Lässt sich die Meinungsbildung in den sozialen Medien kontrollieren? Und sollten wir es tun?

Seit Rezo sein vor allem gegen die CDU gerichtetes Video veröffentlicht hat, herrscht Unruhe in der CDU-Zentrale. Das ist verständlich. Unverständlich ist die unbeholfene Reaktion der CDU auf dieses Video. Noch unverständlicher ist die Überlegung ihrer Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, das Netz irgendwelchen politischen Ausgewogenheitsverpflichtungen auszusetzen, wie sie etwa zur Sicherung von Meinungsvielfalt für den Rundfunk mehr oder weniger gelten. Das institutionalisierte Gemeinwesen muss heute damit leben, Anwürfen im Netz ausgesetzt zu sein: Private Unternehmen, staatliche Einrichtungen, Verbände, auch Kulturbetriebe. „Was tun?“ ist also für alle diese Institutionen eine immer schwieriger zu beantwortende Frage. Juristische Lösungen sind jedenfalls eher nicht in Sicht.

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Fake News, abwegige Positionen, radikales Denken jeder Art, im Netz ist alles zu finden und viel Schlimmeres. Die Rechtslage ist dabei eindeutig: Nur wenn gesetzliche Vorschriften verletzt werden, kann man dem zu Leibe rücken. Das aber ist schwierig genug, obwohl Gesetzesverletzungen im Netz fast schon zum Alltag gehören. Man muss sich nur einmal fragen, wie oft alleine Straftatbestände wie Beleidigung, üble Nachrede oder gar Verleumdung erfüllt sind. Subjektivität der zum Teil größeren Massen zugänglichen im Netz verbreiteten Meinungen ist aber in der Regel kein Gesetzesverstoß, ob einem nun die jeweilige Meinung gefällt oder nicht. Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, die einzelnen Websites und Internet-Plattformen vorschreibt, eine von unterschiedlichen Meinungen geprägte Vielfalt sicherzustellen, wie es beispielsweise durch den  Rundfunkstaatsvertrag für den Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) festgelegt ist. Und eine solche Bestimmung für das Internet einzuführen, wie es zuweilen gefordert wird, ist mit Verlaub juristisch abwegig.

Der Rundfunkbegriff und die begrenzten Sendekapazitäten

Denn zum einen ist das, was Rezo beispielsweise in seinem Video verbreitet, kein Rundfunk. Wesentlich für den Rundfunk ist es, dass das Ausstrahlen der Sendung durch eine Rundfunkeinrichtung und das Empfangen dieser Sendung durch den Zuschauer gleichzeitigt geschieht. Hinzu kommt, dass Rundfunk einer gewissen Regelmäßigkeit mit einem entsprechenden Sendeplan bedarf. Diese Voraussetzungen mögen manche Streamingdienste, bei denen im Netz verbreitete Inhalte zeitgleich vom Nutzer wahrgenommen werden, durchaus erfüllen. Das hatte schon eine Verpflichtung zur Zulassung solcher Dienste durch eine der zuständigen Landesmedienanstalten zur Folge. Stellt jemand aber etwa einen einzelnen Videobeitrag ins Netz, der dann von jedem zu jeder Zeit abgerufen werden kann, dann handelt es sich bei einem solchen Video rundfunkrechtlich mangels der beiden genannten Voraussetzungen nicht um Rundfunk, sondern anknüpfend an das Urheberrecht nur um eine sogenannte öffentliche Zugänglichmachung.

Wenn nun unter Bezugnahme auf die kürzlich gemachten Äußerungen der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer einzelne Vertreter der in Deutschland praktizierten Rundfunkaufsicht fordern, auch diese öffentliche Zugänglichmachung von Ton- und Bildaufzeichnungen dem Rundfunkbegriff zu unterwerfen, dann ist das mehr als zweifelhaft. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Auch die regelmäßigen Streamingdienste sollten dem Rundfunkbegriff nicht mehr unterworfen sein. Denn als man die Verpflichtung zur inneren Meinungsvielfalt einzelner Rundfunkanbieter

im Rundfunkstaatsvertrag zu einer in Deutschland geltenden Rechtsvorschrift machte, ging man von einer frequenztechnisch und durch den Aufwand des Veranstaltens von Rundfunk bedingten Begrenztheit des Rundfunkangebots aus. Diese Begrenztheit, so befürchtete die verfassungsrechtliche Rechtsprechung, führe zu einer mangelnden Meinungsvielfalt bei der Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Das Internet ist kein Rundfunk

