Wieso Kunst?

Wer in der Kulturpolitik die Debatte darüber verfolgt, was von der Kunst erwartet wird, muss zunehmend den Eindruck gewinnen, es gehe um alles Mögliche, aber nicht um die Kunst. Kulturelle Bildung, interkultureller Dialog, demografische Entwicklung, Partizipation, soziale Projekte sind immer häufiger zu hörende Stichworte. Auch wird lieber über Kultur als über Kunst gesprochen. Und der erweiterte Kulturbegriff ist in aller Munde. Ist das aber im Sinne des künstlerischen Schaffens, bleibt die Frage.

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Die documenta 14: Wer sich an zwei Tagen durch die meisten ihrer Spielstätten bewegt hat, wird sich fragen, geht es hier eigentlich um die Kunst? Oder geht es um Politik? Um Positionen, um Haltungen, um Dokumentation? Jedenfalls bleibt zuweilen, des Eindrucks kann man sich nicht erwehren, die Kunst ein wenig auf der Strecke. Und damit bewegt sich die documenta 14 im Mainstream des heutigen, immer weiter sich verbreitenden Kulturverständnisses. Die Kunst hat etwas zu dienen, und vor allem wenn sie etwas dient, ist sie der öffentlichen Förderung wert.

Bildung, soziale Projekte und Bürgerbühne

Schon seit Jahren gibt es nach meiner Beobachtung kaum noch eine Rede eines Politikers über die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur, ohne dass über kulturelle Bildung gesprochen wird. In vielen europäischen Ländern, teilweise auch hierzulande, wird die öffentliche Förderung davon abhängig gemacht, dass entsprechende Aktivitäten angeboten werden. Politikeraugen leuchten, wenn ihr städtisches Theater mit pädagogischen Konzepten glänzt. Mit „Kultur macht stark“ einem seit Jahren laufenden Großvorhaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung setzt man auf Projekte zugunsten von Kindern und Jugendlichen, die einen eingeschränkten Zugang zur Bildung haben, so der ministerial erklärte Wille. Diese Projekte werden ausschließlich durch Kultureinrichtungen und deren Verbände realisiert.

Oder der Tanz! Seit dem Erfolg von „Rhythm Is It“ hat die Politik ihn als pädagogisches Mittel entdeckt. Will man einem Oberbürgermeister oder einer Ratsfraktion den öffentlichen Unterhalt einer Tanzkompanie schmackhaft machen, dann geht es durch nichts leichter als durch den Hinweis auf ihre tanzpädagogischen Aktivitäten. Zugleich schießen öffentliche verfügbare finanzielle Mittel für entsprechende Projekte wie Pilze aus dem Boden.

Ähnlich verhält es sich in der Frage des Umgangs mit den aus anderen Teilen der Welt fliehenden Menschen. Kaum hatten sie in größerer Zahl als erwartet Europa erreicht, tauchte die Frage auf, was denn Theater und Orchester, Museen sowie andere öffentlich getragene Kultureinrichtungen nun zur Willkommenskultur beitragen können. Es wurden Konzerte veranstaltet, Theaterprojekte aufgelegt, an denen Flüchtlinge beteiligt wurden, Kulturprojekte im sozialen Raum initiiert. Manch einer wollte mit solchen Aktivitäten sogar für sich Werbung machen, vor allem um deutlich werden zu lassen, wie unverzichtbar diese oder jene Kultureinrichtung sei. Das Thema Nachhaltigkeit blieb dabei gerne einmal auf der Strecke. Und einige Theater hatte einiges zu tun, um überhaupt Flüchtlinge im Rahmen eines Projektes beschäftigen zu dürfen. Die bürokratischen Hindernisse, die es mancherorts zu bewältigen gab, waren erheblich.

Von solchen Projekten bis zur Bürgerbühne ist der Weg nicht weit. Auch das ist eine Erscheinung unserer Zeit. Partizipation ist mehr gefragt denn je, bis hin zum Dokumentationstheater, in dem Zeitzeugen von ihrem Alltag, von ihren eigenen Erlebnissen berichten. Mittlerweile gibt es sogar ein Bürgerbühnenfestival, was zumindest einmal insofern zu hinterfragen wäre, als Bürgerbühne doch vor allem da Sinn macht, wo es zwischen denen, die zusehen und zuhören, und denen, die auf der Bühne – oder vielleicht sogar mit den Zuschauenden – agieren, eine durch die Verbundenheit des Ortes sich ergebende Beziehung gibt. Denn dann waren schon immer deine Geschichten auch meine Geschichten.

Es geht doch um die Förderung der Künste

Die Liste der Erwartungen an die Kunst ließe sich fortsetzen. Um nicht missverstanden zu werden: Das alles hat seine Berechtigung. Das alles darf und muss sein. Das alles hat aber zuweilen wenig mit Kunst zu tun. Und so bleibt die Frage, wieweit wir es mit der Instrumentalisierung von Kulturinstitutionen denn treiben wollen. Ein Theater bekommt nun einmal seine öffentlichen Mittel, um Theater zu spielen. Ein Orchester soll Konzerte veranstalten, ein Museum Ausstellungen zeigen. Natürlich darf das alles nicht im Elfenbeinturm stattfinden. Natürlich müssen wir versuchen, möglichst viele Menschen, gerade auch solche mit Migrationshintergrund, alte und junge, reiche und arme zu erreichen. Und natürlich müssen versuchen, mit neuen Vermittlungsaktivitäten auf diese zuzugehen. Man muss sich nur einmal im Netz das Video vom flash mob des philharmonischen Orchesters aus Kopenhagen ansehen. Es zeigt, wie die Musiker, verteilt durch einen U-Bahn-Wagon Griegs Peer Gynt spielen. Das aber ist nicht nur ein flash mob, die Musiker spielen eben Peer Gynt und die U-Bahn fahrenden, aufmerksam zuhörenden Menschen sind fasziniert.

Das heißt doch, dass wir auch in Zukunft an die Kunst, an die Musik, an die Oper, an den Tanz, die Literatur, an den erzählenden, dramatischen Text gespielt durch Schauspieler glauben können und vielleicht auch wieder mehr glauben sollten. Denn die Künste sprechen für sich, ermöglichen die Reflexion, lösen Gefühle und Gedanken aus, lassen den Menschen nicht alleine und erlauben ihm ein Innehalten, ein Nachdenken in Zeiten, in denen genau das notwendiger ist denn je.

Über die Intendantenwahl

Kaum eine Entscheidung ist für ein Stadt- oder Staatstheater sowie eine Landesbühne, aber auch für manches Festival so bedeutsam wie die Neuwahl eines Intendanten. An ihm hängt die künstlerische Ausrichtung des Betriebes. Ihm übergibt man die Verantwortung für oft hunderte Mitarbeiter und einen weit in den zweistelligen Bereich hineinreichenden Millionenbetrag. Die Entscheidung wird begleitet von einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit, zuweilen auch von einiger Kritik, wie zuletzt bei der Volksbühne in Berlin. Verbunden ist das alles für den Träger eines Theaterbetriebs, also die Stadt oder das Land, mit einem nicht unerheblichen Risiko. Und für das neue Leitungsteam eines Hauses ist der Wechsel eine große Herausforderung. Oft bin ich als langjähriger Direktor des Deutschen Bühnenvereins gefragt worden, wie man eigentlich Intendant wird. Der Text geht nach der Teilnahme an zahlreichen Intendantenfindungen der Frage nach, was bei der Intendantenwahl zu beachten ist und was sie genau für ein Theater bedeutet.

