Die documenta 14: Wer sich an zwei Tagen durch die meisten ihrer Spielstätten bewegt hat, wird sich fragen, geht es hier eigentlich um die Kunst? Oder geht es um Politik? Um Positionen, um Haltungen, um Dokumentation? Jedenfalls bleibt zuweilen, des Eindrucks kann man sich nicht erwehren, die Kunst ein wenig auf der Strecke. Und damit bewegt sich die documenta 14 im Mainstream des heutigen, immer weiter sich verbreitenden Kulturverständnisses. Die Kunst hat etwas zu dienen, und vor allem wenn sie etwas dient, ist sie der öffentlichen Förderung wert.
Bildung, soziale Projekte und Bürgerbühne
Schon seit Jahren gibt es nach meiner Beobachtung kaum noch eine Rede eines Politikers über die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur, ohne dass über kulturelle Bildung gesprochen wird. In vielen europäischen Ländern, teilweise auch hierzulande, wird die öffentliche Förderung davon abhängig gemacht, dass entsprechende Aktivitäten angeboten werden. Politikeraugen leuchten, wenn ihr städtisches Theater mit pädagogischen Konzepten glänzt. Mit „Kultur macht stark“ einem seit Jahren laufenden Großvorhaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung setzt man auf Projekte zugunsten von Kindern und Jugendlichen, die einen eingeschränkten Zugang zur Bildung haben, so der ministerial erklärte Wille. Diese Projekte werden ausschließlich durch Kultureinrichtungen und deren Verbände realisiert.
Oder der Tanz! Seit dem Erfolg von „Rhythm Is It“ hat die Politik ihn als pädagogisches Mittel entdeckt. Will man einem Oberbürgermeister oder einer Ratsfraktion den öffentlichen Unterhalt einer Tanzkompanie schmackhaft machen, dann geht es durch nichts leichter als durch den Hinweis auf ihre tanzpädagogischen Aktivitäten. Zugleich schießen öffentliche verfügbare finanzielle Mittel für entsprechende Projekte wie Pilze aus dem Boden.
Ähnlich verhält es sich in der Frage des Umgangs mit den aus anderen Teilen der Welt fliehenden Menschen. Kaum hatten sie in größerer Zahl als erwartet Europa erreicht, tauchte die Frage auf, was denn Theater und Orchester, Museen sowie andere öffentlich getragene Kultureinrichtungen nun zur Willkommenskultur beitragen können. Es wurden Konzerte veranstaltet, Theaterprojekte aufgelegt, an denen Flüchtlinge beteiligt wurden, Kulturprojekte im sozialen Raum initiiert. Manch einer wollte mit solchen Aktivitäten sogar für sich Werbung machen, vor allem um deutlich werden zu lassen, wie unverzichtbar diese oder jene Kultureinrichtung sei. Das Thema Nachhaltigkeit blieb dabei gerne einmal auf der Strecke. Und einige Theater hatte einiges zu tun, um überhaupt Flüchtlinge im Rahmen eines Projektes beschäftigen zu dürfen. Die bürokratischen Hindernisse, die es mancherorts zu bewältigen gab, waren erheblich.
Von solchen Projekten bis zur Bürgerbühne ist der Weg nicht weit. Auch das ist eine Erscheinung unserer Zeit. Partizipation ist mehr gefragt denn je, bis hin zum Dokumentationstheater, in dem Zeitzeugen von ihrem Alltag, von ihren eigenen Erlebnissen berichten. Mittlerweile gibt es sogar ein Bürgerbühnenfestival, was zumindest einmal insofern zu hinterfragen wäre, als Bürgerbühne doch vor allem da Sinn macht, wo es zwischen denen, die zusehen und zuhören, und denen, die auf der Bühne – oder vielleicht sogar mit den Zuschauenden – agieren, eine durch die Verbundenheit des Ortes sich ergebende Beziehung gibt. Denn dann waren schon immer deine Geschichten auch meine Geschichten.
Es geht doch um die Förderung der Künste
Die Liste der Erwartungen an die Kunst ließe sich fortsetzen. Um nicht missverstanden zu werden: Das alles hat seine Berechtigung. Das alles darf und muss sein. Das alles hat aber zuweilen wenig mit Kunst zu tun. Und so bleibt die Frage, wieweit wir es mit der Instrumentalisierung von Kulturinstitutionen denn treiben wollen. Ein Theater bekommt nun einmal seine öffentlichen Mittel, um Theater zu spielen. Ein Orchester soll Konzerte veranstalten, ein Museum Ausstellungen zeigen. Natürlich darf das alles nicht im Elfenbeinturm stattfinden. Natürlich müssen wir versuchen, möglichst viele Menschen, gerade auch solche mit Migrationshintergrund, alte und junge, reiche und arme zu erreichen. Und natürlich müssen versuchen, mit neuen Vermittlungsaktivitäten auf diese zuzugehen. Man muss sich nur einmal im Netz das Video vom flash mob des philharmonischen Orchesters aus Kopenhagen ansehen. Es zeigt, wie die Musiker, verteilt durch einen U-Bahn-Wagon Griegs Peer Gynt spielen. Das aber ist nicht nur ein flash mob, die Musiker spielen eben Peer Gynt und die U-Bahn fahrenden, aufmerksam zuhörenden Menschen sind fasziniert.
Das heißt doch, dass wir auch in Zukunft an die Kunst, an die Musik, an die Oper, an den Tanz, die Literatur, an den erzählenden, dramatischen Text gespielt durch Schauspieler glauben können und vielleicht auch wieder mehr glauben sollten. Denn die Künste sprechen für sich, ermöglichen die Reflexion, lösen Gefühle und Gedanken aus, lassen den Menschen nicht alleine und erlauben ihm ein Innehalten, ein Nachdenken in Zeiten, in denen genau das notwendiger ist denn je.
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