Ginge es alleine um die Aufführung, dann wäre sogar das Wort Begeisterung angebracht. Wer erwartet hatte, der Schock der Schließung sitze dem Theater so sehr in den Gliedern, dass nun zum Neustart eher einer der Theater-Blockbuster zum Zuge gekommen wäre, also etwa „Aida“ oder „La Boheme“, der sah sich getäuscht. Los ging es in Bonn mit Musik des 20. Jahrhunderts, der Oper „Staatstheater“ von Mauricio Kagel. Das ist ja schon für sich genommen eine erfreuliche Ansage. Sie wird durch die Inszenierung von Jürgen R. Weber noch bekräftigt, die der in Bonn seit einiger Zeit gängigen Praxis treu bleibt, Opernwerke nicht nur auf einige sich in der realen Welt stellende Probleme zu befragen, sondern auch zum aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskurs in der Stadt in Bezug zu setzen.
Die Oper und die Diskussion über Kultur und Sport
So changiert die Inszenierung einerseits im Spannungsverhältnis zwischen hergebrachter Oper und zeitgenössischem Musiktheater, indem etwa schrille Kostüme der handelnden Personen (Kostüme: Kristopher Kempf) einigen in Traditionskostümen auftretenden Statisten (leicht zu erkennen Carmen, Wilhelm Tell, Boris Godunow, Madame Butterfly) entgegengesetzt werden. Der in Bonn ja fast heilig gesprochene Beethoven wird in Videos als Gipsfigur zertrümmert, als Plastikfigur zerstückelt und schließlich (ebenfalls als Gipsbüste) in einem Bassin versenkt. Aus der Tiefe des Bühnenbodens tauchen immer wieder Figuren auf, die an Oskar Schlemmers Bauhausbühne erinnern, die seinerzeit zu neuen Theaterufern aufzubrechen suchte. Taktgebende Metronome werden in ein nicht mehr einen einheitlichen Takt gebendes Durcheinander versetzt und damit ihres Zweckes beraubt, um anschließend mit Beethoven im Video-Brackwasser dahin zu dümpeln. Die Botschaften sind dem Werk entsprechend eindeutig: Die Oper ist kein Museum.
Andererseits wird die Aufführung Teil der Kontroverse zwischen Kultur und Sport, die in den letzten Jahren in Bonn von einigen politischen Kräften zu einem das allgemeine gesellschaftliche Einvernehmen durchaus sprengenden Konflikt zugespitzt wurde. Dieser Aspekt der Operninszenierung wird nicht nur durch die einzelnen vergebenen Rollen realisiert. Es treten u. a. auf: Die Intendantin, der Regisseur, der Oberbademeister und der Oberamtsleiter. Vielmehr wird gleich durch ein unübersehbares Dreimeterbrett auf der Bühne (Bühnenbild: Hank Irwin Kittel) klar, worum es der Inszenierung unter anderem gehen soll. Dabei rücken im Konflikt zwischen Kultur und Sport während des weiteren Verlaufs der Aufführung zunehmend friedensstiftende Elemente in den Fokus. So zeigt die Drehbühne, die auf der einen Seite Theater und auf der anderen Seite Schwimmbad ist, dass Kultur und Sport viel gemeinsam haben, keine Gegensätze sind, sondern zwei Seiten einer Medaille. Am Ende setzt der Oberbademeister den Beethovenkopf wieder zusammen und die Intendantin bläst den zunächst im Video zerstochenen überdimensionierten Wasserball wieder auf, um so der Versöhnung das in dieser Oper nicht vorhandenen Wort zu reden. Und auch die beiden Kinder der Protagonisten dürfen am Ende als Paar zusammenfinden, nachdem sich Kultur und Sport nicht mehr bekriegen wie einst die Familien Capulet und Montagues. Dass alle Personen nur mit Werkzeugen in der Hand agieren, wird auch den Corona bedingten Distanzauflagen geschuldet sein. Ob es Zufall ist, dass sie an die Grafik „Fabrik“ des gesellschaftskritischen Künstlers Gerd Arntz erinnern, mag dahinstehen. Sinn würde dieser Bezug jedenfalls machen.
Theater-Atmosphäre in Corona-Zeiten
Also keine Frage: Diese Aufführung ist Zuschauer-Theater-Glück, zumal, wie immer öfter in Bonn auf hohem Niveau musiziert und gesungen wird. Weniger glücklich stimmen den Besucher jedoch die dem Virus geschuldeten Verhältnisse im Zuschauerraum. Zwar erfreut die zur Verfügung stehend Beinfreiheit. Aber man wäre gerne bereit, sie zu zugunsten des wie üblich gefüllten Saals zu opfern. Diese Leere um einen herum wirkt befremdlich. Es fehlt das gemeinsame Schauen und spürbare, zuweilen durchaus unterschiedliche Empfinden, diese das Theater auszeichnende Mischung aus Individualität und Kollektiv. Sie ist nicht herstellbar in einem Raum, der über 1.000 Menschen fasst und in dem etwa dreihundert sich aufhalten. Ganz zu schweigen von fehlenden Pausengesprächen und -begegnungen. Wie Theater-Atmosphäre in Corona-Zeiten gehen soll, dass weiß ehrlicherweise niemand, ebenso wenig wie eine Antwort auf die Frage, wie wir überhaupt mit dem Verzicht auf Nähe dauerhaft umgehen wollen und können. Dass wir uns alle, wie die Aufführung provozierend in den Raum stellt, nur noch mit der Kneifzange anfassen, ist sicher keine Lösung.
Über die Zukunft
Es bleibt am Ende zudem im Raum stehen, wie es mit dem Theater überhaupt weitergehen soll. Die Aufführung „Staatstheater“ des Theaters Bonn werden bei der aktuellen Besetzung des Zuschauerraums vielleicht höchsten 1.500 Menschen zu sehen bekommen. Das ist und bleibt zu wenig. Wenn uns nicht ein Impfstoff oder eine göttliche Fügung von diesem Corona-Virus befreit, dann bleibt als Weg in die breite Öffentlichkeit nur die elektronische Verbreitung. Das aber kann nicht in Form irgendeines beliebigen Streamings geschehen. Wenn Öffentlichkeit durch direkte, persönliche Zusammenkunft nicht mehr herstellbar ist, dann braucht jede Kommune im Netz einen öffentlichen Informations- und Kulturkanal, der die Teilhabe der Bürger am kommunalen Leben sicherstellt. Dem Markt darf das nicht überlassen werden. Wie das im einzelnen aussehen könnte, dazu wird es demnächst auf dieser Internetseite einige Vorschläge geben. Zwischenzeitlich muss durch die öffentliche Finanzierung sichergestellt werden, dass die Theater und Orchester funktionstüchtig bleiben. Sie sind auch mit eingeschränkter Zuschauerzahl ein unverzichtbarer Ort des gesellschaftlichen Diskurses.
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