Der Entwurf des neuen § 28 a Infektionsschutzgesetz

In diesen Tagen wird sie im Bundestag verabschiedet: Die nächste Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Damit man gleich weiß, dass hier keine Belanglosigkeiten geregelt werden, trägt auch dieser Gesetzentwurf den bedeutungsschweren Titel „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Eingeführt in das Infektionsschutzgesetz wird u.a. ein neuer § 28 a. Diese Vorschrift soll die bundesweit getroffenen Schutzmaßnahmen auf eine neue Rechtsgrundlage stellen. Man wolle diese Maßnahmen gerichtsfest machen, heißt es dazu. Das überrascht, dachte man doch, dass das Infektionsschutzgesetz alles bisher zum Schutz vor Corona Beschlossene trägt. Umso erforderlicher ist es nun, einmal mehr genau hinzusehen, worum es geht. Oder vielleicht auch, worum es nicht geht.

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Zunehmend wird zwar eine Debatte über das Verhältnis zwischen Gesundheitsschutz einerseits und die durch ihn eingeschränkte Grundrechte andererseits geführt. Diese Debatte nimmt aber nicht nur in Demonstrationen von Impfgegnern und ähnlich weltfremd denkenden Zeitgenossen teils absurde Formen an, die in der Nähe zu politisch rechten Bewegungen ihre besondere Ausprägung finden. Auch manche Politikerreden gießen Öl in das Feuer eines eher sachlichen Konfliktes. Kriterien von gut und schlecht (für die Gesundheit) werden – flankiert von Angst vermittelnden Bildern und Nachrichten mancher Medienbeiträge (auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) –  zum wesentlichen Maßstab der Einschätzung. Gaststätten zu, Schulen auf, Theater zu, Läden auf, Maskenpflicht ja oder nein, darauf spitzt sich der Streit zu. Doch das ist nur vordergründig das Thema, das Thema ist vielmehr das Bewusstsein von Staat und Gesellschaft für den Rechtsstaat, für die darin verankerten unterschiedlichen Grundrechte. Da ist eine bedenkliche Bereitschaft zu registrieren, dieses Bewusstsein mit einer fast apodiktischen Prioritätensetzung zugunsten des präventiven, staatlich verordneten Gesundheitsschutzes über Bord zu werfen.

Späte Erkenntnisse des Gesetzgebers

Ein Beispiel dafür ist nun der jetzt in Aussicht genommene § 28 a Infektionsschutzgesetz. Im März dieses Jahres untersagte der Staat nahezu das gesamte öffentliche Leben hierzulande. Verfassungsrechtliche Kritik an diesem Vorgehen (die Schriftstellerin Julie Zeh, der Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, der Journalist Heribert Prantl) wurde zurückgewiesen mit dem Hinweis auf das angeblich dafür ausreichende Infektionsschutzgesetz. Es sei alles abgesichert, hieß es aus der Politik. Doch im Laufe des Jahres kam es, wie es kommen musste. Von den Schließungen betroffene Unternehmen klagten und setzten zum Teil durch, dass einzelne Vorschriften der Corona-Schutzverordnungen der Länder außer Kraft gesetzt werden mussten. Denn so eindeutig, wie es die Politik den Bürgern beruhigend vermittelte, war die Rechtslage doch nicht.

Zum ersten Mal werden nun also alle die Maßnahmen, die schon seit Monaten ergriffen werden, von der Maskenpflicht über die Schließung von Gewerbetrieben bis hin zur Untersagung der Gastronomie, konkret gesetzlich geregelt. Die Untersagung des Betriebs von „Einrichtungen, die der Kultur- und Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,“ soll mit der neuen Vorschrift ebenso sanktioniert werden wie die Untersagung von „Freizeit-, Kultur- und ähnliche Veranstaltungen“. Vorsichtiger ist man nur bei den religiösen Zusammenkünften, die lediglich verboten werden dürfen, „sowie (!) dies zwingend erforderlich“ ist. Man mag das alles für rechtmäßig halten, auch wenn angesichts der Formulierung des Infektionsschutzgesetzes und der allgemeinen Rechtslage erhebliche Zweifel bleiben, ob von der Exekutive flächendeckend verordnete präventive Schließungen von Unternehmen und Einrichtungen auf dieser gesetzlichen Grundlage zulässig sind. Das gilt umso mehr, als der neue § 28a Infektionsschutzgesetz keine in Art 14 Abs. 3 Grundgesetz vorgesehene verbindliche Entschädigungsregelung für die das Eigentumsrecht tangierenden Maßnahmen vorsieht. Rechtsgutachten, die diese Zweifel bestätigen, liegen dem Gesetzgeber nach den einschlägigen Veröffentlichungen des Deutschen Bundestages vor. Aber das alles mag vorerst einmal dahinstehen. Bemerkenswert ist vielmehr, dass der Gesetzgeber sich in der Gesetzesbegründung so gut wie gar nicht mit der Grundrechtsproblematik auseinandersetzt.

In der Gesetzesbegründung zu den Grundrechten kaum ein Wort

Lediglich bei den kirchlichen Versammlungen wird ausdrücklich in der Gesetzesbegründung hervorgehoben, dass deren Beschränkung zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen führen kann. Weitergehende Konsequenzen dieser Erkenntnis werden nicht geäußert. Viel bedenklicher steht es noch um die Erläuterungen der Eingriffe zu Lasten der Kultur. In der Gesetzesbegründung kommt das Wort Kultur nicht einmal mehr vor, geschweige denn, dass man sich bemüßigt fühlt, auf das Thema Kunstfreiheit auch nur einen einzigen Satz zu verschwenden. Vielmehr ist lediglich von Freizeitgestaltung die Rede. Und das, wo doch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz die Kunstfreiheit so garantiert, dass durch ein einfaches Gesetz, wie es das Infektionsschutzgesetz ist, in diese gar nicht eingegriffen werden kann. Da wären unter den gegebenen Umständen und angesichts der schweren Einschnitte vielleicht doch ein paar klärende Worte der Rechteabwägung notwendig gewesen. Die Kunstfreiheit in Artikel 7 des Gesetzentwurfs, wo die durch Corona-Maßnahmen einschränkbaren Grundrechte stehen, nicht zu nennen, weil sie aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht durch ein einfaches Gesetz eingeschränkt werden kann, sie aber in § 28 a dennoch einzuschränken, ist ein fataler Widerspruch. Grundrechtsbewusstsein des Gesetzgebers sieht anders aus.

Die Grundrechtsdebatte nicht der politisch Rechten überlassen

Das entscheidende aber ist: Mit der standhaften Verweigerung der Teilnahme an der Grundrechtsdebatte vor allem durch die handelnde Exekutive droht das allgemeine Grundrechtbewusstsein zu bröckeln. Das gilt fatalerweise erst recht, wenn man das parlamentarische Eintreten für die grundgesetzlichen Freiheiten weitgehend der politischen Rechten überlässt. Da könnte man auch gleich den Fuchs zum Wächter im Hühnerhof machen, bedenkt man etwa die Haltung der AfD zur Kunstfreiheit. Nein, was wir brauchen, ist eine offene parlamentarische Diskussion über das Verhältnis zwischen Gesundheitsschutz und Sicherung der Grundrechte, vor allem aber den Versuch, die sich aus beidem ergebenden widerstreitenden Rechtsgüter in einen vertretbaren Einklang zu bringen. Alle demokratischen Parteien (nicht nur die FDP) müssen das zu ihrem selbstverständlichen Thema machen. Denn die jetzige Gesetzgebung kann Präzedenzwirkung haben. Angesichts dessen nur darauf zu hoffen, dieses Problem werde sich durch einen Impfstoff schon irgendwann erledigen, wird rechtspolitisch nicht reichen.

(Postscriptum

Zwei Tage nach Veröffentlichung dieses Beitrags wurde die Neuregelung des § 28a Infektionsschutzgesetz verabschiedet. Zwischenzeitlich hatte man im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags auf die hier geäußerte Kritik reagiert und die Vorschrift sowie die Gesetzesbegründung wesentlich zugunsten der Kunstfreiheit überarbeitet. Dazu wird in Kürze hier ein weiterer Beitrag erscheinen. Darin wird es auch um das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin gehen, mit dem der gegen die Schließung gerichtete Antrag des Schlosspark Theaters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wurde.)

Schluss mit dem Hin und Her! Theater und Konzertsäle brauchen mehr Rechtssicherheit im öffentlichen Raum!

Immer mehr frage ich mich, welche Rolle eigentlich Verwaltungsjuristen beim Erlass so mancher Corona-Verordnung spielen. Fühlen sie sich ausschließlich als Vollzugsorgan der politischen Vorgaben und haben sämtliches kritische Denken eingestellt? Nur so lassen sich die zahlreichen Entscheidungen, mit denen Gerichte zunehmend die Verordnungen oder Teile davon kippen, noch erklären. Auch das politische Bewusstsein für das richtige Maß zwischen Gesundheitsschutz und Wahrung der Rechtsordnung scheint mit den steigenden Infektionszahlen offenkundig auf dem Sinkflug. Es ist daher, auch angesichts des neusten Lockdown, an der Zeit, noch einmal einigen juristischen Corona-Problemen nachzugehen.

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In der Veranstaltungsbranche steigen Hektik und Unübersichtlichkeit. Zunächst verfügte die Landesregierung von NRW, dass mehr als 20 Prozent der in einer Veranstaltungsstätte zur Verfügung stehenden Plätze nicht mehr besetzt werden dürfen, nahm diese Regelung aber nach Protesten der Betroffenen wieder zurück. In Baden-Württemberg wurde öffentlich bekannt gegeben, es seien bei Veranstaltungen nicht mehr als 100 Teilnehmer zugelassen. Bei genauem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass es für kulturelle Veranstaltungen die Teilnahme von 500 Personen erlaubt waren. NRW hingegen ließ nur 250 Personen in den Saal, hierzulande ist der Virus offenkundig aktiver. In der Bevölkerung entstand so schon vor dem neusten Lockdown der Eindruck, es sei hochgradig gefährlich, ein Theater oder einen Konzertsaal aufzusuchen. Den Rest besorgte die Bundeskanzlerin persönlich, indem sie die Menschen aufforderte, möglichst zu Hause zu bleiben, oder der NRW-Ministerpräsident mit seiner Feststellung, Kultur sei ein „Privatvergnügen“. Das Durcheinander war gar nicht mehr zu überbieten. Jetzt wieder eine komplette Schließung, angeblich bis Ende November. Ob Theater und Konzertsäle dagegen klagen oder nicht, es stellt sich zunehmend die Frage nach der Rechtslage.

In seinem Beschluss vom 15. Oktober 2020 (AZ: 1 S 3156/20) hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) von Baden-Württemberg das dortige coronabedingte Beherbergungsverbot vorläufig außer Vollzug gesetzt. Das ganze sei nicht verhältnismäßig und deshalb rechtswidrig. In anderen Bundesländern haben andere Gerichte ähnlich entschieden. Schaut man sich an, womit sich der VGH in dieser und weiteren Entscheidungen befasst hat, dann stellen sich vier interessante Fragen:

1. Darf man gegen sogenannte Nichtstörer vorgehen?

Prinzipiell befinden wir uns mit dem Infektionsschutzgesetz im Polizei- und Ordnungsrecht. Dort gibt es einen sehr einfachen Grundsatz: Ist die öffentliche Ordnung gestört oder besteht die Gefahr, dass sie gestört wird, darf der Staat gegen denjenigen, der die Störung verursacht oder verursachen könnte, den sogenannten Störer, vorgehen. Beim Infektionsschutz ist der Störer der an Corona erkrankte Mensch, der jemand anderen anstecken kann. Ihn können die staatlichen Behörden aus dem Verkehr ziehen, also etwa in Quarantäne schicken. Da das aber nicht ausreichen wird, um die Pandemie einzudämmen, stellt sich die Frage, ob der Staat auch gegen den Nichtstörer vorgehen darf. Die Frage beantwortet der VGH eindeutig mit ja und beruft sich dabei auf frühere Entscheidungen des VGH und eine Masern-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus 2012 (AZ: 3 C 16/11). So kann der Staat anordnen, dass wir alle, auch wenn wir gesund sind, also keine Störer, in der Öffentlichkeit einen Mund- und Nasenschutz tragen müssen und Abstand zueinander zu halten haben.

