Der Entwurf des neuen § 28 a Infektionsschutzgesetz

In diesen Tagen wird sie im Bundestag verabschiedet: Die nächste Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Damit man gleich weiß, dass hier keine Belanglosigkeiten geregelt werden, trägt auch dieser Gesetzentwurf den bedeutungsschweren Titel „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Eingeführt in das Infektionsschutzgesetz wird u.a. ein neuer § 28 a. Diese Vorschrift soll die bundesweit getroffenen Schutzmaßnahmen auf eine neue Rechtsgrundlage stellen. Man wolle diese Maßnahmen gerichtsfest machen, heißt es dazu. Das überrascht, dachte man doch, dass das Infektionsschutzgesetz alles bisher zum Schutz vor Corona Beschlossene trägt. Umso erforderlicher ist es nun, einmal mehr genau hinzusehen, worum es geht. Oder vielleicht auch, worum es nicht geht.

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Zunehmend wird zwar eine Debatte über das Verhältnis zwischen Gesundheitsschutz einerseits und die durch ihn eingeschränkte Grundrechte andererseits geführt. Diese Debatte nimmt aber nicht nur in Demonstrationen von Impfgegnern und ähnlich weltfremd denkenden Zeitgenossen teils absurde Formen an, die in der Nähe zu politisch rechten Bewegungen ihre besondere Ausprägung finden. Auch manche Politikerreden gießen Öl in das Feuer eines eher sachlichen Konfliktes. Kriterien von gut und schlecht (für die Gesundheit) werden – flankiert von Angst vermittelnden Bildern und Nachrichten mancher Medienbeiträge (auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) –  zum wesentlichen Maßstab der Einschätzung. Gaststätten zu, Schulen auf, Theater zu, Läden auf, Maskenpflicht ja oder nein, darauf spitzt sich der Streit zu. Doch das ist nur vordergründig das Thema, das Thema ist vielmehr das Bewusstsein von Staat und Gesellschaft für den Rechtsstaat, für die darin verankerten unterschiedlichen Grundrechte. Da ist eine bedenkliche Bereitschaft zu registrieren, dieses Bewusstsein mit einer fast apodiktischen Prioritätensetzung zugunsten des präventiven, staatlich verordneten Gesundheitsschutzes über Bord zu werfen.

Späte Erkenntnisse des Gesetzgebers

Ein Beispiel dafür ist nun der jetzt in Aussicht genommene § 28 a Infektionsschutzgesetz. Im März dieses Jahres untersagte der Staat nahezu das gesamte öffentliche Leben hierzulande. Verfassungsrechtliche Kritik an diesem Vorgehen (die Schriftstellerin Julie Zeh, der Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, der Journalist Heribert Prantl) wurde zurückgewiesen mit dem Hinweis auf das angeblich dafür ausreichende Infektionsschutzgesetz. Es sei alles abgesichert, hieß es aus der Politik. Doch im Laufe des Jahres kam es, wie es kommen musste. Von den Schließungen betroffene Unternehmen klagten und setzten zum Teil durch, dass einzelne Vorschriften der Corona-Schutzverordnungen der Länder außer Kraft gesetzt werden mussten. Denn so eindeutig, wie es die Politik den Bürgern beruhigend vermittelte, war die Rechtslage doch nicht.

Zum ersten Mal werden nun also alle die Maßnahmen, die schon seit Monaten ergriffen werden, von der Maskenpflicht über die Schließung von Gewerbetrieben bis hin zur Untersagung der Gastronomie, konkret gesetzlich geregelt. Die Untersagung des Betriebs von „Einrichtungen, die der Kultur- und Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,“ soll mit der neuen Vorschrift ebenso sanktioniert werden wie die Untersagung von „Freizeit-, Kultur- und ähnliche Veranstaltungen“. Vorsichtiger ist man nur bei den religiösen Zusammenkünften, die lediglich verboten werden dürfen, „sowie (!) dies zwingend erforderlich“ ist. Man mag das alles für rechtmäßig halten, auch wenn angesichts der Formulierung des Infektionsschutzgesetzes und der allgemeinen Rechtslage erhebliche Zweifel bleiben, ob von der Exekutive flächendeckend verordnete präventive Schließungen von Unternehmen und Einrichtungen auf dieser gesetzlichen Grundlage zulässig sind. Das gilt umso mehr, als der neue § 28a Infektionsschutzgesetz keine in Art 14 Abs. 3 Grundgesetz vorgesehene verbindliche Entschädigungsregelung für die das Eigentumsrecht tangierenden Maßnahmen vorsieht. Rechtsgutachten, die diese Zweifel bestätigen, liegen dem Gesetzgeber nach den einschlägigen Veröffentlichungen des Deutschen Bundestages vor. Aber das alles mag vorerst einmal dahinstehen. Bemerkenswert ist vielmehr, dass der Gesetzgeber sich in der Gesetzesbegründung so gut wie gar nicht mit der Grundrechtsproblematik auseinandersetzt.