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1. Der Anlass für den Intendantenwechsel

Gesucht wird ein Intendant. Der bisherige Theaterleiter hat mitgeteilt, dass er nach vielen Jahren aufhören will, dass er an ein anderes Theater geht. Oder die Stadt, das Land, der Aufsichtsrat möchte den Wechsel. Letzteres wirft oft die Frage auf, warum dieser eigentlich stattfindet, der oder die Bisherige sei doch ganz erfolgreich. Erst recht, wenn dieser so eine Art Kultstatus in der Stadt erreicht hat, wie etwa der Tanztheaterdirektor William Forsythe seinerzeit in Frankfurt/Main oder Frank Castorf in Berlin. Auch in diesen Fällen ist der Wechsel kein Anschlag auf die Kultur, zu dem er dann gerne stilisiert wird. Bei Forsythe lag damals der Skandal nicht im Wechsel, sondern in der Schließung des Frankfurter Tanztheaters. Und auch bei Castorf ist der Wechsel ein für den deutschen Ensemble- und Repertoire-Betrieb üblicher, ja vielleicht bei aller wirklich großen Wertschätzung für seine wunderbare künstlerische Arbeit auch notwendiger Schritt.

In den meisten Ländern der Welt wird Theater anders produziert als in Deutschland. Die darstellenden Künstler, also vor allem Sänger, Tänzer und Schauspieler werden etwa in Frankreich oder England, Italien oder Spanien in der Regel nur für eine einzelne Produktion engagiert. Die Vorstellungen werden oft en suite oder im sogenannten Stagione-Betrieb gespielt, also für zwei bis allenfalls fünf Wochen täglich oder in kurzen Abständen hintereinander. Ist die Produktion abgespielt und wird sie nicht von einem anderen Haus übernommen, enden die Verträge der beteiligten Künstler. Das Theater beginnt mit einer neuen Produktion, oft mit anderen Künstlern, oder hat eine solche Produktion parallel zu der laufenden Produktion schon erarbeitet, sodass unmittelbar nach dem Abspielen der alten Produktion die neue beginnen kann.

Ganz anders läuft es im Ensemble- und Repertoire-Betrieb. Hier unterhält der Intendant einen festen Stamm von Darstellern, die mit längstens auf die Dauer seiner Intendanz befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt werden. Ein in gleicher Weise durch den Intendanten engagiertes künstlerisches Team von Dramaturgen, künstlerischen Direktoren, Disponenten und anderen hinter der Bühne agierenden Personen steht ihm zur Seite. Der Intendant bestimmt den Spielplan und entscheidet über die Besetzung, vor allem auch über die Regieteams. Zahlreiche Produktionen unterschiedlicher Art laufen nebeneinander, es wird ständig neu produziert. Und doch: Das Gesamtprogramm trägt die Handschrift der künstlerischen Leitung und verfügt damit über ein hohes Maß an Kontinuität. Daraus erwächst über die Zeit auch eine Art Abwechslungsbedürfnis. Das macht dann die Erneuerung des gesamten künstlerischen Profils und damit den Intendantenwechsel und den mit diesem einhergehenden Wechsel der künstlerischen Mitarbeiter erforderlich.

Insofern ist es eher merkwürdig, wenn im Rahmen des Intendantenwechsels die Frage aufgeworfen wird, warum so viele Künstler das Haus verlassen müssen. Das ist zuweilen zwar für den einen oder anderen künstlerisch Beschäftigten bitter, aber auch unvermeidbar und im Übrigen sozial viel ausgewogener als der viel häufigere und bei weitem einschneidendere Personalwechsel im oben dargestellte En-Suite- oder Stagione-System. Dort verliert man aus Gründen der Abwechslung nach jeder Produktion erst einmal seine Anstellung. Anders im Ensemble- und Repertoire-Betrieb, wo das künstlerische Personal meist erst nach vielen Jahren das Theater verlassen muss und zumindest beim Intendantenwechsel in den meisten Fällen eine tariflich vorgesehene Abfindung bekommt. Natürlich sollte der neue Intendant sorgfältig prüfen, wen er übernehmen kann. Er muss aber auch bedenken, dass er den Arbeitsvertrag mit einem angestellten Künstler in der Regel nach 15-jähriger Beschäftigung nicht mehr beenden kann und zwischenzeitlich nur die Möglichkeit besteht, sich aus künstlerischen Gründen von dem einzelnen Künstler zu trennen. Insofern ist es weitgehend unangebracht, wenn Träger von Theatern sich bemüßigt fühlen, etwa seitens eines Oberbürgermeisters, die Erwartung zu äußern, dass es einen möglichst geringen Wechsel beim künstlerischen Personal anlässlich eines Intendantenwechsels gibt. Und noch merkwürdiger ist es, wenn sich Claus Peymann, wie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 1. Juli 2017, darüber beklagt, dass sein Nachfolger weitestgehend mit neuen Schauspielern startet. Als erfahrener Intendant sollte er wissen, dass das nach so langer Zeit einer Intendanz eher üblich ist.

Statt zu jammern über den Personalwechsel gilt vielmehr: Der Intendantenwechsel muss öffentlich vorbereitet werden. Die Stadt oder das Land, also der jeweilige Träger, muss die Theaterinteressierten in der Stadt, auch die Theaterbelegschaft, auf den Intendantenwechsel und die damit verbundenen Veränderungen vorbereiten. Dazu bedarf es einer wenigstens im Ansatz überlegten Kommunikationsstrategie, die es einerseits vermeidet, dass jeder, der glaubt etwas zu sagen zu haben, bei der Neuwahl eines Intendanten mitreden will, andererseits aber einen gewissen demokratischen Diskurs über die zukünftige künstlerische Ausrichtung des Theaters ermöglicht. Wenn man bei der Berufung von Chris Dercon zum Intendanten der Volksbühne etwas falsch gemacht hat in Berlin, dann war es vor allem das Fehlen dieser Kommunikationsstrategie, einen Fehler, den man dort im Übrigen gleich zweimal machte, indem man ihn beim Staatsballett wiederholte.

2. Ausschreibung und Findungskommission

Zwei Fragen stehen bei der Intendantenwahl fast immer am Anfang. Erstens: Sollen wir öffentlich ausschreiben? Zweitens: Brauchen wir eine Findungskommission? Beide Fragen sind nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten und sie stehen miteinander in einem gewissen Zusammenhang.

In früheren Jahren war es üblich, eher nicht auszuschreiben. Man telefonierte mit denen, die sich in der Szene auskennen, und denen, von denen man meinte, dass sie sich auskennen. Das war einerseits (meistens) diskret, hatte aber andererseits den Nachteil, dass ein Diskurs über den richtigen Intendanten und über die Erwartungen, die an ihn zu stellen sind, gar nicht erst zustande kam. Noch heute wird bei vielen Intendantenstellen für große Theater so verfahren. Nicht immer werden dabei gute Ergebnisse erzielt, Beispiele ließen sich nennen. Also ist eine Findungskommission unabhängig von Größe und Bedeutung des Theaters eher sinnvoll. Dies gilt umso mehr, wenn es notwendig ist, in der Stadt oder im Land einige dem maßgebenden parlamentarischen Gremium (Stadtrat, Kulturausschuss etc.) angehörende politisch ambitionierte Personen einzubinden. Dabei ist auf eine möglichst professionelle und im Bereich Personalfindung erfahrene, in der Theaterszene verhaftete Beratung der Findungskommission zu achten. Von Headhuntern oder Agenturen welcher Art auch immer ist dringend abzuraten. Zudem bedarf es zumindest einer künstlerisch profilierten Persönlichkeit, die aber die Gewähr bieten sollte, objektiv im Interesse des Theaters und ihres Trägers nach dem oder der gewünschten Theaterleiter/in zu suchen. Für solche Kommissions-Besetzungsfragen ist der Deutsche Bühnenverein immer ein guter Ansprechpartner. Außerdem empfiehlt sich die Beteiligung des Verwaltungsdirektors bzw. des kaufmännischen Geschäftsführers, mit dem der Intendant eng zusammenarbeiten muss, an der Findungskommission.

Öffentlich ausschreiben sollte man die Stelle vor allem dann, wenn für die Besetzung eher auch solche Personen in Betracht kommen, die bisher noch kein Theater geleitet haben. Das ist jedenfalls bei kleineren und mittleren Theatern der Fall. Für die Ausschreibung empfehlen sich Fachblätter wie die vom Deutschen Bühnenverein herausgegebene älteste deutsche Theaterzeitschrift „Die deutsche Bühne“ und die einschlägigen Internetportale wie „bühnenjobs.de“.

