Die menschliche Stimme, KI und das Persönlichkeitsrecht

Es ist soweit. Fünfzehn Sekunden einer gesprochenen Stimme müssen in eine KI-Software eingegeben werden, um eine menschliche Stimme zu imitieren oder, besser gesagt, zu klonen. Einer solchen geklonten Stimme kann per KI alles mögliche „in den Mund gelegt“ werden. Die Stimme spricht dann nicht mehr das, was die ihr zugehörige Person tatsächlich gesagt hat, sondern was ein Dritter ihr zugedacht hat. Gerade für Personen des öffentlichen Lebens, deren Stimme in den elektronischen Medien weit verbreitet ist, bedeutet diese technische Entwicklung ein hohes Risiko. Der Stimme eines Politikers können Aussagen unterlegt werden, die ihm in hohem Maße Schaden zufügen oder auch nur die öffentliche Meinungsbildung sachwidrig beeinflussen. Es wird möglich sein, die auf Tonträger aufgezeichneten Stimmen von Schauspielern und Schauspielerinnen zu Werbezwecke zu nutzen. Für den Rundfunk aufgezeichnete Stimmen können zum Sprechen anderer Texte eingesetzt werden. Das sind nur einige wenige Beispiele, die sofort die Frage aufwerfen: Ist das zulässig?

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Rechtliche Ausgangslage

Wie so oft lautet die Antwort: Nein, aber! Spätestens seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 1.12.1999 – Aktenzeichen: I ZR 49/97 –, dem sogenannten Marlene-Urteil, steht unzweifelhaft fest, dass auch die menschliche Stimme Bestandteil des durch Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Zudem gehört die menschliche Stimme nach Artikel 9 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu den besonderen personenbezogenen Daten, deren Verarbeitung nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig ist. Grundsätzlich darf also die menschliche Stimme ohne Zustimmung ihres Trägers zur Wiederverwendung nicht in eine KI-Software eingegeben oder durch diese genutzt werden. Urheberrechtliche Aspekte (s. dazu https://stadtpunkt-kultur.de/2023/04/ist-kuenstliche-intelligenz-das-ende-des-urheberrechts-oder-was-man-dagegen-tun-muss/) können hier außer Betracht bleiben, da es gerade nicht um die gesprochenen Inhalte, sondern „nur“ um die Nutzung der Stimme geht. Jedoch kann das durch § 40 b UrhG erlaubte Text und Data Mining dazu führen, dass die menschliche Stimme bei einem öffentlich verfügbaren, gesprochenen Text zulässigerweise zum Füttern von KI genutzt wird und deshalb in der KI-Software verfügbar ist. Dann verhindert nur das eingangs erwähnte Persönlichkeitsrecht die Nutzung der Stimme für andere Zwecke. Denn davon, dass der Träger der Stimme durch sein öffentliches Sprechen ein Einverständnis mit einer solchen anderweitigen Nutzung seiner Stimme konkludent zum Ausdruck gebracht hat, kann nicht ausgegangen werden.

Die Hürden sind also im Alltagsgebrauch hoch. Keinesfalls kann ein Hörfunkveranstalter die Stimme einer Nachrichtensprecherin ohne deren Zustimmung zum fingierten Sprechen eines anderen Textes nutzen. Auch einem Theater oder dem Filmproduzenten sind diesbezüglich hinsichtlich der KI-Nutzung einer auf Tonträger aufgezeichneten Schauspieler-Stimme die Hände gebunden. Es wird sich die Frage stellen, ob diese Unternehmen sich in Zukunft in den Beschäftigungsverträgen eine generelle Zustimmung zur KI-Nutzung der Stimme erteilen lassen. Selbst wenn dies in der Praxis geschähe, würde es kaum weiterhelfen. Denn die Zustimmung zur Nutzung der elektronisch aufgezeichneten Stimme für einen anderen Text wird immer der konkreten Einwilligung des Trägers der Stimme bedürfen, will man seinem Persönlichkeitsrecht entsprechen. Wesentlicher Inhalt des Persönlichkeitsrechtes ist es eben gerade, dass mit der Stimme nur der Text gesprochen wird, den der Träger der Stimme auch sprechen will. Das gilt allenfalls dann nicht, wenn beispielsweise der Rundfunk die Stimme eines Nachrichtensprechers für das Sprechen von Nachrichten und nur für diese verwenden will; dann mag eine generelle Einwilligung des Trägers der Stimme gegebenenfalls genügen. Ob er diese dann zu welcher Vergütung einräumt, etwa einer Zahlung pro Nutzung, muss er im Zweifel entscheiden. Nichts anderes gilt für einen Schauspieler oder eine Schauspielerin, wenn sie ihre Stimme für eine wie auch immer geartete Nutzung durch KI freigeben möchte, etwa für die Synchronisierung von Filmen.

Eingeschränktes Persönlichkeitsrechts bei Personen des öffentlichen Lebens

Wer Person der Zeitgeschichte ist, hat beispielsweise nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 des Kunsturhebergesetzes (KunstUrhG) wesentliche Einschränkung seines Rechts am eigenen Bild hinzunehmen. Zu den Personen der Zeitgeschichte gehören vor allem Politiker, Wissenschaftlerinnen, Schauspieler und Sportlerinnen, aber auch viele anderweitig Prominente. Sie müssen eher als eine Privatperson die Veröffentlichung von Bildern ihrer Person ohne ausdrückliche Zustimmung hinnehmen. Die Rechtsprechung hat aber nach dem von Caroline von Monaco erstrittenen sogenannten Caroline-Urteil des EuGH vom 24.6. 2004 – Aktenzeichen: 59320/00 – das Recht am eigenen Bild zulasten der Pressefreiheit deutlich gestärkt. Das gilt insbesondere für Fotos aus dem Privatleben der prominenten Personen. Abzuwägen ist nach dieser Rechtsprechung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gegen die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit. Dabei kommt es darauf an, ob es an den von der Presse veröffentlichten Fotos ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit gibt.

Einen deutlichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen hat der BGH mit seiner Entscheidung vom 26.10. 2006 – I ZR 182/04 – akzeptiert. In diesem Fall ging es um eine Klage des Politikers Oscar Lafontaine gegen den Auto-Vermieter Sixt. Dieser hatte in ironischer Weise auf den Rücktritt des damaligen Bundesfinanzministers anspielend ein Foto des Politikers (wie auch anderer Prominente) für Werbezwecke genutzt. Der BGH hielt das für gerechtfertigt, da die Anzeige nicht nur Werbezwecken diente, sondern eine öffentliche (kritische) Meinungsäußerung hinsichtlich der dargestellten Person sei. Dahinter habe das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen, eine, wie gesagt, sehr weitreichende Entscheidung zulasten der betroffenen Personen des öffentlichen Lebens. Auch der umstrittenen Vorsitzende der Lokführer-Gewerkschaft, Claus Weselsky, war davon betroffen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch einmal das oben schon erwähnte Marlene-Urteil. In ihm ging es um den Schutz der posthumen Persönlichkeitsrechte von Marlene Dietrich. Beanstandet wurde durch die Gerichtsentscheidung die Vermarktung ihres Namens und ihrer Person durch Merchandising-Produkte, die im Zusammenhang mit der Produktion eines Marlene-Musicals verbreitet und verkauft wurden. Das Musical, das der beklagte Musical-Konzern unter Verwendung von Musiktiteln der einstigen Diva aufgeführt hatte, war nicht Stein des Anstoßes, zumal die Urheberrechte und Leistungsschutzrechte an diesen Titeln ordnungsgemäß erworben worden waren. Dass in dem Musical Marlene Dietrich einschließlich ihrer Stimme imitiert wurde, ist eben persönlichkeitsrechtlich unproblematisch. Davon profitiert jede Cover-Version eines berühmten Popsongs. Nichts anderes gilt für Kabarettisten, die die Stimme eines Politikers zu Zwecken der Parodie imitieren.

Auf entsprechender Linie liegt das Urteil des BGH vom 24.2.2022 – I ZR 2/21. Hier ging es um die Imitation einer Show von Tina Turner, die seinerzeit noch lebte. In dieser Entscheidung heißt es: „Die Werbung für eine Show, in der Lieder einer prominenten Sängerin von einer ihr täuschend ähnlich sehenden Darstellerin nachgesungen werden, mit einem Bildnis der Darstellerin, das den täuschend echten Eindruck erweckt, es handele sich um die prominente Sängerin selbst, ist grundsätzlich von der Kunstfreiheit gedeckt.“ Dies inkludierte: Für die Show selbst kann nichts anderes gelten.

Aus dieser Rechtsprechung lässt sich nur ein Schluss ziehen. Das Persönlichkeitsrecht von prominenten Persönlichkeiten bietet keinen absoluten Schutz, auch nicht, wenn es um ihre Stimme geht.

Die Nutzung der Stimme von Prominenten durch KI in der Kunst

Nun ist die Nutzung eines tatsächlich existierenden Fotos oder die Nachahmung einer Stimme durch einen Kabarettisten noch etwas anderes als das Einspeisen der Stimme in eine KI-Software und ihre Nutzung für von dieser Stimme tatsächlich nicht gesprochenen Worten und Sätze. In der Regel bleibt es dabei, dass das auch die Persönlichkeitsrechte von prominenten Personen verletzt. Denkbar sind zwei davon abweichende Fälle.

Nehmen wir an, man lässt eine prominente Person mit KI einen Text sprechen, der zwar von ihr verfasst ist, aber nicht von ihr gesprochen wurde. Selbst dann wird man in der Regel von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ausgehen müssen. Denn durch die Stimme kann der jeweilige Satz eine sehr unterschiedliche Bedeutung bekommen oder zumindest abweichende Wirkung entfalten. Das hängt sowohl von der Betonung als auch von der Art des Sprechens ab.

Viel schwieriger ist der zweite Fall zu beurteilen. Unter Berufung auf die Kunstfreiheit wird eine Stimme in eine KI-Software eingespeist und zu künstlerischen Zwecken für von dieser Stimme nicht gemachte Aussagen genutzt, vor allem etwa für eine Parodie. Dies muss möglich sein, will man der Kunstfreiheit im Zusammenhang mit der Nutzung von KI nicht sogleich einen Riegel vorschieben. Die denkbaren Fälle werden jedoch so unterschiedlich sein, dass sich eine Kategorisierung verbietet. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) geschützte Freiheit der Kunst dem Persönlichkeitsrecht vorgeht oder nicht.

Diese Betrachtungsweise deckt sich auch mit Artikel 52 der im Verabschiedungsprozess sich befindenden KI-Verordnung der Europäischen Union. Die genannte Vorschrift sieht in Abs. 3 bestimmte Kennzeichnungs-Verpflichtungen vor, wenn KI zur Erzeugung oder Manipulation von Inhalten genutzt wird. Geschieht dies im Rahmen eines künstlerischen Prozesses, so gilt mit Artikel 52 Abs. 3 des EU-Verordnungsentwurfs eine Sonderregelung. Sie lautet: „Ist der Inhalt Teil eines offensichtlich künstlerischen, kreativen, satirischen, fiktionalen, analogen Werks oder Programms, so beschränken sich die in diesem Absatz genannten Transparenzverpflichtungen auf die Offenlegung des Vorhandenseins eines solchen künstlich erzeugten oder manipulierten Inhalts in einer angemessenen Weise, die die Darstellung oder den Genuss des Werks nicht beeinträchtigt.“ Damit wird der künstlerischen Nutzung auch der Stimme eines Prominenten durch KI die Tür weit aufgestoßen. Befreit ist der KI-Anwender jedoch von der Kennzeichnungspflicht auch dann nicht, wenn es um die Kunst geht, es ist aber eine deutliche Zurückhaltung erlaubt. So wird es etwa bei einer Theater-Aufführung reichen, wenn im Programmheft oder durch einen Aushang, bei einer Museums-Ausstellung im Katalog auf die KI-Anwendung hingewiesen wird.

Schlussbemerkung

Es zeigt sich, dass das Persönlichkeitsrecht (auch von Prominenten) eine starke Wirkung entfaltet, wenn ihre Stimme durch eine KI-Anwendung genutzt werden soll. Am ehesten kommt es zu einer Einschränkung dieses Rechts im Falle der künstlerischen Anwendung von KI. Gerade bei einer Nutzung im Internet wird sich aber die Rechtsverfolgung – wie auch bei anderen Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz – als schwierig erweisen. Auf Manipulationen im öffentlichen Raum wird man in Zukunft gefasst sein müssen. Das gilt vor allem angesichts zahlreicher Bestrebungen nicht demokratischer Systeme in der Welt, den öffentlichen Meinungsbildungsprozess zulasten der demokratischen Willensbildung zu beeinflussen. Jedem Versuch, sich dabei hinter dem Vorwand der Parodie zu verstecken, ist möglichst effektiv Einhalt zu gebieten.

Antidiskriminierungsklausel und Code of Conduct: Über die Grenzen der Kunstfreiheit

Seit den Antisemitismus-Vorwürfen gegen die Documenta 15 führt die Kulturbranche hierzulande eine Debatte über die Freiheit der Kunst. Vor allem geht es um die Frage, in welcher Relation dieses hohe Gut unserer Verfassung zu anderen Rechten oder Wertvorstellungen steht. Begriffe wie Antidiskriminierung, Diversität, Rassismus und Antisemitismus bestimmen den Diskurs. Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde werden der Kunstfreiheit entgegengesetzt. Während sich die Gesellschaft mehrheitlich auf bestimmte Rechte und Wertvorstellungen weitgehend verständigen kann, ist der Umgang mit ihnen in der Kunst umso schwieriger.