 Ganz anders ist die Situation im Internet. Rezo nutzt das Internet, um seine Meinung kund zu tun, egal ob er im Internet streamt oder sein Video dort öffentlich zugänglich macht. Sie ist eine von tausenden subjektiven Meinungen, die im Netz verbreitet werden. Das heißt, dass im Netz eine Vielfalt der Meinungen vorherrscht, die eben nicht der öffentlichen Steuerung und Kontrolle oder irgendeiner Ausgewogenheitsregelung bedarf. Darin unterscheidet sich gerade das Internet vom Rundfunk. Jeder kann eben heute leicht seine Meinung per Video oder wie auch immer im Netz verbreiten. Zugegeben, damit sind Risiken verbunden. Es bleibt im Netz die Gefahr der einseitigen Information, weil viele nur die Meinungen abrufen, die sie hören möchten. Dem ist aber nur durch ausreichende Medienbildung, etwa in den Schulen, beizukommen. Eine solche Bildung muss den einzelnen Nutzer des Internets in die Lage versetzen, sich ein objektives Bild zu machen. Möglichkeiten dazu gibt es zuhauf, etwa bei den Angeboten von ARD und ZDF oder auch der großen Tageszeitungen und anderer seriöser Portale. Wenn der Einzelne dann diese im Netz und anderswo bestehenden Möglichkeiten nicht nutzt, ist das seine Sache. Es bleibt ja auch jedem unbenommen, im Printbereich zu lesen was er möchte. Zu regulieren ist in der Beziehung nichts.

Für eine neue Öffentlichkeitsarbeit von Politik, Wirtschaft und Institutionen

Wenn nun dem Rezo-Video rundfunkrechtlich nicht beizukommen ist und man das auch gar nicht versuchen sollte, dann stellt sich die Frage, wie sich die betroffenen Institutionen vor Angriffen im Netz, wie Rezo sie verbreitet hat, schützen können. Nun ließe sich einfach antworten, man müsse nur jedes politische und unternehmerische Handeln wieder stärker an ethischen Maßstäben orientieren, zumindest aber regelmäßig einer Überprüfung nach solchen Maßstäben unterziehen. Es ist ja in der Tat  so, dass in vielen Bereichen eine solche Orientierung verloren gegangen ist. Da aber oft unterschiedliche ethische Maßstäbe aufeinanderprallen, etwa Klimaschutz gegen Arbeitsplätze, ist das zuweilen schwieriger, als sich das manch einer vorstellt. Was aber gerade deshalb nicht stattfinden darf, ist die weitverbreitete, jede Glaubwürdigkeit zerstörende Praxis der Verbergung handfester Interessen, etwa der Gewinnmaximierung, hinter irgendwelchen ethischen Maßstäben, wie beispielsweise der Arbeitsplatzsicherung. Und da geht es um Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinne.

Dort nämlich hat sich seit Jahrzehnten eine mehr als bedenkliche Neigung zur ungehemmten Schönfärberei  immer weiter eingeschlichen. Das gilt für die politischen Parteien genauso wie für die Wirtschaft. Einiges an Unsinn wird den Menschen tagtäglich „verkauft“ als geboten und unvermeidbar, als notwendig und nützlich. Mehr Ehrlichkeit, mehr Vorsicht bei der Vermittlung von inhaltlichen Zielsetzungen wäre schon ein großer Schritt nach vorn und würde es den Rezos der Social-Media-Welt deutlich schwerer machen. Es ist nicht akzeptabel, als Produzent umweltfreundlicher Autos nach außen aufzutreten und gleichzeitig die Umweltverträglichkeit der eigenen Dieselautos zu manipulieren. Man kann sich nicht glaubwürdig für den Frieden einsetzen und trotzdem Waffenlieferungen in Krisengebiete zulassen. Man kann die Gefahren von Produkten nicht einfach verschweigen. Das gilt nicht nur bei Zigaretten, wo man es fast schon übertreibt mit der Aufklärung, sondern auch bei schnellen Autos, Handys oder Alkohol.  Man kann eben nicht weiterhin den Leuten dauernd etwas vormachen. Widersprüche sind nur dann hinnehmbar, wenn sie offen zur Sprache gebracht werden, und zwar von den handelnden Personen, und sachlich erklärt werden können. Das heißt, dass sich Werbung und Öffentlichkeitsarbeit weitgehend von jeglicher Schönfärberei verabschieden müssen, aber auch, dass das Produkt (ob Ware oder Inhalt) dem, was der Öffentlichkeit vermittelt werden soll, stärker entsprechen muss. Um es auf den Punkt zu bringen: Im Umgang von Parteien, Unternehmen und Institutionen mit der Öffentlichkeit ist weniger verschleiernder Hochglanz und mehr Authentizität gefragt.

War das Rezo-Video in diesem Sinne authentisch?

Das ist die nun oft gestellte wichtige Frage. Sollte sich nämlich herausstellen, dass dieses Video nicht der emotionale, aber fundierte Ausbruch eines jungen Menschen über eine teils verfehlte Politik ist, sondern von interessierter Seite bewusst lanciert wurde, so hat dieses Video mit Authentizität aber so gut wie gar nichts zu tun. Vieles spricht mittlerweile dafür, dass es so ist. Für die Forderung nach mehr Ehrlichkeit in der öffentlichen Debatte wäre das ein fatales Signal. Das gilt erst recht, wenn hinter dem Video eine große Werbefirma stehen sollte, wie einige jetzt vermuten. Dann könnte man den Ärger in der CDU-Zentrale über dieses Video fast schon wieder verstehen.

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