Über die Macht im Theater und anderswo

Das Theater ist ein bemerkenswerter Betrieb. Es bringt künstlerisch alles Mögliche hervor: großartige Aufführungen, manche Langeweile, viel Routine und immer wieder Überraschendes, Neues. Aber er ringt auch mit vielen Unzulänglichkeiten, hierzulande ebenso wie anderswo in der Welt. Jeder, der mit dem Theater zu tun hat, weiß von diesen Unzulänglichkeiten eine Menge zu erzählen. Fehlendes Geld und rausgeschmissenes Geld, brüllende Regisseure und schwierige Regisseurinnen, Lügen und Intrigen, gelangweilte Musikerinnen und Musiker, großartige Künstlerinnen und Künstler und manche, die nur glauben es zu sein. Oft ein Feuerwerk der Eitelkeit! Zugleich aber gibt es grenzenlose Phantasie, viel Kreativität und Einfallsreichtum sowie ein hohes Maß an Engagement für die Sache Theater. Viele wunderbare und liebenswerte Menschen, die den Betrieb in Gang halten, ihm oft große Momente der Musik, der Kunst verleihen. Kurz und gut, das Theater ist eine Ansammlung von Begabung, ja zuweilen Genialität, gekoppelt mit menschlichen Schwächen, mit Arroganz und Unsicherheit. Das Leben eben, wie es so ist. Und tritt alles mal wieder deutlicher zutage, dann kommen die Experten daher und reden etwas von Strukturproblemen, von Machtstrukturen, die es aufzulösen gelte.

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Es ist doch eines zunächst einmal festzuhalten: Man kann soviel Demokratie wagen, wie man will, egal ob im Staat oder in Unternehmen, man kann ein flammender Sozialist sein oder ein Anhänger einer gemäßigten Marktwirtschaft oder ein hemmungsloser Kapitalist, am Ende jeden ökonomischen und politischen Machtverteilungsprozesses steht die Ausübung von Macht. Da das so ist, braucht es bei der Ausübung von Macht Kontrollmechanismen. Sie heißen hierzulande Parlament, Stadtrat, Aufsichtsrat, Personal- oder Betriebsrat, Behörden, im Theater kommen hinzu Vorstände von Orchestern, Chören, Tanzensembles, mittlerweile auch Vorstände der Solisten und Bühnentechniker, wie es die einschlägigen Tarifverträge NV Bühne und TVK vorschreiben. Verträge treten im Theater nicht ohne Unterschrift von Intendantin und Verwaltungsdirektor bzw. kaufmännischem Geschäftsführer in Kraft, beide Leitungsfiguren müssen sich also miteinander verständigen. Der Generalmusikdirektor ist oft mit reichlich Kompetenzen und dem entsprechenden Selbstbewusstsein ausgestattet, von beidem macht er manchmal zum Unmut des Intendanten regelmäßig Gebrauch. Die technische Direktorin ist für die Sicherheit des Betriebs zuständig und setzt den künstlerischen Ideen ihre Grenzen. Auch die Mitarbeiter haben eine Menge Rechte, sei es nach den genannten Tarifverträgen, sei es nach den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften. Und in größeren Häusern haben auch die Spartenleiterinnen immer noch ein Wort mitzureden, ihre männlichen Kollegen selbstverständlich auch. Längst schon herrscht an vielen, wenn nicht allen Häusern durchaus die Realisierung von Check and Balances vor.

Die Quintessenz: Die These, alle Probleme lägen an der ungeteilten Macht eines Intendanten steht auf mehr als wackeligen Füßen. Und wenn man ihr folgen möchte, stellt sich doch die interessante Frage, was denn nun geändert werden soll. Da wird dann der NV Bühne aus dem Köcher gezaubert, er sei mit seiner zu niedrigen Mindestgage oder der Befristung der Arbeitsverträge an allem Übel Schuld. Ja wird denn die Macht des Intendanten geschmälert, wenn die Künstlerinnen und Künstler (hoffentlich) mehr verdienen? Wollen wir wirklich alle Schauspielerinnen und Schauspieler, Opernsängerinnen und Tänzer in Zukunft unbefristet anstellen, damit die Intendantin, die neu an ein Haus kommt, sich gar nicht mehr nach neuen Künstlerinnen und Künstlern umschauen muss. Zuweilen heißt es, man müsse die Macht anders verteilen. Aber was nützt es, wenn derjenige, der sie hat, damit nicht richtig umgeht? Sollen deshalb jetzt – zur Vorsicht – Kollektive die künstlerischen Entscheidungen treffen? Wenn ja, was ist, wenn sie sich nicht einig werden?