Solche Verfahren führen fast immer zu guten Ergebnissen, machen das Zustandekommen der Entscheidung transparenter, geben allen Interessierten eine faire Chance und vermeiden den Eindruck eines überholten, eher undemokratischen Berufungsverfahrens. Genau das ist wichtig. Schließlich handelt es sich bei der Position eines Intendanten in der Regel um ein öffentliches Amt.

3. Das Auswahlverfahren

Bevor sich der Träger oder eine von ihm einberufene Findungskommission mit den Bewerberinnen und Bewerbern befasst, sollte vertraulich erörtert werden, welchen Intendanten der Träger sucht. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es in der Stadt, vor allem bei den maßgebenden politischen Kräften unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt. Die Debatte ist umso erforderlicher, je radikaler der Wechsel der künstlerischen Ausrichtung des Theaters ausfallen soll. Vorgaben wie regieführend oder nicht regieführend sollten nicht gemacht werden. Man schließt mit solchen Vorgaben unter Umständen gute Kandidaten aus, was nicht empfehlenswert ist.

Ob mit oder ohne Ausschreibung, in der Regel wird mit mehreren Bewerberinnen und Bewerbern in Kontakt getreten und in Bewerbungsgesprächen ermittelt, wer für die Position in Betracht kommt. Bei der Einladungsliste ist es sinnvoll darauf zu achten, dass die Personen sich im Profil unterscheiden, um in den Bewerbungsgesprächen die Möglichkeiten zu haben, das Bewusstsein für das, was man seitens des Trägers will, noch einmal zu schärfen. Denn das jeweilige Bewerbungsgespräch ist im besten Fall immer auch ein Dialog über das Theater, der der Meinungsbildung aller Beteiligten dient. Deshalb verbietet sich auch jede feste Strukturierung des Bewerbgeresprächs etwa mit vorgegebenen Fragen, die abgearbeitet werden. Man sucht ja einen Intendanten, und deshalb muss das Bewerbergespräch offen gestaltet und ein Diskurs auf Augenhöhe sein. Vor allem deshalb müssen die Sitzungen der Findungskommission absolut vertraulich sein und bleiben.

Ein großes Hindernis bei der Intendantensuche ist es, wenn der Träger sie mit Vorgaben belastet, etwa hinsichtlich des Etats. Es ist einem Intendanten praktisch nicht zuzumuten, sein Amt mit der Zielsetzung anzutreten, Kürzungen bei der öffentlichen Zuwendung durchzusetzen. Das gilt erst recht, wenn das Theater ohnehin eher mit knappen öffentlichen Mitteln ausgestattet ist. Für den neuen Intendanten bedeutet die erwartete Einsparung jedenfalls, dass er bei der Rekrutierung seiner neuen künstlerischen Mannschaft Personalentscheidungen vor allem auch unter wirtschaftlichen Aspekten treffen muss. Der Qualität, die man sich doch von einem neuen Theaterleiter wünscht, dient das nicht.

Vieles ließe sich nun noch an praktischen Details für die Durchführung der einzelnen Sitzungen der Findungskommission sagen, etwa zur Länge, zum Ablauf und zur Struktur der Vorstellungsgespräche, zur Möglichkeit, die Theater zu besuchen, an denen die Kandidaten arbeiten, zum Ob und Wie vertiefender Gespräche mit den konkret in Aussicht genommenen Kandidatinnen und Kandidaten. Das aber sind oft Fragen des Einzelfalls, die den konkreten Findungsverfahren vorbehalten bleiben müssen.

4. Die Entscheidung

Wichtig ist es, die Entscheidung auf der Grundlage eines offenen Dialogs zu treffen. Angesichts der in Betracht kommenden Kandidaten und Kandidatinnen kann auch die Frage regieführend oder nicht noch einmal aufgegriffen werden. Es sollte möglichst nicht nur auf der Grundlage der Bewerbergespräche entschieden werden. Mancher kann sich gut verkaufen, ist aber nicht deshalb gleich ein guter Intendant und umgekehrt.

Oft entscheidet nicht die Findungskommission, wer Intendant wird. Vielmehr macht sie dem abschließend entscheidenden Gremium, etwa dem Stadtrat, dem Kulturausschuss oder dem Aufsichtsrat einen Vorschlag. Fast immer geht es dann um die Frage, ob nur ein Kandidat vorgeschlagen werden soll oder mehrere. Dazu lässt sich, wenn mehrere Vorschläge unterbreitet werden sollen, eindeutig Folgendes festhalten: Grundsätzlich dürfen nur Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen werden, die auch tatsächlich in Betracht kommen. Darauf zu setzen, dass bei drei Vorschlägen das entscheidende Gremium die weniger Geeigneten nicht wählt, ist hochgradig riskant. Außerdem ist von einem Ranking Abstand zu nehmen, die Vorschläge müssen gleichwertig nebeneinander stehen. Denn kein Kandidat und keine Kandidatin akzeptiert, dass er oder sie von der Findungskommission als zweite Wahl ins Rennen geschickt wird. Und noch schlimmer ist es, wenn das entscheidende Gremium plötzlich den auf Nummer zwei gesetzten Kandidaten wählt. Dann ist er von Vorneherein zweite Wahl.

5. Die Wahl aus Sicht der Bewerber

Viele Bewerber haben mich all die Jahre gefragt, wie sie sich bewerben sollen. Auch das ist allgemein nicht einfach zu beantworten. Jedenfalls sollte man an dem Theater, für das man sich als Intendant bewirbt, und für die jeweilige Stadt ein wirkliches Interesse haben. Man sollte sich von beiden vor der Bewerbung, spätestens vor dem ersten Bewerbungsgespräch einen Eindruck verschaffen. Nur der Wunsch, Intendant zu werden, reicht sicher nicht. Darüberhinaus braucht ein Intendant auch ein Interesse an organisatorischen, personellen und finanziellen Fragen, die das Theater betreffen. Man ist als Intendant mehr als ein Regisseur oder Dramaturg. Außerdem sollte sich niemand mit seinem künstlerischen Profil zu verstellen suchen. Wenn man als Kandidat den Erwartungen des Trägers nicht entspricht, dann ist es besser, wenn man nicht gewählt wird. Deshalb macht es auch Sinn, seine grundsätzlichen künstlerischen Vorstellungen in einem kurzen Konzept darzulegen, auch wenn das nicht ausdrücklich erbeten wird.

Wer nur in einer Sparte Erfahrungen hat und sich für ein Mehrspartentheater bewirbt, sollte sich überlegen, wie er es hinsichtlich der ihm eher fremden Sparten handhaben möchte. Also etwa Operndirektor bestellen ja oder nein, wenn man bisher vorwiegend im Schauspiel gearbeitet hat. Ausformulierte Spielpläne machen meist wenig Sinn, müssen vor allem auf ihre wirtschaftliche Realisierbarkeit hin geprüft werden. Deshalb sollte der Kandidat oder die Kandidatin die wesentlichen wirtschaftlichen Rahmendaten des Theaters, für das er oder sie sich bewirbt, kennen. Sie werden jährlich in der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins veröffentlicht. Aber man darf auch vor Ort danach fragen, etwa den Haushaltsplan oder die Jahresabrechnung zur Verfügung gestellt zu bekommen. Und niemand sollte eine Findungskommission mit Materialen über die bisherige Arbeit überfordern, weniger, aber wohl ausgesucht, ist oft mehr.

6. Schluss

Das alles sind nur einige Leitgedanken für eine Intendantenwahl, die keine Vollständigkeit beanspruchen. Sie sollen dazu dienen, dass jede Stadt und jedes Land seinen richtigen Intendanten findet und jeder am Intendantenamt Interessierte das richtige Theater. Denn wie eingangs gesagt, es ist für alle eine wichtige Entscheidung. Und nichts ist dabei schlimmer als Misserfolg, für beide Seiten.