Schwieriger wird die Frage des Vorgehens gegen den Nichtstörer, wenn es sich dabei gar nicht um einen gefährdenden oder gefährdeten Menschen handelt, sondern um eine Institution, in der sich Menschen treffen. Beim Beherbergungsverbot muss man sich allerdings fragen, wer denn als Nichtstörer überhaupt von diesem Verbot betroffen ist, das Hotel und die Pension oder der zu Beherbergende. Interessant ist, dass gegen das Beherbergungsverbot in Baden-Württemberg ein potentieller Gast geklagt und den Prozess gewonnen hat. Letztlich geht der VGH aber wohl richtigerweise davon aus, dass beide als Nichtstörer Adressaten des Beherbergungsverbots sind.

Das Gericht hat jedoch schon einige Mühe, dieses Verbot aus dem einschlägigen Infektionsschutzgesetz herzuleiten. Denn § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) erlaubt es den staatlichen Behörden eigentlich nur im Falle der Erkrankung oder eines konkreten Verdachts der Erkrankung ausschließlich dem Betroffenen zu verbieten, einen bestimmten Ort zu betreten. Zudem können Veranstaltungen verboten oder eingeschränkt werden, um den Zugang von Erkrankten oder Krankheitsverdächtigen zu verhindern. Eine präventive Zugangsbeschränkung für öffentliche Räume durch nicht Erkrankte oder nicht Krankheitsverdächtige ist dort ebenso wenig vorgesehen wie gar die präventive Schließung etwa eines Hotels bzw. eines Theaters oder eines Konzertsaals. Der VGH leitet diese Berechtigung zu solchen Maßnahmen deshalb aus dem in den §§ 16 und 28 IfSG niedergelegten Willen des Gesetzgebers ab, den staatlichen Organen die zur Eindämmung der Pandemie notwendigen Schritte zu ermöglichen, was aber angesichts der klaren Regelung des § 28 Abs. 1 IfSG nicht der juristischen Kühnheit entbehrt. Denn man entnimmt dem Gesetz etwas ab, was so gar nicht dort geregelt ist.

2. Darf durch Maßnahmen der Pandemieprävention in Grundrechte eingegriffen werden?

Auch diese Frage bejaht der VGH und zwar auch für Grundrechte, die nicht ausdrücklich als einschränkbar in § 32 IfSG genannt werden. Für diese Rechtsauffassung muss sich das Gericht gleichfalls ein wenig nach der Decke strecken. Bei der Beherbergungsverbotsentscheidung hatte das Gericht es allerdings leicht. Der Gast hatte gegen das Beherbergungsverbot geklagt, weil er sich in seinem durch Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierte Recht der Freizügigkeit (irgendwo hinzureisen und zu übernachten) eingeschränkt sah. Das Grundrecht wird als einschränkbar in § 32 IfSG ausdrücklich genannt und steht nach Art 11 Abs. 2 GG ebenso ausdrücklich unter dem Gesetzesvorbehalt; man darf nach diesem Absatz 2 etwa zur „Abwendung einer Seuchengefahr“ mit einem Gesetz in das Grundrecht der Freizügigkeit eingreifen. Bei der Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG tat sich der VGH in seiner Entscheidung vom 9. April 2020 (AZ: 1 S 925/20) schon schwerer. Bedenkt man nun, dass die Auflagen für Theater und Konzertsäle teilweise auf komplette Berufsverbote von Künstlern hinauslaufen, die sich zudem auf die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen können, dann wird ersichtlich, wie sorgfältig die den Kunstbetrieb einschränkenden Corona-Maßnahmen geprüft werden müssen. Dies gilt umso mehr, als die Einschränkung von Art. 5 GG weder in § 32 IfSG vorgesehen ist noch die Kunstfreiheit unter irgendeinem grundgesetzlich vorgesehenen Gesetzesvorbehalt steht. In sie darf nur unter sehr speziellen Bedingungen etwa der Verletzung anderer und höherrangiger Grundrechte oder von wichtigen verfassungsrechtlich geschützten Werten eingegriffen werden. Die Hürden für solche Eingriffe sind also hoch, um nicht zu sagen sehr hoch.

Das wirkt sich nicht nur bezogen auf die nicht mehr oder nur in geringem Umfang zum Einsatz kommenden Künstler aus. Es wirkt sich auch auf das Theater und den Konzertbetrieb selbst aus. Deren künstlerische Aktivitäten werden erheblich eingeschränkt. Es kann nicht gespielt werden, was gespielt werden sollte. Spielpläne werden geändert, die Spielweise muss Coronabedingungen angepasst werden. Zudem wird das Publikum durch die Zugangsbeschränkung eines Theaters oder eines Konzertsaals an der Kunstwahrnehmung gehindert, was zwar keine Einschränkung der Kunstfreiheit zur Folge hat – der Zuschauer ist bezogen auf die Kunstfreiheit kein Grundrechtsträger –, aber eine Einschränkung der genauso durch das Grundgesetz geschützten (Art. 2 Abs. 1 GG) freien Entfaltung der Persönlichkeit darstellt. Da gibt es ebenfalls keinen Gesetzesvorbehalt, sondern nur die (höherwertigen) Rechte anderer, das allgemeine Sittengesetz (was immer das genau ist?) oder die verfassungsgemäße Ordnung als Schranke.

Im Zusammenhang mit der Einschränkung von Grundrechten wird als anderweitiges zu schützendes Recht in der Regel die in Art. 2 Abs. 2 körperliche Unversehrtheit dem jeweiligen Grundrecht (Freizügigkeit, Kunstfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit ) entgegengesetzt. Das geschieht mit der Annahme, die körperliche Unversehrtheit habe gegenüber den anderen Grundrechten den absoluten Vorrang. Dies ist aber weder rechtlich noch tatsächlich der Fall. Als rechtliches Beispiel lässt sich das Rauchen auf der Bühne im Rahmen der künstlerischen Gestaltung einer Bühnenrolle nennen. Hier gebührt der Kunstfreiheit eindeutig der Vorrang, die geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit einzelner Zuschauer muss dahinter eindeutig zurückstehen. Als praktisches Beispiel ist das Autofahren zu nennen. Hier gibt die Rechtsordnung der Freizügigkeit (sich mit dem PKW zu einem anderen Ort zu begeben) den absoluten Vorrang vor der Gefahr für die körperliche Unversehrtheit, die mit dem Autofahren verbunden ist.

3. Sind die vom Staat getroffene Corona-Maßnahme verhältnismäßig?

Hier sagt der VGH Baden-Württemberg bezogen auf das Beherbergungsverbot eindeutig nein. Dies gilt vor allem angesichts der Tatsache, dass es dem Land Baden-Württemberg nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass mit der Beherbergung von Menschen aus einem Krisengebiet grundsätzlich eine besondere Ansteckungsgefahr verbunden ist. Dabei geht es nicht um die Frage, ob ein Hotel die Beherbergung eines Erkrankten oder einer Person, die sich in Corona-Quarantäne befindet, ablehnen kann und sogar muss. Es geht vielmehr darum, dass präventiv die Beherbergung von Menschen aus Risikogebieten untersagt wird, solange sie nicht nachweisen, dass sie nicht infiziert sind, was sie im Übrigen auch durch einen bis zu zwei Tage alten Corona-Test nicht eindeutig können. Es ist letztlich dieses präventive Denken des Verordnungsgebers im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung das Problem. 

Bedenkt man nun, dass es im Theater und im Konzertsaal um das viel deutlicher durch das Grundgesetz geschützte Grundrecht der Kunstfreiheit geht, sind Corona-Maßnahmen, die sich gegen einen Kunstbetrieb richten, viel stärker auf die Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen. In der Quintessenz heißt das, dass die Einschränkungen für ein Theater oder einen Konzertsaal eher schwieriger sind als ein Beherbergungsverbot, zumal auch von diesen Kultinstitutionen bisher ebenfalls kein besonderes Infektionsrisiko für das Publikum ausgeht.

4. Was ist zu tun?

Grundsätzlich ist bei den Corona-Maßnahmen ein rechtliches Umdenken erforderlich, will man weitere gerichtliche Niederlagen vermeiden. Ein solches Umdenken zeichnet sich in den vergangenen Wochen auch durchaus ab und liegt in einem vollständig anderen Ansatz. Der Schutz der Menschen vor der Ansteckung muss zunächst im Steuern des individuellen Verhaltens liegen. Um es wieder an einem Alltagsbeispiel deutlich zu machen: Wenn eine Straße oder eine Kreuzung besonders gefährlich ist, dann sperre ich nicht die Straße oder die Kreuzung, sondern stelle Verkehrsregeln auf, an die sich die Verkehrsteilnehmer halten müssen, um Unfälle zu vermeiden. So etwa ist es auch bei Corona. Das heißt: 

  • Absolute Maskenpflicht im öffentlichen Raum, sobald der dortige Aufenthalt mit der Begegnung von Menschen verbunden ist.
  • Jedenfalls im öffentlichen Raum Einhaltung einer angemessenen Entfernung zu anderen (mit Maske mindestens ein Meter). 
  • Verzicht auf die Maskenpflicht im öffentlichen Raum nur, wenn man sitzt, und zwar in angemessener Distanz (nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse eineinhalb Meter) zu anderen.
  • Alle Unternehmen und Institutionen, die ihre Räume der Öffentlichkeit zugänglich machen, sind verpflichtet, mit Hygienekonzepten dafür Sorge zu tragen, dass die genannten Auflagen eingehalten werden.

Diese Auflagen werden kaum an der Rechtsprechung scheitern, jedenfalls nicht, wenn sie eindeutig formuliert werden, sind aber dennoch effektiv. Den Theatern und Konzertsälen ermöglichten sie, enger besetzte Bereiche mit Maskenpflicht, abstandsintensivere Bereiche ohne Maskenpflicht anzubieten, auch während einer Vorstellung (z.B. Parkett mit Maske und kleinerem Abstand, erster Rang ohne Maske und größerem Abstand). Gastronomie (z.B. Pausenbuffet) und Premierenfeiern würden ohnehin entfallen, da sie mit Maske keinen Sinn machen. Kabarette könnten an Tischen (unter Abstandswahrung) während der Vorstellung gastronomische Angebote machen. Höchstgrenzen für Veranstaltungen wären nicht erforderlich. Auch private Stehpartys im öffentlichen Raum wären schon stark eingeschränkt, denn wer Maske trägt, kann ja nichts trinken., auch kein Alkohol. Gegebenenfalls wäre hier vorsorglich noch eine zahlenmäßige Beschränkung von privaten Treffen im öffentlichen Raum erforderlich, wenn regional die Infektionszahlenahlen stark steigen. Im schlimmsten Fall kämen noch Ausgangssperren ab 23 Uhr in Betracht, das würde Gaststätten und Restaurants nicht völlig lahmlegen und Theateraufführungen und Konzerte in einem gewissen Umfang ermöglichen. 

Ob das alles reicht, kann keiner sagen. Es wäre aber rechtlich ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gesundheitsschutz und anderen schützenswerten Rechten. Vielleicht sollte man einfach mal so verfahren und es bundesweit konsequent ein paar Monate durchhalten. Dazu gehört auch, die getroffenen Maßnahmen strenger als bisher zu kontrollieren und Verstöße dagegen zu ahnden. Dann kämen wir vielleicht weiter als mit dem hektischen Hin und Her, das zurzeit die Bekämpfung des Infektionsgeschehens beherrscht.

Zurück im Theater; Eindrücke von einem ersten Theaterbesuch in Corona-Zeiten

Es war irgendwann im Februar dieses Jahres. Da wurde erstmalig seitens der Landesregierung NRW erwogen, Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Zuschauern wegen Corona zu verbieten. Die Kultureinrichtungen versuchten noch, die Zahl der zugelassenen Besucher nach oben zu korrigieren, nicht ahnend, dass kurze Zeit später die Totalschließung kommen würde. „Die Fledermaus“ war hier in Bonn die letzte Premiere, die halbwegs unter „normalen Bedingungen“ stattfand. Danach war praktisch Schluss mit dem Theater. Doch nun sind die Tore wieder offen und das Zuschauer-Theater-Glück zurück. Oder doch nicht so ganz?