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Zwischenzeitlich forderte die Berliner Kulturverwaltung im Zusammenhang mit der öffentlichen Kulturförderung die Unterzeichnung einer Antidiskriminierungsklausel, die, so die seinerzeitige Pressemitteilung, sicherstellen soll, „dass mit öffentlichen Geldern keine rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen oder anderweitig ausgrenzenden Ausdrucksweisen gefördert werden“. Die Klausel wurde wegen juristischer Bedenken vorerst auf Eis gelegt. Auf ähnlicher Linie wie die Berliner Antidiskriminierungsklausel liegt der Abschlussbericht über die letzte Documenta, der kürzlich von der Metrum Management GmbH vorgelegt wurde. Dort wird nicht nur der in deutschen Kultureinrichtungen mittlerweile weit verbreitete Code of Conduct gefordert, der sich auf das innerbetriebliche Verhalten von Leitung und Mitarbeitern sowie ihren zwischenmenschlichen Umgang miteinander bezieht. Vielmehr soll die jeweils bestellte künstlerische Leitung, so der Abschlussbericht, selbst einen zweiten Code of Conduct formulieren, der „in den kuratorisch-künstlerischen Bereich hineinragen“ und „direkten Einfluss auf die künstlerischen Inhalte selbst“ haben soll. Dadurch sei sicherzustellen, dass die Kunstausstellung die Menschenwürde nicht verletzt, da im Grundgesetz „die Menschenwürde an allererster Stelle“ stehe. Richtig oder vielleicht doch nicht zu Ende gedacht?

Wo die Kunstfreiheit beginnt und wo sie aufhört

Die durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 geschützte Kunstfreiheit unterliegt keinem Gesetzesvorbehalt. Ein Gesetz, das die Kunstfreiheit gezielt regelt, wäre also per se verfassungswidrig. Das bedeutet nicht, dass es für dieses Grundrecht keine Grenzen gibt. Sie liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Grundrechten Dritter sowie in anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang. Sind solche Grundrechte oder Rechtsgüter von der Kunstausübung tangiert, hat eine Abwägung im Einzelfall stattzufinden. Keinesfalls hat also dann die Kunstfreiheit von vornherein zurückzustehen, selbst dann nicht, wenn bestimmte Straftatbestände erfüllt sind. Ist die Menschenwürde durch eine Kunstausübung tangiert, gilt letztlich nichts anderes. Denn auch die Kunstfreiheit ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Mephisto-Entscheidung vom 24. Februar 1971 bereits ausdrücklich festgestellt hat, Teil der Menschenwürde. Es steht also im Zweifel Menschenwürde gegen Menschenwürde.

Daher lohnt es sich, etwas genauer die Rechtsprechung dieses Gerichts anzuschauen. In der schon erwähnten Mephisto-Entscheidung heißt es: „Da die Kunstfreiheit keinen Vorbehalt für den einfachen Gesetzgeber enthält, darf sie weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung auf eine Gefährdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter abhebt. Vielmehr ist ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen.“ Und in der Entscheidung vom 17. Juli 1984 zum anachronistischen Zug hat das Bundesverfassungsgericht ergänzt: „Es bedarf der Klärung, ob diese Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat; eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. Lässt sich freilich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden.“

Keine allgemeine Relativierung der Kunstfreiheit

Mit der zitierten Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht die Kunstfreiheit in besonderer Weise gestärkt. Eine allgemeine Relativierung der Kunstfreiheit durch welche wie auch immer gesellschaftlich anerkannte Werte ist im Grundgesetz schlicht nicht vorgesehen. Diese Relativierung durch eine, wie die Mephisto-Entscheidung es vorausschauend formuliert hat, „unbestimmte Klausel“ scheidet dementsprechend ebenso aus wie jedes die Kunst regelndes Gesetz. Das schiebt einer im Förderungsrecht verankerten Antidiskriminierungsklausel einen deutlichen Riegel vor. Nicht anders steht es um einen die künstlerische Arbeit regelnden Code of Conduct, selbst wenn er in Form der Selbstbindung von einer künstlerischen Leitung eigenständig formuliert wird. Denn im Falle der Tangierung von Grundrechten Dritter oder anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang, hat die künstlerische Leitung selbst in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sie dies an der Kunstausübung hindert oder nicht. Versuchte man dafür allgemeine Regeln aufzustellen, wären sie entweder (im Verhältnis zu den betroffenen Künstlern) verfassungswidrig oder verlören sich in nicht aussagefähige Allgemeinplätze.

Die Kunst ist frei

Nun ist der Satz „Die Kunst ist frei.“ für sich genommen zumindest so lange nicht von Bedeutung, als die Kunst nicht nach außen tritt, nicht öffentlich wird. So wie jeder denken kann, was er will, kann auch jeder schreiben, malen oder anders künstlerisch gestalten, was ihm durch den Kopf geht. Doch will er seine Kunst Dritten zugänglich machen, damit gar an die Öffentlichkeit gehen, tritt er in Beziehung zum Gemeinwesen, und dann stellen sich die Fragen nach den Grenzen der Kunstfreiheit. Damit gelangen alle die öffentlichen Institutionen ins Visier, die wesentlich für die Herstellung dieser Öffentlichkeit zuständig sind: Theater, Museen, Ausstellungshallen, Verlage, Bibliotheken, Konzertsäle und vieles mehr, erst recht, wenn sie mehr oder weniger öffentlich gefördert werden. Tangieren die von ihnen veröffentlichten Kunstwerke die Grundrechte Dritter, und zwar einer konkreten, identifizierbaren Person (so ebenfalls das Bundesverfassungsgericht), oder andere Rechtsgüter von Verfassungsrang, erfordert dies die oben bereits eingeforderte Abwägung im Einzelfall.

Der Kunst obliegen viele Aufgaben, eine der wichtigsten ist es, den Zustand, vor allem das Elend dieser Welt auf künstlerische Weise sichtbar zu machen und eine Auseinandersetzung damit zu provozieren oder voranzutreiben. Das impliziert geradezu die Berechtigung, ja die Notwendigkeit, Menschenunwürdiges erkennbar werden zu lassen, zu zeigen, sei es nun Mord und Totschlag, Intrige, Ausbeutung, Antisemitismus, Vergewaltigung, Krieg, Rassismus, Fremdenhass und vieles mehr, was den Menschen seit Jahrhunderten so an unerträglichen Verhaltensweisen einfällt. Davon leben beispielsweise Shakespeare-Dramen, Bilder von George Grosz sowie zahlreiche Spielfilme, ob gestreamt, im Kino oder im Fernsehen. Genau das macht es so gut wie unmöglich, abstrakt zu regeln, was in der Kunst erlaubt ist und was nicht, die Grenze des Zulässigen allgemeingültig zu formulieren.

Die öffentliche Förderung und künstlerische Verantwortung

Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die öffentliche Hand alles fördern muss, was künstlerisch erlaubt ist. Macht sie auch nicht. Vor allem in der Projektförderung kann sie nach eigener politischer Anschauung entscheiden, welches Projekt mit öffentlichem Geld gefördert wird und welches nicht. Schwieriger wird dies erst, wenn ein Projekt gefördert wird, dessen künstlerischer Inhalt beim Entscheid über die Förderung noch gar nicht im Detail feststeht oder gar eine dauerhafte Förderung einer Institution, etwa eines Theaters oder eines Museums, stattfindet, wie es bei der Konzeptförderung oder erst recht bei der institutionellen Förderung der Fall ist. In diesen Fällen überträgt die öffentliche Hand die volle Verantwortung für die künstlerische Gestaltung auf die künstlerische Leitung der Institution und hat sich auf die Rechtsaufsicht zu beschränken, sofern sie überhaupt rechtlicher Träger der Kultureinrichtung ist. Diese Rechtsaufsicht erlaubt nur einen Eingriff in die künstlerische Arbeit der geförderten Institution, wenn Rechte Dritter oder andere Rechtsgüter von Verfassungsrang tangiert sind und dies gerade nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt ist.

Insofern spielt die Frage der Ausgestaltung künstlerischer Verantwortung in den öffentlich getragenen Kulturbetrieben eine herausragende Rolle. Sie reicht von der sorgfältigen Auswahl des künstlerischen Leitungspersonals (siehe https://stadtpunkt-kultur.de/2017/07/ueber-die-intendantenwahl/), über die ordnungsgemäße und eindeutige Verteilung von Befugnissen (https://stadtpunkt-kultur.de/2022/09/ueber-kollektive-verantwortung-in-kultureinrichtungen/bis hin zu einem klaren System der Rechtsaufsicht. Befindet sich die fördernde öffentliche Institution (Bund, Land, Kommune, Stiftung) nicht in der Trägerverantwortung für den geförderten Kulturbetrieb, hat sie schlicht die Pflicht, bezogen auf die künstlerische Verantwortung und die dafür zuständigen Personen genauer hinzusehen.

Und die künstlerische Leitung einer öffentlich geförderten Kultureinrichtung? Sie hat die oben eingeforderte Einzelfallprüfung bei der Veröffentlichung von Kunstwerken jeglicher Art um so mehr vorzunehmen, als sie sich mit der Veröffentlichung des Kunstwerks den Grenzen der Kunstfreiheit nähert. Das heißt: Je mehr die Veröffentlichung eines Kunstwerks die Gefahr in sich birgt, die Rechte einer dritten Person oder Rechtsgüter von Verfassungsrang zu verletzen, desto genauer muss überlegt werden, zu welchem Zweck, mit welchem Ziel die Veröffentlichung vorgenommen wird. Dabei spielt auch eine Rolle, ob bereits eine anderweitige Veröffentlichung stattgefunden hat. In besonderen Zweifelsfällen bedarf es der eindeutigen Kontextualisierung. Diese ist aber gerade dann schwierig, wenn die Veröffentlichung zum Zwecke der Provokation einer Debatte erfolgt. Denn die Voraberläuterung einer Provokation ist ein Widerspruch zu ihr selbst. Gerade hier ist deshalb besondere Sorgfalt in der Auswahl der Mittel erforderlich.

Corona-Betrug bei den Salzburger Festspielen? Über den Sinn oder Unsinn von Strafanzeigen

Es ist ein beliebtes Mittel zur Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit: Das Erstatten einer Strafanzeige. Jemand wendet sich an die zuständige Polizeistation oder an die Staatsanwaltschaft, um dort einen Sachverhalt mitzuteilen, mit dem angeblich eine Straftat begangen wurde. Soeben sind die Salzburger Festspiele von einer solchen Strafanzeige betroffen. Anlass sind Auseinandersetzungen über Gagenausfälle wegen der Corona-Pandemie. Ob Strafanzeigen dieser Art sinnvoll sind, ist mehr als fraglich. Oft sind sie auch nur eine unnötige Belastung des Justizapparates.

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Der Sachverhalt

Was war passiert? Auch bei den Salzburger Festspielen sind in den Corona-Jahren Veranstaltungen ausgefallen. Wie jedes Theater stand einer der bedeutendsten Festspielbetriebe in Europa vor der Frage, ob und inwieweit Künstlerverträge, die mangels Proben und Vorstellungen nicht umgesetzt werden konnten, auszubezahlen waren. Dabei ging es immer und überall nur um kurzfristig, also etwa für eine Produktion, Beschäftigte. Die Praxis war in allen Theatern des deutschsprachigen Raums sehr unterschiedlich. Eine Reihe von Häusern zahlte nichts, einige waren sogar von ihren Rechtsträgern, also den Städten oder Ländern, entsprechend angewiesen worden. Viele zahlten, wie in einer nicht öffentlichen Expertise von stadtpunkt.kultur empfohlen, angemessene Teilbeträge. Mancher entschied sich, die Verträge insgesamt auszubezahlen, vor allem wenn schon erhebliche Vorleistungen von Künstlerinnen oder Künstlern in Proben oder etwa für die Produktion von Bühnen- und Kostümbild erbracht worden waren.

Die Rechtslage

So etwas wie die Corona-Epidemie hatte es in den letzten Jahrzehnten noch nie gegeben. Reihenweise waren die Theater zum Zweck des Infektionsschutz geschlossen worden. Umso unübersichtlicher war die Rechtslage. In vielen Künstlerverträgen standen sogenannte Force-Majeure-Klauseln, die für den Fall der höheren Gewalt Künstler und Künstlerinnen von der Leistungspflicht befreiten, ihnen aber zugleich den Vergütungsanspruch, also die Gage nahmen. Es gab erhebliche Zweifel, ob solche Klauseln überhaupt mit den europäischen Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbar sind. Zudem war es nicht so einfach, sich auf höhere Gewalt zu berufen, wenn die Theaterträger ihre eigenen Theater zur Vorsicht schlossen. Zurückgegriffen wurde hierzulande vielfach auf § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der eine Vertragsanpassung bei Störung der Geschäftsgrundlage vorsieht (siehe auch  https://stadtpunkt-kultur.de/2020/04/infektionsschutzgesetz-und-kunstfreiheit-ueber-die-rechtsfolgen-der-corona-pandemie-in-der-kunst/). Dieser Rückgriff erlaubte eine flexible Handhabung der sehr unterschiedlichen Einzelfälle und führte bei corona-bedingtem Ausfall von Proben oder Vorstellungen nicht zwingend zum Ausfall aller Honorare.

Das Strafrecht ist hier fehl am Platze

Bei der Durchführung und Abwicklung der vielen zur Disposition stehenden Verträge sind sicher Fehler gemacht worden. Zu groß war die Unsicherheit in vielen Fällen. So ist es nicht überraschend, dass es auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über das Zahlen oder das Nichtzahlen von Gagen bzw. die Höhe der zu zahlenden Vergütung kam. Dafür sind Gerichte da. Aber eine Betrugsanzeige?

Betrug ist ein sogenanntes Offizialdelikt. Das heißt, die Staatsanwaltschaft muss Ermittlungen aufnehmen, wenn sie – auf welchem Wege auch immer – Umstände erfährt, die darauf schließen lassen, dass ein Betrug begangen wurde. Einer Strafanzeige bedarf es dafür nicht. Corona hat zu zahlreichen rechtlichen Problemen in der Abwicklung von Beschäftigungsverhältnissen gegeben, nicht nur in der Kulturbranche. Dass das Auszahlen von zu geringen Vergütungen oder das gänzliche Ausbleiben von entsprechenden Zahlungen regelmäßig zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wegen Betrugs geführt haben, ist nicht ersichtlich. Da hätten die Damen und Herren Staatsanwälte auch eine Menge zu tun gehabt. Insofern drängen sich auch keine Strafanzeigen auf, weder in Salzburg noch anderswo.

Interessant ist auch, dass sich auf Seiten der die Salzburger Festspiele Anzeigenden niemand die Mühe macht, nur annähernd zu erläutern, worin denn der Betrug genau liegen soll. Welche falschen Tatsachen sind vorgespiegelt worden? Welcher Irrtum ist bei den Beschäftigten entstanden? Was war angesichts der undurchsichtigen Rechtslage eindeutig rechtswidrig? Inwieweit haben die Verantwortlichen der Salzburger Festspiele das alles gewusst und gewollt, also vorsätzlich gehandelt? Fragen über Fragen, zumindest öffentlich keine Antworten.