Vergabe von künstlerischen Leistungen durch die öffentlich getragenen Theater und Orchester und das neue Vergaberecht – eine Expertise

Künstlerische Leitungen werden, etwa in der Form eines Engagements eines Schauspielers, Sängers, Tänzers, Dirigenten oder Musikers, direkt vergeben, auch wenn diese selbstständig tätig sind. Es findet also keine Ausschreibung statt, Vergleichsangebote werden nicht eingeholt. Man engagiert also den Künstler, den man engagieren möchte. Das gebietet die Freiheit der Kunst. Nun wird das Vergaberecht völlig neu geregelt. Vor allem die neue sogenannte Unterschwellenvergabeordnung, die zwischen Bund und Ländern schon ausgehandelt ist, aber noch nicht in Kraft gesetzt wurde, sieht nun vor, dass das Vergaberecht grundsätzlich auch für freiberufliche Leistungen gilt, wozu auch die künstlerischen Leistungen gehören. Zwar lässt die entsprechende Regelung eine gewisse Öffnung im Sinne der Kunst zu, erschwert diese jedoch erheblich, wenn nicht beim Inkraftsetzen der Unterschwellenvergabeverordnung gleich entsprechende Ausnahmen gemacht werden. Da sind Bund und Länder gefordert. Der Beitrag beschreibt die Ausgangslage und untersucht die Situation angesichts des neuen Vergaberechts.

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I. Die bisherige Rechtslage

Die bisher geltende deutsche VOL/A-EG galt für die Vergabe von künstlerischen Leistungen in der Regel nicht, weil die für Ihre Anwendung geltenden EU-Schwellenwerte bei diesen Leistungen (etwa bei der Vergabe einer Regie oder dem Engagement eines darstellenden Künstlers), die für die öffentlich getragenen Theater und Orchester erbracht werden sollten, weder erreicht noch überschritten wurden. Zugleich fand die neben der VOL/A-EG existierende VOL/A auf künstlerische Leistungen keine Anwendung, weil sie für freiberufliche Tätigkeiten nicht galt (§ 2 Abs. 1, 2. Spiegelstrich VOL/A). Eindeutig ergab sich aus einer Fußnote zu dieser Vorschrift, dass künstlerische Leistungen zu diesen freiberuflichen Tätigkeiten gehören. Außerdem sah § 3 Abs. 5 VOL/A noch die freihändige Vergabe vor, die hier auch angesichts der in der genannten Vorschrift enthaltenen Buchstaben h) (mangelnde eindeutige Beschreibbarkeit der Leistung) und j) (nur ein Unternehmer kommt für die Leistung in Betracht) durchaus möglich gewesen wäre. Die für freiberufliche Leistungen geltende VOF musste wegen des Nichterreichens oder -überschreitens der Schwellenwerte ebenfalls nicht zur Anwendung gebracht werden. In der Konsequenz war die Vergabe künstlerischer Leistungen durch die öffentlich getragenen Theater und Orchester freihändig, also ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren möglich. Die Rechtslage entsprach der vor 2009 geltenden VOL/A, die in § 3 Abs. 4 Buchst. i ausdrücklich die freihändige Vergabe für schöpferische Leistungen vorsah.

An dieser Rechtslage änderte auch nichts die neue 2014 verabschiedete neue Vergaberichtlinie der EU (2004/18/EG) und das darauf aufbauende 2016 in Deutschland verabschiedete Vergaberechtmodernisierungsgesetz sowie die dazu erlassene Verordnung. Denn beide Regelwerke galten nur bei Überschreiten des in der EU-Richtlinie vorgesehenen Schwellenwertes (§ 106 Abs. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB sowie § 1 Abs. 1 Vergabemodernisierungsverordnung); Zahlungen in dieser Größenordnung fallen jedoch bei der Vergabe von künstlerischen Leistungen an Selbstständige nach wie vor nicht an.

II. Die neue Unterschwellenvergabeordnung

Die nun verabschiedete, oben genannte Unterschwellenvergabeordnung ändert diese Rechtslage erheblich. Sie gilt für Leistungen unterhalb des sich aus der EU-Richtlinie ergebenden Schwellenwertes. Aus § 50 UVgO ergibt sich zudem, dass freiberufliche, also auch künstlerische Leistungen, unter die Unterschwellenvergabeordnung fallen und diese Verordnung auf solche Leistungen „grundsätzlich“ anzuwenden ist. Eine Direktauftrag sieht § 14 UVgO nur bei Vergabewerten von bis zu 1.000 Euro vor. Viele künstlerische Leistungen der Theater und Orchester, die als selbstständige Tätigkeit vergeben werden, werden jedoch deutlich höher vergütet. Das bedeutete, dass bei künstlerischen Leistungen mindestens eine Verhandlungsvergabe ohne Teilnehmerwettbewerb (§ 12 UVgO) stattzufinden hätte, also mindestens drei Angebote einzuholen wären. Weder ein Dirigent noch ein Bühnen- oder Kostümbildner noch ein herausragender Sänger als Abendgast oder ein Konzertsolist könnte also ohne solche Angebotseinholung engagiert werden. Und gegebenenfalls könnte man sich angesichts der eingegangenen Angebote am Ende bei Anwendung von § 43 UVgO nicht einmal für den gewünschten Künstler entscheiden. Das aber wäre ein untragbares Ergebnis und würde auch gegen die in Art. 5 Abs.3 Satz 1 GG garantierte Kunstfreiheit verstoßen (siehe dazu auch den Beitrag: https://stadtpunkt-kultur.de/2022/02/vergaberecht-und-kunst-ueber-die-unterschwelle-im-kulturbetrieb/.

III. Auslegung und Inkraftsetzen der Unterschwellenvergabeordnung

Helfen kann man sich nur mit einer grundgesetzkonformen Auslegung von § 50 UVgO, indem man die Vorschrift in Interpretation der Einschränkung, die dem Wort „grundsätzlich“ entnommen werden kann, verfassungskonform wegen Art. 5 Abs. 3 GG dahingehend auslegt, dass die Unterschwellenvergabeordnung für die Vergabe von künstlerischen Leistungen nicht gilt. Eine entsprechende Klarstellung könnte natürlich auch bei Inkraftsetzen dieser Verordnung, die gemäß deren Präambel erst durch die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 55 der Bundeshaushaltsordnung bzw. durch die Änderung entsprechender Vorschriften der Länder stattfindet, erfolgen. Diese Klarstellung müsste dringend vorgenommen werden, auch seitens des Bundes, da es auch Bundeseinrichtungen gibt, die künstlerische Leistungen vergeben, will man das oben skizzierte Ergebnis vermeiden.

IV. Verordnungskompetenz des Bundes

Abschließend stellt sich aber auch die Frage, ob die Bundesregierung überhaupt legitimiert ist, die Unterschwellenvergabeordnung zu erlassen. Die Verordnungsermächtigung ist in § 113 GWB geregelt. Der entsprechende Abschnitt dieses Gesetzes gilt nach § 106 GWB jedoch nur für solche Vergaben, die die in der EU-Richtlinie vorgegebenen Schwellenwerte überschreiten. Deshalb kann sich die Bundesregierung bei der Unterschwellenvergabeordnung nicht auf § 113 UWG berufen, sodass diese Verordnung jedenfalls in ihrer Vorgabewirkung für Länder (und Kommunen) grundsätzlich in Frage steht.

Theater und Orchester nach der Wende: Gratwanderung zwischen Reformerwartungen, Übergangsfinanzierung und Realitätssinn

Mehr als 25 Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen, viel Zeit, in der die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft zusammenwachsen konnte. Leicht war das alles nicht und ohne Blessuren ist es auch nicht vonstatten gegangen. Der Artikel, der 2016 im kulturpolitischen Jahrbuch der Kulturpolitischen Gesellschaft erschienen ist, wirft ein Licht auf diese schwierige Zeit und analysiert die kulturpolitische Entwicklung der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte.