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Ginge es alleine um die Aufführung, dann wäre sogar das Wort Begeisterung angebracht.  Wer erwartet hatte, der Schock der Schließung sitze dem Theater so sehr in den Gliedern, dass nun zum Neustart eher einer der Theater-Blockbuster zum Zuge gekommen wäre, also etwa „Aida“ oder „La Boheme“, der sah sich getäuscht. Los ging es in Bonn mit Musik des 20. Jahrhunderts, der Oper „Staatstheater“ von Mauricio Kagel. Das ist ja schon für sich genommen eine erfreuliche Ansage. Sie wird durch die Inszenierung von Jürgen R. Weber noch bekräftigt, die der in Bonn seit einiger Zeit gängigen Praxis treu bleibt, Opernwerke nicht nur auf einige sich in der realen Welt stellende Probleme zu befragen, sondern auch zum aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskurs in der Stadt in Bezug zu setzen. 

Die Oper und die Diskussion über Kultur und Sport

So changiert die Inszenierung einerseits im Spannungsverhältnis zwischen hergebrachter Oper und zeitgenössischem Musiktheater, indem etwa schrille Kostüme der handelnden Personen (Kostüme: Kristopher Kempf) einigen in Traditionskostümen auftretenden Statisten (leicht zu erkennen Carmen, Wilhelm Tell, Boris Godunow, Madame Butterfly) entgegengesetzt werden. Der in Bonn ja fast heilig gesprochene Beethoven wird in Videos als Gipsfigur zertrümmert, als Plastikfigur zerstückelt und schließlich (ebenfalls als Gipsbüste) in einem Bassin versenkt. Aus der Tiefe des Bühnenbodens tauchen immer wieder Figuren auf, die an Oskar Schlemmers Bauhausbühne erinnern, die seinerzeit zu neuen Theaterufern aufzubrechen suchte. Taktgebende Metronome werden in ein nicht mehr einen einheitlichen Takt gebendes Durcheinander versetzt und damit ihres Zweckes beraubt, um anschließend mit Beethoven im Video-Brackwasser dahin zu dümpeln. Die Botschaften sind dem Werk entsprechend eindeutig: Die Oper ist kein Museum.

Andererseits wird die Aufführung Teil der Kontroverse zwischen Kultur und Sport, die in den letzten Jahren in Bonn von einigen politischen Kräften zu einem das allgemeine gesellschaftliche Einvernehmen durchaus sprengenden Konflikt zugespitzt wurde. Dieser Aspekt der Operninszenierung wird nicht nur durch die einzelnen vergebenen Rollen realisiert. Es treten u. a. auf: Die Intendantin, der Regisseur, der Oberbademeister und der Oberamtsleiter. Vielmehr wird gleich durch ein unübersehbares Dreimeterbrett auf der Bühne (Bühnenbild: Hank Irwin Kittel) klar, worum es der Inszenierung unter anderem gehen soll. Dabei rücken im Konflikt zwischen Kultur und Sport während des weiteren Verlaufs der Aufführung zunehmend friedensstiftende Elemente in den Fokus. So zeigt die Drehbühne, die auf der einen Seite Theater und auf der anderen Seite Schwimmbad ist, dass Kultur und Sport viel gemeinsam haben, keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten einer Medaille. Am Ende setzt der Oberbademeister den Beethovenkopf wieder zusammen und die Intendantin bläst den zunächst im Video zerstochenen überdimensionierten Wasserball wieder auf, um so der Versöhnung das in dieser Oper nicht vorhandenen Wort zu reden. Und auch die beiden Kinder der Protagonisten dürfen am Ende als Paar zusammenfinden, nachdem sich Kultur und Sport nicht mehr bekriegen wie einst die Familien Capulet und Montagues. Dass alle Personen nur mit Werkzeugen in der Hand agieren, wird auch den Corona bedingten Distanzauflagen geschuldet sein. Ob es Zufall ist, dass sie an die Grafik „Fabrik“ des gesellschaftskritischen Künstlers Gerd Arntz erinnern, mag dahinstehen. Sinn würde dieser Bezug jedenfalls machen.

Theater-Atmosphäre in Corona-Zeiten

Also keine Frage: Diese Aufführung ist Zuschauer-Theater-Glück, zumal, wie immer öfter in Bonn auf hohem Niveau musiziert und gesungen wird. Weniger glücklich stimmen den Besucher jedoch die dem Virus geschuldeten Verhältnisse im Zuschauerraum. Zwar erfreut die zur Verfügung stehend Beinfreiheit. Aber man wäre gerne bereit, sie zu zugunsten des wie üblich gefüllten Saals zu opfern. Diese Leere um einen herum wirkt befremdlich. Es fehlt das gemeinsame Schauen und spürbare, zuweilen durchaus unterschiedliche Empfinden, diese das Theater auszeichnende Mischung aus Individualität und Kollektiv. Sie ist nicht herstellbar in einem Raum, der über 1.000 Menschen fasst und in dem etwa dreihundert sich aufhalten. Ganz zu schweigen von fehlenden Pausengesprächen und -begegnungen. Wie Theater-Atmosphäre in Corona-Zeiten gehen soll, dass weiß ehrlicherweise niemand, ebenso wenig wie eine Antwort auf die Frage, wie wir überhaupt mit dem Verzicht auf Nähe dauerhaft umgehen wollen und können. Dass wir uns alle, wie die Aufführung provozierend in den Raum stellt, nur noch mit der Kneifzange anfassen, ist sicher keine Lösung.

Über die Zukunft

Es bleibt am Ende zudem im Raum stehen, wie es mit dem Theater überhaupt weitergehen soll. Die Aufführung „Staatstheater“ des Theaters Bonn werden bei der aktuellen Besetzung des Zuschauerraums vielleicht höchsten 1.500 Menschen zu sehen bekommen. Das ist und bleibt zu wenig. Wenn uns nicht ein Impfstoff oder eine göttliche Fügung von diesem Corona-Virus befreit, dann bleibt als Weg in die breite Öffentlichkeit nur die elektronische Verbreitung. Das aber kann nicht in Form irgendeines beliebigen Streamings geschehen. Wenn Öffentlichkeit durch direkte, persönliche Zusammenkunft nicht mehr herstellbar ist, dann braucht jede Kommune im Netz einen öffentlichen Informations- und Kulturkanal, der die Teilhabe der Bürger am kommunalen Leben sicherstellt. Dem Markt darf das nicht überlassen werden. Wie das im einzelnen aussehen könnte, dazu wird es demnächst auf dieser Internetseite einige Vorschläge geben. Zwischenzeitlich muss durch die öffentliche Finanzierung sichergestellt werden, dass die Theater und Orchester funktionstüchtig bleiben. Sie sind auch mit eingeschränkter Zuschauerzahl ein unverzichtbarer Ort des gesellschaftlichen Diskurses.

Das Gendersternchen

Die Gesellschaft für deutsche Sprache lehnt das Gendersternchen ab. Auch der Doppelpunkt oder der Unterstrich seien kein geeigneter Ersatz, hieß es kürzlich. Das alles sei mit den amtlichen Regeln der deutschen Rechtschreibung nicht vereinbar. „Da hat sich einiges verselbstständigt. Wir haben eine normierte Rechtschreibung, die auch in der Schule gelehrt wird – da ist das nicht vorgesehen“, lässt sich die Geschäftsführerin des Tugendwächtervereins unserer Muttersprache vernehmen. Soweit so gut, aber „Was tun?“ ist doch die Frage.

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Die Antwort auf diese Frage wäre einfach, wenn der Mensch geneigt wäre, sich an amtliche Regeln zu halten. Doch diese ansonsten durchaus verbreitete Neigung ist zumindest bei der Gestaltung der deutschen Sprache nur begrenzt vorhanden. Sonst würden wir vielleicht immer noch so sprechen und schreiben wie vor 100 Jahren. Das könnte allerdings in mancher Hinsicht auch ein Vorteil sein, bedenkt man die Sprachverrohung in den sozialen Netzwerken. Wie dem auch sei, wir sind, aller Regeln des Rates der deutschen Rechtsschreibung zum Trotz, gottlob sprachlich kreativ. Sonst hätte der neue Duden kaum ein Anlass gesehen, 3.000 neue Wörter in die neuste Fassung seines Wörterbuchs aufzunehmen. Irgendwo müssen die ja herkommen, in der Dudenredaktion ausgedacht hat man sie sich sicher nicht. Auch das Wort „Gendersternchen“ gehört zu den neuen Dudenwörtern.

Aber es zu benutzen, das geht nun den Hütern deutscher Sprachkunst zu weit. Das ist verständlich, muss auch ich gestehen. Denn die Satzungetüme, die mit dem neuen Sternenhimmel entstehen können, sind beträchtlich, wie folgendes Beispiel zeigt: „Einer*eine Schauspieler*in lernt seinen*ihren Text, damit er*sie mit seinen*ihren Kollegen*innen und dem*der jeweiligen Regisseur*in und dem*der Dramaturgen*in des Stücks am nächsten Tag in Anwesenheit des*der Theaterdirektor(s)*in proben kann.“ Schon geschrieben bekommt selbst die Leserin Bauchschmerzen und muss vielleicht zum*zur Arzt*Ärztin. Erst recht ist das aber der Fall, wenn der Satz etwa in einem Vortrag oder horribile dictu (steht das noch im neuen Duden?) sogar in der Alltagssprache gesprochen werden müsste. Und man muss sich einmal vorstellen, die bis vor kurzem noch durchaus verbreitete Methode des Schreibenlernens durch Hören würde weiter zur Anwendung gebracht. Na da wäre ich ja mal gespannt, wie der Satz geschrieben so bei einem Erstklässler aussähe. 

Aber völlig abgesehen von solchen Satzungetümen, eines verstehe ich gar nicht: Wieso ist es so sehr gendergerecht, die weibliche Form immer als Zweites zu nennen und dann in der verstümmelten Form des „in“ oder „innen“, praktisch hinten angehängt an die männliche Form. Ich finde, das ist erst recht die Herabwürdigung des Femininen. Und darauf, mit Verlaub, mag ich mich nicht einlassen. 

Was also ist die Lösung? Einige haben die Vorstellung, man könne der Sache mit dem Partizip Präsens beikommen: Der/die Lesende satt Leser und Leserin, der/die Studierende (hat sich schon herumgesprochen) statt Student und Studentin, der/die gesundheitlich Behandelnde statt Arzt und Ärztin, der/die rechtlich Beratende statt Rechtsanwalt und Rechtsanwältin und so weiter. Das aber ist weder sprachlich schön, noch löst es die Probleme bei der Verwendung von Artikeln und Fürwörtern (etwa im obigen Beispielsatz). 

Nein, wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen. Es gibt nur eine Lösung, und die steht auf zwei Beinen: Zum einen nennen wir, wenn es sinnvoll und notwendig ist, beide Formen, also die männliche und die weibliche (was im übrigen auch erlaubt, die weibliche Form zuerst zu nennen). Zum anderen benutzen wir dort, wo die Doppelnennung nicht notwendig ist, nicht immer die männliche Form, sondern mal die weibliche, mal die männliche. Dann hieße der obige Beispielsatz nicht wie bisher üblich: „Ein Schauspieler lernt seinen Text, damit er ihn mit seinen Kollegen sowie dem jeweiligen Regisseur und dem Dramaturgen des Stücks am nächsten Tag in Anwesenheit des Theaterdirektors proben kann.“ Vielmehr könnte er wie folgt aussehen: “Ein Schauspieler lernt seinen Text, damit er ihn mit seinen Kolleginnen und Kollegen sowie der jeweiligen Regisseurin und dem Dramaturgen des Stücks am nächsten Tag in Anwesenheit der Theaterdirektorin proben kann.“ So wird zum Ausdruck gebracht, dass die Welt keineswegs nur männlich ist, dass alle Berufe von Männern und Frauen ausgeübt werden können und beide Geschlechter sprachlich auf einer Stufe stehen. Das hätte doch etwas, oder? 