Was erreicht werden soll

Das Motiv für solche Strafanzeigen ist oft politischer Natur. Gerne ist die Anzeige aber auch, wie hier, willkommenes Mittel zur Unterstützung zivilrechtlicher Forderungen, beispielsweise von Schadensersatzansprüchen. Von dem eingeleiteten Ermittlungsverfahren erhofft man sich zudem eine gewisse Vorverurteilung und damit einhergehenden Schwächung des Betroffenen. Verkannt wird, dass das Ermittlungsverfahren noch gar nichts aussagt über Schuld oder Unschuld. Vielmehr ist es gerade Aufgabe des Ermittlungsverfahrens festzustellen, ob das Vorliegen einer Straftat in Betracht kommt oder eben nicht. Erst die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft belegt deren Überzeugung davon, dass eine Straftat begangen worden ist. Verurteilt ist man erst, wenn man von einem Gericht verurteilt ist. Aber wieviel bleibt oft an der von einer Strafanzeige betroffenen Person hängen, wenn sie später freigesprochen wird?

Überflüssige Strafanzeigen

Das alles sollte man sich überlegen, bevor man eine Strafanzeige erstattet. Herausstellen würde sich dann: Strafanzeigen sind oft überflüssig. Sie halten die Justiz davon ab, wirklichen Verbrechen, auch Wirtschaftsverbrechen nachzugehen. Derer gibt in großer Zahl. Sie aufzuklären, ist schwierig genug. Für die Künstlerinnen und Künstler, die wegen Corona-Ausfällen keine oder aus ihrer Sicht eine zu geringe Gage erhalten haben, mag die Einbuße bitter sein. Sie haben das Recht, sich auf zivilrechtlichem Weg dagegen zu wehren. Die Staatsanwaltschaft wegen angeblichen Betruges zu bemühen, ist alles andere als ein vernünftiges Vorgehen. Darauf noch eine Strafanzeige wegen Verleumdung zu setzen, erst recht nicht.

Drehbuch und Darsteller: Einigung in Hollywood über Künstliche Intelligenz

Der Streik von Drehbuchautoren und Schauspielern in Hollywood ist beendet. Studios und Gewerkschaften haben sich geeinigt. So wurde es vor wenigen Tagen gemeldet. Es ging in dem Tarifkonflikt um einiges, um mehr Geld, um Streaming, aber auch um Künstliche Intelligenz. Hierzu wurden erstmalig konkrete Regelungen vereinbart, sowohl hinsichtlich des Verfassens von Drehbüchern als auch in Bezug auf die Nutzung von KI für die Reproduktion schauspielerischer Darstellungen. Ist das ein Fortschritt oder ein Deal von vorgestern? Kann das Vereinbarte als Beispiel dienen? Das kommt darauf an. Jedenfalls lohnt sich ein genauer Blick über den Atlantik.

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Es steht außer Zweifel, dass KI eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist. Das gilt auch und gerade für die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Nicht zufällig arbeitet die EU zurzeit an einer Verordnung, die die Nutzung von KI innerhalb der Europäischen Union regeln soll. Nur fragwürdige KI-Apologeten, wie der US-amerikanische Softwareentwickler und Multimillionär Marc Andreessen, die in ChatGTP und Co eine Art Erlösungstechnologie für die gesamte Menschheit sehen, halten einschränkende juristische Regulierungen für eher überflüssig. Alle anderen, für die Recht der Gestaltung von Maßstäben des gesunden Menschenverstands dient, sehen das anders. Das gilt auch und vor allem für das Urheberecht (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2023/04/ist-kuenstliche-intelligenz-das-ende-des-urheberrechts-oder-was-man-dagegen-tun-muss/). Insofern hat die Verständigung, die für Drehbuchautorinnen und Schauspieler jetzt in den USA erzielt wurde, schon Interessantes zu bieten.

KI-generiete Drehbücher sind keine Literatur

Es beginnt hinsichtlich der Drehbuchautoren mit der Feststellung, dass durch KI generiertes Material nicht als „literarisches Material“ bezeichnet werden darf. Es wird damit deutlich unterschieden zwischen solchen Werken, die von lebenden Autoren und Autorinnen kreiert werden, und Schriftstücken, die durch Künstliche Intelligenz verfasst wurden. Zu den Grundregeln des weltweit geltenden Urheberrechts gehört es, die Urheber bei Nutzung ihrer Werke namentlich zu nennen. Dehnt man das auf durch KI generierte Texte aus, wird sofort erkennbar, was wie zustande gekommen ist. Zudem darf kein Autor von seinem Auftraggeber zur Nutzung von KI, etwa durch Regelungen in seinem Vertrag, gezwungen werden. Im Gegenzug dürfen Autoren und Autorinnen für ihre Stücke und Drehbücher KI nur dann nutzen, wenn der Auftraggeber, also etwa eine Fernsehanstalt oder ein Filmproduzent, damit einverstanden ist. Stellt ein Auftraggeber einer Autorin Material zur Bearbeitung zur Verfügung, muss die Autorin unterrichtet werden, wenn es KI-generiert ist. Bearbeitet sie anschließend das Material, ist sie jedoch die alleinige und umfassende Autorin und wird entsprechend vergütet. Auch die Nutzung von vorhandenem literarischem Material zum Training von Programmen der Künstlichen Intelligenz wird zudem einer Kontrolle durch die Gewerkschaft unterworfen.

Aufzeichnungen können nicht für durch KI hergestellte Szenen genutzt werden

Noch deutlich umfangreicher sind die Regelungen für die Schauspielerinnen und Schauspieler. Im Grundsatz laufen sie darauf hinaus, dass es nur mit Zustimmung der Darsteller möglich ist, elektronische Aufzeichnungen für Künstliche Intelligenz zu nutzen. Eine solche Zustimmung kann zwar in einem Vertrag über eine darstellerische Leistung vereinbart werden. Die Nutzung von Aufzeichnungen für KI muss dann aber vertraglich detailliert beschrieben werden. Vereinbarungen, die Persilscheinen gleichen, mit denen die jeweilige Aufzeichnung für durch KI generiete Materialien, also etwa zusätzliche Filmausschnitte, einfach genutzt werden können, sind damit ausgeschlossen. Bei verstorbenen Darstellern muss die KI-Nutzung zum Beispiel durch Erben oder mangels solcher durch die Gewerkschaft autorisiert werden. Ausgeschlossen ist auch die Künstliche Nachbildung von Schauspielerinnen und Schauspielern, sofern diese nicht zugestimmt haben. Für jede KI-Nutzung müssen die Darsteller, wenn sie zulässigerweise erfolgt, bezahlt werden, zum Teil genauso, als würden sie selbst spielen. Wird durch die Nutzung die Rolle aufgewertet, dann ist die Schauspielerin oder der Schauspieler entsprechend der aufgewerteten Rolle zu vergüten. Grundsätzlich soll Künstliche Intelligenz nicht dazu genutzt werden, das Engagement von Schauspielern in Nebenrollen zu vermeiden.

Eine wegweisende Verständigung

Ob sich jede dieser Reglungen auf Dauer wird aufrechterhalten lassen, wird die Zukunft zeigen. Ebenso bleibt abzuwarten, ob sie ausreichend sind. Entscheidend ist, dass bei der Nutzung von KI im Bereich der darstellenden Künste mit der erreichten Verständigung ein paar wegweisende Pflöcke eingeschlagen werden. Dies sind nicht nur urheberrechtlicher, also nutzungsrechtlicher Natur im eigentlichen Sinne. Sie enthalten auch Elemente des (Urheber-) Persönlichkeitsrechts, das ja gerade im angelsächsischen Copyright nicht so stark ausgeprägt ist. Für die auch in den darstellenden Künsten anstehende Rechtsfortbildung hierzulande lassen sich sechs Grundsätze aus den nun in Hollywood geltenden Regelungen ableiten:

  1. Die Verwendung von Künstlicher Intelligenz beim Schreiben von Stücken und Drehbüchern muss transparent gemacht werden.
  2. Wer Texte Künstlicher Intelligenz bearbeitet, ist der alleinige und umfassende Autor des dadurch entstehenden Werkes.
  3. Niemand kann beim Verfassen literarischer Texte zur Verwendung künstlicher Intelligenz, etwa durch Verträge, gezwungen werden.
  4. Schauspielerinnen und Schauspieler müssen die vollständige Kontrolle über die Nutzung ihrer Aufzeichnungen für Künstliche Intelligenz innehaben.
  5. Die Details einer Nutzung von Aufzeichnungen für die Künstliche Intelligenz ist vertraglich im Detail zur regeln.
  6. Darsteller und Darstellerinnen erhalten eine der Vergütung für ihr Spielen vergleichbare Vergütung, wenn die Aufzeichnung für neues elektronische Material, als zum Beispiel neue Filmausschnitte genutzt werden.

Es hat keinen Sinn, in der Künstlichen Intelligenz entweder einen Heilsbringer zu sehen oder sie als Teufelswerk zu dämonisieren. Ein pragmatischer Umgang ist gefragt. Dazu gehört es, sich die urheberrechtlichen Fragen, die sich bei der Verwendung von Künstlicher Intelligenz stellen, bewusst zu machen und diese anzugehen. Es ist also die dringende Aufgabe der EU, sich damit zu befassen und einige grundlegende Rahmenbedingungen durch eine neue Richtlinie festzulegen. Die Details können dann wie in den USA den Tarifverhandlungen oder vertraglichen Vereinbarungen überlassen bleiben. Nichts zu tun, darin liegt die größte Gefahr der Künstlichen Intelligenz.

Ist Künstliche Intelligenz das Ende des Urheberrechts? Oder was man dagegen tun muss.

Wie immer, wenn technisch sich etwas Neues entwickelt, ist es umstritten. Die einen sehen das Gute und vor allem die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich bieten, die anderen verteufeln den Fortschritt und reden sich ein, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht. Warum soll es der Künstlichen Intelligenz (KI) anders gehen, als der Erfindung der Dampflokomotive? Doch das, was sich da gerade entwickelt, ist wohl ernster zu nehmen als viele andere technische Errungenschaften zuvor. Denn allein der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine KI-Verordnung umfasst ca. 120 Seiten. Das zeigt, es gibt viel zu regeln. Um das Urheberrecht geht es in diesem Vorschlag leider kaum, wie die Initiative Urheberrecht kürzlich in einer Stellungnahme ausdrücklich hervorhob. Gerade in diesem Rechtsgebiet ist aber Gefahr im Verzug.

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Der Stand der Debatte

Der Fotograf Boris Eldagsen hat soeben den renommierten Sony World Photography Award, den er für sein Werk „Pseudomnesia: The Electrician“ erhalten sollte, abgelehnt. Das Bild von zwei hintereinander stehenden Frauen sei, so Eldagsen, unter Zuhilfenahme von KI entstanden. Es ist also in einem gewissen Sinne gar nicht „seins“. Er wolle mit der Verweigerung des Preises eine Diskussion über KI anregen, hieß es. Gemerkt hatte den Fake natürlich niemand, wieso auch, wird sich jeder fragen, der das Foto anschaut.

Eine Diskussion über das Urheberrecht und KI muss man allerdings gar nicht mehr anzetteln, sie ist schon im vollen Gange. „Künstliche Intelligenz wird wahrscheinlich vieles eliminieren, was im 20. Jahrhundert noch die Grundlage für das Funktionieren der Gesellschaft war“, wurde kürzlich der Software-Designer Mark Rolston in der SZ (Ausgabe vom 2. März 2023) zitiert. Auf die Frage, was da zur Eliminierung anstehe, antwortete er, unter anderem „das Urheberrecht“. Und der Fotograf Charlie Engmann sagte über durch KI generierte Bilder etwas später in einem Interview mit dem Magazin der gleichen Zeitung: „Es gibt kein Urheberrechtsproblem. Da geht es um Leute, die weiter Geld verdienen wollen. Das Urheberrecht ist ein kapitalistisches Konstrukt, für Leute, die aus Kreativität Kapital schlagen wollen.“ Wer da noch behauptet, es bestehe urheberrechtlich kein Regelungsbedarf, muss sich schon ein gewisses Maß an Blindheit vorhalten lassen.

Doch über solche eher provokanten Anmerkungen hinaus, geht der Blick auf das Thema KI und Urheberrecht eher ins Leere. Es werden mehr Fragen gestellt und Probleme skizziert, als Lösungen angeboten. Zugleich ist KI auf dem Vormarsch und kommt auch schon vielfach zum Einsatz. Kürzlich wurde zur Eröffnung der Ted Conference in Vancouver die KI-Oper „Song of the Ambassadors“ aufgeführt. Umso mehr stellt sich die Frage nach der richtigen Terminologie. Was bei der Nutzung von KI in den urheberrechtlich relevanten Bereichen von Literatur, Wissenschaft und Kunst entsteht, sind keine Werke im Sinne von § 2 Abs. 1 UrhG. Es fehlt ihnen an der in § 2 Abs. 2 UrhG geforderten persönlichen geistigen Schöpfung durch eine natürliche Person, durch einen Menschen. Also sollten wir solche durch KI inhaltlich gestalteten (oder mitgestalteten) Produkte nicht mit dem Begriff des Werkes „adeln“, sondern grundsätzlich von KI-Produkten sprechen.

Einigkeit besteht weitgehend, dass KI-Produkte, die Werke aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst zu entsprechen suchen, keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Weder der Verfasser der Software noch die Person, von der die Anforderungen für das KI-Produkt vorgegeben werden, sind Schöpfer des KI-Produktes, das mit Hilfe der Software entsteht, und das ist auch gut so. Zwar kann man sich in bestimmten Fällen, etwa bei durch KI komponierter Musik, noch auf einige im Urheberrechtsgesetz verankerte Leistungsschutzrechte (hier das des Tonträgerherstellers) berufen (s. dazu: https://irights.info/artikel/welche-regeln-gelten-fuer-die-erzeugnisse-kuenstlicher-intelligenz/30724). Doch das führt eher in die Irre. Zunächst einmal geht es um etwas ganz Anderes, nämlich die Frage:

Was darf KI nutzen? Was ist mit den Rechten der genutzten Werke?

