Über die Intendantenwahl

Kaum eine Entscheidung ist für ein Stadt- oder Staatstheater sowie eine Landesbühne, aber auch für manches Festival so bedeutsam wie die Neuwahl eines Intendanten. An ihm hängt die künstlerische Ausrichtung des Betriebes. Ihm übergibt man die Verantwortung für oft hunderte Mitarbeiter und einen weit in den zweistelligen Bereich hineinreichenden Millionenbetrag. Die Entscheidung wird begleitet von einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit, zuweilen auch von einiger Kritik, wie zuletzt bei der Volksbühne in Berlin. Verbunden ist das alles für den Träger eines Theaterbetriebs, also die Stadt oder das Land, mit einem nicht unerheblichen Risiko. Und für das neue Leitungsteam eines Hauses ist der Wechsel eine große Herausforderung. Oft bin ich als langjähriger Direktor des Deutschen Bühnenvereins gefragt worden, wie man eigentlich Intendant wird. Der Text geht nach der Teilnahme an zahlreichen Intendantenfindungen der Frage nach, was bei der Intendantenwahl zu beachten ist und was sie genau für ein Theater bedeutet.

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1. Der Anlass für den Intendantenwechsel

Gesucht wird ein Intendant. Der bisherige Theaterleiter hat mitgeteilt, dass er nach vielen Jahren aufhören will, dass er an ein anderes Theater geht. Oder die Stadt, das Land, der Aufsichtsrat möchte den Wechsel. Letzteres wirft oft die Frage auf, warum dieser eigentlich stattfindet, der oder die Bisherige sei doch ganz erfolgreich. Erst recht, wenn dieser so eine Art Kultstatus in der Stadt erreicht hat, wie etwa der Tanztheaterdirektor William Forsythe seinerzeit in Frankfurt/Main oder Frank Castorf in Berlin. Auch in diesen Fällen ist der Wechsel kein Anschlag auf die Kultur, zu dem er dann gerne stilisiert wird. Bei Forsythe lag damals der Skandal nicht im Wechsel, sondern in der Schließung des Frankfurter Tanztheaters. Und auch bei Castorf ist der Wechsel ein für den deutschen Ensemble- und Repertoire-Betrieb üblicher, ja vielleicht bei aller wirklich großen Wertschätzung für seine wunderbare künstlerische Arbeit auch notwendiger Schritt.

In den meisten Ländern der Welt wird Theater anders produziert als in Deutschland. Die darstellenden Künstler, also vor allem Sänger, Tänzer und Schauspieler werden etwa in Frankreich oder England, Italien oder Spanien in der Regel nur für eine einzelne Produktion engagiert. Die Vorstellungen werden oft en suite oder im sogenannten Stagione-Betrieb gespielt, also für zwei bis allenfalls fünf Wochen täglich oder in kurzen Abständen hintereinander. Ist die Produktion abgespielt und wird sie nicht von einem anderen Haus übernommen, enden die Verträge der beteiligten Künstler. Das Theater beginnt mit einer neuen Produktion, oft mit anderen Künstlern, oder hat eine solche Produktion parallel zu der laufenden Produktion schon erarbeitet, sodass unmittelbar nach dem Abspielen der alten Produktion die neue beginnen kann.

Ganz anders läuft es im Ensemble- und Repertoire-Betrieb. Hier unterhält der Intendant einen festen Stamm von Darstellern, die mit längstens auf die Dauer seiner Intendanz befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt werden. Ein in gleicher Weise durch den Intendanten engagiertes künstlerisches Team von Dramaturgen, künstlerischen Direktoren, Disponenten und anderen hinter der Bühne agierenden Personen steht ihm zur Seite. Der Intendant bestimmt den Spielplan und entscheidet über die Besetzung, vor allem auch über die Regieteams. Zahlreiche Produktionen unterschiedlicher Art laufen nebeneinander, es wird ständig neu produziert. Und doch: Das Gesamtprogramm trägt die Handschrift der künstlerischen Leitung und verfügt damit über ein hohes Maß an Kontinuität. Daraus erwächst über die Zeit auch eine Art Abwechslungsbedürfnis. Das macht dann die Erneuerung des gesamten künstlerischen Profils und damit den Intendantenwechsel und den mit diesem einhergehenden Wechsel der künstlerischen Mitarbeiter erforderlich.

