Warum es in den Theatern die Sommerpause gibt
Es war in früheren Zeiten mal üblich, sich die Frage zu stellen, warum etwas so ist, wie es ist, bevor man vorschlug, es zu ändern. Das ist nicht mehr so ganz in Mode, macht aber trotzdem Sinn. Die Erklärung für den sommerlichen Mangel an Theatererlebnissen in den Städten dieser Republik ist einfach: Die Menschen fahren in die Sommerferien. Ganz so leicht wie sonst ist es also nicht, die Säle etwa in Oberhausen, Kaiserslautern oder Magdeburg zu füllen. Das gelingt in den Jahreszeiten Herbst, Winter und Frühjahr schon etwas besser, falls nicht gerade Corona sein Unwesen treibt. Und was liegt da näher, auch die geplagten Mitarbeiter sowie -innen ebenfalls in den Urlaub zu schicken. Oder Ihnen zu ermöglichen, da mal an Vorstellungen mitzuwirken, wo gerade die Leute sind, siehe oben. Das Bayreuther Festspielorchester und der dortige Opernchor bestehen nahezu ausschließlich aus Sängerinnen und Musikern, die im deutschen Stadt- und Staatstheater dank des Ensemble- und Repertoirebetriebs feste Engagements haben. Manche Schauspielerin steht im idyllischen Salzburg auf der Bühne, was natürlich für das offenkundig zu Hause gebliebene nord-östliche Großstadt-Milieu in Berlin, bei aller Attraktivität, bedauerlich ist.
Klimaaktivisten in Salzburg
Klimaaktivisten kleben sich auf Straßen und Rollbahnen fest, haben es zwecks Erzielen von Aufmerksamkeit aber auch auf die Kultur abgesehen. Sie kleben sich an Kunstwerken berühmter Künstler fest, was natürlich schon, von der berechtigten Zielsetzung des Klimaschutzes abgesehen, reichlich daneben ist. Neulich haben einige Aktivisten in der Premiere des Salzburger „Jedermann“ ihren Protest herausgeschrien. Zunächst haben offenkundig viele Besucher gedacht, das gehöre zur Inszenierung, was zeigt, wie schön Theater ist. Man schwebt als Zuschauer eine Zeit lang zwischen Spiel und Realität. Wo wird einem das sonst geboten? Aber darum geht es hier nicht. Es wird zuweilen die Frage aufgeworfen, warum es für Klimaaktivisten so interessant ist, Kunst und Kultur ins Visier zu nehmen. Nun, ein Teil des Klimaproblems liegt im Tourismus. Die Menschen verreisen nicht nur, um in der Sonne der Adria zu brutzeln und auf Berge zu klettern (oder gar zu radeln), sondern auch, um sich die Kunstschätze dieser Welt anzusehen oder die einschlägigen Theater- und Musikfestivals zu besuchen. Wer schauen will, was das heißt, möge mal im Sommer nach Venedig, Florenz oder Siena reisen. Deshalb ist es nicht überraschend, dass sich Klimaschützer an der Kultur festbeißen, zumal das Ankleben an einer Bretterbude am Strand von Mallorca oder an den Schweizer Gipfeln von Eiger, Mönch und Jungfrau entweder ad eins weniger spektakulär oder ad zwei ziemlich aufwendig wäre. Jetzt zu fordern, aus Tourismus-Gründen die Theater sommerlich zu öffnen, ist angesichts dessen vielleicht eher kontraproduktiv. Es verkennt zudem, dass gerade die deutsche Stadttheaterkultur schon per se zum Klimaschutz beiträgt. Wer nämlich in seinem Leben in Sachen Musik und Theater etwas zu sehen und zu hören bekommen möchte, muss von Gelsenkirchen oder Memmingen, von Gera oder Aalen nicht nach Berlin, München oder Leipzig reisen, sondern kann mit dem Fahrrad ins Theater fahren. Kultur in der Stadt ist eben vor allem Kultur für die Stadt und angesichts der Klimakrise mehr denn je.