Die letzte Frage, die ich mir stellen muss, ist eine urheberechtliche. Neulich habe ich für einen Online-Dienst einen juristischen Text geschrieben und habe das Gendersternchen aus obigen Gründen nicht benutzt. Als der Text erschien, war er sternchengegendert. Man hatte also insoweit meinen Text geändert. Nach § 39 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz muss der Urheber Änderungen seines Werkes akzeptieren, „zu denen er seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann“. Gefragt wurde ich vorher nicht. Ich habe es natürlich nach Treu und Glauben mit Gelassenheit genommen, auch wenn es interessant wäre, der Frage juristisch näher nachzugehen. Aber das ist etwas für später.

Über die Macht im Theater und anderswo

Das Theater ist ein bemerkenswerter Betrieb. Es bringt künstlerisch alles Mögliche hervor: großartige Aufführungen, manche Langeweile, viel Routine und immer wieder Überraschendes, Neues. Aber er ringt auch mit vielen Unzulänglichkeiten, hierzulande ebenso wie anderswo in der Welt. Jeder, der mit dem Theater zu tun hat, weiß von diesen Unzulänglichkeiten eine Menge zu erzählen. Fehlendes Geld und rausgeschmissenes Geld, brüllende Regisseure und schwierige Regisseurinnen, Lügen und Intrigen, gelangweilte Musikerinnen und Musiker, großartige Künstlerinnen und Künstler und manche, die nur glauben es zu sein. Oft ein Feuerwerk der Eitelkeit! Zugleich aber gibt es grenzenlose Phantasie, viel Kreativität und Einfallsreichtum sowie ein hohes Maß an Engagement für die Sache Theater. Viele wunderbare und liebenswerte Menschen, die den Betrieb in Gang halten, ihm oft große Momente der Musik, der Kunst verleihen. Kurz und gut, das Theater ist eine Ansammlung von Begabung, ja zuweilen Genialität, gekoppelt mit menschlichen Schwächen, mit Arroganz und Unsicherheit. Das Leben eben, wie es so ist. Und tritt alles mal wieder deutlicher zutage, dann kommen die Experten daher und reden etwas von Strukturproblemen, von Machtstrukturen, die es aufzulösen gelte.

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Es ist doch eines zunächst einmal festzuhalten: Man kann soviel Demokratie wagen, wie man will, egal ob im Staat oder in Unternehmen, man kann ein flammender Sozialist sein oder ein Anhänger einer gemäßigten Marktwirtschaft oder ein hemmungsloser Kapitalist, am Ende jeden ökonomischen und politischen Machtverteilungsprozesses steht die Ausübung von Macht. Da das so ist, braucht es bei der Ausübung von Macht Kontrollmechanismen. Sie heißen hierzulande Parlament, Stadtrat, Aufsichtsrat, Personal- oder Betriebsrat, Behörden, im Theater kommen hinzu Vorstände von Orchestern, Chören, Tanzensembles, mittlerweile auch Vorstände der Solisten und Bühnentechniker, wie es die einschlägigen Tarifverträge NV Bühne und TVK vorschreiben. Verträge treten im Theater nicht ohne Unterschrift von Intendantin und Verwaltungsdirektor bzw. kaufmännischem Geschäftsführer in Kraft, beide Leitungsfiguren müssen sich also miteinander verständigen. Der Generalmusikdirektor ist oft mit reichlich Kompetenzen und dem entsprechenden Selbstbewusstsein ausgestattet, von beidem macht er manchmal zum Unmut des Intendanten regelmäßig Gebrauch. Die technische Direktorin ist für die Sicherheit des Betriebs zuständig und setzt den künstlerischen Ideen ihre Grenzen. Auch die Mitarbeiter haben eine Menge Rechte, sei es nach den genannten Tarifverträgen, sei es nach den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften. Und in größeren Häusern haben auch die Spartenleiterinnen immer noch ein Wort mitzureden, ihre männlichen Kollegen selbstverständlich auch. Längst schon herrscht an vielen, wenn nicht allen Häusern durchaus die Realisierung von Check and Balances vor.

Die Quintessenz: Die These, alle Probleme lägen an der ungeteilten Macht eines Intendanten steht auf mehr als wackeligen Füßen. Und wenn man ihr folgen möchte, stellt sich doch die interessante Frage, was denn nun geändert werden soll. Da wird dann der NV Bühne aus dem Köcher gezaubert, er sei mit seiner zu niedrigen Mindestgage oder der Befristung der Arbeitsverträge an allem Übel Schuld. Ja wird denn die Macht des Intendanten geschmälert, wenn die Künstlerinnen und Künstler (hoffentlich) mehr verdienen? Wollen wir wirklich alle Schauspielerinnen und Schauspieler, Opernsängerinnen und Tänzer in Zukunft unbefristet anstellen, damit die Intendantin, die neu an ein Haus kommt, sich gar nicht mehr nach neuen Künstlerinnen und Künstlern umschauen muss. Zuweilen heißt es, man müsse die Macht anders verteilen. Aber was nützt es, wenn derjenige, der sie hat, damit nicht richtig umgeht? Sollen deshalb jetzt – zur Vorsicht – Kollektive die künstlerischen Entscheidungen treffen? Wenn ja, was ist, wenn sie sich nicht einig werden?

Und dann die Intendantenfindung: Assessment-Center werden vorgeschlagen, Rollenspiele Gruppendiskussionen, Konzeptionsübungen also, um festzustellen, welche Kandidatin oder welcher Kandidat über ausreichende soziale Kompetenzen verfügt, um nicht dem Machtmissbrauch zu verfallen. Als gäbe es dort, wo so etwas stattfindet, also in Politik und Wirtschaft, keine Skandale mehr. VW und Audi, Wirecard und mancher kommunaler Bauskandal lassen grüßen. Schluss müsse sein im Theater, so heißt es weiter, mit dem Vorrang der künstlerischen Fähigkeiten, wenn Intendantenstühle zu besetzen seien. Auch die Intendanten-Kolleginnen und –Kollegen sollten sich mal fein raushalten, wenn es um Neubesetzungen für Regensburg oder Halle geht, wird gefordert. Das Geschäft gehört wohl nach Auffassung dieser Kritiker, so muss man vermuten, in die Hände von selbsternannten Headhuntern mit großen Adresskarteien, vielleicht von Professoren, oder wer soll es richten? In Wahrheit ist aber doch die Frage, wer sich denn für die Managment-Kompetenzen, die sozialen Qualitäten der Intendanz-Kandidaten wirklich interessiert, wenn die Wahl einer neuen künstlerischen Leitung ansteht. Es geht doch fast immer nur um künstlerisch bekannte Namen, vor allem in bestimmten Kreisen der öffentlichen Meinungsbildung.

Nein, liebe Freunde der Kunst, ihr seid auf dem falschen Dampfer. Das Problem sind nicht die Strukturen oder die Tarifverträge, das Problem ist der Umgang mit ihnen. Die Tarifverträge lassen noch einige wenige Spielräume der Kunst und das ist richtig so. Man darf sie aber nicht nutzen, um Rationalisierungseffekte zu realisieren, wie das lange Zeit der Fall war, um Dramaturginnen und Regieassistenten zu überfordern oder um künstlerische Willkür walten zu lassen. Man kann verschiedenen Personen in einem Betrieb Kompetenzen einräumen, wer immer sie auch inne hat, er oder sie muss verantwortungsvoll damit umgehen. Und Kontrollmechanismen muss man nutzen, wenn sie effektiv sein sollen. Soll heißen: Wir haben in der Gesellschaft eher eine moralische Krise als eine strukturelle. Es sind einigen im Umgang mit der Macht die Maßstäbe verloren gegangen. Oft ist nicht einmal ein Bemühen um Objektivität festzustellen. Die Achtung vor dem anderen droht zunehmend an Bedeutung zu verlieren. Nicht mehr Gemeinsamkeit ist angesagt, sondern „Ego first“, man muss sich doch nur das Treiben beim jüngsten EU-Gipfel ansehen. Was also vielfach fehlt, in der Politik, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und auch im Theater ist das Besinnen auf einige unverzichtbare Tugenden, um die eigenen menschlich verständlichen Schwächen zuweilen einer gewissen Selbstkontrolle zu unterwerfen. Wer da den Beteiligten und der Öffentlichkeit einzureden sucht, es gehe hier um Strukturen, der betreibt einen Entlastungsangriff zugunsten der Verteidigung von fragwürdigem Verhalten und nimmt den Beteiligten die Chance, es besser zu machen. Denn nichts ist schwieriger, als gewachsene Strukturen zu verändern. Der Fortschritt ist eben eine Schnecke. Und vielfach ist auch gar nichts zu ändern. Aber persönlich etwas anders machen als zuvor, das kann jeder von heute auf morgen, wenn es sich ein wenig Autonomie bewahrt hat. Dazu braucht es ein offenes, konstruktives Betriebsklima. Das sollten wir fördern, statt zweifelhafte Strukturprobleme zu wälzen und uns so auf die falsche Fährte locken zu lassen.

Was die Corona-Kulturhilfe des Bundes im Bereich der darstellenden Kunst leistet und was nicht

Eine volle Milliarde Euro stellt der Bund dem von der Corona-Krise stark angeschlagenen Kulturbereich zur Verfügung. Das ist eine Menge Geld. „Kunst und Kultur sollen zur Wiederaufnahme ihrer Häuser und Programme ertüchtigt werden.“, heißt der einleitende Satz der einschlägigen Nummer 16 des Koalitionsbeschlusses vom 3. Juni 2020. Das klingt zunächst gut, hat aber seine Tücken. Grund genug, einmal genauer hinzusehen und vor allem Anregungen zu geben, was bei der Umsetzung bedacht werden sollte. Denn davon wird vieles abhängen, wenn Kunst und Kultur wirklich geholfen werden soll.

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Was gefördert wird

Klang der Text des Koalitionsbeschlusses noch so, als wende man sich mit der Corona-Kulturhilfe des Bundes an alle Kultureinrichtungen, so machte die dem Beschluss folgende Pressekonferenz der Kulturstaatsministerin eines unmissverständlich klar: Um öffentlich getragene Kultureinrichtungen wie etwa die Stadt- und Staatstheater oder Landesbühnen geht es dem Bund überwiegend nicht. Was gezielt für Kunst und Kultur zur Verfügung gestellt wird, soll vorrangig den privaten Einrichtungen zugute kommen. Das gilt vor allem für den 450 Millionen Euro umfassenden Titel „Erhaltung und Stärkung der Kulturinfrastruktur und Nothilfen“, aber auch für die Finanzierung (150 Millionen Euro) von Investitionen, um die Kulturbetriebe „pandemietauglich“ zu machen. Die Unterstützung (100 Millionen Euro) von bundesgeförderten Einrichtungen hingegen wendet sich vorwiegend an Betriebe in öffentlicher Trägerschaft. Unklar ist die Situation bei der Förderung (150 Millionen Euro) von alternativen und digitalen Angeboten, bei denen (in der Mitteilung des Deutschen Kulturrats) lediglich der Hinweis auf die Kulturfonds des Bundes darauf schließen lässt, dass auch hier, zumindest bei den Theatern und in der Musik, mehr an die freie Szene gedacht wurde als an öffentlich getragene Kultureinrichtungen. Da der Koalitionsbeschluss so eindeutige Festlegungen nicht enthält, sollte man bei der Umsetzung genau prüfen, in welchen Fällen öffentlich getragenen Kultureinrichtungen von dem Programm profitieren können, wobei damit nicht unbedingt die Stadt- und Staatstheater sowie Landesbühnen gemeint sein müssen. Interessant sind zudem die 20 Millionen Euro, die für private Hörfunkveranstalter zur Verfügung stehen sollen. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, was damit gefördert werden sollte.