Insofern ist es eher merkwürdig, wenn im Rahmen des Intendantenwechsels die Frage aufgeworfen wird, warum so viele Künstler das Haus verlassen müssen. Das ist zuweilen zwar für den einen oder anderen künstlerisch Beschäftigten bitter, aber auch unvermeidbar und im Übrigen sozial viel ausgewogener als der viel häufigere und bei weitem einschneidendere Personalwechsel im oben dargestellte En-Suite- oder Stagione-System. Dort verliert man aus Gründen der Abwechslung nach jeder Produktion erst einmal seine Anstellung. Anders im Ensemble- und Repertoire-Betrieb, wo das künstlerische Personal meist erst nach vielen Jahren das Theater verlassen muss und zumindest beim Intendantenwechsel in den meisten Fällen eine tariflich vorgesehene Abfindung bekommt. Natürlich sollte der neue Intendant sorgfältig prüfen, wen er übernehmen kann. Er muss aber auch bedenken, dass er den Arbeitsvertrag mit einem angestellten Künstler in der Regel nach 15-jähriger Beschäftigung nicht mehr beenden kann und zwischenzeitlich nur die Möglichkeit besteht, sich aus künstlerischen Gründen von dem einzelnen Künstler zu trennen. Insofern ist es weitgehend unangebracht, wenn Träger von Theatern sich bemüßigt fühlen, etwa seitens eines Oberbürgermeisters, die Erwartung zu äußern, dass es einen möglichst geringen Wechsel beim künstlerischen Personal anlässlich eines Intendantenwechsels gibt. Und noch merkwürdiger ist es, wenn sich Claus Peymann, wie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 1. Juli 2017, darüber beklagt, dass sein Nachfolger weitestgehend mit neuen Schauspielern startet. Als erfahrener Intendant sollte er wissen, dass das nach so langer Zeit einer Intendanz eher üblich ist.

Statt zu jammern über den Personalwechsel gilt vielmehr: Der Intendantenwechsel muss öffentlich vorbereitet werden. Die Stadt oder das Land, also der jeweilige Träger, muss die Theaterinteressierten in der Stadt, auch die Theaterbelegschaft, auf den Intendantenwechsel und die damit verbundenen Veränderungen vorbereiten. Dazu bedarf es einer wenigstens im Ansatz überlegten Kommunikationsstrategie, die es einerseits vermeidet, dass jeder, der glaubt etwas zu sagen zu haben, bei der Neuwahl eines Intendanten mitreden will, andererseits aber einen gewissen demokratischen Diskurs über die zukünftige künstlerische Ausrichtung des Theaters ermöglicht. Wenn man bei der Berufung von Chris Dercon zum Intendanten der Volksbühne etwas falsch gemacht hat in Berlin, dann war es vor allem das Fehlen dieser Kommunikationsstrategie, einen Fehler, den man dort im Übrigen gleich zweimal machte, indem man ihn beim Staatsballett wiederholte.

2. Ausschreibung und Findungskommission

Zwei Fragen stehen bei der Intendantenwahl fast immer am Anfang. Erstens: Sollen wir öffentlich ausschreiben? Zweitens: Brauchen wir eine Findungskommission? Beide Fragen sind nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten und sie stehen miteinander in einem gewissen Zusammenhang.

In früheren Jahren war es üblich, eher nicht auszuschreiben. Man telefonierte mit denen, die sich in der Szene auskennen, und denen, von denen man meinte, dass sie sich auskennen. Das war einerseits (meistens) diskret, hatte aber andererseits den Nachteil, dass ein Diskurs über den richtigen Intendanten und über die Erwartungen, die an ihn zu stellen sind, gar nicht erst zustande kam. Noch heute wird bei vielen Intendantenstellen für große Theater so verfahren. Nicht immer werden dabei gute Ergebnisse erzielt, Beispiele ließen sich nennen. Also ist eine Findungskommission unabhängig von Größe und Bedeutung des Theaters eher sinnvoll. Dies gilt umso mehr, wenn es notwendig ist, in der Stadt oder im Land einige dem maßgebenden parlamentarischen Gremium (Stadtrat, Kulturausschuss etc.) angehörende politisch ambitionierte Personen einzubinden. Dabei ist auf eine möglichst professionelle und im Bereich Personalfindung erfahrene, in der Theaterszene verhaftete Beratung der Findungskommission zu achten. Von Headhuntern oder Agenturen welcher Art auch immer ist dringend abzuraten. Zudem bedarf es zumindest einer künstlerisch profilierten Persönlichkeit, die aber die Gewähr bieten sollte, objektiv im Interesse des Theaters und ihres Trägers nach dem oder der gewünschten Theaterleiter/in zu suchen. Für solche Kommissions-Besetzungsfragen ist der Deutsche Bühnenverein immer ein guter Ansprechpartner. Außerdem empfiehlt sich die Beteiligung des Verwaltungsdirektors bzw. des kaufmännischen Geschäftsführers, mit dem der Intendant eng zusammenarbeiten muss, an der Findungskommission.

