Das Programmheft, das Bühnenbild und das Urheberrechtsgesetz

Am 20. Dezember 2018 verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil, das es in sich hatte. Jedenfalls sollte es allen Theater-Dramaturgen und anderen der schreibenden und denkenden Zunft, die regelmäßig Publikationen zu erstellen und zu illustrieren haben, einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Abbildungen urheberrechtlich nicht mehr geschützter Werke der bildenden Kunst, so der BGH, können nicht tantiemefrei genutzt werden. Sie unterliegen zumindest dem Lichtbildschutz des § 72 Urhebergesetz (UrhG), und zwar in der Regel bis zu 50 Jahre nach ihrem Erscheinen. Also war erst einmal Schluss mit der problemlosen Abbildung alter Meister oder einer antiken Skulptur im Programmheft. Auch Bühnenbildner, die das Bühnenbild für Jasmina Rezas Gott des Gemetzels mit dem Abdruck eines Impressionisten angemessen zu gestalten dachten, sahen sich neuen urheberrechtlichen Fragen ausgesetzt. Doch dann kam 2019 die Richtlinie der Europäischen Union „Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“. Und alles war wieder anders.

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Denn Artikel 14 der Richtlinie stellte klar, dass originalgetreue Vervielfältigungen nicht mehr geschützter, also gemeinfreier Werke der bildenden Kunst keinen Urheberschutz mehr genießen, es sei denn, die Abbildungen stellen selbst eine eigene Schöpfung dar. Daraus machte das deutsche Urheberrecht den neuen § 68 UrhG, der schlicht feststellt, dass Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke nicht dem Lichtbildschutz des § 72 UrhG unterliegen. Damit ist zwar ein großer Teil der Probleme gelöst, aber ganz so einfach, wie es aussieht, ist es dann doch nicht.

Lichtbild und Lichtbildwerk

Bleiben wir beim Beispiel „Impressionist im Bühnenbild von Gott des Gemetzels“. Die Abteilung Requisite des Theaters kauft im Museumsshop eines deutschen Museums einen originalgetreuen Druck des diesem Museum gehörenden Gemäldes von Max Liebermann. Dieser soll – zuvor angemessen vergrößert – im Bühnenbild hängen und verkleinert für das Programmheft vervielfältigt werden. Das ist nach der richtlinienkonformen Gesetzesänderung nun problemlos möglich, und zwar ohne dass Rechte zuvor erworben werden müssen. Da § 68 UrhG nicht nur für Werke der bildenden Kunst gilt, sondern für alle visuellen Werken, fallen unter diese Vorschrift zum Beispiel auch originalgetreue Abbildungen von Zeichnungen, Plänen, Karten und Skizzen.

Geht es um das Foto einer antiken Skulptur, wird die Sache aber schon schwieriger. Denn ein solches Foto ist nie eine einfache Ablichtung der Skulptur. Der Fotograf muss sich vielmehr überlegen, von welcher Seite er sie fotografiert, wie er den Lichteinfall – gegebenenfalls auch künstlich – gestaltet, muss die Entfernung zum Objekt bestimmen, gegebenenfalls auch den Hintergrund verändern. Schon erweist sich das Foto der Skulptur (anders als der einfache Druck mit der Wiedergabe eines Gemäldes) als eine schöpferische Leistung, geht also als Lichtbildwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG über das einfache Lichtbild des § 72 UrhG hinaus. Und schon läuft § 68 UrhG ins Leere. Nichts anderes würde im Übrigen gelten, wenn ein berühmtes Gemälde nicht eins zu eins wiedergegeben würde, sondern ein Fotograf wohl überlegt etwa die Mona Lisa fotografiert und der Betrachter des Fotos sieht, wie das Bild im Museum hängt, wie es beleuchtet ist und welche Wirkung dadurch entsteht. In all diesen Fällen hat der Fotograf wegen seiner schöpferischen Leistung ein Urheberrecht und zur Vervielfältigung des Bildes müssten von ihm Rechte erworben werden. Genau das ist im Gegensatz dazu beim originalgetreuen Druck eines Gemäldes wegen § 68 UrhG nicht mehr erforderlich. Die eingangs genannte BGH-Entscheidung geht also insofern ins Leere.

Und das Museum?

Das Museum bleibt in all diesen Fällen urheberrechtliche erstmal außen vor. Es könnte allenfalls mit dem Eigentum am Original-Kunstwerk argumentieren. § 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erlaubt es dem Eigentümer eines Gegenstandes, also hier des Gemäldes oder der Skulptur, die Beseitigung jeglicher Beeinträchtigung zu verlangen, es sei denn – so Absatz 2 der Vorschrift – der Eigentümer ist zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet. Eine solche Beeinträchtigung könnte man darin sehen, dass die wie auch immer gestaltete Ablichtung eines Gemäldes oder einer Skulptur für ein Programmheft oder ein Bühnenbild ohne ausdrückliche Einwilligung des Museums genutzt wird. Doch da muss im Rahmen der Duldungspflicht das Urhebergesetz vorgehen: Wenn also entweder beim einfachen Lichtbild über § 68 UrhG die Nutzung einer originalgetreuen Abbildung erlaubt ist oder ein Fotograf bei einem echten Lichtbildwerk diese gestattet, dann ist das Museum auch wegen seiner Duldungspflicht des § 1004 Abs. 2  BGB beim Eigentumsrecht außen vor. Ansonsten würde das an dem abgebildeten Kunstwerk, dessen Maler oder Bildhauer mehr als 70 Jahre tot ist, nicht mehr bestehende Urheberrecht mit der Krücke des Eigentumsrechts neue Wirkung entfalten. Das aber genau sollen die Schutzfrist und auch § 68 UrhG ausschließen. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn die Ablichtung illegal entstanden ist, also ohne Erlaubnis des Museums, dem das Original gehört. Davon kann aber bei Vervielfältigungen öffentlich allgemein zugänglichen visuellen Werken nicht ausgegangen werden, solange das Museum gegen deren Verbreitung keine rechtlichen Schritte einleitet. Zugleich ist dennoch Vorsicht geboten, wenn in einem Museum ein Verbot zu fotografieren existiert und man selbst unter Verstoß gegen das Verbot Fotos von nicht mehr urheberrechtlich geschützten Werken anfertigt, um sie anschließend etwa in einem Programmheft oder zur Gestaltung eines Bühnenbilds zu nutzen oder z.B. im Internet zu verbreiten. Das genau wollte § 68 UrhG nicht ermöglichen.

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