Das neue EU-Urheberrecht und seine Bedeutung für die Theater und Orchester

Sie ist verabschiedet: Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt. 34 Seiten umfasst das im Internet zugängliche gerade von der EU veröffentlichte Dokument. Man muss sich zunächst auf 21 Seiten durch 86 sogenannte Erwägungsgründe kämpfen, bevor man überhaupt zu den einzelnen Regelungen gelangt. Nun muss die Richtlinie ins deutsche Recht übernommen werden. Deshalb ist es geboten, sich schon jetzt aus Sicht der Kultureinrichtungen, vor allem der Theater und Orchester einen Überblick über einige Neuregelungen zu verschaffen.

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Gestritten wurde zuletzt heftig über die neue Urheberrechtsrichtlinie der EU.  Vor allem ging es bei diesem Streit einerseits um sogenannte Uploadfilter zum Schutz der Internetplattformen vor möglichen Verletzungen von Urheber- und Leistungsschutzrechten sowie andererseits um die Freiheit im Netz. Dabei wurde wohl doch in der Aufregung der Debatte übersehen, welche Möglichkeiten die Richtlinie gerade den Rechtenutzern vor allem mit Blick auf das Internet bietet, um genau diese Freiheit sicherzustellen. Zwar fehlt es leider an einer urheberrechtlichen Regelung, die es den Theatern und Orchestern gegenüber den Urhebern und den Leistungsschutzberechtigten grundsätzlich erlaubt, Aufführungen auf Bild- und Tonträger aufzuzeichnen, also zu vervielfältigen, um sie als kulturelles Erbe der Nachwelt zu erhalten bzw. der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch dazu später noch einmal! Denn gerade für die Kultur eröffnet die Richtlinie neue Wege, wenn diese jetzt vom deutschen Gesetzgeber sinnvoll umgesetzt wird.

Einrichtungen des Kulturerbes

Zu erwähnen ist zunächst Artikel 6 der Richtlinie, der es ermöglicht, Werke und sonstige Schutzgegenstände zum Zwecke ihrer Erhaltung zu vervielfältigen. Oder Artikel 8 der Richtlinie, mit dem eine Lizensierung für nicht-kommerzielle Zwecke durch Verwertungsgesellschaften vorgesehen wird, wenn vergriffene Werke und sonstige Schutzgegenstände vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben bzw. zugänglich gemacht werden sollen. Erlaubt wird beides den Einrichtungen des Kulturerbes bezogen auf Werke und Schutzgegenstände in ihren Sammlungen. § 2 Nr. 3 der Richtlinie legt sehr genau fest, welche Institutionen solche des Kulturerbes sind, nämlich öffentlich zugängliche Bibliotheken, Museen und Archive sowie im Bereich des Film- und Tonerbes tätige Einrichtungen. Zwar fehlen auch hier die Theater und Orchester, obwohl sie in Deutschland in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen und nun für die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes von der Bundesrepublik Deutschland nominiert wurden. Aber dort, wo sie Video- und Tonarchive ihrer Aufführungen unterhalten,  ließe sich aus den eingangs genannten beiden Artikeln etwas herleiten, indem man diese Archive den Einrichtungen des Film- und Tonerbes zuordnet. Das gilt erst recht für die umfangreichen, teilweise ein stiefmütterliches Internetdasein fristenden Theater- und Konzertaufzeichnungsarchive der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten. Die öffentliche Zugänglichmachung solcher Aufzeichnungen im Netz scheitern weitgehend daran, dass es an einer entsprechenden Rechteeinräumung fehlt und vor allem die als ausübende Künstler Mitwirkenden (bzw. deren Erben) zwecks einer nachträglichen Rechteeinräumung vielfach nicht mehr oder nur noch schwer auszumachen sind.