Öffentlich ausschreiben sollte man die Stelle vor allem dann, wenn für die Besetzung eher auch solche Personen in Betracht kommen, die bisher noch kein Theater geleitet haben. Das ist jedenfalls bei kleineren und mittleren Theatern der Fall. Für die Ausschreibung empfehlen sich Fachblätter wie die vom Deutschen Bühnenverein herausgegebene älteste deutsche Theaterzeitschrift „Die deutsche Bühne“ und die einschlägigen Internetportale wie „bühnenjobs.de“.

Solche Verfahren führen fast immer zu guten Ergebnissen, machen das Zustandekommen der Entscheidung transparenter, geben allen Interessierten eine faire Chance und vermeiden den Eindruck eines überholten, eher undemokratischen Berufungsverfahrens. Genau das ist wichtig. Schließlich handelt es sich bei der Position eines Intendanten in der Regel um ein öffentliches Amt.

3. Das Auswahlverfahren

Bevor sich der Träger oder eine von ihm einberufene Findungskommission mit den Bewerberinnen und Bewerbern befasst, sollte vertraulich erörtert werden, welchen Intendanten der Träger sucht. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es in der Stadt, vor allem bei den maßgebenden politischen Kräften unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt. Die Debatte ist umso erforderlicher, je radikaler der Wechsel der künstlerischen Ausrichtung des Theaters ausfallen soll. Vorgaben wie regieführend oder nicht regieführend sollten nicht gemacht werden. Man schließt mit solchen Vorgaben unter Umständen gute Kandidaten aus, was nicht empfehlenswert ist.

Ob mit oder ohne Ausschreibung, in der Regel wird mit mehreren Bewerberinnen und Bewerbern in Kontakt getreten und in Bewerbungsgesprächen ermittelt, wer für die Position in Betracht kommt. Bei der Einladungsliste ist es sinnvoll darauf zu achten, dass die Personen sich im Profil unterscheiden, um in den Bewerbungsgesprächen die Möglichkeiten zu haben, das Bewusstsein für das, was man seitens des Trägers will, noch einmal zu schärfen. Denn das jeweilige Bewerbungsgespräch ist im besten Fall immer auch ein Dialog über das Theater, der der Meinungsbildung aller Beteiligten dient. Deshalb verbietet sich auch jede feste Strukturierung des Bewerbgeresprächs etwa mit vorgegebenen Fragen, die abgearbeitet werden. Man sucht ja einen Intendanten, und deshalb muss das Bewerbergespräch offen gestaltet und ein Diskurs auf Augenhöhe sein. Vor allem deshalb müssen die Sitzungen der Findungskommission absolut vertraulich sein und bleiben.

Ein großes Hindernis bei der Intendantensuche ist es, wenn der Träger sie mit Vorgaben belastet, etwa hinsichtlich des Etats. Es ist einem Intendanten praktisch nicht zuzumuten, sein Amt mit der Zielsetzung anzutreten, Kürzungen bei der öffentlichen Zuwendung durchzusetzen. Das gilt erst recht, wenn das Theater ohnehin eher mit knappen öffentlichen Mitteln ausgestattet ist. Für den neuen Intendanten bedeutet die erwartete Einsparung jedenfalls, dass er bei der Rekrutierung seiner neuen künstlerischen Mannschaft Personalentscheidungen vor allem auch unter wirtschaftlichen Aspekten treffen muss. Der Qualität, die man sich doch von einem neuen Theaterleiter wünscht, dient das nicht.

Vieles ließe sich nun noch an praktischen Details für die Durchführung der einzelnen Sitzungen der Findungskommission sagen, etwa zur Länge, zum Ablauf und zur Struktur der Vorstellungsgespräche, zur Möglichkeit, die Theater zu besuchen, an denen die Kandidaten arbeiten, zum Ob und Wie vertiefender Gespräche mit den konkret in Aussicht genommenen Kandidatinnen und Kandidaten. Das aber sind oft Fragen des Einzelfalls, die den konkreten Findungsverfahren vorbehalten bleiben müssen.

