Die Corona-Sorgen der Kultur

Die Unruhe steigt. Zunehmend zeichnet sich ab, dass die Corona bedingten Einschränkungen des Kulturbetriebs länger dauern als erwartet. Museen haben zwar wieder geöffnet, aber unter erheblichen Auflagen. Die Theater ringen um ein Zukunftsszenario. Wie und wann welche Filme gedreht werden können, ist kaum absehbar. Kinos fürchten um ihre Existenz. Doch der Bund zögert mit konkreter Hilfe für die Kultur. Das Zögern kann sich als hoch dramatisch erweisen für eine der bedeutendsten Kulturlandschaften der Welt.

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„Wenn Banker sich treffen, reden Sie über Kunst. Wenn sich Künstler treffen, reden sie über Geld.“ Von wem auch immer dieser Satz stammt, einige verorten ihn bei Oscar Wilde, andere bei Jean Sibelius, er könnte zumindest in Bezug auf den zweiten Teil in Corona-Zeiten nicht treffender sein. Und nie war er verständlicher als heute. Denn wenn sich nicht bald eine Lösung abzeichnet, vor allem für die darstellenden Künste, dann geht es ans Eingemachte. Monatlich versenken die Stadt- und Staatstheater sowie die Landesbühnen wegen Vorstellungsausfall zurzeit knapp 50 Millionen Euro Ticketing-Erlöse. Vielen Schauspielern, Sängern und Tänzern brechen die Einnahmen weg, Theaterverlagen und damit Autoren und Komponisten ebenso. Vor allem private Theater stehen vor dem Aus. Einen Film zu drehen, wird zu einem Vabanquespiel, das den Namen Corona-Ausbruch im Filmteam trägt. Der Deutsche Kulturrat wird daher völlig zu Recht nicht müde, vom Bund einen nationalen Rettungsfonds für die Kultur zu fordern. Auch die Kultursenatoren Brosda (Hamburg) und Lederer (Berlin) machen mehr und mehr  darauf aufmerksam, dass die Länder die finanziellen Corona-Lasten der Kultur alleine nicht stemmen werden. Die Kommunen steuern auf gewaltige Steuereinbrüche zu, die spätestens Ende 2020 ihre Finanzen und damit auch die kommunale Kulturfinanzierung komplett auf den Prüfstand stellen werden.

Keine wirkliche Kultur-Hilfe vom Bund

Doch beim Bund wird leider in Sachen Kultur geschwächelt. Nach der Wiedervereinigung hatte die Bundesregierung einen Rettungsfonds für die Kultur der neuen Länder aus der Taufe gehoben, der immerhin umgerechnet jährlich etwa 450 Millionen Euro umfasste. Er währte mit fallender Tendenz über mehrere Jahre. Jetzt verweist der Bund nur auf seine Hilfe für Soloselbstständige, die jedoch nicht für die Lebenshaltungskosten genutzt werden dürfen, und vergleichbare Hilfen für Kleinunternehmen sowie das Kurzarbeitergeld. Oder erinnert an die erleichterte Grundsicherung der Jobcenter. Änderungen beim Arbeitslosengeld I (§ 142 Abs. 2 SGB III) für die vielen nicht selbstständig im Theater kurzfristig Beschäftigten: Fehlanzeige! Es blieb vielmehr bei Ankündigungen, etwa des Bundesfinanzministers für ein kulturspezifisches Konjunkturprogramm, was immer damit gemeint ist. Wohlklingende Worte kamen von der Bundeskanzlerin, die aber nicht in bare Münze umgesetzt wurden, so ein wenig, als lebten Künstlerinnen und Künstler von Luft und Liebe. Konkret für die Kultur steht auf Bundesebene ein überschaubarer Betrag als Unterstützung von Umrüstungen, die bei Kulturbetrieben zum Corona-Schutz notwendig sind, zur Verfügung. Geld für Plexiglasscheiben und Klebestreifen reicht aber nicht.

Was versucht wird

Also: Die Unruhe steigt. Händeringend bemühen sich Theater und Orchester um Betätigungsfelder, man muss ja schließlich Flagge zeigen. Sie reichen vom Streaming über teils rührende Internetkonzerte, auch einzelner Musiker, oder fast steril wirkende, auf Abstand bedachte Musikpräsentationen im Fernsehen, wie etwa kürzlich der in 3sat etwas lieblos präsentierte Auftritt der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks. Die Theater schwanken zwischen unbedingtem Hygieneschutz und einem nur noch vereinzelt festzustellenden Aufbegehren der Kunst. Einige starten erste Versuche, sich mit kleiner Form auf der Bühne einem stark geschrumpften Publikum zu nähern. Stuhlreihen werden ausgebaut oder nur spärlich besetzt. Der Zuschauerraum des Berliner Ensembles gleicht mit seinen einzelnen verbliebenen Plätzen eher einem zahnlosen Tiger. Noch gilt aber das Prinzip Hoffnung. Doch die Sorge ist groß, dass es bei den bestehenden Auflagen bleibt. Und was dann?