Stärkungs- und Nothilfe

Wie die öffentliche Mitteilung der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien wissen lässt, geht es bei diesen 450 Millionen Euro darum, „vor allem die vielen kleineren und mittleren, privatwirtschaftlich finanzierten Kulturstätten und -prokjekte“ darin zu unterstützen, „ihre künstlerische Arbeit wiederaufzunehmen und neue Aufträge an freiberuflich Tätige sowie Soloselbstständige zu vergeben“. Schaut man sich die Angaben für die einzelnen Bereiche (Musik, Theater und Tanz, Film und weitere Bereiche wie Galerien, soziokulturelle Zentren, Buch- und Verlagsszene) genau an, dann ergeben sich für die darstellenden Künste drei Problemkreise:

  1. Viele der genannten Veranstalter sind nicht überwiegend privat finanziert. Das gilt vor allem für Livemusikstätten, Festivals, erst recht für den sehr allgemein gefassten Begriff der Veranstalter. Deshalb darf bei der genauen Festlegung der Kriterien für die Fördermöglichkeit die überwiegend private Finanzierung nicht zum maßgebenden Kriterium gemacht werden. Ansonsten wird man weite Teile der in Betracht kommenden begünstigten Künstlerinnen und Künstler von der Förderung ausschließen, wenn diese von überwiegend öffentlich finanzierten Institutionen reglmäßig engagiert werden. 
  2. Man darf den Kreis dieser Künstler nicht auf Freiberufler und Soloselbstständige beschränken. Ein großer Teil von ihnen – etwa die in Privattheatern für eine Produktion kurzfristig beschäftigten Darsteller oder die Darsteller bei einem Filmprojekt – sind abhängig beschäftigt, also Arbeitnehmer. Sie erhalten im Augenblick ebenfalls so gut wie keine Aufträge. Zu vermeiden ist also insbesondere eine Anknüpfung von Leistungen an die Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse. 
  3. Das Hauptproblem der Maßnahme „Stärkung und Nothilfe“ ist, dass sie an die Beschäftigung anknüpft. Diese aber ist zurzeit mit Rücksicht auf den Gesundheitsschutz der Darsteller (1,50 Meter Abstand)  stark eingeschränkt, wenn überhaupt möglich. Hinzu kommt, dass die Arbeit im Livebereich nahezu ohne Zuschauer und damit nahezu ohne Einnahmen stattfindet. Das kann dazu führen, dass größere Teile des für diese Maßnahme zur Verfügung stehenden Geldes ins Leere gehen. Deshalb wäre es wichtig, das Geld auch für Ausfallhonorare vorzusehen. Das würde nämlich den betroffenen Unternehmen ermöglichen, jetzt Projekte zu planen, Künstlerinnen und Künstler dafür zu engagieren, ihnen einen Vorschuss zu gewähren und sie selbst dann vollständig zu bezahlen, wenn die Veranstaltung oder das Projekt coronabedingt am Ende doch nicht stattfinden kann. Den gleichen Bedarf gibt es beim Einkauf von Rechten von Autoren und Komponisten, erst recht bei der Erteilung eines Stückauftrags durch ein Theater. 

Pandemiebedingte Investitionen

Hierbei handelt es sich um Gelder, die für die Umsetzung von Hygienekonzepten, für Online-Ticketing-Systeme oder die Modernisierung von Belüftungssystemen genutzt werden sollen. Wichtig ist dabei, dass die Umsetzung von Hygienekonzepten möglichst umfassend verstanden wird. Denn die räumlichen Bedingungen von Theaterbetrieben sind derartig unterschiedlich, dass eine vorherige Unterscheidung zwischen förderbaren Maßnahmen und solchen, die nicht gefördert werden, eine den Betrieb einer Spielstätte einschränkende Konsequenz haben könnte. In Betracht kommen für die Förderung vor allem die Entzerrung der Bestuhlung, die Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten, die Überdachung von Außen-Wartebereichen sowie Umbaumaßnahmen in Gastronomie und Foyer. Auch hier sind Adressat der Maßnahme laut der Veröffentlichung der Kulturstaatsministerin „vor allem“ solche Unternehmen, die überwiegend nicht von der öffentlichen Hand finanziert werden. Es wird wieder die Frage sein, auf welche durchaus überwiegend öffentlich finanzierten Unternehmen die Förderung ausgedehnt werden kann.

Förderung alternativer und digitaler Angebote

Diese Maßnahme ist offenkundig nicht auf überwiegend privat finanzierte Kultureinrichtungen beschränkt. Dabei sollte es bleiben, denn gerade die öffentlich geförderten Kultureinrichtungen werden mit ihren personellen und sonstigen Ressourcen in der Lage sein, digitale Angebote zu erstellen. Dabei wird es nicht nur um reines Streaming etwa von Theaterproduktionen und Konzerten gehen. Vielmehr sollte vor allem die Entwicklung digitaler Strategien, die über die Corona-Krise hinausreichen, teils exemplarisch für Oper, Tanz, Schauspiel und Musik im Fokus stehen. Dazu ist es erforderlich, dass von dem Geld sowohl einschlägig technisch oder – jenseits der Darsteller – künstlerisch ausgebildetes Personal als auch elektronisches Equipment finanziert werden können. Ebenso müsste privaten Medienbetrieben, wie etwa Fachzeitschriften, die Möglichkeit gegeben werden, digitale Vermittlungsangebote mit dem zur Verfügung stehenden Geld zu entwickeln. Zu bedenken ist wiederum, dass die Entwicklung von inhaltlichen digitalen Angeboten schwierig sein wird, solange die Produktionsmöglichkeiten der einzelnen Veranstalter durch den Corona-Gesundheitsschutz eingeschränkt sind.

Private Hörfunkveranstalter

Die 20 Millionen Euro, die für private Hörfunkveranstalter ausgegeben werden können, müssten an ein Kulturangebot dieser Veranstalter geknüpft sein. Also sollten die Mittel für künstlerische, schriftstellerische und musikalische Inhalte bereitgestellt werden. Nur dann entfaltet die Maßnahme eine Wirkung zugunsten von Künstlerinnen und Künstlern sowie anderen Kreativen. Hintergrund ist die Tatsache, dass viele private Hörfunkprogramme, meist regionaler Natur, stark kommerzialisiert und davon inhaltlich bestimmt sind. Wenn nun eine öffentliche Förderung die Werbeeinnahmen ersetzen soll, dann muss das mit entsprechenden inhaltlichen Neuorientierungen verbunden sein. Dies gilt umso mehr, als Kulturangebote stark regional geprägt sind. Die Bevölkerung hat deshalb ein starkes Interesse an einem regional-kulturellen, über die genannten Hörfunkprogramme praktizierten Austausch. 

Unterstützung bundesgeförderter Kultureinrichtungen und -projekte

Diese Maßnahme richtet sich eindeutig an die überwiegend von der öffentlichen Hand, also entweder nur vom Bund oder vom Bund mit einer anderen Gebietskörperschaft, also mit einem Land und/oder einer Kommune, institutionell geförderten Einrichtungen. Sie bezieht sich auf Einnahmeausfälle und Mehrausgaben, die in diesen Einrichtungen entstehen. Das ist begrüßenswert, wirft aber die Frage an die Länder auf, wie bei Einrichtungen verfahren werden soll, die lediglich vom Land und/oder einer Kommune finanziert bzw. getragen werden. Vergleichbare Programme etwa für die Stadt- und Staatstheater sowie Landesbühnen gibt es bisher soweit ersichtlich kaum, wären aber dringend erforderlich. Denn bei Kultureinrichtungen, bei denen der Bund nur Mitförderer ist, müssen Länder und Kommunen, so erwartet es der Bund, eine Komplementärförderung bereitstellen. Das würde dazu führen, dass nur solche öffentlich geförderten Einrichtungen einen Einnahmeausfall oder Zusatzkosten von den Ländern und Kommunen ersetzt bekämen, an denen der Bund finanziell beteiligt ist. Das ist kein sachgerechtes Unterscheidungskriterium. 

Weitere Förderungen

Der Deutsche Kulturrat weist in seiner Mitteilung vom 4. Juni 2020 zurecht darauf hin, dass Kultureinrichtungen durchaus von anderen Teilen des Koalitionsbeschlusses profitieren. Dazu gehört vor allem die zeitweise Absenkung der Mehrwertsteuer, die etwa den Einkauf von Dienstleistungen und Waren für alle Kultureinrichtungen, also auch die öffentlich getragenen, vergünstigt. Das gilt allerdings wiederum nur, soweit sie überhaupt in der Lage sind, zu produzieren; denn ansonsten gibt es keinen Einkaufsbedarf. Mit der Möglichkeit des Verlustrücktrags für die Jahre 2020 und 2021 in der Steuererklärung 2019 wird man hingegen nur die privaten Kulturunternehmen unterstützen. Ebenso kommt diesen das mit 25 Milliarden Euro ausgestattete Programm für Überbrückungshilfen zugute. Bei der Konkretisierung der beiden zuletzt genannten Maßnahmen ist deshalb darauf zu achten, das etwa private Theater nicht ausgenommen sind, z.B. wenn sie in geringerem Umfang öffentlich gefördert werden. Dagegen hilft die finanzielle Entlastung der Kommunen allen kommunal geförderten Kulturbetrieben. Hilfreich ist für diese wie für manches Privattheater im Übrigen die Fortschreibung des Kurzarbeitergelds. 

Die Kritik

Die Reaktionen auf die geplanten Corona-Hilfen des Bundes sind nicht überall positiv, sondern eher zurückhaltend ausgefallen. Das liegt an der Unklarheit, die hinsichtlich der positiven Auswirkung dieser Hilfen bestehen. Denn die Frage bleibt, inwieweit Künstlerinnen und Künstler, aber auch Kultureinrichtungen tatsächlich von den Maßnahmen profitieren. Will der Bund dieser Kritik entgegenwirken, muss er die Umsetzung der Maßnahmen deutlich auf diese Wirkung ausrichten. Bemerkenswert bleibt jedoch, mit wie wenig Vorgaben etwa die ebenfalls spezielle Finanzhilfe für die Lufthansa verbunden ist. Lediglich den Verlust einiger Start- und Landerechte musste der gelbe Kranich in Kauf nehmen. Ansonsten sind die 9 Milliarden eine Art institutionelle Förderung eines Privatunternehmens. So etwas hätten sich private Kulturveranstalter ebenfalls gewünscht. Aber da hat man seitens des Bundes in die Lufthansa scheinbar mehr Vertrauen als gegenüber vielen kleinen Kulturunternehmen. Die bekommen das für sie bestimmte Geld nur für konkret nachgewiesene Aktivitäten. Das ist zumindest bemerkenswert.

Die Corona-Sorgen der Kultur

Die Unruhe steigt. Zunehmend zeichnet sich ab, dass die Corona bedingten Einschränkungen des Kulturbetriebs länger dauern als erwartet. Museen haben zwar wieder geöffnet, aber unter erheblichen Auflagen. Die Theater ringen um ein Zukunftsszenario. Wie und wann welche Filme gedreht werden können, ist kaum absehbar. Kinos fürchten um ihre Existenz. Doch der Bund zögert mit konkreter Hilfe für die Kultur. Das Zögern kann sich als hoch dramatisch erweisen für eine der bedeutendsten Kulturlandschaften der Welt.

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„Wenn Banker sich treffen, reden Sie über Kunst. Wenn sich Künstler treffen, reden sie über Geld.“ Von wem auch immer dieser Satz stammt, einige verorten ihn bei Oscar Wilde, andere bei Jean Sibelius, er könnte zumindest in Bezug auf den zweiten Teil in Corona-Zeiten nicht treffender sein. Und nie war er verständlicher als heute. Denn wenn sich nicht bald eine Lösung abzeichnet, vor allem für die darstellenden Künste, dann geht es ans Eingemachte. Monatlich versenken die Stadt- und Staatstheater sowie die Landesbühnen wegen Vorstellungsausfall zurzeit knapp 50 Millionen Euro Ticketing-Erlöse. Vielen Schauspielern, Sängern und Tänzern brechen die Einnahmen weg, Theaterverlagen und damit Autoren und Komponisten ebenso. Vor allem private Theater stehen vor dem Aus. Einen Film zu drehen, wird zu einem Vabanquespiel, das den Namen Corona-Ausbruch im Filmteam trägt. Der Deutsche Kulturrat wird daher völlig zu Recht nicht müde, vom Bund einen nationalen Rettungsfonds für die Kultur zu fordern. Auch die Kultursenatoren Brosda (Hamburg) und Lederer (Berlin) machen mehr und mehr  darauf aufmerksam, dass die Länder die finanziellen Corona-Lasten der Kultur alleine nicht stemmen werden. Die Kommunen steuern auf gewaltige Steuereinbrüche zu, die spätestens Ende 2020 ihre Finanzen und damit auch die kommunale Kulturfinanzierung komplett auf den Prüfstand stellen werden.