Damit künstliche Intelligenz funktioniert, muss sie mit Daten gefüttert werden. Bei diesen Daten handelt es sich oft um urheberrechtlich geschützte Werke. Die Berechtigung der Nutzung dieser Werke für die künstliche Intelligenz wird aus § 44 b UrhG abgeleitet. Dort erlaubt der Gesetzgeber die vorübergehende Vervielfältigung von rechtmäßig zugänglichen Werken für das sogenannte Text und Data Mining. Ob die Erfinder dieser Vorschrift überhaupt all das im Auge hatten, was jetzt an neuen Texten und Bildern mit KI entsteht, mag dahinstehen. Diese Vorschrift jedoch dahingehend auszulegen, dass sie die übrigen urheberrechtlichen Regelungen außer Kraft setzt, wenn von einem KI-Produkt (Text, Bild, Film, Foto, Musik) bestehende urheberrechtliche Werke ganz oder teilweise wiedergeben werden, geht aus meiner Sicht deutlich zu weit. Das gibt der Wortlaut nicht her. Denn erlaubt werden die Vervielfältigungen nur, um „Informationen über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen“, wenn der Urheber nicht auch das schon nach § 44 Abs. 3 UrhG ausgeschlossen hat. Keinesfalls ist es aber zulässig, dass aus § 44 b UrhG ein kostenloses Vervielfältigungsrecht im Sinne eines Plagiats (und ein entsprechendes Nutzungsrecht etwa zu kommerziellen Zwecken) abgeleitet werden kann. Ansonsten machte § 44b Abs. 2 Satz 2 UrhG keinen Sinn, dem entsprechend das vervielfältigte urheberrechtlich geschützte Dokument zu löschen ist, also eine Vervielfältigung nicht mehr existieren darf, wenn sie für die „Information über Muster, Trends und Korrelationen“ nicht mehr gebraucht wird.

Auf das KI-Produkt, das mit Hilfe der künstlichen Intelligenz entsteht, etwa der Text, das Bild, das Foto, der Film, die Musik, ist folglich das Urheberrecht insoweit in vollem Umfang anwendbar, als es um den Schutz des zur Erstellung des Produkts genutzten Werks geht. Das bedeutet u.a.:

  • Gibt ein KI-Produkt aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Kunst ein urheberrechtlich geschütztes Werk ganz oder teilweise wieder, ist das eine unzulässige Vervielfältigung. Sie bedarf also der Rechteeinräumung durch den Rechteinhaber des vervielfältigten Werks.
  • Wird ein solches KI-Produkt im Sinne der §§ 17 ff UrhG genutzt, ist diese Nutzung ohne Rechteeinräumung seitens des Rechteinhabers des vervielfältigten Werks unzulässig.
  • Wird in einem KI-Produkt ein urheberrechtlich geschütztes Werk zitiert, muss dies den Anforderungen des § 51 UrhG entsprechen.
  • Auf Bearbeitungen eines bestehenden urheberrechtlich geschützten Werks durch KI ist § 23 UrhG in vollem Umfang anwendbar. Mit technisch bedingten Änderungen nach § 23 Abs. 3 sind nicht echte Bearbeitungen oder Umgestaltungen gemeint.
  • Ein KI- Produkt, das nicht diesen Anforderungen gerecht wird, kann nicht, auch nicht für private Zwecke vervielfältigt und genutzt werden.
  • Für die darstellenden Künstler und Künstlerinnen gilt dies alles entsprechend, soweit mit Künstlicher Intelligenz ihre durchs Urheberrecht leistungsschutzrechtlich geschützten Darstellungen für ein KI-Produkt genutzt werden.

Zu bedenken ist außerdem, dass KI-Produkte Persönlichkeitsrechte verletzen können. Das ist etwa der Fall, wenn ein Foto durch künstliche Intelligenz kreiert wird, das eine falsche Darstellung einer oder mehrerer Personen enthält. Ebenso wäre es bei einem Text mit Falschbehauptungen über eine Person. Solche Produkte dürfen weder veröffentlicht noch anderweitig genutzt werden. Die aktuelle Debatte über ein KI-erstelltes, fingiertes Interview mit Michael Schumacher, das in der Zeitschrift „die aktuelle“ wiedergegeben war, macht die Brisanz des Themas deutlich.

Enthält das KI-Produkt jedoch keine Urheberrechtsverletzungen oder keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten der geschilderten Art, dann steht seiner Nutzung nichts im Wege.

Die Ausnahme

Wenn oben festgestellt wurde, dass ein KI-Produkt als solches mangels persönlicher Schöpfung kein urheberrechtlich geschütztes Werk ist, dann kann ausnahmsweise trotzdem ein urheberrechtlicher Schutz dadurch eintreten, dass das KI-Produkt durch eine natürliche Person bearbeitet wird. Erhält das KI-Produkt infolge dieser Bearbeitung eine zusätzliche Schöpfungshöhe, wird das KI-Produkt zu einem echten Werk im Sinne des Urheberrechts.

Die Kennzeichnungspflicht

Nach wie vor wird behauptet man könne problemlos erkennen, ob ein Text, ein Bild, ein Film, ein Foto oder eine Musik durch oder mit Hilfe von KI entstanden ist. Dies muss angesichts der bereits erwähnten Beispiele ernsthaft bezweifelt werden. Deswegen ist umgehend gesetzlich vorzuschreiben, dass KI-Produkte aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst als solche bei ihrer Veröffentlichung oder weiteren Nutzungen im Sinne der §§ 17 ff UrhG zu kennzeichnen sind. Reine KI-Produkte aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Kunst sind (wie bei der Angabe eines Urhebers) mit dem Kürzel „KI“ zu versehen, Werke die unter Verwendung eines KI-Produkt aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Kunst durch Bearbeitung entstehen, mit der Bezeichnung „KI/Name des Bearbeiters/in“.

Die Urheberabgabe

Die Kennzeichnungspflicht durch die Nutzer ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil für die Nutzung von reinen KI-Produkten und solchen, die bearbeitet werden, eine Urheberabgabe eingeführt werden muss, wenn durch die Nutzung Einnahmen erzielt werden. Dies Urheberabgabe wäre an die Verwertungsgesellschaften abzuführen und dann an die dort mit ihren Werken registrierten Rechteinhaber nach einem festzulegenden Schlüssel auszuschütten. Die Auszahlung müsste wie etwa bei den Abgaben nach §§ 54 ff. UrhG erfolgen, also völlig unabhängig davon, ob Werke der von der jeweiligen Verwertungsgesellschaft vertretenen Rechteinhaber für KI genutzt wurden oder nicht. Zu Vereinfachungszwecken muss den Verwertungsgesellschaften erlaubt werden, Pauschalvereinbarung mit Nutzern von KI zu vereinbaren.

Kontrolle und Strafe

Natürlich wird all das hier zur Diskussion Gestellte nach dem jetzigen Stand der Technik schwer zu kontrollieren sein. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, auf solche Regelungen zu verzichten. Vielmehr ist es wichtig, dass Maßstäbe, dass urheberrechtliche Rahmenbedingungen für die Nutzung von KI in den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst gesetzlich festgelegt werden. Und um sie durchzusetzen, bedarf es der Ergänzung der Straf- und Bußgeldvorschriften in den § 106 ff UrhG.

Forderungen an den Gesetzgeber

Aus alledem folgt:

  1. KI-Produkte sind nicht urheberrechtlich geschützt, auch nicht durch urheberrechtlich geregelte sekundäre Leistungsschutzrechte, etwa der Tonträgerhersteller. Weder der Verfasser der Software noch die Person, von der die Anforderungen für das KI-Produkt vorgegeben werden, können ein Urheberrecht an dem KI-Produkt beanspruchen.
  2. Werden für KI-Produkte urheberrechtlich geschützte Werke genutzt, dann ist bei dieser Nutzung das Urheberrecht an diesen Werken in vollem Umfang anzuwenden. § 44b UrhG ist entsprechend klarstellend zu ergänzen.
  3. KI-Produkte, die Persönlichkeitsrechte Urheberrechte oder verletzen, dürfen nicht genutzt und veröffentlicht werden.
  4. Bei der Nutzung von KI-Produkten aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst bedarf es einer Kennzeichnungspflicht, aus der sich eindeutig ergibt, dass das Produkt durch oder mit Hilfe von KI inhaltlich gestaltet wurde.
  5. Für die Nutzung von KI-Produkten zu Erwerbszwecken muss eine Urheberabgabe, die an die Verwertungsgesellschaften abzuführen ist, verpflichtend werden.
  6. Es müssen technischen Instrumente, die dazu dienen, gegen urheberechtliche Reglungen verstoßende KI-Produkte zu erkennen, müssen schnellstmöglich entwickelt werden. Die Straf- und Bußgeldvorschriften der § 106 ff UrhG sind zu ergänzen.
  7. Die Leistungen darstellender Künstlerinnen und Künstler sind entsprechend zu schützen.

Fazit

Alle hier gemachten Vorschläge sollen die Diskussion darüber anregen, welche gesetzlichen Schritte im Zusammenhang mit der Nutzung von KI-Produkten aus den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Kunst notwendig sind. Diese Vorschläge erheben weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch ist klar, ob es die richtigen Schritte sind und ob sie realisierbar sind. Zudem mag es sein, dass sie einige rechtliche Aspekte außer Acht lassen. Wichtig ist es im Sinne der Urheber und der Nutzer, die Debatte über die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu beginnen, statt nur die Probleme zu beschreiben und allgemeine politische Forderungen aufzustellen. Letzteres wird auf Dauer nicht reichen. Am Ende geht es darum, die künstlerischen, wissenschaftlichen und literarischen Leistungen von Menschen zu schützen und diesen Leistungen den Raum zu geben, den sie zu ihrer Entfaltung dringend benötigen. Denn nichts wird in einem von KI bestimmten Zeitalter wichtiger sein, als die authentischen Werke und Darbietungen von Menschen. Ihre Fantasie, ihre Kreativität ist die wahre Zukunft. Bestehende sowie neue von Menschen selbst geschaffene Werke werden wichtiger und wertvoller sein als sie je waren. 

Das Programmheft, das Bühnenbild und das Urheberrechtsgesetz

Am 20. Dezember 2018 verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil, das es in sich hatte. Jedenfalls sollte es allen Theater-Dramaturgen und anderen der schreibenden und denkenden Zunft, die regelmäßig Publikationen zu erstellen und zu illustrieren haben, einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Abbildungen urheberrechtlich nicht mehr geschützter Werke der bildenden Kunst, so der BGH, können nicht tantiemefrei genutzt werden. Sie unterliegen zumindest dem Lichtbildschutz des § 72 Urhebergesetz (UrhG), und zwar in der Regel bis zu 50 Jahre nach ihrem Erscheinen. Also war erst einmal Schluss mit der problemlosen Abbildung alter Meister oder einer antiken Skulptur im Programmheft. Auch Bühnenbildner, die das Bühnenbild für Jasmina Rezas Gott des Gemetzels mit dem Abdruck eines Impressionisten angemessen zu gestalten dachten, sahen sich neuen urheberrechtlichen Fragen ausgesetzt. Doch dann kam 2019 die Richtlinie der Europäischen Union „Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“. Und alles war wieder anders.

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Denn Artikel 14 der Richtlinie stellte klar, dass originalgetreue Vervielfältigungen nicht mehr geschützter, also gemeinfreier Werke der bildenden Kunst keinen Urheberschutz mehr genießen, es sei denn, die Abbildungen stellen selbst eine eigene Schöpfung dar. Daraus machte das deutsche Urheberrecht den neuen § 68 UrhG, der schlicht feststellt, dass Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke nicht dem Lichtbildschutz des § 72 UrhG unterliegen. Damit ist zwar ein großer Teil der Probleme gelöst, aber ganz so einfach, wie es aussieht, ist es dann doch nicht.

Lichtbild und Lichtbildwerk

Bleiben wir beim Beispiel „Impressionist im Bühnenbild von Gott des Gemetzels“. Die Abteilung Requisite des Theaters kauft im Museumsshop eines deutschen Museums einen originalgetreuen Druck des diesem Museum gehörenden Gemäldes von Max Liebermann. Dieser soll – zuvor angemessen vergrößert – im Bühnenbild hängen und verkleinert für das Programmheft vervielfältigt werden. Das ist nach der richtlinienkonformen Gesetzesänderung nun problemlos möglich, und zwar ohne dass Rechte zuvor erworben werden müssen. Da § 68 UrhG nicht nur für Werke der bildenden Kunst gilt, sondern für alle visuellen Werken, fallen unter diese Vorschrift zum Beispiel auch originalgetreue Abbildungen von Zeichnungen, Plänen, Karten und Skizzen.

Geht es um das Foto einer antiken Skulptur, wird die Sache aber schon schwieriger. Denn ein solches Foto ist nie eine einfache Ablichtung der Skulptur. Der Fotograf muss sich vielmehr überlegen, von welcher Seite er sie fotografiert, wie er den Lichteinfall – gegebenenfalls auch künstlich – gestaltet, muss die Entfernung zum Objekt bestimmen, gegebenenfalls auch den Hintergrund verändern. Schon erweist sich das Foto der Skulptur (anders als der einfache Druck mit der Wiedergabe eines Gemäldes) als eine schöpferische Leistung, geht also als Lichtbildwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG über das einfache Lichtbild des § 72 UrhG hinaus. Und schon läuft § 68 UrhG ins Leere. Nichts anderes würde im Übrigen gelten, wenn ein berühmtes Gemälde nicht eins zu eins wiedergegeben würde, sondern ein Fotograf wohl überlegt etwa die Mona Lisa fotografiert und der Betrachter des Fotos sieht, wie das Bild im Museum hängt, wie es beleuchtet ist und welche Wirkung dadurch entsteht. In all diesen Fällen hat der Fotograf wegen seiner schöpferischen Leistung ein Urheberrecht und zur Vervielfältigung des Bildes müssten von ihm Rechte erworben werden. Genau das ist im Gegensatz dazu beim originalgetreuen Druck eines Gemäldes wegen § 68 UrhG nicht mehr erforderlich. Die eingangs genannte BGH-Entscheidung geht also insofern ins Leere.

Und das Museum?