4. Die Entscheidung

Wichtig ist es, die Entscheidung auf der Grundlage eines offenen Dialogs zu treffen. Angesichts der in Betracht kommenden Kandidaten und Kandidatinnen kann auch die Frage regieführend oder nicht noch einmal aufgegriffen werden. Es sollte möglichst nicht nur auf der Grundlage der Bewerbergespräche entschieden werden. Mancher kann sich gut verkaufen, ist aber nicht deshalb gleich ein guter Intendant und umgekehrt.

Oft entscheidet nicht die Findungskommission, wer Intendant wird. Vielmehr macht sie dem abschließend entscheidenden Gremium, etwa dem Stadtrat, dem Kulturausschuss oder dem Aufsichtsrat einen Vorschlag. Fast immer geht es dann um die Frage, ob nur ein Kandidat vorgeschlagen werden soll oder mehrere. Dazu lässt sich, wenn mehrere Vorschläge unterbreitet werden sollen, eindeutig Folgendes festhalten: Grundsätzlich dürfen nur Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen werden, die auch tatsächlich in Betracht kommen. Darauf zu setzen, dass bei drei Vorschlägen das entscheidende Gremium die weniger Geeigneten nicht wählt, ist hochgradig riskant. Außerdem ist von einem Ranking Abstand zu nehmen, die Vorschläge müssen gleichwertig nebeneinander stehen. Denn kein Kandidat und keine Kandidatin akzeptiert, dass er oder sie von der Findungskommission als zweite Wahl ins Rennen geschickt wird. Und noch schlimmer ist es, wenn das entscheidende Gremium plötzlich den auf Nummer zwei gesetzten Kandidaten wählt. Dann ist er von Vorneherein zweite Wahl.

5. Die Wahl aus Sicht der Bewerber

Viele Bewerber haben mich all die Jahre gefragt, wie sie sich bewerben sollen. Auch das ist allgemein nicht einfach zu beantworten. Jedenfalls sollte man an dem Theater, für das man sich als Intendant bewirbt, und für die jeweilige Stadt ein wirkliches Interesse haben. Man sollte sich von beiden vor der Bewerbung, spätestens vor dem ersten Bewerbungsgespräch einen Eindruck verschaffen. Nur der Wunsch, Intendant zu werden, reicht sicher nicht. Darüberhinaus braucht ein Intendant auch ein Interesse an organisatorischen, personellen und finanziellen Fragen, die das Theater betreffen. Man ist als Intendant mehr als ein Regisseur oder Dramaturg. Außerdem sollte sich niemand mit seinem künstlerischen Profil zu verstellen suchen. Wenn man als Kandidat den Erwartungen des Trägers nicht entspricht, dann ist es besser, wenn man nicht gewählt wird. Deshalb macht es auch Sinn, seine grundsätzlichen künstlerischen Vorstellungen in einem kurzen Konzept darzulegen, auch wenn das nicht ausdrücklich erbeten wird.

Wer nur in einer Sparte Erfahrungen hat und sich für ein Mehrspartentheater bewirbt, sollte sich überlegen, wie er es hinsichtlich der ihm eher fremden Sparten handhaben möchte. Also etwa Operndirektor bestellen ja oder nein, wenn man bisher vorwiegend im Schauspiel gearbeitet hat. Ausformulierte Spielpläne machen meist wenig Sinn, müssen vor allem auf ihre wirtschaftliche Realisierbarkeit hin geprüft werden. Deshalb sollte der Kandidat oder die Kandidatin die wesentlichen wirtschaftlichen Rahmendaten des Theaters, für das er oder sie sich bewirbt, kennen. Sie werden jährlich in der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins veröffentlicht. Aber man darf auch vor Ort danach fragen, etwa den Haushaltsplan oder die Jahresabrechnung zur Verfügung gestellt zu bekommen. Und niemand sollte eine Findungskommission mit Materialen über die bisherige Arbeit überfordern, weniger, aber wohl ausgesucht, ist oft mehr.

6. Schluss

Das alles sind nur einige Leitgedanken für eine Intendantenwahl, die keine Vollständigkeit beanspruchen. Sie sollen dazu dienen, dass jede Stadt und jedes Land seinen richtigen Intendanten findet und jeder am Intendantenamt Interessierte das richtige Theater. Denn wie eingangs gesagt, es ist für alle eine wichtige Entscheidung. Und nichts ist dabei schlimmer als Misserfolg, für beide Seiten.

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