Ein Blick zurück nach vorn; über die gescheiterte Berufung eines Schauspielintendanten in Köln und die Folgen

Köln und seine Intendanten, das ist so eine Art never ending story, eine Beziehungsgeschichte voller Verwerfungen und Intrigen. Generalmusikdirektoren weigerten sich, mit Intendanten zusammenzuarbeiten, forderten, wie kürzlich geschehen, sogar die Auflösung des Vertrages mit einer erfolgreichen Opernintendantin. Die Stadt erfand seinerzeit den Job eines Geschäftsführenden Intendanten, um den vorhandenen Kaufmännischen Direktor kaltzustellen (2002). Den Vertrag mit einer berufenen Intendantin ließ man vor Jahren (2003) platzen. Die Vorschläge einer hochbesetzten Findungskommission für eine Opernintendanz stampfte man in Grund und Boden (2007), der Oberbürgermeister wischte alles schließlich vom Tisch. Berufen wurde kurzerhand, mehr so aus der Hüfte, der Intendant aus Potsdam, um ihn dann nach etwa drei Jahren Amtszeit mit heftigen öffentlichen Scharmützeln wieder fristlos zu entlassen (2012). Und nun eine gescheiterte Berufung eines Schauspielintendanten. Kann es so weitergehen?

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Was bisher geschah

Vielleicht ist erst einmal ein wenig Aufklärung gefragt, die Licht ins Dunkel bringen kann. Etwa im Frühjahr vergangenen Jahres gab es bei mir aus dem Kulturdezernat in Köln einen Anruf, wie wir Theaterleute ihn zuweilen bekommen. Man suche einen neuen Schauspielintendanten, hieß es, der alte wolle 2021 aufhören, ja habe das sogar schriftlich und auch öffentlich erklärt. Ob ich denn ein paar Namen möglicher Kandidaten und Kandidatinnen nennen könne. Ich habe dann das getan, was ich, wenn es keine Ausschreibung gibt, immer getan habe: Nachgedacht und telefoniert, wer in Betracht kommen könnte. Danach habe ich Köln eine Reihe von Namen genannt, auf die später – nicht überraschend – auch andere gekommen sind. Es kochen ja alle in diesem Geschäft nur mit Wasser.

Der Name des Salzburger Intendanten kam, wie bereits der Deutschlandfunk zu berichten wusste, ins Gespräch, weil die Dezernentin ihn aus Stuttgart kannte. Es hätten da bei mir die Alarmglocken angehen müssen, hat neulich ein Pressevertreter aus Berlin mir entgegengehalten. Das sehr merkwürdige Gespräch zeichnete vor allem der Wille aus, mir soweit wie möglich nicht zuzuhören und unter Beweis zu stellen, dass man es ohnehin besser weiß. Also dachte ich mir nur: Warum sollten auch noch Glocken dazu läuten? So läuft es doch: Jeder, der gefragt wird, nennt Namen, die er kennt. Wie soll man auch Namen nennen, die man nicht kennt. Das ist für normal Sterbliche eher schwierig. Und im Übrigen war ich schon immer dafür, auch in die Intendantensuche für größere Häuser Kandidatinnen und Kandidaten mit einzubeziehen, die einen Stadttheaterbetrieb erfolgreich geleitet haben. So viele, die das dank ihres Talents können, es aber noch nie gemacht haben, gibt es ja nicht. Da sollte man solche, die unter Beweis gestellt haben, dass sie es können, nicht einfach beiseite schieben.

Dann vergingen Monate, von denen ich weiß, dass mit einigen Kandidaten gesprochen wurde. Im November bekam ich einen weiteren Anruf mit der Bitte, doch mit der Kulturdezernentin an Gesprächen teilzunehmen, in denen an der Aufgabe des Kölner Schauspielintendanten Interessierte der Oberbürgermeisterin vorgestellt werden sollten. Man wünsche sich bei diesen Gesprächen einen Teilnehmer, der helfen könne, der Oberbürgermeisterin ein genaueres Bild von den für die Schauspielintendanz in Betracht gezogenen Personen zu vermitteln. Ich habe eine kleine Aufwandsentschädigung erbeten, die mir in Aussicht gestellt wurde, und meine Teilnahme an den Gesprächen in alter Treue zu den Mitgliedern des von mir bis Ende 2016 geleiteten Bühnenvereins  zugesagt. Diese Gespräche verliefen dann in angenehmer Atmosphäre, ergaben auch für die Oberbürgermeisterin interessante Erkenntnisse und endeten mit dem Fazit, man werde weiter nachdenken und mit verschiedenen Personen in der Stadt Kontakt suchen.