Keine wirkliche Kultur-Hilfe vom Bund

Doch beim Bund wird leider in Sachen Kultur geschwächelt. Nach der Wiedervereinigung hatte die Bundesregierung einen Rettungsfonds für die Kultur der neuen Länder aus der Taufe gehoben, der immerhin umgerechnet jährlich etwa 450 Millionen Euro umfasste. Er währte mit fallender Tendenz über mehrere Jahre. Jetzt verweist der Bund nur auf seine Hilfe für Soloselbstständige, die jedoch nicht für die Lebenshaltungskosten genutzt werden dürfen, und vergleichbare Hilfen für Kleinunternehmen sowie das Kurzarbeitergeld. Oder erinnert an die erleichterte Grundsicherung der Jobcenter. Änderungen beim Arbeitslosengeld I (§ 142 Abs. 2 SGB III) für die vielen nicht selbstständig im Theater kurzfristig Beschäftigten: Fehlanzeige! Es blieb vielmehr bei Ankündigungen, etwa des Bundesfinanzministers für ein kulturspezifisches Konjunkturprogramm, was immer damit gemeint ist. Wohlklingende Worte kamen von der Bundeskanzlerin, die aber nicht in bare Münze umgesetzt wurden, so ein wenig, als lebten Künstlerinnen und Künstler von Luft und Liebe. Konkret für die Kultur steht auf Bundesebene ein überschaubarer Betrag als Unterstützung von Umrüstungen, die bei Kulturbetrieben zum Corona-Schutz notwendig sind, zur Verfügung. Geld für Plexiglasscheiben und Klebestreifen reicht aber nicht.

Was versucht wird

Also: Die Unruhe steigt. Händeringend bemühen sich Theater und Orchester um Betätigungsfelder, man muss ja schließlich Flagge zeigen. Sie reichen vom Streaming über teils rührende Internetkonzerte, auch einzelner Musiker, oder fast steril wirkende, auf Abstand bedachte Musikpräsentationen im Fernsehen, wie etwa kürzlich der in 3sat etwas lieblos präsentierte Auftritt der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks. Die Theater schwanken zwischen unbedingtem Hygieneschutz und einem nur noch vereinzelt festzustellenden Aufbegehren der Kunst. Einige starten erste Versuche, sich mit kleiner Form auf der Bühne einem stark geschrumpften Publikum zu nähern. Stuhlreihen werden ausgebaut oder nur spärlich besetzt. Der Zuschauerraum des Berliner Ensembles gleicht mit seinen einzelnen verbliebenen Plätzen eher einem zahnlosen Tiger. Noch gilt aber das Prinzip Hoffnung. Doch die Sorge ist groß, dass es bei den bestehenden Auflagen bleibt. Und was dann?

Hier und da lässt die Vorsicht nach. Österreich überlässt die Entscheidung, wie Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne (oder auch beim Filmset?) agieren, der Eigenverantwortung der Beteiligten. Auch beim Publikum lässt man nicht ganz so viel Vorsicht walten wie in Deutschland. Allerdings wird der Theaterbesuch in Österreich wohl oft nicht ohne Maskenpflicht für die Zuschauer möglich sein, nicht gerade ideal für eine „Götterdämmerung“ oder eine „Zauberflöte“. Selbst Verdis „Un ballo in maschera“ dauert ca. 2 1/4 Stunden. Immerhin werden aber die Salzburger Festspiele im Sommer wohl etwa 90 Vorstellungen anbieten. Was sich letztlich hierzulande tut, etwa in Thüringen oder Sachsen, bleibt abzuwarten. Und abzuwarten bleibt vor allem, wie das Publikum mit alledem umgeht. Denn die Traumatisierung von zumindest Teilen der Bevölkerung ist angesichts der radikalen Einschnitte in das öffentliche Leben und des damit verbundenen Signals einer in der Tat bestehenden, schwerwiegenden gesundheitlichen Bedrohung erheblich. Das gilt es nicht zu unterschätzen. Und die Angst, die umgeht, ist nicht nur die vor der Infektion, sie ist auch die vor der Quarantäne, wenn sich herausstellt, dass man mit einem Infizierten in einem Raum gesessen hat. Das gilt erst recht nach dem Corona-Ausbruch in einem nord-deutschen Restaurant und nach einem Baptisten-Gottesdienst in Hessen. Selbst die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne scheuen ja verständlicherweise vor einem freien, unbekümmerten Spiel zurück, selbst wenn man sie ließe.

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft

Dass man sie ließe, davon kann jedenfalls in Deutschland nicht die Rede sein. Da ist die Verwaltungsberufsgenossenschaft vor. Sie ist zwar für die öffentlich getragenen Theater, und Orchester gar nicht zuständig, sondern nur für private Veranstalter, hat aber jedenfalls Vorgaben für den Gesundheitsschutz auf der Bühne gemacht.  Nach anfänglichen weitreichenden Maßgaben, vor allem für Bläser (12 Meter Abstand in Blasrichtung), ist man dort angesichts neuerer Studien ein Stück zurückhaltender geworden. Doch wird vor allem von körperlicher Nähe dringend abgeraten. Filmteams erwägen jetzt, Schauspieler und Schauspielerinnen (mit ihren Mitbewohnern) vor dem Dreh mehrere Tage in Quarantäne zu schicken, was natürlich zur Folge hat, dass sie in dieser Zeit nicht arbeiten können. Wer nur annähernd erlebt hat, welche Probleme viele Theater haben, die bei ihnen tätigen und vom Theater bezahlten Darsteller für Drehtage freizustellen, ahnt, was diese Auflage bedeuten würde, zumindest für den Fall eines normalen Theater-Spielbetriebs.

Wie es weiter geht

Von einer Normalität kann demnach keinesfalls die Rede sein. Überhaupt sollte wir sie uns gar nicht erst einreden lassen, diese angebliche „neue Normalität“, sondern wenigstens darauf bestehen, dass wir uns vor allem in der Kultur, aber auch sonst in einem absoluten Ausnahmezustand befinden, egal wie lange er dauert. Der allerdings wird von Monat zu Monat schwieriger werden. Davon ausgehen, dass Theater- und Orchesterensembles dauerhaft bestehen können und öffentlich finanziert werden, wenn sie nicht arbeiten, darf man sicher nicht. Vor 20 Prozent der üblichen Zuschauer spielen, wird finanziell und kulturpolitisch ebenfalls nicht reichen. Zwar sind im Augenblick ein großer Teil dieser Betriebe durch den Kurzarbeit-Tarifvertrag, den die Künstlergewerkschaften mit dem Deutschen Bühnenverein für die kommunalen Theater und Orchester abgeschlossen haben, vor einer betriebsbedingten Auflösung der Arbeitsverhältnisse gesichert, wenn in einem Betrieb Kurzarbeit stattfindet. Ist der Betrieb jedoch als GmbH organisiert, nutzt auch das nichts. Bleiben die öffentlichen Zuschüsse aus, muss ein solcher Betrieb Konkurs anmelden, Kurzarbeit hin, Kurzarbeit her.

Man kann es drehen und wenden: Die Bedrohung der Theater- und Orchester wird täglich größer. Über viele Jahre ist es trotz zahlreicher Schwierigkeiten weitgehend gelungen, diese Betriebe mit ihren festen Ensembles zu erhalten. Es wäre fatal, wenn der Ensemble-und Repertoirebetrieb nun von Corona zur Strecke gebracht würde. Zudem kann sich keiner ausmalen, was es heißt, wenn die gesamte freie Szene und die Privattheaterlandschaft zusammenbrächen. Weit davon entfernt sind wir nicht mehr. Noch hat die Stunde des Verlustes nicht geschlagen. Aber es ist für weite Teile der Kulturlandschaft fünf Minuten vor zwölf. Sie braucht eine echte Perspektive. Die existiert mit 1,50 Meter Abstand auf der Bühne und im Publikum für Theater und Orchester nicht. Deshalb bedarf es einer Menge zusätzlichen Geldes. Darin unterscheiden sich die Theater und Orchester mit ihren etwa 60.000 Arbeitsplätzen nicht von der Lufthansa. Hier wie da ist nun der Bund gefragt. Länger hinhalten kann er die Kultur nicht.

Was tun? Über Corona und die Möglichkeit, Theater und Konzertsäle wieder zu öffnen

Es geht voran. Die Geschäfte sind wieder geöffnet, die Museen wieder zugänglich, wenn auch mit Einschränkungen. Anfang Mai haben sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten auf weitere Lockerungen des Corona bedingten Lockdowns verständigt. Zum ersten Mal war auch von der Öffnung der Theater und Konzerthäuser die Rede. Das ist erfreulich, gehören sie doch zu den am stärksten betroffenen Einrichtungen. Aber die Frage ist: Wie könnte eine solche Öffnung aussehen?

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Um es gleich vorweg zu sagen: Ein Proben- und Vorstellungsbetrieb von Theatern und Konzerthäusern wird nur sinnvoll sein, wenn – bezogen auf die Mitwirkenden – zwischen der künstlerischen Gestaltung einer Veranstaltung und dem Gesundheitsschutz eine Abwägung erfolgt und keiner der beiden Aspekte absolut in den Vordergrund gestellt wird. Das entspricht auch der gesetzlichen Vorgabe des Arbeitsschutzgesetzes, dessen § 4 Nr. 1 fordert, dass Gefährdungen für Leben und Gesundheit der Mitarbeiter eines Betriebs „möglichst“ zu vermeiden sind, jedoch nicht davon ausgeht, dass die Arbeit in einer bestimmten, sachlich gebotenen Ausprägung zur Vermeidung einer solchen Gefährdung gar nicht stattfinden darf. Bezogen auf die Zuschauer ist zu bedenken, dass es sich bei einer Theater- oder Konzertveranstaltung um eine kollektive Veranstaltung handelt, deren Sinn das gemeinsame Erleben dessen, was auf der Bühne passiert, aber auch die persönliche Begegnung und der gedankliche Austausch sind. Das Theater ist und bleibt ein Diskursraum. Dies durch Auflagen komplett zu negieren, führt ein Konzert oder eine Theatervorstellung ad absurdum.

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft und andere Empfehlungen

Mittlerweile gibt es einige Veröffentlichungen über eine Theater- oder Konzertarbeit in Corona-Zeiten, sie sind eher erschreckend und ernüchternd und führen praktisch dazu, dass Proben und Vorstellungen in Theatern und Konzerthäusern weiterhin kaum sinnvoll stattfinden können. Zu diesen Veröffentlichungen gehören etwa die Empfehlungen der Verwaltungsberufsgenossenschaft für die Branche Bühnen und Studios. Es wird darin undifferenziert gefordert, Inszenierungen so anzulegen oder gar zu überarbeiten, dass ein Abstand der Darsteller untereinander von 1,5 Metern, in bestimmten Fällen, etwa beim Singen, von 6 Metern eingehalten wird. Bläser sollen in Blasrichtung 12 Meter Abstand zur nächsten Person, in anderen Richtungen bis zu 3 Metern Abstand halten, hieß es zunächst. Jetzt ist nur noch von 2 bis 3 Metern die Rede. Pro an einer Probe beteiligter Person sollen mindestens 20 Quadratmeter Probenfläche zur Verfügung stehen. Für Regisseure werden 10 Quadratmeter gefordert, eine kaum sachkundige Vorgabe. Denn entweder befindet sich der Regisseur am Regiepult in einer der mittleren Reihen des leeren Parketts und die Frage ist allenfalls, wie viele Plätze beispielsweise der Regieassistent rechts und links neben ihm frei lassen soll. Oder der Regisseur ist mit auf der Bühne und probt dort mit den Darstellern, ohne in einer anderen Situation zu sein als die Darsteller selbst. 

In eine ähnliche stereotype Richtung gehen die Empfehlungen der Musikergewerkschaft DOV, die diese auf Ihrer Internet-Plattform orchesterland.wordpress.com veröffentlicht hat. Sie enthalten zwar einige detaillierte Vorschläge, die realisierbar und sinnvoll sind, bringen aber auch zahlreiche Einschränkungen für die Mitwirkenden und das Publikum mit sich, die den Theater- und Konzertbetrieb eher infrage stellen statt zu seiner Realisierung beizutragen. 