Und dann die Intendantenfindung: Assessment-Center werden vorgeschlagen, Rollenspiele Gruppendiskussionen, Konzeptionsübungen also, um festzustellen, welche Kandidatin oder welcher Kandidat über ausreichende soziale Kompetenzen verfügt, um nicht dem Machtmissbrauch zu verfallen. Als gäbe es dort, wo so etwas stattfindet, also in Politik und Wirtschaft, keine Skandale mehr. VW und Audi, Wirecard und mancher kommunaler Bauskandal lassen grüßen. Schluss müsse sein im Theater, so heißt es weiter, mit dem Vorrang der künstlerischen Fähigkeiten, wenn Intendantenstühle zu besetzen seien. Auch die Intendanten-Kolleginnen und –Kollegen sollten sich mal fein raushalten, wenn es um Neubesetzungen für Regensburg oder Halle geht, wird gefordert. Das Geschäft gehört wohl nach Auffassung dieser Kritiker, so muss man vermuten, in die Hände von selbsternannten Headhuntern mit großen Adresskarteien, vielleicht von Professoren, oder wer soll es richten? In Wahrheit ist aber doch die Frage, wer sich denn für die Managment-Kompetenzen, die sozialen Qualitäten der Intendanz-Kandidaten wirklich interessiert, wenn die Wahl einer neuen künstlerischen Leitung ansteht. Es geht doch fast immer nur um künstlerisch bekannte Namen, vor allem in bestimmten Kreisen der öffentlichen Meinungsbildung.

Nein, liebe Freunde der Kunst, ihr seid auf dem falschen Dampfer. Das Problem sind nicht die Strukturen oder die Tarifverträge, das Problem ist der Umgang mit ihnen. Die Tarifverträge lassen noch einige wenige Spielräume der Kunst und das ist richtig so. Man darf sie aber nicht nutzen, um Rationalisierungseffekte zu realisieren, wie das lange Zeit der Fall war, um Dramaturginnen und Regieassistenten zu überfordern oder um künstlerische Willkür walten zu lassen. Man kann verschiedenen Personen in einem Betrieb Kompetenzen einräumen, wer immer sie auch inne hat, er oder sie muss verantwortungsvoll damit umgehen. Und Kontrollmechanismen muss man nutzen, wenn sie effektiv sein sollen. Soll heißen: Wir haben in der Gesellschaft eher eine moralische Krise als eine strukturelle. Es sind einigen im Umgang mit der Macht die Maßstäbe verloren gegangen. Oft ist nicht einmal ein Bemühen um Objektivität festzustellen. Die Achtung vor dem anderen droht zunehmend an Bedeutung zu verlieren. Nicht mehr Gemeinsamkeit ist angesagt, sondern „Ego first“, man muss sich doch nur das Treiben beim jüngsten EU-Gipfel ansehen. Was also vielfach fehlt, in der Politik, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und auch im Theater ist das Besinnen auf einige unverzichtbare Tugenden, um die eigenen menschlich verständlichen Schwächen zuweilen einer gewissen Selbstkontrolle zu unterwerfen. Wer da den Beteiligten und der Öffentlichkeit einzureden sucht, es gehe hier um Strukturen, der betreibt einen Entlastungsangriff zugunsten der Verteidigung von fragwürdigem Verhalten und nimmt den Beteiligten die Chance, es besser zu machen. Denn nichts ist schwieriger, als gewachsene Strukturen zu verändern. Der Fortschritt ist eben eine Schnecke. Und vielfach ist auch gar nichts zu ändern. Aber persönlich etwas anders machen als zuvor, das kann jeder von heute auf morgen, wenn es sich ein wenig Autonomie bewahrt hat. Dazu braucht es ein offenes, konstruktives Betriebsklima. Das sollten wir fördern, statt zweifelhafte Strukturprobleme zu wälzen und uns so auf die falsche Fährte locken zu lassen.

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