Wieder etwa zwei Monate später hieß es, die Stadt habe sich entschieden, Carl Phillip von Maldegehem zum neuen Schauspielintendanten zu berufen. Man wolle nun in einem ersten Termin den Kandidaten persönlich den Vertretern der Ratsfraktionen vorstellen und anschließend der Presse. Auch hier würde man sich über meine Anwesenheit freuen. Bei (sicher nicht auszuschließenden) Nachfragen hinsichtlich der Kriterien für die Intendantenentscheidung könne ich hilfreich zur Verfügung stehen.

Der Termin mit den von den Bürgern der Stadt gewählten Vertretern der Ratsfraktionen und der ebenfalls direkt gewählten Oberbürgermeisterin (Stichwort demokratische Legitimation) verlief dann in guter und aufgeräumter Stimmung. Alle waren angetan von einem Intendanten, der sich, wie er sagte, in erster Linie den Bürgern der Stadt verpflichtet fühle und auch in Köln die Absicht habe, für diese Theater zu machen. Irgendjemand hat kürzlich geschrieben, das machten doch alle Intendanten. Mag sein, stimmt aber dann nicht, wenn sich die Anzahl der Theaterbesuche in manchmal bedenklichen Grenzen hält. Auch die Pressekonferenz lief weitgehend problemlos, wenn man mal von der Äußerung einer Journalistin absieht, die praktisch auf die Frage hinauslief, was denn einer aus der Provinz in Köln wolle. Ich habe mir erlaubt, mit einem Hinweis auf Bernd Wilms zu antworten. Der war als Intendant von Ulm nach Berlin gekommen und hat bekanntlich dort sehr erfolgreiches Theater gemacht.

Was nach der Kölner Pressekonferenz passierte, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Es gab – allerdings fast ausschließlich aus der Theater- und Kulturszene selbst – heftige Kritik an dem Kandidaten und dem Auswahlverfahren, bei der einigen Kritikern offenkundig der Begriff Gürtellinie und deren genaue Position weitgehend aus dem Blick geraten waren. Erst als Carl Philip von Maldeghem entnervt das Handtuch warf, besonnen sich einige vorwiegend außerhalb Kölns der Toleranz und schrieben, man hätte dem Kandidaten doch eine Chance geben können. Aber da war es zu spät. Und mittlerweile ließ sich der jetzige Intendant des Schauspiels Köln mit der Nachricht vernehmen, dass er doch noch länger als bis zum Ende der Spielzeit 2020/21 bleiben könne, was insofern überraschte, als ich stets auf Nachfragen hörte, ihm sei doch die Suche nach einem Nachfolger seit längerem bekannt.

Was aus der gescheiterten Kölner Intendantensuche folgt

Aus meiner Sicht stellen sich nun drei Fragen. Erstens: Welche Fähigkeiten braucht ein guter Intendant? Zweitens: Was ist die Aufgabe von Beratern? Und drittens: Was ist ein richtiges Verfahren?

Die Person

Ich habe bereits vor einiger Zeit, als die Debatte um die Berufung von Carl Philip von Maldegehem begann, in einem Interview mit dem Bonner Generalanzeiger und der Kölnischen Rundschau darauf hingewiesen, was einen guten Intendanten auszeichnet.  Da war der Sache aber schon mit Sachlichkeit nicht mehr beizukommen. Genannt habe ich ein paar Eigenschaften, die ich für selbstverständlich halte: Künstlerisches Augenmaß, künstlerisches Urteilsvermögen, soziale Kompetenz, Leitungskompetenz und Kommunikationstalent. Widersprochen hat mir bisher keiner. Dass Carl Philip von Maldeghem diese Eigenschaften mitbringt, steht für mich außer Zweifel. Das Gegenteil belegt hat bisher auch niemand.

Intendant und Regisseur sind im Übrigen zwei unterschiedliche Berufe. Und Köln sucht keinen Chefregisseur, sondern einen Intendanten. Man hat oft weder dem Theater noch manchem  Regisseur einen Gefallen getan, wenn man ihn zum Intendanten gemacht hat. Gerne werden einem auch immer wieder Namen regieführender Persönlichkeiten zugerufen, von denen man beim Hineinhören in die Betriebe, in denen die betreffende Person tätig ist oder war, nicht gerade Ermutigendes vor allem über deren soziale Kompetenz erfährt. Durch dieses Gemisch an Informationen muss man sich erst einmal erfolgreich hindurch finden. Und man muss die Person finden, die von den oben genannten Eigenschaften das Meiste mitbringt. Welchen Eigenschaften da der Vorzug gewährt wird, das muss die Stadt entscheiden. Ihren Bürgern und nur ihren Bürgern gehört das Theater, nicht irgendwelchen besonders sich hervortuenden Einzelpersonen, schon gar nicht den Medien. Und nach den vielen Intendantenquerelen in Köln ist es verständlich, dass man zurzeit der sozialen Kompetenz sowie der Kommunikationsfähigkeit einen hohen Stellenwert einräumt, aber sicher nicht, ohne die künstlerischen Fähigkeiten unbeachtet zu lassen. Aber wer weiß denn so genau, was ein neuer Intendant mit seinem ja in Köln sehr viel höheren Schauspieletat als in Salzburg künstlerisch auf die Beine stellt. Gute Schauspieler, Regisseure und Dramaturgen zu engagieren, ist keine Zauberei, vor allem wenn man das Geld dafür hat.

