Es ist keine Frage: Kultureinrichtungen kosten Geld, oft auch öffentliches Geld. In den letzten zwanzig Jahren wurde das immer wieder problematisiert. Sparen war angesagt. Mancher Kämmerer hätte sein Theater, Orchester oder Museum gerne dem freien Markt überlassen und damit sicher in den wirtschaftlichen und künstlerischen Ruin getrieben. Noch heute gibt es Städte, die mit ihrer Kulturfinanzierung hadern. Das gilt vor allem auch dort, wo kleine Betriebe und Initiativen mit wenig Geld der öffentlichen Hand unterstützt werden. Was ist nicht schon alles einer Streichung von lediglich vier- oder fünfstelligen Beträgen zum Opfer gefallen?
Die, die für diese öffentliche Kulturfinanzierung gestritten haben, die mit großen Mühen die Kultur am Leben erhalten haben, sie haben immer wieder die Unverzichtbarkeit der Kulturlandschaft hervorgehoben. Schon 2001 hat der Deutsche Bühnenverein etwa im Zuge steigender Ausländerfeindlichkeit, die in Deutschland seinerzeit festzustellen war, darauf hingewiesen, dass in den Theatern und Orchestern hierzulande Menschen aus 104 Ländern der Welt arbeiten und welch große integrative Wirkung deshalb von diesen Betrieben ausgeht. Jetzt zeigt sich umso mehr, wie wichtig dieser Einsatz für den Erhalt dieser Kulturinstitutionen war. All denen, die, wie etwa in den Theatern und Orchestern durch Gehaltsverzicht seitens vieler künstlerischer und nichtkünstlerischer Mitarbeiter, manche Verzichtsleistung dafür erbringen mussten und heute noch erbringen, gebührt deshalb eine besondere Anerkennung. Man muss sich nur mal vorstellen, was es bedeuten würde, wenn es beispielsweise in Chemnitz kein Stadttheater mehr gäbe.
Doch es geht nicht nur um die klare politische Artikulation, die jetzt mit der Erklärung der Vielen stattfindet. Es geht vor allem darum, was dank der öffentlichen Mittel künstlerisch passiert und was das für die Gesellschaft bedeutet. Wer im Schauspielhaus Bochum beobachtet, wie bei zwei sich kriegerisch begegnenden Menschen die zwischen ihnen ausbrechende Liebe alles in Frage stellt, wird sich diesem „Schrei nach Liebe und gegen den Krieg“, wie der Regisseur Johan Simons die „Penthesilea“ charakterisierte, kaum entziehen können. Im Bayrischen Staatsschauspiel, dem Residenztheater, kann man sich derzeit in „Marat/de Sade“ mit den sehr grundsätzlichen Fragen nach „Freiheit, Gerechtigkeit und politischem Bewusstsein“, wie es auf der Internetseite des Theaters heißt, spielerisch befassen. Die Bundeskunsthalle in Bonn lässt uns mit ihrer neusten Ausstellung „Ernst Ludwig Kirchner – Erträumte Reisen“ über die Sehnsucht nach Aufbruch, nach dem Fremden und dem Scheitern dieser Sehnsucht reflektieren. So bleibt der kritische Geist des Betrachters, des Zuschauers wach, sein Reflexionsvermögen erhalten, was ihn wappnet gegen Vorurteile, gegen Dummheit und gegen jegliche platte Vereinfachung komplizierter gesellschaftlicher Vorgänge.
Um so erstaunlicher ist es, dass nun Uwe Tellkamp die Erklärung der Vielen, wie die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 16. November 2018 berichtet, als „Tiefpunkt der Debatten- und Toleranzkultur“ kritisiert. Das ist absurd. Denn man muss die Erklärung immer lesen im Zusammenhang mit der künstlerischen Arbeit der Kulturinstitutionen, die ein freier Diskursraum sind und bleiben müssen. Das gilt es gegen Übergriffe von rechts zu verteidigen. So hebt die Erklärung der Vielen gerade die künstlerische Freiheit besonders hervor. Die nun steht in einem engen Zusammenhang mit der öffentlichen Finanzierung der Theater, Orchester und Museen. Denn sie gibt diesen die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die sie brauchen, um frei von Einflüssen agieren zu können. Umso schlimmer ist es, wenn es nun wieder hoffähig werden sollte, gerade diese öffentliche Finanzierung zu instrumentalisieren. Allen demokratischen Parteien haben in der nun fast siebzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich äußerste Zurückhaltung gewahrt. Das zeichnet sie aus. Sie sollten sich von niemandem daran hindern lassen, in dieser Tradition kulturpolitisch fortzufahren. Dann muss es einem um die Debatten- und Toleranzkultur in Deutschland nicht bange sein.
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