Betriebsferien und Tarifverträge
Es ist eine Binsenweisheit: Theater produzieren ist ein kollektiver Prozess. Zahlreiche Menschen arbeiten dabei Hand in Hand, künstlerisch, technisch und organisatorisch. Aus diesen Prozessen kann man nicht einfach „Bausteine“ herauslösen. Individuelle Ferien einzelner Arbeitnehmer finden also im Theater regelmäßig nicht statt. Schon die Bewältigung der alltäglichen Erkrankungen und der immer wieder von Künstlerinnen und Künstlern gewünschten Gastierurlaube für Film und Fernsehen stellen viele Theater vor große Herausforderungen. Also geht Urlaubsgewährung nur mit Betriebsferien. 45 Kalendertage (!) sehen die einschlägigen Künstler-Tarifverträge Normalvertrag Bühne (NV Bühne) und Tarifvertrag für Musiker in Konzert- und Theaterorchestern (TVK) dafür vor. Um Mitarbeiterinnen, die Kinder haben, die Möglichkeit zu geben, mit diesen den Sommerurlaub zu verbringen, sollen zwei Drittel dieser Tage in den jeweiligen Theater- und Konzertferien genommen werden, die sich an den örtlichen Schul-Sommerferien orientieren. Das andere Drittel kann dann zu einer anderen Jahreszeit stattfinden. Also gibt es tarifvertraglich die Möglichkeit der, wenn auch eingeschränkten, Sommerbespielung, und sie wird genutzt, etwa bei den Domstufen-Festspielen der Oper in Erfurt.
Die Theaterferien ließen sich fraglos verlegen. Will man aber an dem sozialpolitischen Ziel des Familienurlaubs festhalten, stünden andere Schulferien mit notwendiger Länge (30 Kalendertage) gar nicht zur Verfügung. Zudem finden die längeren Ferien an Ostern und über den Jahreswechsel statt, in der Regel für die Theater angesichts der Besucherfrequenz sehr einnahmeträchtige Zeiten, in den großen Standorte selbst unter touristischen Aspekten. Und vielleicht tut ja auch den Theaterbesuchern in Berlin mal eine Sommerpause gut, weil sie lieber an den Wannsee fahren und abends irgendwo auf der Terrasse sitzen.
Ensemble und Repertoire
Man solle sich ein Beispiel am Broadway nehmen, hieß es in einem Debattenbeitrag. Dort seien die Theater nicht öffentlich finanziert und könnten sich deswegen gar nicht leisten, im Sommer zu schließen. Das klingt plausibel, ist aber unsinnig. Der Broadway arbeitet ensuite, es wird also über Wochen, manchmal Monate, zuweilen Jahre das gleiche Stück gespielt. Nur abends ist der ganze Betrieb und seine Mitarbeiter gefordert, tagsüber kaum. Es gibt für die künstlerisch und nichtkünstlerisch an den Produktionen Beteiligte weder mehrere Produktionen gleichzeitig noch einen parallelen Probenbetrieb, wie er im Stadttheater geprägt von Ensemble und Repertoire üblich ist. Viele Rollen sind am Broadway von vornherein doppelt besetzt oder ihre Besetzungen können kurzfristig ersetzt werden. Zudem hat New York 17 Millionen Einwohner, ist also hinsichtlich des Zuschauerpotentials selbst mit München oder Berlin nicht vergleichbar. Und Ferien müssen bei längeren Engagements dort auch gewährt werden, die Frage ist nur wann und wieviel. Da steht Deutschland mit seinen 45 Kalendertagen doch vergleichsweise künstlerfreundlich da, zumal hierzulande viele Künstlerinnen und Künstler nicht nur, wie oft in den USA, Engagements über einige Monate haben, sondern über eine ganze Spielzeit, meist über mehrere Spielzeiten, die Musiker sogar unbefristete Arbeitsverträge. Die Quintessenz: Der Vergleich von Äpfeln und Birnen führt wie immer in die Irre.
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