Das Risiko

„Aller Wahrscheinlichkeit nach müssen wir als Gesellschaft einen Weg finden, mit dem vergrößerten Risiko zu leben“, hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann kürzlich in einem bemerkenswerten Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Das bedeutet nicht, einem fahrlässigen Umgang mit der Ansteckungsgefahr, die vom Corona-Virus ausgeht, das Wort zu reden. Aber am Anfang jeglicher Wiedereröffnung von Theatern und Konzertsälen muss eine sachgerechte Risikoeinschätzung stehen. Sie muss dann in Bezug gesetzt werden zur künstlerischen Gestaltung einer Veranstaltung. Am Ende wird man dabei feststellen, dass man zumindest bezogen auf die Mitwirkenden zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommt. 

Die Gefahr, dass jemand einem Infizierten begegnet, ist zurzeit eher gering, sie liegt angesichts von rund 10.000 Infizierten, die sich im öffentlichen Raum bewegen, weil sie noch nicht als an Corona Erkrankte identifiziert sind, bei etwa 1:8.000; d.h. statistisch gesehen ist jede 8.000. Person, der man begegnet, infiziert. Interessant wäre es zu wissen, wo denn die Ansteckungen regelmäßig erfolgen. Zurzeit sind Schlachthöfe der Hotspot. Dennoch halten sich nach wie vor alle Menschen bei der alltäglichen Begegnung in nie dagewesener Weise zurück, tragen Masken und sind weitgehend überaus vorsichtig, was richtig ist. Aber ist das eine Situation, in der eine den Kunstbetrieb lahmlegende Vorsicht bis hin zur ernsthaften Einschränkung der Kunstfreiheit geboten ist? Es ist ja gerade nicht das Ziel von staatlicherseits verordneten Einschränkungen, jegliche theoretisch mögliche Einzelinfektion mit dem Corona-Virus zu vermeiden, genauso wenig wie der Staat jeden Verkehrsunfall verhindern kann. Ziel des staatlichen Handelns ist es vielmehr, Masseninfektionen zu vermeiden. Das bedeutet konkret, je mehr Menschen sich wo auch immer näher kommen, je stärker wächst die Gefahr einer Ansteckungswelle und desto eher dürfen die staatlichen Behörden eingreifen, auch wenn keine konkret nachweisbare Gefahr besteht. 

Die Mitwirkenden

Zum Leichtsinn gibt es keinen Anlass. Aber wenn man die allgemeine Risiko-Lage zugrunde legt, dann muss man bezogen auf die Mitwirkenden zunächst einmal feststellen: Je geringer die Zahl der Mitwirkenden ist, desto geringer ist das Risiko der Ansteckung und desto weniger sind Einschränkungen staatlicherseits geboten. Das gilt umso mehr, wenn sich das Theater und die Mitwirkenden selbst mit der Frage des konkreten Risikos vor der Probe oder den Aufführungen beschäftigen; wenn außerhalb des Theaterbetriebs alle Mitwirkenden dafür Sorge tragen, dass sie sich möglichst nicht anstecken, um so ihre Kollegen und Kolleginnen nicht zu gefährden; wenn regelmäßig Corona-Tests bei den Mitwirkenden durchgeführt werden.  Konkret heißt das: Spielen beispielsweise Sandra Hüller und Jens Harzer in Bochum „Penthesilea“ als Zwei-Personen-Stück, dann hat sich der Staat oder eine Unfallversicherung mit irgendwelchen Corona-Auflagen herauszuhalten und nicht etwas über zu beachtende Abstände festzulegen. Erst recht nicht haben sie vorzuschreiben, ob bei einer Probe in der zwanzigsten Reihe des leeren Zuschauerraums ein Dramaturg sitzen darf, um der Probe beizuwohnen (, was die Verwaltungsberufsgenossenschaft meint untersagen zu müssen). 

Schwieriger wird die Situation, wenn die Anzahl der Mitwirkenden zunimmt. Auch da muss jedenfalls im Normalfall die Einschätzung des Risikos – zumindest in der augenblicklichen oben beschriebenen Risikolage – beim Theater selbst und bei den an der Produktion beteiligten Künstlern liegen und nicht bei irgendwelchen Fachbeamten, die sich ums Theater oder die Musik noch nie gekümmert haben. Sicherlich, die Situation wird schwieriger, wenn Chor und Orchester beteiligt sind. Da wird man nachdenken müssen über kleinere Besetzungen, besondere Schutzmaßnahmen (z. B. aufgestellte Plexiglasscheiben vor den Bläsern) oder auch mal über die Zuspielung des Chors aus dem Off unter Einspielung einer auf die Szene Bezug nehmenden Video-Installation. Auch sonst wird es die eine oder andere Rücksicht der Inszenierung auf die bestehende Situation geben müssen, ohne dass der Zuschauer unbedingt etwas davon merkt. Die Quintessenz aber ist: Es verbietet sich bei der Wiedereröffnung eines Theaters oder eines Konzertsaals mit Rücksicht auf die Freiheit der Kunst jede stereotype Vorgabe für den künstlerischen Betrieb. Das schließt natürlich nicht aus, dass bestimmte Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen dort, wo sie sinnvoll sind, ergriffen werden.

Das Publikum

Angesichts des beschriebenen Risikos wird man auch hinsichtlich des Publikums gelassener sein können. Überhaupt wäre es beruhigend, wenn der Staat ein wenig mehr auf die Vernunft des mündigen Bürgers setzen würde. Es treffen ja in Theater und Konzertsaal nicht wie im Fußballstadion jubelnde, schreiende und feiernde Menschenmassen aufeinander. Sicher gebietet sich das Tragen von Masken auf dem Weg vom Eingang des Theaters oder des Konzertsaals zum Sitzplatz und zurück. Ob ein Pausenbuffet stattfinden kann, wird letztlich von der Anzahl der Menschen im Saal und der Größe der Foyers abhängen. Schon bei den letzten beiden Opernpremieren in Frankfurt und Bonn, die ich unmittelbar vor dem Lockdown besucht habe, haben nahezu alle bei der Premierenfeier Abstand gehalten, obwohl der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt war. Und die Besetzung des Saals: Da wird es interessant sein, was sich der Staat bei der Nutzung von Zügen und Flugzeugen einfallen lassen wird. Nach meinem Eindruck empfiehlt es sich, bis dahin nur jede zweite Reihe zu besetzen, dafür aber in der besetzten Reihe einen Platz, allenfalls zwei Plätze Abstand zwischen den einzelnen Zuschauern zu belassen. Und wer sich zusätzlich schützen will, kann ja auch während der Vorstellung eine Maske tragen. Man kann dann zu Erleichterung des Platzzugangs jede zweite Reihe ausbauen. Wenn das nicht geht oder zu viel Aufwand ist, muss man die jeweilige zu besetzende Reihe nicht mit festen Plätzen verkaufen, sondern nur mit Festlegung der Reihe. Der erste Zuschauer, der dann die von ihm gebuchte Reihe betritt, geht bis zur Mitte durch, die nachfolgenden setzen sich mit einem Platz oder zwei Plätzen Abstand dann auf die folgenden Plätze, wer zuletzt kommt, sitzt am Gang. 

Die Aussichten

Wer angesichts solcher Umstände und teilweise noch extremerer Hygiene-Bedingungen von einer Öffnung der Theater und Konzertsäle spricht, wie es leichtfertig der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet in der vergangenen Woche für notwendig befunden hat, ist entweder naiv oder macht sich und anderen etwas vor.  Das, was zurzeit in diesen Einrichtungen möglich ist, sind allenfalls Notlösungen, die einzelne Vorstellungen vor je nach Größe des Saals einer mehr oder weniger geringen Zahl von Zuschauern erlauben. Solche Vorstellungen kann jedes Theater dann einige Male anbieten, jedoch ohne auch nur annähernd die Produktionskosten gedeckt zu bekommen, vor allem in der Oper. Sie müssen nämlich, soweit es nicht um das angestellte Personal geht, sondern um das Regieteam, die Bühnen- und Kostümbildner, die Urheberabgaben und vieles mehr von den Theatern selbst durch Kasseneinnahmen erwirtschaftet werden. Da reicht ein zu 20 Prozent gefüllter Saal keineswegs. Das gilt erst recht für Privattheater, die weit höhere Einnahmen erzielen müssen. Und überhaupt: Was immer gespielt wird, letztlich ist ein volles Theater ein gutes Theater. Theater und Konzertsäle öffnen im echten Sinne, das wird es erst geben, wenn die Corona-Krise so oder so gelöst ist. Deshalb ist es kein Zufall, dass das Theater in Ulm bereits entschieden hat, das Abonnement der Zuschauer auch in der Spielzeit 2020/21 (ja 2020/21!) komplett zum Ruhen zu bringen. Es gibt also doch noch Realisten, selbst in der Kunst. Schön wäre es, wenn es sie in der Kulturpolitik des Bundes auch gäbe und man endlich ein spezielles Hilfsprogramm für die Künstlerinnen und Künstler, die durch die Corona-Krise beschäftigungslos geworden sind, auflegte, das seinen Namen verdient. Bisher erschöpft sich die Initiative beim Bund vor allem in guten Worten und Ankündigungen.

Gastverträge und Gagenzahlung – Zur Umfrage von Ensemble-Netzwerk

Es steht außer Zweifel: Viele darstellende Künstler und Künstlerinnen, vor allem Schauspieler, Sänger und Tänzer, die regelmäßig nur für eine einzelnen Produktion oder eine einzelne Aufführung von den Theatern beschäftigt werden, befinden sich nach Ausbruch der Corona-Krise und der Schließung der Theater in großer Not. Mehr als 32.000 solche Verträge insgesamt schließen allein die Stadt- und Staatstheater sowie Landesbühnen jährlich ab, Tendenz steigend. Und es ist richtig: Viele dieser Beschäftigten sind trotz der jeweiligen Kurzfristigkeit ihrer Tätigkeit Arbeitnehmer. Ihnen nutzen also die Hilfsprogramme für Soloselbstständige oder solche für Künstler, die in der Künstlersozialkasse versichert, also ebenfalls selbstständig tätig sind, nichts. Bestätigt wird dies alles durch eine aktuelle Umfrage von Ensemble-Netzwerk. Doch vielleicht greift diese doch zu kurz.

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Schon seit Jahren fordern wir, dass die Regelung des § 142 Abs. 2 SGB III hinsichtlich der Anwartschaftszeit für kurzfristig beschäftigte Künstlerinnen und Künstler deutlich herabgesetzt wird (s. auch „Corona-Hilfsprogramm für Kunst und Kultur“ auf stadtpunkt-kultur.de). Vorbild dafür ist das in Frankreich geltende Statut „intermettent du spectacle“. Hätte man diese Gesetzesänderung rechtzeitig oder zumindest jetzt vorgenommen, bekämen die immer nur kurzfristig beschäftigten und deshalb zurzeit notleidenden darstellenden Künstlerinnen und Künstler wenigstens Arbeitslosengeld I. Aber die Politik stellt sich seit Jahren in dieser Frage weitgehend stur. Und auch zurzeit ist von der Bundesregierung in Berlin dazu nichts zu hören.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Klage groß ist, wenn ein Theater an diese Künstlerinnen und Künstler wegen der Corona-Krise bei ausgefallenen Produktionen oder Aufführungen keine oder geringere Gagen-Zahlungen leistet. Man darf jedoch nicht vergessen: Die Stadt- und Staatstheater, die Landesbühnen stemmen zurzeit ein gewaltiges Nothilfeprogramm. Sie haben über 20.000 angestellte künstlerische Mitarbeiter. Obwohl die Theater geschlossen sind, zahlen sie die monatlichen Gagen weiter, ein positiver Effekt unseres Ensemble- und Repertoiresystems. In Frankreich etwa kann man von so etwas nur träumen. Diese Zahlungen kosten die Theater hierzulande zusammen ca. 85 Millionen Euro im Monat (bezieht man das nichtkünstlerische Personal mit ein, ist es fast das Doppelte). Möglich ist das durch die öffentliche Finanzierung von Ländern und Kommunen. Aus rechtlichen Gründen können sich zurzeit nur wenige dieser Bühnen über das Kurzarbeitergeld eine Entlastung verschaffen. Von Monat zu Monat, in denen die Theater geschlossen sind, wird diese Situation zunehmend angespannter werden.