Das Museum bleibt in all diesen Fällen urheberrechtliche erstmal außen vor. Es könnte allenfalls mit dem Eigentum am Original-Kunstwerk argumentieren. § 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erlaubt es dem Eigentümer eines Gegenstandes, also hier des Gemäldes oder der Skulptur, die Beseitigung jeglicher Beeinträchtigung zu verlangen, es sei denn – so Absatz 2 der Vorschrift – der Eigentümer ist zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet. Eine solche Beeinträchtigung könnte man darin sehen, dass die wie auch immer gestaltete Ablichtung eines Gemäldes oder einer Skulptur für ein Programmheft oder ein Bühnenbild ohne ausdrückliche Einwilligung des Museums genutzt wird. Doch da muss im Rahmen der Duldungspflicht das Urhebergesetz vorgehen: Wenn also entweder beim einfachen Lichtbild über § 68 UrhG die Nutzung einer originalgetreuen Abbildung erlaubt ist oder ein Fotograf bei einem echten Lichtbildwerk diese gestattet, dann ist das Museum auch wegen seiner Duldungspflicht des § 1004 Abs. 2  BGB beim Eigentumsrecht außen vor. Ansonsten würde das an dem abgebildeten Kunstwerk, dessen Maler oder Bildhauer mehr als 70 Jahre tot ist, nicht mehr bestehende Urheberrecht mit der Krücke des Eigentumsrechts neue Wirkung entfalten. Das aber genau sollen die Schutzfrist und auch § 68 UrhG ausschließen. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn die Ablichtung illegal entstanden ist, also ohne Erlaubnis des Museums, dem das Original gehört. Davon kann aber bei Vervielfältigungen öffentlich allgemein zugänglichen visuellen Werken nicht ausgegangen werden, solange das Museum gegen deren Verbreitung keine rechtlichen Schritte einleitet. Zugleich ist dennoch Vorsicht geboten, wenn in einem Museum ein Verbot zu fotografieren existiert und man selbst unter Verstoß gegen das Verbot Fotos von nicht mehr urheberrechtlich geschützten Werken anfertigt, um sie anschließend etwa in einem Programmheft oder zur Gestaltung eines Bühnenbilds zu nutzen oder z.B. im Internet zu verbreiten. Das genau wollte § 68 UrhG nicht ermöglichen.

Das Bundesarbeitsgericht verpflichtet auch die Kulturbetrieb zur Arbeitszeiterfassung, einfach ist das nicht

Am 13. September des vergangenen Jahres hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) unter dem Aktenzeichen – 1 ABR 22/21 – ein bemerkenswertes Urteil zur Arbeitszeit verkündet. Es geht in dem Beschluss um die Frage, ob die Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu erfassen, gegebenenfalls durch Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung, also einer Stechuhr. Die Antwort des BAG darauf lautet: Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung ja, zur Stechuhr nein. Es genüge eine Aufzeichnung in Papierform, die der Arbeitgeber gegebenenfalls sogar an die Arbeitnehmer delegieren kann. Diese müssen Ihre Aufzeichnungen dann dem Arbeitsgeber zuleiten, damit er diese in welcher Form auch immer abschließend erfassen kann, auch wenn dies nur durch Aktenablage der schriftlichen Mitteilung geschieht. So weit, so gut. Doch eines lässt das Urteil offen: Was ist oder zählt denn zur Arbeitszeit? Leicht ist das nicht zu beantworten, schon gar nicht in so komplizierten Kultureinrichtungen wie Theatern und Orchestern.

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Das Homeoffice und die Arbeitszeiterfassung

In vielen Betrieben war die Arbeitszeit früher schlicht an die Präsenz des Arbeitnehmers oder der Mitarbeiterin im Betrieb des Arbeitgebers gebunden. Nichts machte das deutlicher als die Stechuhr. Zwar gab es schon immer einige Probleme, etwa die arbeitszeitrechtliche Berechnung von Bereitschaftsdienst im Betrieb, oder die Frage, was zur Arbeitszeit hinzugehörte: Der Weg vom Werkstor zum Arbeitsplatz eher nein, das vom Arbeitgeber vorgeschriebene Anlegen der seinerseits vorgegebenen Betriebskleidung am Arbeitsplatz in der Regel ja, sofern ein Tarifvertrag es nicht anders regelt. Arbeitsunterbrechungen wie der Kaffee mit kurzem Tratsch in der Büroküche unter 15 Minuten gelten als Arbeitszeit, Pausen von 15 Minuten und mehr nicht. Also war der Umgang mit der Arbeitszeit vergleichsweise leicht.

Das alles wurde schon durch die Tendenz zum Homeoffice reichlich durcheinandergewirbelt. Die Stechuhr hat jedenfalls im Bürosektor damit ausgedient. Ohne detaillierte Selbstaufzeichnung (inkl. Pausen) seitens der Arbeitnehmer geht fast nichts mehr. In der Regel wird der Arbeitstag im Homeoffice wie ein normaler Arbeitstag berechnet, zum Beispiel bei einer Fünf-Tage-Arbeitswoche und 40 Stunden Wochenarbeitszeit mit acht Stunden. Zu Überstunden im Homeoffice sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur berechtigt, wenn diese vom Arbeitgeber angeordnet waren. Weniger arbeiten geht auch nicht; ergibt sich dennoch ein Minus bei der Arbeitszeit aus der Homeoffice-Aufzeichnung des Arbeitnehmers, muss nachgearbeitet werden. Und Nachtarbeit? Ist ohne Zustimmung des Arbeitgebers im Homeoffice ohnehin nicht erlaubt, da ansonsten die Nachtruhezeiten völlig unkontrollierbar würden und außerdem noch Zeitzuschläge anfielen.

Wie es in der Kunst geregelt ist und was tatsächlich passiert

Doch die Theater und Orchester sind in vielerlei Hinsicht eine andere Welt, auch mit Blick auf die Arbeitszeit vor allem von künstlerisch Beschäftigten. Für Einzeldarsteller wie Schauspielrinnen oder Sängersolisten legt der einschlägige Tarifvertrag, der Normalvertrag (NV) Bühne, nur Ruhezeiten fest, in der Regel elf Stunden in der Nacht und vier Stunden vor Vorstellungen. Erstmalig wurde 2022 für diesen Personenkreis mit 44 Stunden eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit tarifvertraglich im NV Bühne beziffert, allerdings nicht verbindlich, sondern nur als Berechnungsgrundlage für die  monatliche Mindestgage von zurzeit 2.715 Euro brutto. Vor allem für Chor, Tanzensemble und Orchester werden außerdem die Länge von Proben vorgegeben, wobei im Orchester pro Vorstellung und Probe, von einigen Ausnahmen abgesehen, ein Dienst gerechnet wird. 183 Dienste muss ein Musiker oder eine Musikerin in einem 24 Wochen-Zeitraum leisten, natürlich können noch zusätzliche Arbeiten ohne Dienstezählung angeordnet werden, soweit der Tarifvertrag für Musiker in Konzert- und Theaterorchestern (TVK) das nicht ausdrücklich ausschließt. Für die anderen künstlerischen Berufe, etwa die Dramaturginnen und Inspizienten, gilt nur die Nachtruhezeit von 11 Stunden und wie für alle anderen selbstverständlich die durch das Arbeitszeitgesetz verfügte zeitliche Begrenzung von in der Regel acht (höchstens zehn) Stunden am Tag sowie der wöchentlichen Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden pro Woche. Auch künstlerisch Beschäftigte haben darüber hinaus einen Tag pro Woche frei. Was das alles hinsichtlich des Umfangs der Arbeitszeit für den einzelnen Arbeitnehmer, die einzelne Arbeitnehmerin heißt, lässt sich zwar genau erfassen. Das geschieht aber in vielen Theater- und Orchester-Betrieben, mit Blick auf die Freiheit des künstlerischen Schaffens, noch nicht. Schon insofern stellt das oben genannte Urteil die Theater und Orchester vor einige Herausforderungen.

Doch das Proben und das Aufführen im Betrieb ist nicht alles. Musiker üben zu Hause, sie beschäftigen sich mit den aufzuführenden Werken, Schauspielerinnen lernen Texte, Sängerinnen ihre Rolle. Dramaturgen lesen, ohne dazu besonders vom Theater aufgefordert zu sein, Stücke, beschäftigen sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen. Regieassistenten oder Dramaturginnen bleiben mit dem Regisseur und den Darstellern nach der Probe in der Kantine und bereden den Stand der Dinge, auch wenn sie die Theaterleitung dazu gar nicht aufgefordert hat. Tänzerinnen und Tänzer tun jenseits ihres Trainings alles, um beweglich und bei Kondition zu bleiben und befassen sich auf unterschiedliche Weise mit tänzerischen Ausdrucksformen.

Das Dilemma

Mit diesem tatsächlichen Befund entsteht das Dilemma der vom Bundesarbeitsgericht verordneten Arbeitszeiterfassung. Darin unterscheidet sich die künstlerische Beschäftigung im Theater oder Orchester nicht von vielen anderen kreativen Berufen. Journalisten oder Redakteurinnen, politische Mitarbeiter von Gewerkschaften oder politischen Parteien etwa lesen morgens beim Frühstück schon die Zeitung oder sehen am Abend die Fernsehnachrichten, um auf das Tagesgeschäft vorbereitet zu sein. Juristen und Ärzte studieren zu Hause Fachzeitschriften. Manches in der Freizeit gelesene Buch dient eher der notwendigen Vorbildung für den Beruf als dem persönlichen Interesse. Oft aber vermischt sich das. Wissenschaftlich Tätige wollen und müssen in ihrem Fach immer auf der Höhe der Zeit sein, ohne dass sie das, was sie dazu lesen oder untersuchen, grundsätzlich nur in ihrer eigentlichen Arbeitszeit erledigen.

Bisher war das alles ein wenig egal, man kümmerte sich in der Regel um solche beruflichen Begleittätigkeiten, die in der Freizeit stattfanden, eher nicht. Die Arbeitgeber lehnten es ab, diese Tätigkeiten tarifvertraglich oder in einem Arbeitsvertrag der Arbeitszeit hinzuzurechnen. Nun aber ist das anders. Wird der Arbeitnehmer verpflichtet, selbst aufzuzeichnen, was für ihn Arbeitszeit ist und was nicht, kommt er nicht umhin, diesbezüglich vor allem bei häuslichen Tätigkeiten eine Abgrenzung vorzunehmen.

Und im Theater? Da gibt es, anders als im Orchester im Übrigen, hinsichtlich der gesetzlich zulässigen, wöchentlichen durchschnittlichen Arbeitszeit von 48 Stunden in manchen Berufen oder bei manchen Spielplänen das Problem, dass diese im Betrieb für einige Mitarbeiter schon überschritten wird. Da ist überhaupt kein Spielraum mehr für irgendwelche der Arbeitszeit hinzuzurechnenden häuslichen Tätigkeiten, wie etwa die inhaltliche Vorbereitung auf den bevorstehenden Probentag. Wenn diese dann dennoch stattfinden und Teil der Arbeitszeit sind, dann wird dadurch die gesetzlich zulässige Arbeitszeit überschritten und man befindet sich zumindest juristisch gesehen im Niemandsland oder besser gesagt jenseits des Zulässigen.

Lösung in Sicht?

Angesichts des neuen BAG-Urteils kommt man also nicht umhin, zu definieren, was der Arbeitszeit zumindest nicht hinzuzurechnen ist. Es handelt sich dabei um die Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die beruflichen Fähigkeiten zu erhalten und weiter zu entwickeln und um die konkret arbeitsvertraglich vereinbarten Aufgaben überhaupt erledigen zu können. Die Abgrenzung ist im Einzelfall schwierig. Orientierungspunkt mag das sein, was regelmäßig erforderlich ist, um überhaupt an der jeweiligen beruflichen Ausbildung teilnehmen zu können. Das ist z.B. für den Dramaturgen das Lesen von Stücken und Literatur im Allgemeinen, für die Journalistin das Lesen von Zeitungen, für den Juristen die Beobachtung der rechtlichen Entwicklung in Judikative und Legislative, für den Dirigenten das Studium von Partituren, für die Musiker und Musikerinnen das Üben des Instruments und für die Sängerin oder den Schauspieler das Studium einzelner Rollen. Das alles ist in der Regel keine Arbeitszeit, sondern so etwas wie Ertüchtigung der eigenen Leistungsfähigkeit.

Natürlich ist es dem Arbeitgeber unbenommen, von vorneherein die Arbeitszeit mit Rücksicht auf die häusliche Vorbereitung zu reduzieren (wie etwa bei den Orchestermusikern im TVK). Man kann auch vertraglich oder tarifvertraglich (wie mit dem tariflich vorgesehenen Training im Tanz) pauschal ein begrenztes Kontingent solcher Vorbereitungszeit in das Gesamtbudget der Arbeitszeit einbeziehen. Hier werden sich die Tarifparteien noch ein paar Gedanken machen müssen. Alles was an diesen Tätigkeiten jenseits des vereinbarten Kontingents liegt, gehört dann nicht mehr zur Arbeitszeit und muss auch nicht als solche vom Arbeitnehmer aufgezeichnet werden. Und natürlich bleibt dem Arbeitnehmer, der Arbeitnehmerin immer die Möglichkeit, bestimmte Tätigkeiten einfach nicht als Arbeitszeit aufzufassen und aufzuschreiben. Die Freiheit dazu muss bleiben, nicht nur in der Kunst. Unabhängig davon sollte sich die Arbeitsgerichtsbarkeit jedoch einmal fragen, wie detailliert sie in die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen weiter eingreifen will. Bürokratieabbau sieht anders aus. Und ganz ohne Absurdität ist das, was jetzt an arbeitszeitrechtlichem Aufzeichnungsaufwand, zumindest im Theater, notwendig ist, auch nicht.

Musik im Schauspiel, im modernen Tanztheater und die Rolle der GEMA

Wer im Schauspiel nur gesprochenen Text erwartet, war lange nicht mehr im Theater. Wurde Musik bei Aufführungen des Sprechtheaters früher vor allem zur Überbrückung zuweilen auch langwieriger Umbaupausen eingesetzt, muss das Publikum heute zunehmend damit rechnen, dass ihm Klangwelten auf sehr unterschiedliche Weise entgegentreten. Das macht zuweilen Sinn, zuweilen auch nicht. Hat sich der Regisseur oder die Produzentin eines Schauspielabends in den Kopf gesetzt, dass es ohne Musik, warum auch immer, nicht geht, tauchen jedenfalls am juristischen Horizont ein paar Fragen auf, die neulich wieder einmal den Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt haben. Und dabei sind einige Feststellungen getroffen worden, die von großem Interesse sind (Urteil vom 7. April 2022 – I ZR 107/21 -). Anhand dieser soll hier ein vereinfachter aber pragmatischer Versuch unternommen werden, den Theatern den juristischen Umgang mit Musik im Schauspiel (und im zeitgenössischen Tanztheater) etwas zu erleichtern.