In der Gesetzesbegründung zu den Grundrechten kaum ein Wort

Lediglich bei den kirchlichen Versammlungen wird ausdrücklich in der Gesetzesbegründung hervorgehoben, dass deren Beschränkung zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen führen kann. Weitergehende Konsequenzen dieser Erkenntnis werden nicht geäußert. Viel bedenklicher steht es noch um die Erläuterungen der Eingriffe zu Lasten der Kultur. In der Gesetzesbegründung kommt das Wort Kultur nicht einmal mehr vor, geschweige denn, dass man sich bemüßigt fühlt, auf das Thema Kunstfreiheit auch nur einen einzigen Satz zu verschwenden. Vielmehr ist lediglich von Freizeitgestaltung die Rede. Und das, wo doch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz die Kunstfreiheit so garantiert, dass durch ein einfaches Gesetz, wie es das Infektionsschutzgesetz ist, in diese gar nicht eingegriffen werden kann. Da wären unter den gegebenen Umständen und angesichts der schweren Einschnitte vielleicht doch ein paar klärende Worte der Rechteabwägung notwendig gewesen. Die Kunstfreiheit in Artikel 7 des Gesetzentwurfs, wo die durch Corona-Maßnahmen einschränkbaren Grundrechte stehen, nicht zu nennen, weil sie aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht durch ein einfaches Gesetz eingeschränkt werden kann, sie aber in § 28 a dennoch einzuschränken, ist ein fataler Widerspruch. Grundrechtsbewusstsein des Gesetzgebers sieht anders aus.

Die Grundrechtsdebatte nicht der politisch Rechten überlassen

Das entscheidende aber ist: Mit der standhaften Verweigerung der Teilnahme an der Grundrechtsdebatte vor allem durch die handelnde Exekutive droht das allgemeine Grundrechtbewusstsein zu bröckeln. Das gilt fatalerweise erst recht, wenn man das parlamentarische Eintreten für die grundgesetzlichen Freiheiten weitgehend der politischen Rechten überlässt. Da könnte man auch gleich den Fuchs zum Wächter im Hühnerhof machen, bedenkt man etwa die Haltung der AfD zur Kunstfreiheit. Nein, was wir brauchen, ist eine offene parlamentarische Diskussion über das Verhältnis zwischen Gesundheitsschutz und Sicherung der Grundrechte, vor allem aber den Versuch, die sich aus beidem ergebenden widerstreitenden Rechtsgüter in einen vertretbaren Einklang zu bringen. Alle demokratischen Parteien (nicht nur die FDP) müssen das zu ihrem selbstverständlichen Thema machen. Denn die jetzige Gesetzgebung kann Präzedenzwirkung haben. Angesichts dessen nur darauf zu hoffen, dieses Problem werde sich durch einen Impfstoff schon irgendwann erledigen, wird rechtspolitisch nicht reichen.

(Postscriptum

Zwei Tage nach Veröffentlichung dieses Beitrags wurde die Neuregelung des § 28a Infektionsschutzgesetz verabschiedet. Zwischenzeitlich hatte man im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags auf die hier geäußerte Kritik reagiert und die Vorschrift sowie die Gesetzesbegründung wesentlich zugunsten der Kunstfreiheit überarbeitet. Dazu wird in Kürze hier ein weiterer Beitrag erscheinen. Darin wird es auch um das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin gehen, mit dem der gegen die Schließung gerichtete Antrag des Schlosspark Theaters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wurde.)

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