Es gibt das berühmte Zitat, das vom früheren französischen Kulturminister Jaques Lang stammen soll, aber gerne dem Architekten der Europäischen Union, Jean Monnet, zugerechnet wird. „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen“ (statt mit der Wirtschaft versteht sich), soll dieser über die Gründung der EU gesagt haben. Zuweilen ist es egal, wer etwas sagt, die Hauptsache ist, was gesagt wird. Denn dass an dem vorliegenden Satz etwas Richtiges ist, etwas dran ist, wie es gerne heißt, das steht außer Zweifel. Und eigentlich, so möchte man hinzufügen, hat doch das vereinigte Europa sogar mit der Kultur begonnen.
1973 trat Großbritannien der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der EWG und Vorgängerin der EU, bei. Vorausgegangen waren Jahre, in denen englische Popgruppen wie die Beatles und die Rolling Stones die Herzen der jungen Menschen in Europa eroberten. Swinging London und die King´s Road waren der Inbegriff für die neue individuelle Freiheit. Dieser kulturelle Aufbruch in eine neue Zeit prägte die Generation, die in den folgenden Jahrzehnten wesentlich am Aufbau der Europäischen Union beteiligt war. Es war eine Generation, die erstmalig im großen Stil durch Europa reiste, per Anhalter, mit dem in weiten Teilen Europas geltenden Interrail-Ticket, mit Bus und Fahrrad oder zuweilen zu viert im Campingwagen, und dabei die europäische Kultur für sich entdeckte.
Und nun der Brexit. Ein Schlag für alle die, die ihr Herz an Europa verloren haben. Die sich mindestens so sehr als Europäer wie zugleich als Deutsche, Engländer oder Franzosen fühlen. Die versuchten, dieses Gefühl weiterzugeben, als die EU sich nach Osten öffnete. Das gelang. Ich werde beispielsweise bei meinen Tschechischen Theater-Kollegen nie die Freude vergessen, die sie empfanden, als ihr Land der EU beitrat.Wie geht es weiter, ist jetzt die große Frage. Alle reden von einem Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien. Erneut also am Anfang der neuen Beziehung die Wirtschaft, stellen wir erstaunt fest. Schon tauchen wieder in den Köpfen der Kulturleute die Fragezeichen auf, ob das eine Lösung für Kunst und Kultur sein kann. Erinnerungen an das zwischen den USA und der EU geplante, später an Trump gescheiterte Handelsabkommen TTIP machen die Runde. Natürlich dürfen solche Handelsabkommen nicht die nationale Kulturfinanzierung infrage stellen. Doch ein Handelsabkommen mit Großbritannien ist wirtschaftlich wichtig. Hinzu kommt: Wer Handel miteinander treibt, sucht auch die Verständigung, und das ist gut so. Nimmt man aber die damals gegen TTIP aus Kulturkreisen geäußerten Bedenken ernst, dann muss das heißen: Nur ein Handelsabkommen reicht nicht. Wir brauchen jedenfalls ein Kulturabkommen, das den freien Austausch von Kunst und Kultur zwischen Europa und Großbritannien sichert. Das dem künstlerischen Austausch neue Schranken bestehend aus Mehrwertsteuer-, Zoll-, Aufenthalts- und internationalen Sozialversicherungsprobleme erspart. Künstler müssen problemlos jenseits der Grenze zwischen der EU und der britischen Insel wechselseitig auftreten können. Museen müssen in der Lage sein, ihre Kunstsammlungen auszutauschen. Theater brauchen die Möglichkeit der Kooperation. Eine Einladung etwa der Münchener Kammerspiele zum Festival in Edinburgh darf nicht zu einem bürokratischen Abenteuer werden. Und als Engländer in Deutschland (oder umgekehrt) künstlerisch arbeiten möchte, muss dies ebenso dauerhaft tun können wie früher. Es darf keine umständlichen, bürokratischen Aufenthaltsverfahren geben, die einem solchen gemeinsamen, künstlerischen Schaffen im Wege stehen. Denn es ist die Kunst, die die Grenzen sprengt, hoffentlich auch die, die nun zwischen der EU und unseren Kollegen in England, Schottland und Nordirland leider geben wird. Wir waren in Europa schon einmal weiter.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.