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16. Juni 1990. Hauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins in Duisburg. August Everding, der wortgewaltige damalige Generalintendant der Bayerischen Staatstheater und Präsident des Bühnenvereins tut das, was er am liebsten tut: Eine Rede halten. Darin hieß es:

„Wer beginnt in diesen Tagen seine Rede nicht mit dem Hinweis auf die großen Zeiten, in denen wir gerade leben. Auch der Deutsche Bühnenverein ist am Geschehen nicht vorbeigegangen. Wir haben mit den Kollegen der DDR in Berlin diskutiert. Viele Landesverbände haben Solidaritätsaktivitäten gestartet und viele einzelne Theater haben im Austausch mit den Kollegen kooperiert. In der DDR ist der Bühnenbund gegründet worden… Dann wird sich bald die Frage stellen, ob es nicht nur einen Verein geben soll. Meine Damen und Herren, diese Frage haben nicht wir zuerst gestellt, aber wir müssen uns auf eine Antwort vorbereiten. Die DDR hat 16 Millionen Einwohner, 69 Theater, darunter Kinder- und Puppentheater…. Wir (die alte Bundesrepublik, der Verf.) haben 63 Millionen Einwohner (und) 150 Theater…. Der Vergleich ist nicht ganz statthaft, aber doch interessant… Es kommen schwere Zeiten auf unsere Kollegen zu…“

Everding war in dieser Hauptversammlung nicht der einzige Redner. Auch Gabriele Muschter, von Mai bis Oktober 1990 Staatssekretärin im Kulturministerium der DDR, kam zu Wort. Sie spricht „über die Sorgen und Nöte, die fast alle Theater in der DDR jetzt haben,“ und führt weiter aus: „Gründe, Theater zu schließen, sehen wir nicht, denn gerade sie waren durch die Geschichte hindurch geistige Zentren im Leben der Kommunen. Im Gegenteil, ich denke, es ist zu überlegen, ob es nicht auch wichtig ist, die eigenartigen kulturellen Strukturen, die mit einem Stück leidvoller DDR-Geschichte zu tun haben, in den Einigungsprozess einzubringen.“ Und doch geht es in ihrer Ansprache dann um „Verwaltungsapparat verkleinern“, „personelle Veränderungen“, darum, dass sich „Ensembles freimachen müssen von unnötigem Verwaltungsballast und unfähigen Leitungen“, und dass „Künstler künftig über andere Wege und Formen zu ihrer Arbeit kommen müssen.“

Das beschrieb ohne Umschweife die Ausgangslage für das Zusammenwachsen der deutschen Theaterlandschaft. Dennoch sprach man im Juni 1990 nur von einer Zusammenarbeit zwischen dem Bühnenbund, der unmittelbar nach 1989 auf dem Territorium der früheren DDR gegründet worden war, und dem schon bereits nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland wieder ins Leben gerufenen Deutschen Bühnenverein. Von Vereinigung beider Organisationen war zunächst nicht die Rede. Schließlich war es aber dann am 21. Oktober 1990 doch soweit: Bühnenverein und Bühnenbund taten sich zum Deutschen Bühnenverein zusammen und machten die Gestaltung der zukünftigen Theaterlandschaft in Deutschland zu ihrer gemeinsamen Aufgabe. Und der Orchesterlandschaft! Denn der Deutsche Bühnenverein war schon immer auch der Verband der Orchesterunternehmen, dem bis heute an die 100 große Klangkörper angehören.

Aufbruch und Reformerwartungen

Was das für die Theater in der früheren DDR hieß, hatte Arnold Petersen, damals Intendant des Nationaltheaters Mannheim, in einem Interview mit „Theater heute“ bereits im September 1990 formuliert. Zwar sprach er von einem Neuaufbau, von neuen Strukturen und warnte davor, dass die dortigen Theater, damit meinte er die in der DDR, „jetzt einfach so an die westdeutschen Verhältnisse anknüpfen.“ Es gebe ja nicht einmal Rechtsträger, also Länder und Gemeinden, die sich für die Theater und Orchester verantwortlich fühlten. In Stralsund und Weimar habe man ihm erzählt, spätestens im November seien die dortigen Theaterbetriebe pleite. Und dann stellte er die Frage, ob man den bisher in der DDR für die Mitarbeiter der Theater geltenden Rahmenkollektivvertrag nicht zumindest insoweit auf die Theater und Orchester in den alten Bundesländern übertragen könne, als in Zukunft für alle Theatermitarbeiter ein einheitlicher Tarifvertrag gelten solle. Er spielte damit auf die Kritik der Theaterintendanten im Westen an, sieben unterschiedliche Tarifverträge in einem Drei-Sparten-Theater anwenden zu müssen. Fraglich erschien ihm an einem solchen dem Rahmenkollektivvertrag entsprechenden einheitlichen Tarifvertrag nur, dass auch die künstlerischen Mitarbeiter der Theater in der früheren DDR unbefristete Arbeitsverträge hatten, was jeden aus künstlerischen Gründen notwendigen Austausch des künstlerischen Personals letztlich nicht zuließ.

Auch die Dramaturgische Gesellschaft äußerte sich im Februar 1991 zur deutschen Theatersituation. Sie sprach von „Angst und Verunsicherung“, die sich in den Theatern der früheren DDR breitmachten. „Kleinmütigkeit, Buchhalterei und Defensiv-Verhalten müssen abgebaut werden. Die gegenwärtige Debatte ist gekennzeichnet durch Schließungs-Fantasien,“ hieß es in ihrer Stellungnahme. Und auch hier wurden Reformillusionen geschürt, indem man feststellte: „Die derzeitige Umbruchsituation ist die einmalige Chance, die Organisation der Theaterarbeit umzustrukturieren, das Tarifsystem des westdeutschen Theaters nicht nur nach Plan zu übertragen, sondern die Kombination der progressiven Elemente beider Arbeitssysteme zu wagen und daraus etwas Neues entstehen zu lassen, das den besonderen Bedingungen der Produktion und Präsentation von Theater Rechnung trägt.“

Die Rolle der Übergangsfinanzierung des Bundes

Die finanziellen Probleme, vor denen sowohl Petersen als auch Muschter warnten, wurden aufgefangen durch die ab 1991 gewährte Übergangsfinanzierung des Bundes für die Kultur in den dann entstehenden neuen Ländern. Mit 900 Millionen DM im Jahr startete man in diese Übergangsfinanzierung, um sie dann im Laufe der nachfolgenden Jahre langsam zu reduzieren und schließlich auslaufen zu lassen. Da die Theater und Orchester zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil von dieser Übergangsfinanzierung profitierten, hatte diese praktisch zur Folge, dass viele der Strukturen in den neuen Ländern erhalten bleiben konnten. Ja, zuweilen sahen sich einzelne Rechtsträger in den neuen Ländern dazu berufen, diese Strukturen noch zu verfestigen, etwa dadurch, dass manchem Orchester eine relativ hohe Vergütung zugesagt wurde. Warnungen, das werde man sich in Zukunft, spätestens nach Auslaufen der Übergangsfinanzierung des Bundes, nicht leisten können, wurden gerne in den Wind geschlagen.

So merkwürdig es klingt: Die Übergangsfinanzierung des Bundes für die Kultur in den Neuen Ländern hat also nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sämtliche oben dargestellten Erwartungen, die Vereinigung der deutschen Theater-und Orchesterlandschaft zu einer Systemreform zu nutzen, zunächst unerfüllt blieben. Zwar mag dies auch daran gelegen haben, das bis heute niemand in der Lage ist, zum Ensemble-und Repertoirebetrieb, wie er sowohl in der alten Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR bereits das typische Stadttheater auszeichnete, eine ernsthafte Alternative zu entwickeln, zumindest keine ernsthafte Alternative, die sowohl den künstlerischen Ansprüchen der Theater und Orchester einerseits als auch den Bedürfnissen nach sozialer Absicherung von Mitarbeitern andererseits in ausreichendem Maße gerecht wird. Schon deshalb entwickelte seinerzeit die Bereitschaft, die juristischen Rahmenbedingungen, die für die Theater und Orchester in der alten Bundesrepublik Deutschland galten, auf die neuen Länder zu übertragen, eine zunehmende Dynamik. Entscheidend aber war: Die Übergangsfinanzierung des Bundes erlaubte es, diese juristischen Rahmenbedingungen zu finanzieren.

