erfüllung der Pflichtaufgaben verzichten. Sie kann auch der Bürgerin, der nach dem Gesetz ein Geldanspruch in bestimmter Höhe zusteht, diesen nicht einfach mangels öffentlicher Mittel kürzen. Nirgendwo steht aber geschrieben, dass die Wahrnehmung der Pflichtaufgaben mit einem bestimmten Personalaufwand, immer in Eigenregie und ohne Kooperation mit anderen Kommunen oder ohne Nutzung digitaler Unterstützung zu erfolgen hat. Machte man also einiges anders, könnte man sehr wohl bei den Pflichtausgaben sparen. Zudem sind es gerade die freiwilligen Aufgaben, die die kommunale Selbstverwaltung ausmachen. Sie aufzugeben oder zu sehr einzuschränken, würde bedeuten, die Kommune zur Vollstreckungsbehörde von Land und Bund zu machen, was politisch alles andere als erstrebenswert ist.
Es wäre daher schon viel gewonnen, wenn das Gerede von der Kultur als freiwillige Ausgabe, was sie zum Freiwild öffentlicher Sparzwänge machen soll, endlich einmal aufhören würde. Das Argument vom Vorrang der Pflichtaufgaben wird durch ständige Wiederholung weder besser noch richtiger.
Schlussbemerkung
Es ist und bleibt mühsam, sich immer wieder aufs Neue mit den Schlagworten, mit denen Kürzungen in der Kultur untermauert werden, auseinanderzusetzen. Aber es ist unverzichtbar, damit die Künstler und ihre Arbeit nicht unter die Räder geraten. Zudem sollten wir nicht vergessen, dass beispielsweise für Kunst und Kultur nur ein Bruchteil dessen ausgegeben wird, was dieses Land etwa für Soziales und Bildung ausgibt. Das ist selbstverständlich und richtig und muss so sein. Vom Verteidigungsetat hierzulande wollen wir mal besser gar nicht reden. Das allein müsste auch die Vertreter der öffentlichen Hand zur Vorsicht mahnen, wenn es um die Kürzung von Kulturausgaben geht.