Die eine Seite treibt die Debatte auf die Spitze, indem sie etwa die israelische Kriegsführung im Gaza-Streifen mit Begriffen wie „Apartheid“ und „Genozid“ belegt. Veranstaltungen mit jüdischer Beteiligung werden niedergebrüllt. Seinen neuen Höhepunkt hat dieses Irrlichtern mit der Forderung erreicht, Israel die Beteiligung an der Kunst-Biennale in Venedig zu verweigern. Ein völlig unsinniges Postulat, genauso wie die Boykottaufrufe der Bewegung „Strike Germany“, die so tut, als sei hierzulande die Zensur wieder eingeführt worden. Die Kunst schafft sich damit selbst ab, anstatt sich ihrer Aufgabe zu besinnen, ein internationaler Raum der Reflexion zu sein, in dem die Zustände dieser Welt zur Debatte gestellt werden.
Der Blickwinkel der Humanität
Natürlich ist insofern die Kunst immer politisch. Erst recht dürfen, ja müssen sich Künstlerinnen und Künstler an der politischen Debatte beteiligen. Aber so sehr die Kunstfreiheit die Tür zur Provokation weit aufstößt, so sehr täten die handelnden Personen gut daran, sich in ihren politischen Äußerungen darauf zu konzentrieren, gegen das Elend zu protestieren, das den Menschen durch Krieg, Terror und Gewalt angetan wird, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Wenn die Hamas über tausend Menschen sinnlos ermordet und hunderte verschleppt, dann ist das einfach grauenhaft und erfordert eine unmissverständliche Verurteilung, die durch nichts zu relativieren ist. Dasselbe gilt im umgekehrten Fall, wenn Israels Militär die palästinensische Zivilbevölkerung tötet und vertreibt. Es sind gerade die Künstlerinnen und Künstler, die oft das Recht für sich in Anspruch nehmen, die Dinge ausschließlich und mit einer gewissen Absolutheit aus dem Blickwinkel der Humanität zu betrachten und diese einzufordern. Wer dann aber ein solches Recht nutzt, um in die eine oder andere Richtung zu agitieren oder einer Ideologie zu dienen, riskiert seine Reputation, seine Integrität als Künstler.
Einseitigkeit und Meinungsfreiheit
Und die andere Seite? Teils aus Hilflosigkeit, teils aus politischem (und zuweilen auch journalistischem) Kalkül wirft sie immer wieder Antisemitismus und Israelkritik durcheinander. Sie fordert die Reglementierung des künstlerischen und kuratorischen Schaffens, obwohl dem die verfassungsrechtlich garantierte Kunstfreiheit eindeutig entgegensteht. Sie bemüht in diesem Zusammenhang den Begriff des „Deckmantels“ der Kunst- und der Meinungsfreiheit (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2024/01/antidiskriminierungsklausel-und-code-of-conduct-ueber-die-grenzen-der-kunstfreiheit/ ). Sie bringt ohne Not Straftatbestände ins Spiel. Sie verlangt, wer das eine fordere, müsse auch das andere fordern, als ob Einseitigkeit nicht zur Meinungsfreiheit gehöre. Am Ende wird die gesamte Kulturszene unter den Generalverdacht des Antisemitismus gestellt.
Was zu tun ist
Innehalten und nachdenken, wäre in vielen Fällen eine gute Alternative. Was auf all die hier aufgeworfenen Fragen die richtige oder die falsche Antwort ist, ist ein schwieriges Thema. Vereinfachungen führen zu nichts und sind nichts anderes als Populismus. Daran herrscht zurzeit ohnehin kein Mangel. Hört deshalb auf, eure Israelkritik ständig mit überzogenen Begriffen aufzuladen! Hört auf mit dem Geschrei! Hört auf, euch und andere immer wieder unter Erklärungsdruck zu setzen! Nicht jedes Schweigen bedeutet Zustimmung. Hört auf, die Kunst- und die Meinungsfreiheit kleinzureden und Hände weg von der Regulierung der Kunstfreiheit! Hört auf mit den Boykottaufrufen, den oft sinnlosen offenen Briefen und Ausladungen von Menschen, die uns was zu sagen haben, auch wenn es nicht allen gefällt! Hört auf, euch wechselseitig alles Mögliche zu unterstellen! Kommt zur Besinnung und kehrt zu einem sachlichen Dialog zurück! Es gibt zu viele nachdenkliche Menschen, die inzwischen über die Art und Weise den Kopf schütteln, wie in der Kulturszene (manchmal einschließlich des Feuilletons) agiert wird, nicht nur in der Antisemitismus-Debatte.
Heute stehen genügend Möglichkeiten bereit, sich differenziert an der Meinungsbildung in diesem Land zu beteiligen, in Zeitungen und Zeitschriften, in Radio und Fernsehen, auf unzähligen Diskussionsveranstaltungen, durch einen Blog wie diesen im Internet, ja, auch in den sogenannten sozialen Medien. Schreibt Leser-, Hörer- und Zuschauerbriefe; gebt sachliche Interviews, wenn ihr prominente Künstlerinnen und Künstler seid! Redet mit Freunden, Familie und Bekannten über die Lage der Welt! Nutzt den öffentlichen Raum von Theatern, Museen und anderen Kultureinrichtungen für den offenen Dialog! Protestiert und demonstriert friedlich! Was für eine beeindruckende Bewegung gegen rechts hat sich in den letzten Wochen in unseren Straßen gezeigt! Beteiligt euch an der Hilfe für Menschen, die eingesperrt, verfolgt oder getötet werden, weil sie ihre Meinung sagen, oder für Menschen, die in Not sind! Organisiert euch in demokratischen Parteien oder in den verschiedenen Interessenverbänden, schreibt an eure Abgeordneten! Nehmt einfach am öffentlichen Leben teil und engagiert euch gegen Antisemitismus und Fremdenhass, für jede Art der Verständigung, für die Demokratie, für Freiheit, Gleichheit uns Solidarität! Nicht zuletzt diese zivilen Formen des Umgangs haben Europa zu einem der lebenswertesten und begehrtesten Orte in der Welt gemacht. Es lohnt sich, ihn zu erhalten und konstruktiv weiterzuentwickeln.
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