Kollektive Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung

Aber selbst, wo sie bekannt sind und man deshalb mit Artikel 8 der Richtlinie nicht weiterkommt oder es an der Eigenschaft der nicht kommerziellen Zwecke fehlt, ist oft eine nachträgliche Rechteeinräumung schwierig. Da lässt Artikel 12 der Richtlinie aufhorchen, der eine kollektive Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung erlaubt, ein Lizenzmodell das die EU mit der neuen Richtlinie – soweit ersichtlich – erstmalig aus Skandinavien übernommen hat.  Nach dieser Vorschrift können Verwertungsgesellschaften Vereinbarungen über Lizenzen abschließen. Diese Vereinbarungen können dann auf Rechteinhaber ausgedehnt werden, die ihre Rechte der maßgebenden Verwertungsgesellschaft nicht übertragen haben. Voraussetzung dafür ist – so Artikel 12 Abs. 2 der Richtlinie –, dass es sich um Nutzungsbereiche handelt, in denen die „Einholung der Erlaubnis der Rechteinhaber in jedem Einzelfall normalerweise beschwerlich und in einem Maße praxisfern ist, dass die erforderliche Erteilung der Lizenz aufgrund der Art der Nutzung oder des Typs der jeweiligen Werke oder sonstigen Schutzgegenstände unwahrscheinlich wird“.

Da wird interessant sein, für welche Fälle der deutsche Gesetzgeber entsprechende Vereinbarungen zwischen wem zulässt. Es werden Verwertungsgesellschaften und Verbänden gegebenenfalls ganz neue Aufgaben zuwachsen. Wichtig wäre es hier jedenfalls einen Weg zur Nutzung der oben genannten Video- und Tonarchive von Theatern, Orchestern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu eröffnen. Und es mag vielleicht vermessen sein, aber wer, wie oben bereits erwähnt, bedenkt, wie oft Aufzeichnungen von wichtigen Theateraufführungen daran scheitern, dass von einzelnen Mitwirkenden die entsprechenden Lizenzen aus sehr unterschiedlichen Gründen – etwa Exklusiv-Verträgen mit Tonträgerherstellern – praktisch nicht zu bekommen sind, der wird sich wünschen, dass auch hier Artikel 12 einen Weg ebnet, um solche Aufführungen der Nachwelt zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dass es außerdem sinnvoll sein kann, gerade in diesem Bereich einen Mechanismus nach Artikel 13 der Richtlinie (Mediation und unparteiische Instanz) vorzusehen, sei nur am Rande noch erwähnt.

Nutzung von Inhalten in Online-Diensten

Das alles ist gerade interessant mit Blick auf den so umstrittenen Artikel 17 der Richtlinie. Der sieht im Grundsatz vor, dass Online-Dienste, die urheberrechtlich geschützte Inhalte hochladen oder auf deren Plattformen solche Inhalte durch Nutzer hochgeladen werden, Lizenzen dafür einholen müssen. Dadurch öffnen sich nun die Schleusen, die durch 12 der Richtlinie eingerichtet wurden. Denn diese Lizenzvereinbarungen sind für die Internetplattformen umso leichter und um so rechtssicherer zu bekommen, als solche Vereinbarungen mit Verwertungsgesellschaften auf der Grundlage von Artikel 12 der Richtlinie abgeschlossen werden. Zugleich wären diese Verwertungsgesellschaften mit ihren neuen, aus den beiden oben genannten Artikeln resultierenden Möglichkeiten so stark, dass die Internetplattformen gar nicht mehr an ihnen vorbei kämen, wollen sie überhaupt noch Inhalte anbieten. Dies gilt umso mehr, als die Internetplattformen die Sorgfaltsanforderungen des Artikel 17 Abs. 4 der Richtlinie („alle Anstrengungen unternommen, um die Erlaubnis einzuholen“) wohl gerade dann erfüllen, wenn sie sich mit den zuständigen Verwertungsgesellschaften auf eine Lizensierung verständigen.

Voraussetzung ist nur, dass die jeweilige Verwertungsgesellschaft einen großen Teil der interessanten Inhalte angesichts von Artikel 12 der Richtlinie lizensieren kann. Die Position der Verwertungsgesellschaften ist durch diese Vorschriften im Übrigen auch deutlich stärker als die der einzelnen Nutzer, deren Entschädigung für die Nutzung ihrer Rechte ja durch die neue Richtlinie sichergestellt werden soll. Um diese Entschädigung gegenüber den Internetplattformen durchzusetzen, wäre der einzelne Nutzer – von Ausnahmen abgesehen – zu schwach, müsste also immer damit rechnen, dass die Internetplattform die Verbreitung seiner urheberrechtlich geschützten Inhalte sperrt, wenn er für deren Nutzung eine finanzielle Leistung erhalten möchte. Allenfalls große Einrichtungen wie die Verbände von Verlagen oder von Theatern und Orchestern bzw. im Bereich der darstellenden Kunst tätigen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit wären stark genug, sich ihrerseits gegenüber den Internetplattformen durchzusetzen, haben aber den Nachteil, dass sie nur für ihre Mitglieder Vereinbarungen abschließen und die Privilegierung des Artikel 12 der Richtlinie für sich nicht in Anspruch nehmen können. Dementsprechend  müssten die jeweiligen Verbände und Gewerkschaften also nun mit der jeweils zuständigen Verwertungsgesellschaft entsprechende Rechtevereinbarungen abschließen.