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Großes und Kleines Recht

Ausgangspunkt der Entscheidung des BGH war eine mit dem Staatsschauspiel Dresden koproduzierte Aufführung des Schauspielhauses Düsseldorf („Der Idiot“). Für die war eigens Musik komponiert worden. In dem zwischen dem Düsseldorfer Schauspielhaus und dem Komponisten des Werks geführten Rechtsstreit geht es darum, ob die Rechte an der Musik von der GEMA eingeräumt werden konnten oder nur von ihm, dem Komponisten persönlich. Die GEMA wäre am Zuge, wenn es sich um sogenanntes Kleines Recht, der Komponist, wenn es sich um sogenanntes Großes Recht handeln würde. Vom Großen Recht spricht man im Urheberrecht bei bühnenmäßigen, also durch darstellende Künstlerinnen und Künstler gestaltete  Aufführungen, vom Kleinen Recht bei rein musikalisch, also instrumental oder gesanglich, in Aufführungen dargebotener Musik; für Letzteres ist das beste Beispiel die Darbietung jeglicher Konzertmusik. Beide Begriffe (Kleines und Großes Recht) tauchen jedoch im Urheberrechtsgesetze (UrhG) nicht auf, was den Umgang mit ihnen nicht gerade erleichtert.

Denn so eindeutig, wie sich die juristische Abgrenzung darstellt, ist das praktische Leben im Theater eben nicht. Das gilt vor allem für das stets nach innovativen Formen strebende Schauspiel. Versucht man, die immer neuen künstlerischen Einfälle in das oben beschriebene Schema einzuordnen und bemüht dazu die herrschende Rechtsprechung, dann entpuppt sich als maßgebendes Merkmal der Unterscheidung zwischen Großem und Kleinem Recht die Frage, inwieweit die Musik integrierender (nicht integrierter), organischer Bestandteil des Bühnengeschehens ist. Zwischen Musik und Spielgeschehen muss ein engerer innerer Zusammenhang bestehen, um davon ausgehen zu können, dass es sich bei der Verwendung von Musik um die Nutzung des Großen Rechts handelt. 

Die Abgrenzungskriterien

Wann nun die Musik in einer Schauspielaufführung diese Voraussetzungen erfüllt, lässt sich nur an Hand einiger Abgrenzungskriterien feststellen. Dazu hat das oben genannte BGH-Urteil nun einiges an Klarstellung beigetragen:

  1. Die Tatsache, dass das bewegte Spiel auf der Bühne von Musik begleitet wird, reicht alleine nicht aus, um Großes Recht anzuwenden. Ein enger innerer Zusammenhang zwischen Text und Musik besteht, so der BGH unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung, wenn beispielsweise „einzelne Lieder, die zu einem Spielgeschehen vorgetragen werden, aufgrund ihres Textes aus der jeweiligen Situation der Bühnenhandlung zu begreifen sind und die gesprochenen Dialoge in gesungener Form fortsetzen“. Die Musik, müsse „der Fortsetzung der dramatischen Handlung des Bühnenstücks“ dienen. Das knüpft einerseits an die hergebrachte Form des dramatischen Textes an und ist in neuen, eher performativ ausgerichteten Produktionen kaum verwertbar. Es zeigt aber andererseits, wie hoch die Anforderungen des BGH an die Annahme des Großen Rechtes sind. In der Quintessenz bedeutet das: Je mehr sich eine Aufführung von der typischen dramatischen Form eines Textes entfernt, desto weniger ist die Annahme des Großen Rechts bei der Einspielung begleitender Musik wahrscheinlich.
  2. Ebenso ist es kein Kriterium für das Große Recht, dass die Musik ausschließlich für die Inszenierung des Bühnenstücks geschrieben worden ist. Das gilt selbst dann, wenn die komponierte Musik auf die spezielle Inszenierung abgestimmt wurde. Solange sie Untermalung des Spielgeschehens bleibe, komme das Kleine Recht zur Anwendung. Gibt die Musik also bestimmte auf der Bühne dargestellte Stimmungen wieder, unterstützt diese oder trägt sogar wesentlich zu ihrem Entstehen bei, führt das nicht dazu, dass sie Teil des Spielgeschehens wird. Betet also ein Schauspieler auf der Bühne in einer Kathedrale und ergibt sich seine innere Stimmung aus einer dabei laufenden eigens für die Inszenierung komponierte Bühnenkirchenmusik, bleibt es hinsichtlich der Musik bei der Nutzung des Kleinen Rechts. Erst wenn der Schauspieler selbst einen Text zu dieser Musik singt, der auf die Handlung des Stückes Bezug nimmt, kommt der Sprung vom Kleinen ins Große Recht in Betracht.
  3. Der BGH weist last but not least darauf hin, auch die Tatsache, dass die Musik nicht allein, also ohne schauspielerische Darstellung verwendbar sei, könne ebenfalls als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung zwischen Großem und Kleinem Recht nicht herhalten. Denn in beiden Fällen kann diese Verwendbarkeit vorliegen oder nicht. Selbstverständlich ist die „Moritat von Mackie Messer“ („Und der Haifisch…“) eigenständig verwendbar und dennoch als Teil eines Bühnenwerks („Die Dreigroschenoper“) Großes Recht, ein Popsong aber, der zur Begleitung einer Szene eingesetzt wird, bleibt Kleines Recht, solange er eben nicht ernsthaft Teil des Spielgeschehen wird, ist aber ebenfalls eigenständig zu verwenden.

Auch angesichts dieser bemerkenswerten Klarstellungen bleibt die Abgrenzung zwischen Großem und Kleinem Recht schwierig. Dies gilt umso mehr, als der BGH das zulasten des Schauspielhauses Düsseldorf gehende Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) aufgehoben, aber zugleich den Rechtstreit an das OLG zurückverwiesen hat. Dort soll der Einsatz der Bühnenmusik in der Produktion „Der Idiot“ noch einmal unter Beachtung der vom BGH gesetzten Kriterien einer Prüfung unterzogen werden. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

Wie immer das ausgehen mag, die Frage bleibt, wie das Theater in Zweifelsfällen am besten vorgeht. Solange nicht sicher ein Fall des Großen Rechts vorliegt, also Kleines Recht in Betracht kommt, sollte die im Schauspiel eingesetzte Musik bei der GEMA angemeldet werden. Wird sie von dort lizensiert, kann aufgeführt werden, solange sich kein Komponist, Textautor oder Verlag mit entgegengesetzten Rechtsstandpunkten meldet. Ohne Risiken ist das natürlich nicht. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann nur jeden Einzelfall mit den beteiligten Urhebern bzw. deren Verlagen klären.

Die Compilation-Show und Revue 

Diese Vorgehensweise entspricht der Praxis, die die GEMA selbst bei ihrem Tarif U-Büh anwendet. Der Tarif U-Büh gilt unter anderem für Revuen und Compilation-Shows, in denen vorbestehende Werke Kleinen Rechts, also Werke, die nicht kompositorischer Bestandteil von Bühnenstücken sind und die also nicht ausdrücklich für die Produktion komponiert sind, wiedergegeben werden. Dazu gehören u.a. bereits existierende Schlager, Chansons oder Popsong. Auch bei solchen Veranstaltungen empfiehlt die GEMA, alle Musikstücke bei ihr rechtzeitig (möglichst drei Monate vor der ersten Aufführung) anzumelden, damit sie klären kann, wie hinsichtlich der Rechte verfahren werden muss, ob sie diese als Kleines Recht selbst einräumen kann oder z.B. ein Verlag wegen Großem Recht angefragt werden muss. 

Die interessante Frage ist nun, ob das neue Urteil des Bundesgerichtshofs Einfluss auf die Interpretation des U-Büh hat. Denn auch er ist in seiner ersten, teureren Alternative anzuwenden, wenn etwa in einer Compilation-Show mit Handlungsstrang vorbestehende Werke Kleinen Rechts im obigen Sinn wiedergegeben werden, die zwar integrierender Bestandteil des Bühnenwerks und somit nicht austauschbar sind, jedoch nicht in einem inneren dramaturgischen Zusammenhang zur Bühnenaufführung insgesamt stehen. Im Grunde lässt sich sagen, dass diese Erweiterung des Begriffs „integrierender Bestandteil“ der aufgeführten Compilation-Show mit Handlungsstrang auf den geforderten dramaturgischen Zusammenhang der Linie der neuen BGH-Entscheidung entspricht. Denn auch der BGH fordert, wie oben bereits ausgeführt, dass die Musik „der Fortsetzung der dramatischen Handlung des Bühnenstücks“ dienen muss. Ist das nicht der Fall, fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die Annahme des Großen Rechts in den Fällen, die dem Ausgangsfall der obigen BGH-Entscheidung entsprechen, wie für die Geltung der ersten Alternative des GEMA-Tarifs U-Büh. Zur Anwendung kommt dann beim U-Büh die finanziell deutlich günstigere zweite Alternative des Tarifs. Für manche ausschließlich performative Formen des Schauspiels ohne Handlungsstrang gilt das konsequenterweise nahezu uneingeschränkt.

Zu ergänzen ist, dass der U-Büh keine Anwendung findet auf vorbestehende Werke, die Bestandteile eines Bühnenwerkes sind (siehe oben die „Moritat von Mackie Messer“) und ebenfalls nicht, wie im U-Büh ausdrücklich klargestellt wird, auf vorbestehende „Konzertwerke ernster Musik“. Beim Einsatz solcher Werke z.B. in Compilation-Shows ist ausschließlich nach der Unterscheidung Großes oder Kleines Recht, wie sie in der BGH-Entscheidung vorgenommen wurde, zu verfahren.  

Und das moderne Tanztheater?

Ausdrücklich gilt der U-Büh auch für Aufführungen des modernen, also zeitgenössischen Tanztheaters, in denen oft auf bestehende Werke kleinen Rechts (s.o.) zurückgegriffen wird. Und ebenso stellen sich im zeitgenössischen Tanztheater die Fragen, mit denen sich der BGH in seiner oben besprochenen Entscheidung befasst hat. Im Tanztheater ist es aber nur außerordentlich schwer auszumachen, wann die Musik nur Untermalung der tänzerischen Darstellung ist, wann sie hingegen als integrierender Bestandteil der tänzerischen Performance gewertet werden muss. Letztlich ist hier allein auf die Frage abzustellen, ob der zeitgenössische Tanzabend eine erzählerische Handlung hat. Nur dann wird man vom Großen Recht oder beim U-Büh von der ersten Alternative des Tarifs ausgehen können. In allen anderen Fällen des Tanztheaters geht es um Kleines Rechts bzw. um die zweite Alternative des U-Büh-Tarifs.

Das Urheberpersönlichkeitsrecht

Bisher befasst sich dieser Beitrag nur mit dem Weg der Einräumung von Nutzungsrechten am Aufführungsrecht nach § 19 Abs 2 UrhG. Dabei bleibt die Frage, ob die Art der Nutzung das dem Urheber zustehende Urheberpersönlichkeitsrecht des § 14 UrhG verletzt, völlig außen vor. Diese Vorschrift schützt den Urheber vor einer Entstellung seines Werkes. Eine solche Entstellung kann beispielsweise darin liegen, dass das von der GEMA im Rahmen des Kleinen Rechts oder nach U-Büh ordnungsgemäß erworbene Recht für eine Aufführung in einem Zusammenhang genutzt wird, der im konträren Verhältnis zum Inhalt bzw. zur Intention etwa eines Pop-Songs oder Chansons steht. Gerade das Abspielen solcher vorbestehender Musikwerke etwa als Begleitung der Darstellung kriegerischer (in einem Video) oder auch persönlicher Gewaltanwendung auf der Bühne muss hier stets einer besonderen Prüfung durch das Theater unterzogen werden, da die GEMA bei der Einräumung der Nutzungsrechte keine entsprechende Prüfung vornimmt. Es kann also passieren, dass das Nutzungsrecht ordnungsgemäß von der GEMA erworben wurde, der Komponist und/oder die Textautorin des Musikwerks sich aber durch das Abspielen in einem konkreten Zusammenhang des Bühnengeschehens in ihren Urheberpersönlichkeitsrechten verletzt sehen und dagegen juristisch erfolgreich vorgehen (siehe auch: https://stadtpunkt-kultur.de/2018/05/koelner-band-die-hoehner-setzt-gegenueber-der-npd-ihr-urheberpersoenlichkeitsrecht-durch-ein-beschluss-des-bundesgerichtshofs/

Das Ergebnis

Die BGH-Entscheidung vom 7. April hat einiges an Klarheit gebracht. Dennoch bleibt auch in dieser Frage das Urheberrecht immer noch weit von der aus meiner Sicht notwendigen Idealausgestaltung entfernt: Erleichterung jeglicher Nutzung von Rechten bei garantierter Bezahlung der Rechteinhaber. Solange es zu solch einem radikalen Wandel des Urheberrechts nicht kommt, ist der Einsatz von Musik im Schauspiel und im zeitgenössischen Tanztheater nach wie vor ein vermintes Feld und bedarf stets einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung durch das aufführende Theater. Vor allem, wenn die Rechtefrage mit höheren Risiken verbunden ist oder die Nutzungsrechte im Einzelfall gar nicht geklärt werden können, sollten Aufführungen möglichst so geplant werden, dass einzelne Musiktitel auch aus der Aufführung entfernt werden können, wenn sich die rechtlichen Risiken realisieren und durch einvernehmliche Regelungen mit dem Verlag oder den Urhebern /innen selbst nicht gelöst werden können.