Zudem nahm nach der dann tatsächlich vollzogenen Wiedervereinigung und der Übertragung des westlichen Rechtssystems auf die neuen Länder die Erwartung zu, auch spezifische tarifliche Regelungen, die auf der Grundlage dieses Rechtssystems entstanden waren, in die dortigen Theater und Orchester zu übernehmen. Und es kam zu einem regen Austausch von künstlerischen Beschäftigten zwischen Ost und West bzw. West und Ost, was zur Folge hatte, dass sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite die Notwendigkeit gesehen wurde, zu gleichlautenden tariflichen Regelungen in der ganzen Bundesrepublik Deutschland zu gelangen.

Die Übernahme der Theater-Tarifverträge in die neuen Länder

Bereits im Laufe des Jahres 1990 begannen also die Verhandlungen zwischen dem Bühnenverein und der Musikergewerkschaft, der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) mit dem Ziel, den Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK) auf die Theater – und Orchesterbetriebe der neuen Bundesländer zu übertragen. Parallel dazu fanden Verhandlungen zwischen Bühnenverein und Künstlergewerkschaften statt, nämlich der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) und der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO). Diese Verhandlungen bezogen sich auf die tariflichen Regelungen des künstlerischen Personals. Schon wenige Monate später, also bereits 1991, wurde eine Einigung erzielt, der entsprechend sämtliche tariflichen Theater- und Orchester-Regelungen – mit Ausnahme der Vergütungen, die erst im Laufe der Jahre eine Angleichung erfuhren – auf das damals sogenannte Beitrittsgebiet übertragen wurden. Für die Theater war dies insoweit von großem Vorteil, als die für das künstlerische Personal geltenden tariflichen Regelungen im Sinne der künstlerischen Freiheit außerordentlich flexibel sind. Keine feste Arbeitszeitregelung sowie in weiten Teilen ein befristeter Arbeitsvertrag als Regelvertrag und für Solisten nur eine Mindestgage, also kein Gagengefüge, sind hier als wesentliche Regelungs-Materie zu nennen.

In den Verhandlungen gab es dennoch zwei Aspekte, die deutlich werden lassen, wie zwiespältig diese Übertragung durchaus war.

In dem für die Musiker geltenden TVK existierte schon damals ein § 51, heute § 53 TVK. Diese Vorschrift enthält einen kostenintensiven Sozialplan für den Fall der Verkleinerung oder Auflösung eines Orchesters. Umstritten war es, inwieweit diese Vorschrift auch für die Orchester in den neuen Ländern gelten sollte. Denn schließlich wussten alle, dass die vereinigte Republik von der DDR umfangreiche Orchesterstrukturen geerbt hatte, die, wie oben bereits erwähnt, durch die Übergangsfinanzierung des Bundes teilweise auch noch arbeitnehmerfreundlich aufgebessert worden waren. Zwar konnte man sich schließlich darauf verständigen, dass besagter § 51 TVK in einer Übergangszeit nicht für die Orchester in den neuen Ländern gelten sollte. Jedoch gelang es in dieser Übergangszeit nicht, die Orchesterstrukturen derartig zurückzuführen, dass sie sich heute auf einem problemlos finanzierbaren Niveau befänden. Bemerkenswert aber war, dass sich damals auf Arbeitgeberseite die Haltung breit machte, man möge doch § 51 TVK ruhig für die Orchester der neuen Bundesländer gelten lassen, weil die Sozialplanregelung der genannten Vorschrift den Rechtsträgern ihre Neigung, Orchester zu verkleinern oder gar aufzulösen, zu teuer werden lasse. So diene die Sozialplanregelung praktisch dem Erhalt der Orchester in den neuen Ländern, eine Rechnung, die bis zum gewissen Grad durchaus aufgegangen ist.

Ähnlich verhielt es sich mit der so genannten 15-Jahre-Regelung in den für das künstlerische Personal der Theater geltenden und auf die neuen Länder übertragenen Künstlertarifverträgen. Diese Regelung legt fest, dass nach einer 15 Jahre andauernden Beschäftigung der bestehende Arbeitsvertrag nichts mehr beendet werden kann, enthält also einen Beendigungsschutz (der im Übrigen heute unter bestimmten Voraussetzungen erst nach 19 Jahren greift). Nach einer Beschäftigung von dieser Dauer kann also nur noch eine inhaltliche Veränderung des Arbeitsvertrages – sei es hinsichtlich der Tätigkeit, sei es hinsichtlich der Vergütung – arbeitgeberseits herbeigeführt werden. Für die im künstlerischen Bereich der Theater beschäftigten Mitarbeiter bedeutete eine Übertragung der Vorschrift auf die Theater der neuen Länder, dass alle Schauspieler, Sänger, Tänzer und andere Bühnenkünstler, die in einem DDR-Theater bereits 15 Jahre beschäftigt waren, nicht mehr entlassen werden konnten. Gerade mit Rücksicht auf eine durchaus überhöhte Besetzung der Ensembles der DDR-Theater war dies außerordentlich bedenklich. Interessanterweise sprachen sich aber auch hier viele Arbeitgeber aus den betroffenen Theatern für eine solche Übertragung aus, weil sie der Auffassung waren, ein Theater könne nicht mehr geschlossen werden, wenn es über eine hohe Anzahl von nicht mehr aufzulösende Arbeitsverträgen mit künstlerischen Mitarbeitern verfüge. Und so kam es dann zu der Übertragung der so genannten 15-Jahre-Regelung auf die Theater der neuen Länder, was natürlich später die Betriebe ebenfalls vor erhebliche Finanzierungschwierigkeiten stellen sollte.

Die Finanzierungsschwierigkeiten nehmen zu – der Haustarifvertrag mit Gehaltsverzicht

Wie konnte man diese Finanzierungsschwierigkeiten nun bewältigen? Sehr schnell stellte sich heraus, dass zu den gegebenen tariflichen Regelungen viele, vor allem kleinere Theater oder Orchester in den neuen Ländern nicht zu betreiben waren. Die Sorge, aus der angespannten finanziellen Situation könnte sich doch die Schließung einzelner Einrichtungen ergeben, nahm erheblich zu, als der Berliner Senat 1993 das Schillertheater und mit ihm das Schlossparktheater im Westteil der Stadt schloss. Sie ließ bei den Gewerkschaften die Bereitschaft entstehen, für Theater und Orchester in den neuen Ländern haustarifvertraglich teilweise erhebliche Kürzungen der Vergütungen zu vereinbaren, um im Gegenzug betriebsbedingte Beendigungen von Arbeitsverhältnissen in diesen Haustarifverträgen auszuschließen. Am Anfang war man der Überzeugung, diese Haustarifverträge seien ein vorübergehender Zustand für einzelne Betriebe. Man nahm an, während der Laufzeit des Haustarifvertrages werde im jeweiligen Betrieb durch sogenannte natürliche Fluktuation (Ruhestand, Wechsel an ein anderes Theater) das Personal sozialverträglich abgebaut, so dass nach Auslaufen des Haustarifvertrags an alle wieder die flächentarifvertragliche Vergütung gezahlt werden könnte. Diese Annahme erwies sich aus zwei Gründen als trügerisch. Erstens stellte sich in vielen Fällen heraus, dass nicht jede freiwerdende Stelle unbesetzt bleiben konnte, wollte man den bisherigen Spielbetrieb aufrechterhalten. So kam es zwar zu einem Personalabbau, der aber keineswegs ausreichte, um nach Auslaufen des Haustarifvertrages die notwendige Vergütungsanpassung vorzunehmen. Zweitens hatte man nicht erkannt, dass an manchen Standorten dauerhaft ein Theater oder Orchester nicht zu den bisherigen flächentarifvertraglichen Bedingungen unterhalten werden konnte. Insoweit wurden die Haustarifverträge regelmäßig wieder verlängert, so dass bis heute der größte Teil der Theater- und Orchestermitarbeiter in den neuen Ländern einen Gehaltsverzicht leistet.

