Es soll hier und heute um die grundsätzliche Frage gehen, welche Chancen sich für die Kultureinrichtungen aus der neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie ergeben. Dabei gilt mein Blick, wie im Programm dieser Konferenz angekündigt, den darstellenden Künsten, also vor allem den Theatern hierzulande. Und auf diese Einrichtungen schauen heißt drei Beteiligte im Auge zu haben: Erstens die Urheber sowie die leistungsschutzberechtigten ausübenden Künstler, ohne die in all diesen Einrichtungen schlicht und ergreifend gar nichts stattfinden würde. Zweitens die Institutionen selbst, also im weitesten Sinne die Veranstalter. Und drittens das Publikum, das sich für alle die Darbietungen dieser Veranstalter erfreulicherweise nach wie vor interessiert. Ich erwähne diese unterschiedlichen Beteiligten so ausdrücklich, weil ich oft feststelle, dass die urheberrechtliche Debatte, auch die über die neue Richtlinie, fast ideologisch, von den unterschiedlichen Beteiligten gerne aus nur einer Sicht geführt wird, nämlich der eigenen. Das müssen wir dringend beenden. Wir Kulturschaffenden sitzen ohnehin alle in einem Boot.
Schauen wir uns also an, welche Interessen die genannten Beteiligten haben. Die Theater wollen vor allem Kunst veranstalten und, wenn es geht, damit Geld verdienen. Die ausübenden Künstler haben eigentlich das gleiche Interesse, was schon einmal keine schlechte Ausgangslage darstellt. Und das Publikum möchte möglichst viel geboten bekommen und ist bereit, dafür auch etwas zu bezahlen. Wo, mag man sich fragen, liegt denn eigentlich das urheberrechtliche Problem? Nun, was die Live-Veranstaltung angeht, ist es so gut wie nicht vorhanden, wenn man mal von so interessanten Fragen absieht, was der Regisseur oder die Regisseurin denn so alles mit dem urheberrechtlich geschützten Stück treiben darf. Aber darum geht es gerade einmal nicht.
Die eigentlichen Probleme beginnen erst mit der elektronischen Verwertung einer Theateraufführung. Sie beginnen also, wenn die Aufführungen durch Aufzeichnung auf Tonträger oder Bildtonträger vervielfältigt werden und wir uns die Frage stellen, was machen wir denn so mit dieser Aufzeichnung. Dabei darf eines nicht vergessen werden: Die Theateraufführung ist eine flüchtige Kunst. Ist die Aufführung zu Ende, existiert sie nur noch in den Köpfen der Beteiligten und der Zuschauer. Ist die Produktion abgespielt, dann ist sie für immer verschwunden oder, um mal einen kleinen Hinweis auf die Richtlinie zu riskieren, „vergriffen“. Will man sie als Kulturerbe dem Publikum erhalten, gibt es nur eine einzige Möglichkeit das zu tun: Man zeichnet sie auf Ton- oder Bildtonträger auf. Das genau hat die Richtlinie doch unter anderem im Auge. Einrichtungen des kulturellen Erbes sollen das kulturelle Erbe durch Vervielfältigung erhalten und dieses nutzen dürfen, ohne allzu weitgehende Rechtefragen lösen zu müssen. Und diese Rechtefragen sind bei der Vervielfältigung einer Aufführung wegen der zahlreichen an ihr Beteiligten gewaltig. Ich zähle nur einmal die Berechtigten einer Opernaufführung auf: Sänger, Tänzer und Choreografen, Orchester und Chor mit einer großen Anzahl von Mitgliedern, Bühnenbildner, Kostümbildner, Lightdesigner, der Regisseur und sein Dramaturg sowie last but not least Komponist und Librettist. Sie alle zwinge ich nur über die Einwilligung oder über den Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn einzelne ihre Zustimmung verweigern, in das gemeinsame Bett der Aufzeichnung auf Ton- oder Bildtonträger. Und das alles bei 30 und mehr Produktionen eines Theaters im Jahr. Insofern gibt es ein großes Interesse aller Beteiligten, nun angesichts der neuen Richtlinie endlich eine einfache Lösung zu finden, die den Veranstaltern und ihren Künstlern eine problemlose Möglichkeit der Aufzeichnung und dessen Nutzung eröffnet. Wege dazu habe ich in meiner Stellungnahme gegenüber dem BMJV aufgezeigt. Dazu erlauben Sie mir hier nur einen kurzen Hinweis: Diese Wege wären deutlich leichter zu finden, wenn auch der Gesetzgeber des Urheberrechts nicht nur die Museen, sondern auch die Theater und Orchester als Einrichtungen des Kulturerbes verstehen würde.