Putin oder nicht Putin? Die private Gesinnung und die Kündigung von Künstlerverträgen

Krieg in Europa! Russland hat die Ukraine überfallen. Seitdem stehen russische Künstlerinnen und Künstler in der ganzen übrigen Welt unter verschärfter Beobachtung. Nach der Haltung zu Putin und seinem menschenverachtenden Angriffskrieg werden sie befragt. Walerie Gergijew bei den Münchener Philharmonikern: Wegen mangelnder Distanz zu Putin gekündigt. Anna Netrebko: Aus gleichem Grund Absagen durch die Metropolitan Opera in New York und die Staatsoper Berlin. Es gibt heftige Debatten. Den einen sind jenseits des militärischen Eingreifens der Nato viele Mittel recht, von denen sie vermuten, damit Putin unter Druck setzen zu können. Die anderen warnen vor massiven Einschränkungen der Kunstfreiheit, argumentieren gegen jede Form der Gesinnungsschnüffelei. Doch wie ist die Rechtslage? Wie immer kompliziert!

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Eine Star-Sängerin oder ein Dirigent sind meist auf der Grundlage eines Dienstvertrags tätig und damit selbstständig beschäftigt, wenn sie für einzelne Auftritte engagiert werden. Sie haben dann jeweils einen befristeten Dienstvertrag für einzelne Auftrittstage, der in der Regel kraft Gesetzes gar nicht ordentlich gekündigt werden kann, es sei denn, der jeweilige Vertrag sieht das ausdrücklich vor. Das ist meist nicht der Fall, zumindest nicht hinsichtlich der hier infrage stehenden Sachverhalte. Will sich der Veranstalter trotzdem noch vor dem Auftritt aus dem jeweiligen Vertrag lösen, geht das nur mit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 626 BGB. Dazu bedarf es, so die genannte Vorschrift, eines wichtigen Grundes, der dazu führt, dass „dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zu der vereinbarten Beendigung … nicht zugemutet werden kann“. Damit ist man mittendrin im notwendigen sowie schwierigen Abwägungsbedarf.

Ähnlich ist die Rechtslage bei einem Werkvertrag, der etwa bei einem Kompositionsauftrag, Stückauftrag oder mit einem Bühnenbildner oder einer Kostümbildnerin abgeschlossen wird. Zwar kann ein Werkvertrag nach § 648 BGB vom Besteller, also dem Theater- oder Orchesterbetrieb, jederzeit gekündigt werden, allerdings mit der Konsequenz, dass oft die volle Vergütung zu zahlen ist. Will man das vermeiden, bleibt ebenfalls nur der Weg der außerordentlichen Kündigung nach § 648a Abs. 1 Satz 2 BGB, die an ähnliche  Voraussetzungen geknüpft ist, wie die zuvor beschriebene fristlose Kündigung des Dienstvertrags. 

Wann liegt ein Kündigungsgrund vor, wenn es um die persönliche Meinung der Beschäftigten geht?

Wird mit einer darstellenden Künstlerin ein Beschäftigungsvertrag für längere Zeit abgeschlossen, zum Beispiel befristet für eine Theater-Produktion (Proben und Aufführungen), wird es noch schwieriger. Meist handelt es sich dann um eine abhängige Beschäftigung, also um einen befristeten Arbeitsvertrag, der ebenfalls nach § 15 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz in der Regel nicht ordentlich gekündigt werden kann. Ist im befristeten Arbeitsvertrag die ordentliche Kündigung ausdrücklich vorgesehen, ist sie zwar möglich, jedoch spätestens ab dem siebten Monat der Beschäftigung nur bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Natürlich gibt es auch hier stets die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB. In beiden Fällen lässt sich der Arbeitsvertrag nur beenden, wenn man im Rahmen einer Abwägung dazu kommt, dass die Kündigung gerechtfertigt ist. Nichts anderes gilt selbstverständlich für unbefristete Beschäftigungsverträge, es sei denn, sie sind selbstständige Dienstverträge. Diese unbefristeten Dienstverträge ließen sich jederzeit ohne Angabe von Gründen mit den Fristen des § 621 BGB kündigen, kommen in der Kunst aber praktisch nicht vor.

Die Quintessenz von alledem ist: Man wird in der Regel einen Kündigungsgrund brauchen, um sich von einem Künstler oder einer Künstlerin, auch von einem sonstigen Beschäftigten wegen zu großer Putin-Nähe lösen zu können. Und damit lautet die entscheidende Frage: Wann liegt ein Kündigungsgrund vor, wenn es um die persönliche Meinung der Beschäftigten geht?

Letztlich ist das eine Frage des Einzelfalls. Jeder Beschäftigte unterliegt gegenüber seinem Auftrag- oder Arbeitgeber einer bestimmten Loyalitätspflicht. Das gilt vor allem, wenn die Beschäftigung auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages stattfindet. In der Frage, inwieweit dabei private Meinungen des Beschäftigten eine Rolle spielen, lässt das Bundesarbeitsgericht eine große Zurückhaltung walten. Die private Meinung des Beschäftigten hat den Arbeitgeber meist nicht zu interessieren. Das gilt erst recht, wenn es sich bei dem abgeschlossenen Vertrag um einen Vertrag (Werk- oder Dienstvertrag) mit einem selbstständig Tätigen handelt. Anders ist das erst, wenn die streitige Auffassung des Beschäftigten in den Betrieb hineingetragen wird und dadurch eine Störung des Betriebsfriedens entsteht. Etwas enger wird das alles bei sogenannten Tendenzbetrieben, also weltanschaulichen Betrieben, gesehen. Dazu gehören besonders die Kirchen, ebenso politische Parteien, Gewerkschaften, Kunstbetriebe, Zeitungsverlage, wissenschaftliche Einrichtungen wie Universitäten und vieles mehr. Hier wird ein gewisses Maß an persönlicher Identifikation der Beschäftigten mit dem jeweiligen Betrieb erwartet, vor allem, soweit Beschäftigte an der Formulierung der Tendenz des Betriebs beteiligt, also sogenannte Tendenzträger sind. Selbst im kirchlichen Bereich wurden zuletzt aber von der Rechtsprechung des europäischen Gerichthofs und des Bundesarbeitsgerichts die Erwartungen an die Tendenztreue stark zurückgenommen.

Nun ist es unstreitig dass ein Theater, ein Orchester und jeder andere Kunstbetrieb ein Tendenzbetrieb ist. Diese Tendenz besteht in einer bestimmten künstlerischen Ausrichtung, um die es hier kaum gehen wird. Vielmehr geht es um eine allgemeine Ausrichtung des Kulturbetriebs im Sinne von Aufklärung, Verständigung, Vermittlung kultureller Werte sowie von Menschenrechten, Demokratie und ähnlichen Idealen. Einer solchen Tendenz steht eine im augenblicklichen Zeitpunkt geäußerte Sympathie für den russischen Präsidenten und den von ihm angezettelten Krieg diametral entgegen. Entsprechende Äußerungen werden dennoch bei einem Nicht-Tendenzträger oder bei Tendenzträgern von eher geringer öffentliche Bedeutung kaum reichen, eine Kündigung zu rechtfertigen. Bei exponierten Tendenzträgern wird man das Vorliegen eines Kündigungsgrundes hingegen umso mehr bejahen können, als sie sich in der Öffentlichkeit zurzeit deutlich zugunsten Putins artikulieren. Das allerdings ist hierzulande kaum festzustellen. Ob eine frühere Sympathiebekundung bei jetzigem Schweigen oder jetzigen zu vorsichtig formulierten Distanzierungen bereits eine Kündigung begründet, darf hingegen durchaus bezweifelt werden. Die Sorge um eventuelle Proteste des Publikums reichte im Übrigen allenfalls dazu, von weiteren Auftritten eines Künstlers oder einer Künstlerin abzusehen und insofern deren Kunstfreiheit einzuschränken, nicht aber so ohne Weiteres zu einer personenbedingten oder verhaltensbedingten Kündigung bestehender Verträge.

Die Oper ist international und ein Beitrag zur Völkerverständigung.

Wie steht es nun um Künstlerinnen und Künstler, die auf der Grundlage des einschlägigen Tarifvertrags Normalvertrag Bühne (NV Bühne) an Stadt- und Staatstheatern sowie Landesbühnen beschäftigt werden? Sie haben in der Regel Verträge über eine Spielzeit, die sich um eine weitere Spielzeit verlängern, wenn das Theater nicht rechtzeitig eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht. Für eine solche Nichtverlängerungsmitteilung bedarf es künstlerischer Gründe. Diese können mit Rücksicht auf die oben beschriebene Tendenz des künstlerischen Betriebs durchaus in der Äußerung einer positiven Haltung zu Putin und seinem Krieg liegen. Auch hier empfiehlt sich jedoch eine sorgfältige Prüfung des jeweiligen Einzelfalls, will man nicht generell einer zu weitreichenden Einschränkung privater Meinungen von Künstlerinnen und Künstlern den Weg ebnen. Zudem besteht natürlich wieder die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB, wenn die Gründe dafür ausreichen.

Am vergangenen Samstag gab es im Hörfunk des WDR ein Gespräch mit der Regisseurin Tatjana Gürbaca. In ihrer neuen Inszenierung von Janáceks „Katja Kabanova“ an der Deutschen Oper am Rhein singen eine russische und eine ukrainische Sängerin, erzählt sie. Man sei gemeinsam besorgt um die Ereignisse in der Ukraine, aber die Zusammenarbeit sei gut und entspannt. So ist sie eben, die Oper, international und ein Beitrag zur Völkerverständigung. Möge sie damit weiter Maßstab sein für das, was in der Welt geschieht.

Vergaberecht und Kunst: Über die „Unterschwelle“ im Kulturbetrieb

Als der Bund 2017 die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) verabschiedete, stellte er das Vergaberecht für Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der in § 106 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) genannten finanziellen Schwelle auf eine neue Grundlage. Vor allem für die öffentlich getragenen Kultureinrichtungen wie Stadt- und Staatstheater oder Landesbühnen sowie etwa für städtische oder staatliche Museen war die neue Verordnung insofern von Bedeutung, als die Länder aufgefordert waren, diese in Landesrecht zu übernehmen. Dazu ist auf dieser Seite bereits 2017 ein Beitrag erschienen, in dem damals gefordert wurde, beim Inkraftsetzen der Unterschwellenvergabeordnung die besonderen Interessen der Kultureinrichtungen im Auge zu haben und vor allem die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz angemessen zu berücksichtigen. Nun, etwa fünf Jahre später stellt sich die Frage, inwieweit das geschehen ist.

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1. Der Geltungsbereich 

Mittlerweile haben die meisten Bundesländer die Unterschwellenvergabeordnung eingeführt. Sie hat damit wesentliche Bedeutung für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowohl auf Länderebene wie auf kommunaler Ebene gewonnen. Direkt gilt die Unterschwellenvergabeordnung jedenfalls für öffentlich getragene Kulturbetriebe in jeglicher Organisationsform (inkl. GmbH), siehe im Einzelnen § 99 GWB. Für privat betrieben Kultureinrichtungen (z.B. Privattheater) kann sie zur Anwendung gelangen, wenn der Einrichtung öffentliche Mittel mit entsprechender Auflage gewährt werden. Sonderregungen für Kulturbetriebe, wie sie 2017 hier gefordert worden, enthalten die verabschiedeten Länderregelungen, soweit ersichtlich, nicht (siehe hierzu: https://stadtpunkt-kultur.de/2017/06/vergabe-von-kuenstlerischen-leistungen-durch-die-oeffentlich-getragenen-theater-und-orchester-und-das-neue-vergaberecht-eine-expertise/). Der maßgebende EU-Schwellenwert für die Anwendung der Unterschwellenvergabeordnung beträgt zurzeit 215.000 Euro. Also unterliegen zahlreiche in den betroffenen Kulturbetrieben anliegende alltägliche Vergabe-Vorgänge der Unterschwellenvergabeordnung. Daran zu erinnern ist, dass dies nur der Fall ist, sofern es sich um Lieferung von Waren oder im Dienstleistungsbereich um die Vergabe von selbstständig ausgeübten Tätigkeiten handelt; wird ein Dienstleistungsauftrag durch Abschluss eines Arbeitsverhältnis, also an einen abhängig Beschäftigten, erteilt, gelten staatliche Vergaberegelungen wie die Unterschwellenvergabeordnung nicht.

2. Abweichungen in einzelnen Ländern

Wer als Kulturbetrieb die Unterschwellenvergabeordnung anzuwenden hat, dem wird dringend empfohlen, zu prüfen, mit welcher Maßgabe das jeweilige Land diese Verordnung in Kraft gesetzt hat. In zahlreichen Einzelregelungen der Länder werden beispielsweise die Schwellenwerte abweichend geregelt. Auch andere Erleichterungen sind zum Teil in die jeweiligen Ländervorschriften aufgenommen worden. Erhält ein Kulturbetrieb Haushaltmittel zusätzlich vom Bund, etwa im Rahmen einer Projektförderung, ist wiederum zu beachten, dass die Bundesregelungen von den Länderregelungen meist einschränkend abweichen können.

3. Der Direktauftrag

Bevor sich ein Kulturbetrieb mit der Frage befasst, welche Vergaberegelung er einzuhalten hat, ist zunächst der Blick auf § 14 UVgO geboten. Diese Vorschrift erlaubt es, bis zu einem Betrag von 1.000 € ohne Mehrwertsteuer (und andere öffentliche Abgaben wie z.B. Künstlersozialabgabe) Aufträge ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens zu vergeben. Das betrifft sowohl den Kauf von Waren als auch den Bezug von Dienstleistungen, und zwar unabhängig davon, ob sie künstlerischer oder nichtkünstlerischer Natur sind. Diese Vorschrift ist eine große Erleichterung, beispielsweise im Theater für die Beschaffung von Requisiten. Vorgeschrieben wird jedoch, dass die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten sind. Außerdem soll (nicht muss) der Auftraggeber möglichst zwischen den beauftragten Unternehmen wechseln. Einzelne Länder, wie z.B. Baden-Württemberg und Bayern haben die finanzielle Schwelle für den Direktauftrag im Übrigen höher angesetzt (siehe dazu oben 2.). 

Für die Entscheidung, ob die Schwelle für den Direktauftrag (bzw. eine andere Schwelle) über- oder unterschritten wird, ist bei jeder Vergabe eine Schätzung mit sorgfältigen Vorberechnungen erforderlich. Äußerste Vorsicht ist geboten bei der Unterteilung von Aufträgen mit dem Ziel, für die einzelnen Aufträge einen Schwellenwert zu unterschreiten. Hierfür bedarf es objektiver Gründe (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 Vergabeverordnung – VgV), an die strenge Maßstäbe gestellt werden.