Was noch interessant ist

Kürzlich hat der BGH sich mit der Frage des Fotografierverbotes in Museen auseinandersetzen müssen und in seiner Entscheidung vom 28. Dezember 2018 – I AZR 104/17 – eine sehr restriktiven Sichtweise eingenommen, die praktisch dazu führen kann, dass die Nutzung von einzelnen urheberrechtlich nicht mehr geschützten Werken der bildenden Kunst, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt möglich ist. Wirkt ein solches Fotografierverbot, für das es in der Tat oft gute Gründe gibt, und existieren von dem urheberrechtlich nicht mehr geschützten Werk der bildenden Kunst nur Fotografien, die zumindest über § 72 UrhG urheberrechtlich geschützt sind, dann läuft das praktisch auf ein Nutzungsverbot hinaus, solange der Nutzer nicht bereit ist, dem Fotografen oder dem Museum ein Nutzungsentgelt zu zahlen. Das kann für die Theater und Orchester etwa bei der Abbildung von urheberrechtlich nicht mehr geschützten Werken im Programmheft, im Spielzeitheft, im Internet oder gar auf der Bühne relevant sein. Nun sieht Artikel 14 der Richtlinie vor, dass die einfache Abbildung solcher Werke – etwa im Katalog eines Museums – nicht mehr geschützt sein soll, um so deren problemlose Nutzung zu ermöglichen.

Viele bei den Theatern und Orchester tätige Mitarbeiter, die insbesondere mit dem Verfassen von Texten für die Bühne, das Programmheft oder andere Publikationen befasst sind, gehören (hoffentlich) der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort an. Der BGH hatte mit Urteil vom 21. April 2016 – I AZR 198/13 – entschieden, dass die VG Wort nicht berechtigt ist, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an die Verleger auszuzahlen. Das begünstigte auf den ersten Blick die Urheber, wäre aber sicherlich mittelfristig mit einer Reduzierung der vom Verlag an die Urheber direkt gezahlten Tantiemen verbunden. Nun eröffnet Artikel 16 der Richtlinie dem Gesetzgeber ausdrücklich den Weg, die frühere in Deutschland praktizierte Beteiligung der Verleger an den pauschalen Ausschüttungen der VG Wort durch Gesetz wieder zu ermöglichen. Auch hier bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber in Deutschland dies umsetzt. Da die Regelung in Artikel 16 der Richtlinie nur eine Kannregelung ist, wäre es dem Gesetzgeber auch möglich, auf eine Neuregelung dieser Materie zu verzichten. Das wäre für die Urheber vor allem dann von Interesse, wenn auch bei der VG Wort die Anwendung von Artikel 17 i.V.m. Artikel 12 der Richtlinie zu steigenden Ausschüttungen führen würde. Dass das der Fall sein könnte, ist jedenfalls bei eine deutschen gesetzlichen Neuregelung in die Erwägungen einzubeziehen.

Schlussbemerkung

Die Überlegungen zeigen, dass die Richtlinie mehr neue Spielräume eröffnet, als die oberflächliche öffentliche Debatte bisher erkennbar gemacht hat. Diese Spielräume müssen nun von der Gesetzgebung, aber auch von den Verbänden und den Verwertungsgesellschaften genutzt werden, will man die Freiheit im Netz erhalten und zugleich den Urhebern und Leistungsschutzträgern die wegen der Nutzung ihrer urheberrechtlich geschützten Inhalte notwendige Vergütung sichern. Dazu muss die Gesetzgebung aber auch das erforderliche Maß an Flexibilität zeigen und bereit sein, die neuen Wege, die von der Richtlinie eröffnet werden, zu gehen.

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