Der virtuelle Schauspieler

Am 30. September 2019 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über Fotografien von Menschen, die gar nicht existieren. Die neben dem Artikel abgelichteten Gesichter waren digital hergestellt. Bald seien auch bewegte Bilder von nicht existierenden Menschen verfügbar, so die SZ. Dann aber sei der Beruf des Schauspielers endgültig gefährdet, befürchtet sie, wohl zu Recht, zumindest was den Film betrifft. Denn wenige Tage später erschien in derselben Zeitung ein Interview mit dem Filmregisseur Ang Lee über seinen neusten Film „Gemini Man“, in dem erstmalig ein virtueller Schauspieler mitspielt, der von einem echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist. Was bedeutet das für die Theater, in denen auch in Zukunft sicher leibhaftige Schauspieler auftreten werden, was aber vor allem für die in Film und Fernsehen tätigen Schauspieler?

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Wer die genannten Texte genau liest, wird feststellen, dass sie eines gemeinsam haben: In beiden Fällen sind die virtuellen Personen nicht entstanden, ohne auf lebende Menschen zurückzugreifen. Die Fotos sind generiert aus 29.000 Porträts von 69 natürlichen Personen, deren Gesichter dann zu neuen virtuellen Porträts zusammengefügt wurden. Und der virtuelle Schauspieler in „Gemini Man“ ist eine jüngere Ausgabe des in dem Film ebenfalls mitspielenden Schauspielers Will Smith. Man griff also auf altes Filmmaterial mit dem jüngeren Will Smith zurück, um die digitale Person neu zu kreieren und in „Gemini Man“ mitspielen zu lassen. Ang Lee sagt, noch könne man auf die körperliche Performance, also Körper- Gesichts- und Augenbewegungen von echten Menschen, nicht verzichten, um eine digitale Kreatur entstehen zu lassen, ergänzt aber: „Noch nicht“. Da werde sich eine neue Welt eröffnen, auch für Regisseure.

Wer hat Rechte?

Solange das Einspielen von menschlicher Gestik erforderlich ist, um einen virtuellen Schauspieler zu kreieren, stellen sich dem, der die Gesten zur Verfügung stellt, einige juristische Fragen: Ist er noch ein darstellender Künstler, der an dem Film mitwirkt und deshalb eigene Rechte an diesem Filmwerk hat? Muss man ihn als Mitwirkenden also im Abspann des Films nennen? Kann er sich dagegen wehren, wenn aus seiner Gestik eine Person entsteht, die absolut seinen Vorstellungen nicht entspricht? Oder mit dieser Person eine Geschichte erzählt wird, mit der er sich keineswegs identifizieren kann? Wie sind diese Fragen zu beurteilen, wenn die virtuelle Person, wie bei „Gemini Man“ aus früheren Filmaufnahmen eines Schauspielers entwickelt wird?

Eines lässt sich sicher sagen: Wer seine Gestik als Darsteller bereitstellt, um daraus einen virtuellen Schauspieler für einen Film zu entwickeln, sollte mit dem Filmproduzenten einen Vertrag abschließen und in diesem Vertrag die oben aufgeworfenen Fragen genau regeln. Und will der Filmproduzent auf alte Filmaufnahmen eines Darstellers oder mehrere Schauspieler zurückgreifen, um daraus einen neuen Film zu produzieren, dann geht das nur mit Zustimmung der jeweiligen Schauspieler. Dabei ist es auch unerheblich, ob das bestehende Leistungsschutzrecht des Schauspielers noch besteht oder nicht. Ist die Schutzfrist noch nicht abgelaufen, gibt es an der Zustimmungspflicht ohnehin keine Zweifel. Aber auch im anderen Fall kommt der Produzent an der Zustimmung nicht vorbei. Das gebietet bereits das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Gelangt man irgendwann dahin, dass der virtuelle Schauspieler entwickelt werden kann, ohne sich die Gesten einer natürlichen Person zu Nutze zu machen, fehlt es an einer natürlichen Person, die die Rechte eines Schauspielers für sich in Anspruch nehmen könnte. Dann aber ergibt sich die Frage, ob derjenige, der den virtuellen Schauspieler am Computer entwickelt hat, daran ein echtes Urheberrecht hat. Man wird das eindeutig bejahen müssen, im Übrigen auch für den Fall des oben beschriebenen Rückgriffs auf die Gestik einer natürlichen Person.

Das Publikum

Das alles führt also zu einer fundamentalen Änderung der Rechtesituation beim Film (wie beim Fernsehen). Es führt aber auch dazu, dass sich im Umgang mit dem Publikum ganz neue Fragen stellen. Muss etwa das Publikum darüber unterrichtet werden, dass es sich bei dem an einem Film mitwirkenden Schauspieler nicht um eine natürliche Person handelt? Gibt es also demnächst Filme mit echten oder unechten Schauspielern? Was bedeutet das für das Publikum? Was für die Werbung für einen Film? Kein Starkult mehr! Kein zuweilen auch langweiliger Auftritt eines Schauspielers mehr in Talkshows! Keine Autogramme mehr? Was wird aus dem Oscar? Und verlieben kann man sich in einen Schauspieler oder eine Schauspielerin auch nicht mehr. Filmproduzenten werden vielleicht dennoch aufatmen, müssen sie doch nicht mehr hohe Gagen mit hartnäckigen Agenten verhandeln, nicht mehr entscheiden, ob ein Schauspieler als Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig oder als selbstständig Tätiger nur bei den Abgaben an die Künstlersozialkasse zu berücksichtigen ist.

Und das Theater?

Schön, dass es das gute, alte Theater gibt. Da geht es nun einmal nicht ohne leibhaftige Schauspieler. Nicht ohne direkte menschliche Begegnung zwischen Publikum und denen, die auf der Bühne stehen. Zwar hat auch hier die digitale Welt schon Einzug gehalten und dem Theater neue Möglichkeiten eröffnet, wie der Dramaturg Carl Hegemann in einem Beitrag für die Internetseite SocietyByte (societybyte.swiss) anschaulich beschrieben hat. Er spricht sich in diesem Beitrag auch dafür aus, mehr Theaterproduktionen aufzuzeichnen, um sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen (siehe dazu auch den Bericht auf stadtpunkt-kultur.de über die Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht). Aber selbst im Falle solcher Aufzeichnungen wird klar sein, dass die Mitwirkenden tatsächlich auf der Bühne gestanden haben. Das bleibt auch weiterhin das Stück Authentizität, das Theater ausmacht. Sie müssen wir weiterhin als Chance begreifen, gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung der Welt.

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