Die zweite sich angesichts der vorliegenden EU-Richtlinie stellende Frage ist die Frage nach der Nutzung der dann existierenden Aufzeichnung. Auch daran haben sowohl die Künstler – etwa zu eigenen Werbezwecken – als auch die Veranstalter ein großes Interesse. Ich will Ihnen die verschiedenen im Theater bestehenden Zwänge, die eine Aufzeichnung erfordern, jetzt gar nicht im Detail aufzählen, sondern Sie lediglich bitten, sich nur einmal kurz vorzustellen, was es im Sinne unseres Kulturerbes bedeuten würde, wenn wir heute eine Aufzeichnung der maßgebenden zu Goethes 80. Geburtstag auch in Weimar 1829 stattfinden Aufführung seiner Faust-Tragödie zur Verfügung hätten. Vielleicht wären wir geschockt über soviel Langeweile statt spannendem Regietheater. Oder ich frage Sie umgekehrt, was es bedeuten würde, wenn wir von der so umstrittenen Aufführung des Brecht-Stückes „Baal“ in der Inszenierung von Frank Castorf, die wegen einer urheberrechtlichen Streitigkeit nach wenigen Aufführungen abgesetzt wurde, keine Aufzeichnung haben sollten. Niemand könnte sich mehr auch nur mit der urheberrechtlichen Problematik dieser Produktion befassen, weil man sie nicht mehr anschauen könnte, von der Bewertung ihrer kulturellen Bedeutung einmal ganz zu schweigen.
Es gibt also ein großes kulturelles Interesse an einer Aufzeichnung und ihrer Nutzung, einschließlich der Nutzung der bereits in den Theaterarchiven schlummernden Theater-Aufzeichnungen. Dabei geht es vor allem um ihre öffentliche Zugänglichmachung im Netz oder auch nur das Streaming, beides zu kulturellen und der Allgemeinbildung dienenden, also zu nicht kommerziellen Zwecken. Das geschieht ausschnittweise oder durch Wiedergabe der vollen Aufführung beispielsweise auf der Internetseite des Theaters, um dem Publikum, mit dessen Steuermittel die Theater weitgehend öffentlich finanziert werden, jenseits der Live-Aufführung die Möglichkeit der Wahrnehmung zu geben. Zugleich muss den beteiligten Urhebern und Leistungsschutzberechtigten natürlich eine angemessene Vergütung gezahlt werden, soweit die Rechteeinräumung nicht schon durch die gezahlte Gage abgegolten ist. Und hier lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung machen. Die Rechtevergabe der Verwertungsgesellschaften dient insbesondere der Bewältigung der Lizenzvergabe im Massengeschäft. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, haben dazu geführt, dass nicht alles, aber vieles, was im Netz stattfindet, praktisch ein Massengeschäft geworden ist. Und das bedeutet: Wir müssen in Anwendung der Richtlinie auch im vorliegenden Zusammenhang zu einer erleichterten Rechteeinräumung gegen angemessene Vergütung möglichst über Verwertungsgesellschaften kommen, zumindest soweit es um die ausübenden Künstler geht. Alles andere ist dauerhaft nicht praktikabel, will man die Präsens von Theaterkunst im Netz und die damit über die Live-Aufführung hinausgehende Verbreitung des entsprechenden kulturellen Erbes sicherstellen. Einschränkungen dieser Möglichkeiten werden sich dann nur noch aus der Wahrnehmung der Urheberpersönlichkeitsrechte ergeben, was zweifelsohne zu gewährleisten ist.
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