Das alles, ich weiß es sehr wohl, lindert die augenblickliche Not der kurzfristig beschäftigten Künstlerinnen und Künstler nicht. Aber ist es unter diesem Aspekt nicht doch anzuerkennen, dass auch nach der Umfrage von Ensemble-Netzwerk in ca. 43 Prozent der Fälle etwas gezahlt wird. Bei zurzeit sicher etwa 3.000 abgeschlossenen Verträgen, wird also in immerhin 1.300 Fällen (hoffentlich vor allem dort, wo es sozial besonders geboten ist) eine Zahlung geleistet. Das verdient eine gewisse Anerkennung und zeigt das Bemühen der Theater, in der Notlage etwas zu tun. Aber nicht alle Schwächen des Sozialversicherungssystems lassen sich durch dieses Bemühen zum Ausgleich bringen. Wir haben in den letzten Jahren immer mehr auch auf kurzfristige Beschäftigungen statt auf NV-Bühne-Verträge gesetzt und unser Theatersystem im Sinne von Projektdenken dadurch zunehmend verändert, nicht ohne öffentlichen Beifall auch aus künstlerischen Kreisen. Das deutsche Stadttheater ist ein Stück französischer geworden, wenn man so will. Sozialversicherungs-rechtlich hat die Politik das leider nicht mitvollzogen. Das erweist sich jetzt als eines der großen Probleme.

Infektionsschutzgesetz und Kunstfreiheit Über die Rechtsfolgen der Corona-Pandemie in der Kunst

Im Eilverfahren hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) soeben entschieden, dass die Schließungen von Geschäften wegen der Corona-Pandemie rechtmäßig ist
(AZ: 13 B 398/20.NE). Das deutsche Infektionsschutzgesetz biete dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage. Das in Artikel 12 Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung müsse hinter dem Schutz von Menschenleben zurückstehen. Abgemildert würden diese Eingriffe sowohl durch die weiterhin bestehende Möglichkeit der Auslieferung und Abholung von Waren als auch durch die von Bund und Ländern bereitgestellten Nothilfemittel und Liquiditätshilfen. Was heißt diese Entscheidung nun für die Theater, die ebenfalls für das Publikum geschlossen wurden? Und welche Rechtsfolgen ergeben sich aus dieser Entscheidung hinsichtlich Proben, Streaming-Premieren und Gagenzahlungen?


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Um es gleich vorwegzunehmen: Man wird hinsichtlich der präventiven und flächendeckenden Verbote von Theatervorstellungen vor Publikum nicht zu einem anderen Ergebnis kommen. Diese Verbote sind zum Schutz der Bevölkerung vor der Viruserkrankung erst einmal zulässig. Die Hürden, die dafür genommen werden müssen, sind allerdings höher. Denn anders als das Grundrecht der Berufsfreiheit steht das durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz garantierte Grundrecht der Kunstfreiheit (wie das der Forschung und Lehre) nicht unter Gesetzesvorbehalt. Eingriffe in die Kunstfreiheit sind nur unter Berufung auf das Infektionsschutzgesetzes also nicht ohne weiteres zulässig. Dies gilt umso mehr, als das Infektionsschutzgesetz hinsichtlich des Eingriffs in die Kunstfreiheit, insbesondere der Schließung von Theatern (und Museen oder Bibliotheken) eher auf schwachen Füßen steht. Daran hat die jetzt gerade im Eilverfahren (!) vorgenommene Ergänzung von § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz durch die erstmalige Regelung eines Verbots, bestimmte Orte zu betreten, wenig geändert.

Kunstfreiheit und körperliche Unversehrtheit

Letztlich kann also in die Kunstfreiheit nur eingegriffen werden, wenn die Ausübung der Kunst andere im jeweiligen Einzelfall höher zu bewertende Grundrechte oder verfassungsrechtlich geschützte Werte verletzt. Dabei geht es hier vor allem um das durch Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz geschützte Recht der Zuschauer auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das Besondere der jetzt verfügten Theaterschließungen für das Publikum besteht jedoch wiederum darin, dass sie präventiv und flächendeckend stattfinden. Eigentlich dürfte nur die konkrete Vorstellung jeweils untersagt werden, wenn von ihr tatsächlich eine Gefahr für das Leib und Leben der Zuschauer ausgeht und keine anderen Schutzmaßnahmen zur Verfügung stehen. So ist auch das Infektionsschutzgesetz angelegt. Da aber eine solche konkrete Gefahr in den vielen einzelnen hierzulande stattfindenden Theaterveranstaltungen kaum nachweisbar sein wird, bleibt den staatlichen Behörden nur das flächendeckende Verbot der Theatervorstellungen vor Publikum, um dessen Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen.

Mag also mit Rücksicht darauf dieses flächendeckende Vorstellungsverbot zulässig sein, ist jedoch fragwürdig, für welche Dauer das gilt. Je länger die Schließungen anhalten, desto eher werden sie mit Rücksicht auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig. Das liegt nicht nur an dem besonderen Schutz der Kunstfreiheit, zu der im Übrigen auch die Berechtigung des Menschen gehört, eine Kunstdarbietung wahrnehmen zu können. Das wiederum ist, wie etwa die Bewegungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit, Teil der durch Artikel 1 Grundgesetz geschützten Menschenwürde, von der es in Satz 2 dieser grundgesetzlichen Regelung heißt, dass es die Verpflichtung der staatlichen Gewalt ist, sie zu schützen. Deshalb genießt der Schutz von Leben und Gesundheit für das staatliche Handeln eben nicht überall die absolute Priorität, was gesellschaftlich durchaus allgemein akzeptiert wird; Beispiele dafür ließen sich genug finden. Der Schutz von Leben und Gesundheit wird vielmehr bis zu einem gewissen Grad anderem untergeordnet und dann der Verantwortung des einzelnen überlassen. Er muss entscheiden, wie viel Risiko er eingeht, was seine Prioritäten sind. Der Einzelne persönlich ist für andere mitverantwortlich. Das wird uns bezogen auf das Corona-Virus noch beschäftigen.

Die Verhältnismäßigkeit und das Geld

Im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit staatlicher Verfügungen ist darauf hinzuweisen, dass das Infektionsschutzgesetz im Regelfall Entschädigungen vorsieht, wenn einschränkende Maßnahmen nach diesem Gesetz beim Betroffenen zu materiellen Schäden führen. Ob diese Entschädigungsregelungen auf das präventive, flächendeckende Verbot von Theatervorstellungen vor Publikum ausgedehnt werden kann, ist angesichts der vagen Gesetzesformulierungen – gelinde gesagt – unklar, vor allem mit Blick auf die letzte oben schon genannte Gesetzesänderung. Insoweit ist der Hinweis des OVG auf die Nothilfemittel und Liquiditätshilfen von Bund und Ländern bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein wichtiger Hinweis. De facto bedeutet dieser Hinweis, dass die Verhältnismäßigkeit zumindest dann infrage gestellt ist, wenn die Maßnahmen zu einer Zahlungsunfähigkeit der betroffenen Betriebe führen. Da werden der Bund, aber vor allem die Länder und Kommunen als Theaterträger sowie angesichts ihrer Kulturzuständigkeit noch sehr gefragt sein, erst recht nach Beendigung der Corona-Krise.

Proben und Streaming-Premieren

Kommt man also zu dem Ergebnis, dass das präventive und flächendeckende Verbot von Vorstellungen vor Publikum unter den zurzeit feststellbaren Voraussetzungen zulässig ist, bleibt die Frage, ob das auch für ein behördliches Verbot von Proben und Streaming-Premieren gelten würde. Das wird eher zu verneinen sein. Denn der Schutzgedanke bezogen auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit fällt bezogen auf das Publikum weg. Er besteht aber nach wie vor bezogen auf die Mitwirkenden. Dies ist jedoch nicht Aufgabe des Staates, hier in die Kunstfreiheit einzugreifen. Dafür gibt weder das Infektionsschutzgesetz noch die oben vorgenommene Grundrechtsabwägung eine ausreichende Handhabe. Sind etwa alle Mitwirkenden in Ausübung ihrer grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit damit einverstanden, dass die Probe oder die Streaming-Premiere stattfindet, darf sie nicht am staatlichen Verbot scheitern. Fraglich hingegen ist es, ob das Theater mit Rücksicht auf seine Fürsorgeflicht gegenüber den Mitwirkenden die Probe oder Streaming-Premiere gegen den Willen der Mitwirkenden anordnen kann. Das wird nur dann der Fall sein, wenn der genannten Fürsorgepflicht anderweitig Genüge getan wird, wenn also beispielsweise die Veranstaltung so angelegt ist, dass ein die Gesundheit der Mitwirkenden ausreichend schützender Abstand eingehalten werden kann. Beispiele dafür sind die Lesung oder die Leseprobe. Aber auch ein Konzert mit einem Solisten und Klavierbegleitung, einem Quartett oder einem ausreichend Abstand zueinander haltendes Kammerorchester ist möglich, natürlich immer nur im Netz, also ohne Publikum. Im Tanz kann es ein Solotanzabend mit begleitende Musik vom Tonträger sein. Zur Fürsorgepflicht des Theaters gehört es selbstverständlich, Mitwirkenden, die mit Corona infiziert sind oder bei denen die diese wahrscheinlich ist, sofort von ihrer Mitwirkung zu befreien, sofern sie nicht ohnehin unter Quarantäne stehen. Andererseits kann eine weitgehende Sicherheit, dass niemand der Mitwirkenden ernsthaft gefährdet ist, infiziert zu sein, dazu führen, dass eine Probe angesetzt werden kann, vor allem wenn es sich um kleine Besetzungen handelt. Allen muss zudem bewusst sein, dass ein dauerhafter Nichteinsatz von Mitwirkenden zu einer völligen Lahmlegung des Theaterbetriebs mit den damit verbundenen schwierigen Konsequenzen führen kann bis hin zur dauerhaften Schließung des Betriebs.

Die Gagen

Heftig diskutiert wird zurzeit, wie hinsichtlich der Gagen von Mitwirkenden bei ausfallenden Proben oder Aufführungen zu verfahren ist. Bei den dauerhaft an einem Theater beschäftigten Arbeitnehmern, einschließlich der mit Spielzeitverträgen ausgestatteten Ensemblemitgliedern, ist vorerst von einer Fortzahlung der Vergütung auszugehen. Schwieriger ist die Situation bei den Gastverträgen, und zwar unabhängig davon, ob sie als abhängig Beschäftigte, also als Arbeitnehmer, oder als Selbstständige beschäftigt werden. Klauseln, die auf höhere Gewalt abstellen und für diesen Fall die Honorarzahlung ausschließen, haben ihre juristischen Tücken. Zudem ist die Frage, ob und inwieweit bei einem präventiven Verbot von Vorstellungen vor Publikum überhaupt ein Fall von höherer Gewalt vorliegt, wenn man das beispielsweise mit der Totalzerstörung eines Theaterbetriebes durch Feuer vergleicht. Letztlich ist das flächendeckende Verbot von Vorstellungen vor Publikum am ehesten eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Diese führt praktisch zu einer Anpassung des abgeschlossenen Vertrags und damit der Gage, was in der Regel bedeuten wird, dass je nach Lage des Einzelfalls zwischen 25 und 75 Prozent der vereinbarten Gage für ausgefallene Proben oder Vorstellungen gezahlt werden sollten. Bei hohen Gagen und daraus resultierender mangelnder sozialer Schutzbedürftigkeit kann die Vertrags- und Gagenanpassung sogar zu einem kompletten Wegfall der Gage führen.

Sonstige Verträge

Auch bei anderen Verträgen kann die Störung der Geschäftsgrundlage ein Weg sein, durch den Ausfall von Vorstellungen entstehende, vor allem finanzielle Probleme zu lösen (siehe dazu „Raummiete und Corona-Krise“ auf dieser Seite). Das gilt je nach Ausgestaltung etwa für Verträge mit Verlagen über Aufführungsrechte nach dem Urheberrechtsgesetz. Denn das, was wir zurzeit als Störung der Rechtsordnung erleben, ist genau die außergewöhnliche Situation, die § 313 BGB im Auge hat. Es verwundert, dass dies bisher in der öffentlichen Debatte so wenig eine Rolle gespielt hat.