Hier und da lässt die Vorsicht nach. Österreich überlässt die Entscheidung, wie Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne (oder auch beim Filmset?) agieren, der Eigenverantwortung der Beteiligten. Auch beim Publikum lässt man nicht ganz so viel Vorsicht walten wie in Deutschland. Allerdings wird der Theaterbesuch in Österreich wohl oft nicht ohne Maskenpflicht für die Zuschauer möglich sein, nicht gerade ideal für eine „Götterdämmerung“ oder eine „Zauberflöte“. Selbst Verdis „Un ballo in maschera“ dauert ca. 2 1/4 Stunden. Immerhin werden aber die Salzburger Festspiele im Sommer wohl etwa 90 Vorstellungen anbieten. Was sich letztlich hierzulande tut, etwa in Thüringen oder Sachsen, bleibt abzuwarten. Und abzuwarten bleibt vor allem, wie das Publikum mit alledem umgeht. Denn die Traumatisierung von zumindest Teilen der Bevölkerung ist angesichts der radikalen Einschnitte in das öffentliche Leben und des damit verbundenen Signals einer in der Tat bestehenden, schwerwiegenden gesundheitlichen Bedrohung erheblich. Das gilt es nicht zu unterschätzen. Und die Angst, die umgeht, ist nicht nur die vor der Infektion, sie ist auch die vor der Quarantäne, wenn sich herausstellt, dass man mit einem Infizierten in einem Raum gesessen hat. Das gilt erst recht nach dem Corona-Ausbruch in einem nord-deutschen Restaurant und nach einem Baptisten-Gottesdienst in Hessen. Selbst die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne scheuen ja verständlicherweise vor einem freien, unbekümmerten Spiel zurück, selbst wenn man sie ließe.

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft

Dass man sie ließe, davon kann jedenfalls in Deutschland nicht die Rede sein. Da ist die Verwaltungsberufsgenossenschaft vor. Sie ist zwar für die öffentlich getragenen Theater, und Orchester gar nicht zuständig, sondern nur für private Veranstalter, hat aber jedenfalls Vorgaben für den Gesundheitsschutz auf der Bühne gemacht.  Nach anfänglichen weitreichenden Maßgaben, vor allem für Bläser (12 Meter Abstand in Blasrichtung), ist man dort angesichts neuerer Studien ein Stück zurückhaltender geworden. Doch wird vor allem von körperlicher Nähe dringend abgeraten. Filmteams erwägen jetzt, Schauspieler und Schauspielerinnen (mit ihren Mitbewohnern) vor dem Dreh mehrere Tage in Quarantäne zu schicken, was natürlich zur Folge hat, dass sie in dieser Zeit nicht arbeiten können. Wer nur annähernd erlebt hat, welche Probleme viele Theater haben, die bei ihnen tätigen und vom Theater bezahlten Darsteller für Drehtage freizustellen, ahnt, was diese Auflage bedeuten würde, zumindest für den Fall eines normalen Theater-Spielbetriebs.

Wie es weiter geht

Von einer Normalität kann demnach keinesfalls die Rede sein. Überhaupt sollte wir sie uns gar nicht erst einreden lassen, diese angebliche „neue Normalität“, sondern wenigstens darauf bestehen, dass wir uns vor allem in der Kultur, aber auch sonst in einem absoluten Ausnahmezustand befinden, egal wie lange er dauert. Der allerdings wird von Monat zu Monat schwieriger werden. Davon ausgehen, dass Theater- und Orchesterensembles dauerhaft bestehen können und öffentlich finanziert werden, wenn sie nicht arbeiten, darf man sicher nicht. Vor 20 Prozent der üblichen Zuschauer spielen, wird finanziell und kulturpolitisch ebenfalls nicht reichen. Zwar sind im Augenblick ein großer Teil dieser Betriebe durch den Kurzarbeit-Tarifvertrag, den die Künstlergewerkschaften mit dem Deutschen Bühnenverein für die kommunalen Theater und Orchester abgeschlossen haben, vor einer betriebsbedingten Auflösung der Arbeitsverhältnisse gesichert, wenn in einem Betrieb Kurzarbeit stattfindet. Ist der Betrieb jedoch als GmbH organisiert, nutzt auch das nichts. Bleiben die öffentlichen Zuschüsse aus, muss ein solcher Betrieb Konkurs anmelden, Kurzarbeit hin, Kurzarbeit her.

Man kann es drehen und wenden: Die Bedrohung der Theater- und Orchester wird täglich größer. Über viele Jahre ist es trotz zahlreicher Schwierigkeiten weitgehend gelungen, diese Betriebe mit ihren festen Ensembles zu erhalten. Es wäre fatal, wenn der Ensemble-und Repertoirebetrieb nun von Corona zur Strecke gebracht würde. Zudem kann sich keiner ausmalen, was es heißt, wenn die gesamte freie Szene und die Privattheaterlandschaft zusammenbrächen. Weit davon entfernt sind wir nicht mehr. Noch hat die Stunde des Verlustes nicht geschlagen. Aber es ist für weite Teile der Kulturlandschaft fünf Minuten vor zwölf. Sie braucht eine echte Perspektive. Die existiert mit 1,50 Meter Abstand auf der Bühne und im Publikum für Theater und Orchester nicht. Deshalb bedarf es einer Menge zusätzlichen Geldes. Darin unterscheiden sich die Theater und Orchester mit ihren etwa 60.000 Arbeitsplätzen nicht von der Lufthansa. Hier wie da ist nun der Bund gefragt. Länger hinhalten kann er die Kultur nicht.

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