4. Die Ausnahmeregelung für freiberufliche Leistungen

Für die tägliche künstlerische Arbeit ist § 50 UVgO von großer Bedeutung. Die Vorschrift befreit die Vergabe von freiberuflichen Leistungen praktisch von den engen Verpflichtungen der Unterschwellenvergabeordnung. Was freiberufliche Leistungen sind, ergibt sich aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (Einkommenssteuergesetz). Dort heißt es:

„Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, JournalistenBildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe. Ein Angehöriger eines freien Berufs im Sinne der Sätze 1 und 2 ist auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist, dass er auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.“

Eindeutig fallen also viele der in einem Kulturbetrieb anfallenden kreativen Leistungen unter § 50 UVgO. Das bedeutet nicht, dass jede wettbewerbliche Kontrolle entfällt. Denn Satz 2 von § 50 UVgO schreibt ausdrücklich vor, dass bei der Vergabe solcher freiberuflichen Leistungen „so viel Wettbewerb zu schaffen ist, wie dies nach der Natur des Geschäfts oder nach den besonderen Umständen möglich ist“. Versucht man diese Regelung zusammenzufassen, dann heißt das praktisch: Je individueller die erwartete kreative Leistung ist, umso mehr kann sich der vergebende Kulturbetrieb auf einen einzigen Anbieter beschränken. Diese Reduzierung gilt selbstverständlich für alle eindeutig künstlerischen Leistungen im Theater, also etwa bei Schauspielern, Sängerinnen und Tänzer, Regisseurinnen, Bühnenbildnerinnen oder Kostümbildnern. Auch die Übersetzerin eines literarischen Textes oder dessen Bearbeiter können von einem Kulturbetrieb frei ausgewählt werden. Ähnliches gilt für Fotografen oder Designerinnen oder Autoren und Autorinnen für Programmhefte. Die Agentur für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Kulturbetriebs fällt sicher ebenfalls unter die durch § 50 privilegierte Unternehmen, da aber empfiehlt es sich schon, einmal mit unterschiedlichen Unternehmen (möglichst drei) zu sprechen und sie um ein Angebot zu bitten. Bei der Auswahl des Unternehmens können dann sehr wohl Aspekte künstlerischer oder inhaltlicher Art vorrangig berücksichtigt werden, solange das im Sinne eines sparsamen und wirtschaftlichen Umgangs mit den öffentlichen Haushaltsmitteln vertretbar ist. Kommt der Kulturbetrieb jedoch zu der Erkenntnis, dass die Vergabe einer freiberuflichen Leistung problemlos im Wettbewerb möglich ist, dann ist wie bei einer nicht dem § 50 UVgO unterfallenden Leistung zu verfahren (siehe unten 5).

5. Die Vergabe von allgemeinen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen

Die Rechtslage bei der Vergabe von allgemeinen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen ist in der Unterschwellenvergabeordnung komplex geregelt. Wer diesbezüglich so etwas wie eine „Erste Hilfe“ braucht, die über diesen Artikel hinausgeht, dem wird der im Rehm-Verlag herausgegebene, von Rudolf Ley und Michael Wankmüller verfasste Kurzkommentar „Schnelleinstieg zur Unterschwellenvergabeordnung“empfohlen. Detaillierter, vor allem unter Berücksichtigung besonderer Interessen von Kulturbetrieben kommentiert wird die Unterschwellenvergabeordnung in dem ebenfalls vom Rehm-Verlag herausgegebenen von Bolwin/Sponer herausgegebenen Kommentar zum Bühnen- und Orchesterrecht. Das Werk erscheint als Loseblattwerk, ist auch Online zu beziehen und beginnt ab Juni 2023 mit der Kommentierung der Unterschwellenvergabeordnung. Im hier verfassten Text gilt es jedoch, sich auf eine kurze Darstellung der unterschiedlichen Verfahren sowie auf das Mindestmaß an Verfahrensvorschriften zu beschränken, die jedenfalls bei der Wahl und der Durchführung des Vergabeverfahrens einzuhalten sind.

a) Die unterschiedlichen Verfahren

§ 8 UVgO unterscheidet in Abs. 1 zwischen folgenden Verfahrensarten:

  • Öffentliche Ausschreibung
  • Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb
  • Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb
  • Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb

Im Normalfall besteht nur die Möglichkeit einer öffentlichen Ausschreibung (§ 9 UVgO) oder einer beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb (§ 10 UvGO). Bei der öffentlichen Ausschreibung wird die Zahl der Teilnehmer in keiner Weise eingeschränkt, jedes Unternehmen hat die Möglichkeit, ein Angebot abzugeben. Wird eine beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb durchgeführt, dann kann jedes Unternehmen bekunden, an der Ausschreibung teilnehmen zu wollen. In einem vorgeschriebenen Verfahren (§ 37 UVgO) bestimmt danach der Auftraggeber, wer dann aufgefordert wird, ein Angebot abzugeben. Die Anzahl der anbietenden Unternehmen ist also in diesem Fall begrenzt. Das wird dazu führen, dass ein Kulturbetrieb, bei dem oft die Zahl der in Betracht kommenden Unternehmen überschaubar ist, eher zur beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb als zur öffentlichen Ausschreibung greifen wird. In jedem Fall ist es im Unterschwellenbereich regelmäßig nicht erforderlich, Ausschreibungen europaweit vorzunehmen.

Die weiteren Vergabeverfahren stehen nur zur Verfügung, wenn die entsprechenden Voraussetzungen dafür vorliegen. Bei der beschränkten  Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb (§ 11 UVgO) fordert der Auftraggeber mehrere Unternehmen, mindestens drei, auf, ein konkretes Angebot abzugeben, verzichtet also vorher auf die öffentliche Aufforderung, seitens der Unternehmen zu bekunden, wer daran teilnehmen will. Diese Art der beschränkten Ausschreibung kann nach § 8 Abs. 3 UVgO gewählt werden, wenn eine öffentliche Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis gebracht hat oder der Aufwand für die anderen beiden im vorhergehenden Absatz genannten Verfahren im Vergleich zur beauftragten Leistung in einem Missverhältnis stünde.

Etwas entspannter stellt sich die Vergabesituation dar, wenn ein Auftrag auf dem Wege der Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb (§ 12 UVgO ) vergeben werden darf. Diese Vergabe entspricht der früheren freihändigen Vergabe nach VOL/A, ist aber deutlich formalisierter. Die Unterscheidung „mit oder ohne Teilnahmewettbewerb“ bedeutet wiederum, dass entweder zuvor öffentlich um Mitteilung gebeten wird, wer am Verfahren teilnehmen möchte („mit“) oder darauf verzichtet wird („ohne“). In jedem Fall werden schließlich mindestens drei Anbieter um Abgabe eines Angebots gebeten, wobei dann – anders als bei der zuvor erwähnten beschränkten Ausschreibung – im vollen Umfang über die einzelnen Angebote verhandelt werden kann. Nach Abschluss der Verhandlungen (mit allen Anbietern) wird von den Unternehmen ein abschließendes Angebot abgegeben, über das der Auftraggeber entscheidet, jedoch nicht mehr verhandeln darf. 

Die Verhandlungsvergabe setzt voraus, dass einer der Gründe des § 8 Abs. 4 UVgO vorliegt. Diese Gründe reichen zunächst von den erforderlichen konzeptionellen, innovativen Lösungen über die Komplexität des finanziellen oder rechtlichen Rahmens bis zur mangelnden Beschreibbarkeit der Leistung oder der Notwendigkeit der Erfüllung wissenschaftlich technischer Fachaufgaben. Interessanter sind die im weiteren Verlauf der Vorschrift genannten Gründe, zu denen § 8 Abs. 4 Nr. 9 bis 11 UVgO beispielsweise die besondere Dringlichkeit ebenso zählt wie die Reduzierung des Marktes auf nur einen in Betracht kommenden Anbieter bis hin zur vorteilhaften Gelegenheit. Denn in diesen Fällen ist es nach § 12 Abs. 3 UVgO erlaubt, nur einen Anbieter zu Abgabe eines Angebots aufzufordern und nur mit diesem zu verhandeln. Vorsicht ist bei diesen Gründen insofern geboten, als die staatlichen Kontrollbehörden die genannten Gründe äußerst eng auslegen, was mit Blick auf die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz zu problematisieren ist. Inwieweit unter diesem Aspekt eine Kultureinrichtung entscheidet und entscheiden darf, sich auf nur einen Anbieter zu beschränken, ist eine Frage des Einzelfalls. Typisches künstlerisches Beispiel für die Reduzierung des Marktes auf nur einen Anbieter ist es etwa, wenn ein Regisseur (zu dessen Auftrag siehe oben 4.) nur bereit ist, mit einem bestimmten Handwerksbetrieb zusammenzuarbeiten und dieser Betrieb deshalb vom Theater beauftragt werden muss; entsprechendes gilt für ein Museum und dessen freiberuflich tätige Kuratorin. In jedem Fall empfiehlt es sich, bei Nutzung vor allem der in § 8 Abs. 4 Nr. 9 bis 11 UVgO genannten Gründe einen Begründungsvermerk der Vergabeentscheidung beizufügen.

Will man einen Unternehmer häufiger beauftragen, sollte gegebenenfalls eine Rahmenvereinbarung nach § 15 UVgO abgeschlossen werden, für die die potentiellen Auftragnehmer entsprechend der Unterschwellenvergabeordnung mit dem jeweils zulässigen Vergabeverfahren ermittelt werden müssen.

b) Die Vergabe

Hat sich ein Kulturbetrieb aufgrund der einschlägigen Vorschriften für ein bestimmtes Vergabeverfahren entschieden, sind diverse Verfahrensvorschriften der Unterschwellenvergabeordnung zu beachten. Diese hier darzustellen, würde zu weit führen, es kann stattdessen auf den oben unter 5. erwähnten im Rehm Verlag erschienenen Schnelleinstieg-Kurzkommentar bzw. auf den dort genannten Kommentar zum Bühnen-und Orchesterrecht verwiesen werden. Dabei sind die maßgebenden Vorschriften stets unter dem Aspekt der Kunstfreiheit zu lesen und erfahren so gegebenenfalls eine gewisse Relativierung. Das gilt u.a. für die Vergabeentscheidung nach § 43 UVgO. 

Der Blick in diese Vorschrift erlaubt zunächst die wichtige Feststellung, dass es keineswegs zwingend ist, grundsätzlich dem preislich niedrigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen. Ausdrücklich hebt nämlich Satz 2 von § 43 Abs. 2 UVgO hervor, dass neben dem Preis oder den Kosten auch „qualitative, umweltbezogene oder soziale Zuschlagskriterien berücksichtigt werden“ können. Die Nr. 2 dieses Absatzes betont als berücksichtigungsfähig „die Organisation, Qualifikation, und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann.“ Das wird zumindest bei nichtkünstlerischen Arbeiten der Fall sein, die Auswirkungen auf das gestalterische Gesamtergebnis einer Produktion haben. 

Mit Blick auf die Corona-Pandemie können auch diesen Bereich betreffende Aspekte Teil der Zuschlagsentscheidung sein. Lässt ein Auftraggeber nur Mitarbeiter von beauftragten Unternehmen ins Haus, die einen vollständigen Impfschutz haben, können Unternehmen, deren Mitarbeiter diese Voraussetzung nicht erfüllen, das Nachsehen haben. Damit ist für sich um eine öffentliche Vergabe bewerbende Unternehmen die arbeitsrechtliche Frage verbunden, ob sie die Impfung anordnen können bzw. über einen Kündigungsgrund verfügen, wenn dieser Anordnung keine Folge geleistet wird und sie deshalb in Vergabeverfahren keine Aussichten auf Erfolg haben. Das wird man letztlich wohl eher bejahen müssen.

Als Faustregel lässt sich im Übrigen eines sicher zum Ausdruck bringen: Je teurer das Angebot, dem der Zuschlag erteilt wird, im Vergleich zu anderen ist, je größer wird der Begründungszwang für diese Entscheidung sein, um sie noch als solche im Rahmen der wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltführung rechtfertigen zu können.

6. Bewertung

Befasst man sich mit der Frage, ob die Unterschwellenvergabeordnung den notwendigen Spielraum für die täglichen Vergabeentscheidungen von Theatern, Konzerthallen oder Museen lässt, dann wird man das ohne Zweifel mit ja beantworten können. Voraussetzung dafür ist, dass Interpretationsspielräume, die die Unterschwellenvergabeordnung lässt, im Sinne der künstlerischen Freiheit ausgeschöpft werden. Die Strenge, die manche Kämmerei, manche Rechnungsprüfung oder andere für die Vorgaben und Prüfung von Vergabeverfahren maßgebende Stellen versuchen, Kulturinstituten gegenüber zur Anwendung zu bringen, wird den öffentlichen künstlerischen Aufgaben solcher Einrichtungen in keiner Weise gerecht. Bedauerlich ist es, dass man in der Unterschwellenvergabeordnung keine Sonderregelung „für die Erschaffung oder den Erwerb eines einzigartigen Kunstwerks oder einer einzigartigen künstlerischen Leistung“ geschaffen hat, wie sie in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) enthalten ist. Gäbe es sie, stünde man allerdings vor dem Problem darzulegen, wann eine künstlerische Leistung oder ein Kunstwerk einzigartig ist, und käme wohl zu dem Ergebnis, dass diese Einzigartigkeit letztlich immer zu konstatieren ist. Das liegt im Wesen der Kunst. 

Wenn also Kultureinrichtungen wie die Stadt- und Staatstheater oder Landesbühnen also mit der Unterschwellenvergabeordnung leben können, ist es dennoch im Sinne der Kunst von unschätzbarem Vorteil, dass sie nicht nur mit einem arbeitsvertraglich verpflichteten künstlerischen Ensemble arbeiten, sondern auch viele nichtkünstlerische Leistungen von eigenen Werkstätten mit eigenen Arbeitnehmern erbracht werden. In allen diesen Bereichen spielt das Vergaberecht abgesehen von der Materialbeschaffung weitgehend keine Rolle, was den Theateralltag maßgebend erleichtert und sicher kostengünstiger macht. Solche Betriebe in dieser Organisationsform zu erhalten, wird deshalb eine wesentliche Aufgabe zukünftiger Kulturpolitik sein und bleiben.