Die Fusion und dann doch: Die Reform

Parallel dazu wurden zwei weitere Entwicklungen eingeleitet. Man prüfte zum einen an manchen Standorten, ob es möglich sein könnte, Theater und/oder Orchester miteinander zu fusionieren. Zu solchen Fusionen kam es etwa in Altenburg/Gera, Greifswald/Stralsund, Halberstadt/Quedlinburg, Freiberg/Döbeln oder Plauen/Zwickau. Als dann Ende der neunzehnhundertneunziger Jahre im Freistaat Thüringen die Fusion des Nationaltheaters Weimar mit dem städtischen Theater Erfurt ins Gespräch kam, stellte sich schnell heraus, dass solchen Fusionsüberlegungen aus politischen Gründen Grenzen gesetzt waren. Vor allem das Nationaltheater Weimar konterte diese Überlegungen mit dem so genannten „Weimarer Modell“, das gerade mit Rücksicht auf die eingangs zitierten Reformbestrebungen viel öffentliche Aufmerksamkeit erreichte. Bei genauem Hinsehen entpuppte sich dieses Modell jedoch letztlich als ein Haustarifvertrag mit Gehaltsverzicht. Das hatte für die Theater und Orchester in den neuen Ländern weitreichende Bedeutung, weil damit die Haustarifverträge, die für einzelne Theater und Orchester in den neuen Ländern bisher meist hinter verschlossenen Türen abgeschlossen worden waren, ein hohes Maß an politischer Aufmerksamkeit erfuhren und hoffähig wurden. Auch dies hat dazu beigetragen, dass sich die Praxis, mit Haustarifverträgen die Vergütungen herunterzufahren, in den Theatern und Orchestern der neuen Länder verfestigte.

Die zweite Entwicklung lag in der dann doch eingeleiteten Reform der öffentlich getragenen Theater und Orchester. Sie ist insofern interessant, als mit dieser Reform dann schließlich doch an die oben geschilderten, nach der Wiedervereinigung geäußerten Reformerwartungen zumindest teilweise angeknüpft wurde. Zur Einleitung einer solchen Reform hatte der Bühnenverein Anfang der neunzehnhundertneunziger Jahre einige Papiere vorgelegt, die zusammengefasst zwei Vorschläge enthielten: Entbürokratisierung und Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Während die erste Maßnahme durch die Betriebe selbst herbeigeführt werden musste, etwa durch die Herauslösung von Theatern aus der städtischen oder staatlichen Verwaltung oder auch nur durch die Rationalisierung von – teilweise infolge von personalvertretungs- bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Vereinbarungen bestehenden – theater- und orchesterinternen Arbeitsabläufen, erwies sich die zweite Maßnahme als deutlich schwieriger. Trotz einiger vor allem vom Bühnenverein formulierter Vorschläge gesetzlicher Änderungen zeigte sich die Politik in dieser Frage äußerst zurückhaltend.

Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen der Theater und Orchester konnten also nur herbeigeführt werden durch eine mehr oder weniger massive Umgestaltung von tariflichen und vergleichbaren Regelungen. Dieser hochkomplizierte Prozess fand dann in der Zeit bis 2009 vor allem mit dem Ziel einer Flexibilisierung von Arbeits-und Produktionsbedingungen statt. So kam es 2002 zum Abschluss eines vollständig neuen Tarifvertrags für das künstlerische Personal, der insgesamt fünf zuvor geltende Tarifverträge zu einem Tarifvertrag, dem Normalvertrag Bühne (NV Bühne), zusammenfasste. Am 31. Oktober 2009 wurde dann ein ebenfalls reformierter Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK) abgeschlossen. Auch die zwischen dem Deutschen Bühnenverein und dem Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage abgeschlossene sogenannte Regelsammlung, in der die Konditionen für die Übertragung von Aufführungsrechten einschließlich der zu zahlenden Urhebervergütung festgelegt sind, wurde durch die Neufassung vom 1. August 2005 wesentlich verändert. Parallel dazu reformierte auch der öffentliche Dienst seine Tarifverträge, was insoweit für die öffentlich getragenen Theater von Bedeutung war, als dass das nichtkünstlerische Personal dieser Betriebe auf der Grundlage der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes beschäftigt wird. Sämtliche Maßnahmen ermöglichten es, im Laufe der gleichen Zeit die Anzahl der Arbeitsplätze in den öffentlich getragenen Theaterbetrieben (einschließlich ihrer Orchester) ganz Deutschlands von seinerzeit 45.000 Mitarbeitern auf heute etwa 39.000 zu reduzieren. Dabei blieb das künstlerische Angebot der genannten Institutionen zwar weitgehend erhalten. In vielen Theatern wurde aber erkennbar, dass die sich aus dem Personalabbau ergebenden Probleme zu veränderten Produktionsweisen führten, etwa durch einen deutlicher dem Stagione angelehnten Spielplan mit stärkerem Projektcharakter. Daraus ergab sich wiederum die Konsequenz, dass die Anzahl der unständig Beschäftigten der Theater und Orchester in der gesamten Bundesrepublik Anfang der neunzehnhundertneunziger Jahre ca. 8000 Verträgen auf heute etwa 25.000 Verträge zunahm.

Zu fragen ist nun, ob diejenigen, die unmittelbar nach der Wiedervereinigung eine Reform der öffentlich getragenen Theater und Orchester im Auge hatten, tatsächlich diese Veränderung wollten. Denn mittlerweile macht sich die Erkenntnis breit, dass das, was Reform sein sollte, tatsächlich nichts anderes war, als eine Verschlechterung von sozialen Bedingungen im Bereich der darstellenden Kunst. Und so ist es nicht verwunderlich, dass nun Gegenkräfte zu wirken beginnen. Sie liegen nicht nur in einem sich wieder verstärkenden gewerkschaftlichen Engagement, sondern auch in der Gründung verschiedener auf größere Gerechtigkeit bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen der Theater abzielende Initiativen. Ernste Bestrebungen, die Arbeitsbedingungen im Bereich der darstellenden Kunst wieder zu verbessern, sind auch bezogen auf Arbeitgeberseite nicht mehr zu übersehen, bedenkt man alleine, dass zu Beginn der laufenden Spielzeit 2015/16 die für Solisten, also etwa Schauspieler, geltende tarifliche Mindestgage von monatlich 1.650 € auf 1.765 € brutto heraufgesetzt wurde. Und verhandelt wird schon jetzt über eine weitere Steigerung.

Fazit

Am Ende lässt sich feststellen: Die Theater-und Orchesterlandschaft der Bundesrepublik Deutschland, mittlerweile auf der deutschen Liste des immateriellen Kulturerbes, konnte durch die schweren Zeiten finanzieller Zwänge der Wiedervereinigung nicht ernsthaft in Gefahr gebracht werden wenngleich nicht ganz ohne Blessuren, wie etwa auch der Schließung der Mitteldeutschen Landesbühne in Wittenberg oder des Kleisttheaters in Frankfurt/Oder. Veränderungen im Betrieb dieser Kulturinstitutionen sowie Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen trugen und tragen wesentlich dazu bei. Was bis heute in den neuen Ländern fehlt, ist eine parallel dazu sich aufbauende aus Privattheatern und freien Gruppen bestehende Theaterszene. Entscheidend ist jedoch, dass es die Theater und Orchester in Deutschland geschafft haben, sich so weiterzuentwickeln, dass künstlerisch ein vielfältiges Programm gewährleistet ist und dass im künstlerischen Schaffen ein Unterschied zwischen Theatern und Orchestern in West und Ost weitgehend nicht mehr besteht.

Wie geht es eigentlich Hamlet? Über Kulturpolitik und gesellschaftliche Verantwortung

Seit Monaten gibt es eine intensive Diskussion über die soziale Lage der Künstler. Initiativen wie „art but fair“ oder „Ensemble Netzwerk“ genießen höchste Aufmerksamkeit. Ihre Forderungen müssen in einem kulturpolitischen Zusammenhang gesehen werden. Der Artikel wurde im Mai 2017 in leicht veränderter Fassung im Diskussionsforum „kreuz und quer“ veröffentlicht.

