Man kennt es ja schon: Ob nun der Bund statt einer Ministerin für Kultur nur eine für Kultur und Medien zuständige, dem Kanzleramt zuzurechnende Staatsministerin beruft, ob eines der deutschen Länder die Zuständigkeit für Kultur lediglich einem Staatssekretär beim jeweiligen Ministerpräsidenten zuweist oder ob, wie eben jetzt, bei der geplanten Zusammensetzung der neuen EU-Kommission es an einem erkennbar für die Kultur zuständigen Kommissar fehlt, in Deutschland ist man sogleich in angemessener Form entrüstet. Mag diese Kritik im Falle der Länder, die immerhin in Deutschland Träger der Kulturhoheit sind, berechtigt sein, schon beim Bund ist in Sachen Kulturzuständigkeit von Ministerien eher Zurückhaltung geboten. Erst Recht gilt das in der EU, der durch das in Artikel 5 Abs. 3 des EU-Vertrags verankerte Subsidiaritätsprinzip noch größere Zurückhaltung auferlegt wird.
Andererseits ist nun nicht zu leugnen, dass gerade die Europäische Union sehr stark von der Kultur geprägt wird. Die Freiheit der Künste gilt als eine tragendes Element des Selbstverständnisses der EU und ihrer Bürger. Sie hat in der Grundrechtecharta der EU wie andere Freiheiten (Meinung, Wissenschaft, Versammlung) ihren ausdrücklichen Niederschlag gefunden (Artikel 13). Und gerne wird immer wieder ein Jean Monnet, dem Wegbereiter der Europäischen Union, zugeschriebenes Zitat bemüht. „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen“, soll er gesagt haben. Auch wenn er es wohl nie gesagt hat, besser, als mit der Wirtschaft zu beginnen, wäre es allemal gewesen.
Sei es, wie es sei. Nicht die Amtsbezeichnung der Kommissionsmitglieder ist das Problem, sondern die EU Kulturpolitik. Und da lohnt sich schon ein Blick auf die jetzt geplanten Zuständigkeiten. Das Ressort Kultur soll in das Ressort „Innovation und Jugend“ der Bulgarin Mariya Gabriel fallen. Über sie heißt es auf der offiziellen Internetseite der EU: Sie hat sich bisher als derzeitige EU-Kommissarin „mit Engagement und Energie für das Portfolio Digitales eingesetzt und übernimmt nun mit der Schaffung neuer Perspektiven für die junge Generation eine neue Aufgabe“.
Mit dieser Zuständigkeitsbeschreibung wird das eigentliche Problem erkennbar. Der Europäischen Union geht es nicht um Kultur, um Kunst noch weniger. Für die Europäische Union ist die Kultur eher nebensächlich. In Zukunft soll sie eben in Dienst gestellt werden, um neue „Perspektiven für die Junge Generation“ zu entwickeln. Viel deutlicher wird aber die Sicht der EU auf die Kultur beim Blick in das aktuelle Förderprogramm „Kreatives Europa“. Da wird zunächst als zu Förderndes nicht die Kultur, sondern die „Kulturbranche“ und in gleichem Atemzug der „audiovisuelle Sektor“ genannt. Das Programm unterteilt sich in die drei Bereiche „Unterprogramm Kultur“, „Unterprogramm Media“ und „Bereichsübergreifender Programmteil“. Wer sich alles genau ansieht, wird die Förderung der Künste vermissen. Im Vordergrund stehen „Plattformen“, „Netze“, „Koproduktionen“, „Vertriebsförderung“ oder, wie im übergreifenden Bereich unmissverständlich als förderbedürftig benannt wird, „länderübergreifender Austausch von Erfahrungen und Know-how für neue Geschäfts- und Management-Modelle,…Vernetzung von Kultur- und Kreativorganisationen und Politikverantwortlichen,… gegebenenfalls unter Förderung der digitalen Vernetzung“. Ausdrücklich steht der größte Teil der Fördersumme für das „Unterprogramm Media“ zur Verfügung. Wundert sich da noch jemand, dass die EU dafür keinen ausdrücklich zuständigen Kommissar braucht, oder gerne auch eine Kommissarin?
Nicht nur das aber ist das Dilemma der EU-Kulturpolitik. Vielmehr geht es auch um die für Kultur zur Verfügung stehende Summe. Es sind 31 Prozent der gesamten Fördersumme von 1,46 Milliarden Euro, verteilt auf sieben Jahre versteht sich. Daraus ergeben sich im Durchschnitt etwa 65 Millionen Euro (für alle EU Länder gemeinsam) jährlich, ein Betrag, der in Deutschland gerade einmal dazu reichen würde, ein großes Opernhaus zu finanzieren. Vom Hocker reist das niemanden.
Auch sonst ist bei der EU leider reichlich Fehlanzeige in Sachen Kultur angesagt. Schon seit Jahren wird vieles beklagt: Der bürokratische Aufwand beim Abrufen der Fördermittel, völlig undurchsichtige Entscheidungsstrukturen bei deren Vergabe, erhebliche Behinderungen bei grenzübergreifenden Projekten, etwa im Steuerrecht oder im Sozialversicherungsrecht, unzulängliche urheberrechtliche Regelungen bei der Nutzung von künstlerischen Produkten im audiovisuellen Bereich. Für Letzteres gibt die neue EU-Richtlinie ersten Anlass zur Hoffnung auf Besserung (siehe dazu auf dieser Seite „Das neue EU-Urheberrecht und seine Bedeutung für die Theater und Orchester“). Aber ansonsten ist in den genannten Problemfeldern eher Tatenlosigkeit zu registrieren. Und was der Brexit für die Kultur bedeuten wird, ist auch kaum absehbar.
Doch gilt wie anderswo in der Politik auch: Nicht verzagen. Gerade im Zuge des in Europa sich immer weiterverbreitenden Rechtspopulismus ist die Verteidigung der Freiheit und gerade der Freiheit der Künste das Gegenmodell zu einer dumpfen Law-and-Order Politik, zu dem ewigen Geschwätz vom christlichen Abendland. Da ist mehr denn je die Europäische Union gefordert und mit ihr wir alle als europäische Bürger. Und wenn wir uns über die Ressortbezeichnungen in der neuen EU-Kommission erregen wollen, dann wäre es gerade deshalb angebracht, Bezeichnungen wie „Schützen, was Europa ausmacht“ zu kritisieren. Denn hierzu haben auch die Rechtspopulisten dezidierte Vorstellungen, die aber sicher nicht die der neuen Kommissionspräsidentin sein werden. Deswegen wäre da wohl ein klares Bekenntnis gefordert mit einer Ressortzuständigkeit für „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“. Da wäre dann auch die Kultur gut aufgehoben.
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