Die Beratung

Damit ist auch klar, was eine gute Beratung bei der Intendantensuche zu leisten hat. Sie ist nicht dazu da, einen bestimmten Kandidaten durchzusetzen. Gerade in diesem Punkt herrscht bei manchem, der als Experte hinzugezogen wird, ein erhebliches Missverständnis. Deshalb ist es so wichtig, sich genau zu überlegen, wen man heranzieht und wie man eine Findungskommission zusammensetzt. Man muss als Rechtsträger ein gewisses Maß an objektiver Beurteilung sicherstellen. Auch in diesem beratenden Gewerbe gibt es sehr subjektive Einschätzungen, zuweilen sogar handfeste subjektive Interessen, die zu fragwürdigen Ergebnissen führen können. Beispiele ließen sich nennen. Ziel der Beratung muss es jedenfalls sein, den Rechtsträger in die Lage zu versetzen, im besten Wissen über die Kandidaten und Kandidatinnen eine Entscheidung zu treffen, um die Person zu berufen, die er in seiner Stadt für richtig hält. Alles andere ist sachwidrig und unqualifiziert.

Das Verfahren

Die Kritik am Intendantenfindungsverfahren in Köln hat insoweit etwas Scheinheiliges, als es sich um ein Verfahren handelt, dass zuletzt in ähnlicher Weise in anderen großen Standorten, auch früher in Köln stattgefunden hat. In Köln wurde es sogar verbindlich festgeschrieben, wie man kürzlich aus dem Mund der Oberbürgermeisterin öffentlich hören konnte. Kritik an solchen Verfahren wurde von denen, die sich jetzt so sehr nach außen auf die Verfahrensfrage kaprizieren, früher nicht geäußert. Dass jemand auf meine Ausführungen, die auf dieser Internetseite schon seit Mitte 2017 zum Thema zu finden sind (siehe „Über die Intendantenwahl“), reagiert hätte, habe ich nicht feststellen können. Nun aber wissen es alle besser, obwohl es offensichtlich ist, dass in der Verfahrensfrage das Ei des Kolumbus bisher kaum gefunden wurde. Mit und ohne Findungskommission sind Intendantenwahlen schon gelungen, aber auch eben weniger gelungen. So fuhr man mit hochbesetzter Findungskommission eine Intendantensuche für die Semperoper in Dresden an die Wand (von Serge Dorny trennte man sich trotz abgeschlossenem Vertrag schon vor Dienstantritt), ohne Findungskommission eine für das Düsseldorfer Schauspielhaus (Staffan Holm gab nach gut einem Jahr auf). Und in Wuppertal wurde für die Suche nach einer Schauspielintendantin einiges Geld für einen Headhunter ausgegeben, ohne dass man diese Methode als erfolgreich bezeichnen kann. Die Intendantin warf nach kurzer Zeit wieder das Handtuch.

Zudem gilt: Je größer ein Haus ist, für das ein Intendant gefunden werden soll, desto größer ist auch das öffentliche Interesse daran. Das macht es so schwierig, weil viele, deren Namen in Betracht käme, bei großen Häusern nichts mehr scheuen, als dass ihr Name zu früh in der Zeitung steht, durchgestochen von jemandem, der genau diesen oder jenen Kandidaten oder eine bestimmte Kandidatin verhindern will. Hat es alles schon gegeben.

Schlussbemerkung

Man sieht, die Dinge sind mal wieder komplizierter, als es sich manch einer, der sich zum leichtfertigen Statement hinreißen lässt, denkt. Das gilt umso mehr, als ein Weg gefunden werden muss zwischen den Interessen des Publikums und den Erwartungen des Feuilletons. Denn keineswegs stimmen diese beiden Positionen stets überein. Das hat ja mittlerweile auch der eine oder andere der kommentierenden Zunft bemerkt. Der Versuch, diesen Weg in Köln zu finden, ist sicher nicht in jeder Beziehung als gelungen zu bezeichnen. Aber der größte Schaden wurde aus meiner Sicht dadurch angerichtet, dass die Chance, einen Intendanten zu berufen, der mit einer Leitungserfahrung in einem größeren Privattheater eine andere Vita hat als bei Schauspielintendanten großer Häuser üblich, durch Voreingenommenheit und zum Teil unsachliche Kritik an Person und Verfahren vertan wurde. Das ist bedauerlich. Denn wer den Stand der Schauspielkunst in Deutschland beobachtet, kann wahrlich nicht behaupten, dass für das Publikum, um das es ja geht, das Feld zur vollen Zufriedenheit bestellt ist. Mal etwas anders zu wagen, wäre eine gute Alternative gewesen.

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