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„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit,“ hat Karl Valentin einmal gesagt. Dieser Satz wird gern zitiert, leider jedoch ohne sich über seine Schattenseite allzu viele Gedanken zu machen. Die Lust an der sinnlichen Wahrnehmung steht für uns, die sich mit Kunst befassen und auseinandersetzen, im Vordergrund. Und wenn wir uns doch einmal interessieren für den Menschen hinter dem Kunstwerk, dann sehen wir am liebsten den Bonvivant, den Lebenskünstler wie Picasso, oder dass eher verrückte Genie wie Salvatore Dali. Allenfalls das abgeschnittene Ohr eines van Gogh gibt uns zu denken. Dass am ehesten die Assoziation des arme Poeten à la Spitzweg nahe läge, wird gerne verdrängt, im Zweifelsfall noch romantisch verklärt. In der täglichen kulturpolitischen Rezeption des künstlerischen Schaffens trifft man sogar auf die wohl mehr als gewagte These, erst ein armer Künstler sei ein guter Künstler.

Nun mag man sagen, der Maler, der Bildhauer und der Schriftsteller hätten es ja noch leicht. Schließlich arbeiten sie alleine, brauchen nur ihr Material oder den die klassische Schreibmaschine heute ersetzenden Computer. Ganz so einfach ist es nicht. Nicht nur, dass auch dies Geld kostet. Es geht zudem um Platz für Ateliers, um Ausstellungs- und Ankaufetats von Museen, um Künstlerförderung im weitesten Sinne. Und schon wird deutlich, dass Kulturpolitik, gleichgültig ob die es Bundes, der Länder oder der Kommunen, eben doch ganz oft die mal mehr, mal weniger gescheite Verteilung von öffentlichen Mitteln bedeutet. Erst recht gilt das, wenn wir uns vom künstlerischen Schaffen im Sinne eines Schöpfungsaktes des Einzelnen hinwenden zur überwiegend im Kollektiv entstehenden darstellenden Kunst einschließlich der Musik. Man könnte es auch so sagen: Weder hat Wagner beim Komponieren des „Lohengrin“ noch Mussorgskij bei seinem „Boris Godunow“ darüber nachgedacht, was die Aufführung einer großen Choroper im 21. Jahrhundert kostet, und es ist hinzuzufügen, Gott sei Dank haben sie das nicht. Selbst Shakespeares „Sommernachtstraum“ fordert die Besetzung von fast 20 Rollen und eine halbwegs gut ausgestattete Tanzkompanie verfügt über Tänzer in gleicher Anzahl.

In den letzten 20 Jahren bekam man zuweilen den Eindruck, dass Kulturpolitik weniger in der Verteilung, denn in der Kürzung von öffentlichen Mitteln für die Kunst bestand. Schon lange müssen sich viele städtische und staatliche Museen ihren Ankaufsetat auf dem Markt der privaten Geldgeber selbst besorgen oder eine auf den ersten Blick großzügige Schenkung einer privaten Sammlung akzeptieren, an deren Gestaltung sie keinen Anteil hatten. Künstler erhalten kaum noch eine Ausstellungsvergütung, obwohl das Ausstellungsrecht ein Urheberrecht ist, für dessen Verwertung das maßgebende Urheberechtsgesetz einen unabdingbaren Anspruch auf angemessene Vergütung vorsieht. Und wie geht es eigentlich Hamlet? Nun, wenn der ihn darstellende Schauspieler an einem der vielen kleinen Stadttheater tätig ist, dann verdient er etwa 2.000 Euro im Monat, brutto versteht sich, und Hamlet ist eine seiner sechs Rollen, mit denen er zurzeit auf der Bühne steht, zusätzliche Proben natürlich ausgenommen. Dass er Künstler ist, ja sogar ein Freiheitsrecht für sich in Anspruch nehmen darf, ist ehrenvoll und stärkt sein Selbstbewusstsein, nützt aber wenig.

An dieser Stelle begegnet der kulturpolitisch aktive Zeitgenosse dann dem unausweichlichen Einwand, der öffentlichen Hand fehle es an Geld, Kultur sei außerdem eine freiwillige Aufgabe. Man kann diesem Einwand bereits begegnen mit in ihm selbst liegenden Gegenargumenten: Wofür wird nicht alles viel Geld ausgegeben und wieso kann man bei den Pflichtaufgaben nicht sparen? Schließlich fließt nur etwa ein Prozent der öffentlichen Ausgaben in Kunst und Kultur. Entscheidend sind aber wohl die gesellschaftspolitischen Fragen, die sich stellen, etwa was die Zukunft der Stadt ist. … Begriffe wie Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt , Kreativität, Erhalt des kulturellen Erbes, Gestaltung des öffentlichen Raums und Inklusion stehen im Mittelpunkt des Diskurses. Wann war das alles je wichtiger als heute in den Zeiten eines unerträglichen Rechtspopulismus? Es geht darum, die Diskursfähigkeit der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, ja auch ihre Demokratiefähigkeit. Es geht darum, der Isolation des Einzelnen entgegenzuwirken, ihn in den öffentlichen Raum zurückzuholen. Und es geht darum, die Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenzuführen. Dass das alles Aufgabe der öffentlichen Kultureinrichtungen ist, das haben diese schon lange verstanden, wenngleich das nicht bedeuten kann, dass sie ihre ureigenste Aufgabe, die der Kunstvermittlung, aus den Augen verlieren dürfen. Jedenfalls aber verlassen sie ihren zentralen Raum und öffnen sich in die Stadt, gestalten künstlerisch-soziale, auch pädagogische Projekte, veranstalten Bürgertheater. Das alles zu fördern und zu pflegen ist Kulturpolitik in gesellschaftlicher Verantwortung

Doch Kulturpolitik in gesellschaftlicher Verantwortung heißt auch, der schon gestellten Frage nach den sozialen Rahmenbedingungen für die Kunst nachzugehen. Bei den Kürzungen öffentlicher Zuwendungen etwa für ein Stadttheater gerät gerne aus dem Blick, dass jede dieser Kürzungen auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen wird. Weniger Geld für ein Theater heißt für die dort beschäftigten Schauspieler, Sänger, Tänzer und anderen künstlerisch Beschäftigten weniger Arbeitsplätze, mehr arbeiten und weniger verdienen. Das ist anderswo zwar nicht anders, aber, soweit es um öffentliche Einrichtungen, also den Staat im weitesten Sinne geht, auf einem bei weitem höheren und stabileren Gehaltsniveau, zumindest aber meist mit unbefristeten Arbeitsverhältnissen, über die kein darstellender Bühnenkünstler verfügt. Denn er oder sie werden wegen der Freiheit der Kunst ausschließlich befristet beschäftigt. Gerade das sollte Stadt und Staat veranlassen, sie vor allzu großen finanziellen Einbußen zu schützen.

Die Frage ist, was hilft? Nun, zunächst die ausreichende Finanzausstattung vor allem für die Kommunen, die den größten Anteil der öffentlichen Kulturförderung tragen. Sie brauchen ausreichende finanzielle Mittel, um ihre soziale und kulturelle Infrastruktur zu finanzieren, auch im Bereich der freiwilligen Aufgaben. Denn die Stadt lebt nicht allein von ihrem gut funktionierenden Einwohnermeldeamt, sondern insbesondere von den Dingen, die ihre Lebensqualität ausmachen. Das sind Kultureinrichtungen, Sportanlagen, Freizeitangebote jeder Art, aber auch gute und gut ausgestattete Schulen und Kindergärten. Dafür brauchen wir in der Politik eine neue Debatte über die Prioritäten politischen Handelns. „Zuletzt: Kultur“, wie einmal unter Anspielung auf die Tagesordnung von Berliner Kabinettssitzungen das Buch eines früheren dortigen Kultursenators hieß, ist die falsche Priorität. Ebenso wenig nutzt es etwas, wenn politische Parteien auf Bundesebene die Bedeutung von Kultur und Bildung hervorheben, um dann auf Landesebene oder in der Kommune scharfe Sparbeschlüsse für diese Bereiche zu fassen. Nein, wollen wir unsere Position in der Welt behaupten, bedarf es der Investition in das Denken, in die Phantasie und die Kreativität. Deutschland ist heute ein rohstoffarmes Land, es hat vor allem eine Ressource, das ist der Kopf der Menschen. In ihn zu investieren lohnt sich. In jeder Hinsicht.