Ein uninspiriertes, kleinlautes Papier der Länder
Natürlich blieben die Proteste nicht aus. Petitionen wurden unterschrieben, Briefe verfasst. Es erschienen Artikel über Artikel in der deutschen Presse, die zurecht vor dem weiteren Kulturverfall im deutschen Fernsehen warnten. Doch geht es nicht um mehr? Geht es nicht um die Frage, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Gesamtheit ausmacht? Gibt es noch jemanden, der all den Tendenzen politisch am rechten Rand stehender Parteien in ganz Europa, den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk zu beschneiden und sich gefügig zu machen, überzeugt und mit dem notwendigen Maß des Enthusiasmus entgegentritt? Ein derartig uninspiriertes, kleinlautes Papier, wie es nun die Länder vorgelegt haben, ist dafür jedenfalls völlig ungeeignet. Auch hier sieht es so aus, als wolle man der Kritik aus rechten Kreisen am System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht entschieden entgegentreten, sondern ihr eher in vorauseilendem Gehorsam zumindest teilweise zuvorkommen.
Ich würde mir aus Länderkreisen etwas ganz anderes wünschen. Gefragt ist ein überzeugtes Einstehen für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gestaltet in gesellschaftlicher Verantwortung. Er ist in Zeiten zunehmender Fehlinformationen und mangelnder politischer wie kultureller Bildung ein hohes Gut, das es zu bewahren und fortzuentwickeln, nicht zu beschneiden gilt. Die öffentliche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht das Problem, sondern die Lösung, geht es um Freiheit und Unabhängigkeit der Programme. Statt stolz darauf zu sein, dass wir uns ein derart vielseitiges, regional angebundenes Fernsehen, einen mehrere Programme ausstrahlenden Hörfunk leisten können, hadern wir ständig mit der nach wie vor überschaubaren Rundfunkgebühr. Statt unmissverständlich klar zu machen, dass Qualitätsjournalismus, Kultur und anspruchsvolle Unterhaltung, Bildung mit der „Maus“ Geld kosten, knicken Teile der Politik gegenüber Kreisen ein, denen Aufklärung und Wissensvermittlung, der kritische Geist insgesamt ein Dorn im Auge sind. Zukunft geht aus meiner Sicht anders.
Hervorragende Sendungen, aber zu viele Kanäle?
Ohne einen engagierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit den Schwerpunkten Information, Bildung, Kultur, Wissen und kluge Unterhaltung ist sie jedenfalls nicht zu gestalten. Noch produzieren ARD, ZDF und Deutschlandfunk in diesen Bereichen immer wieder hervorragende Sendungen. Es gibt nach wie vor vieles zu sehen und zu hören, was interessant, anregend und spannend ist, natürlich auch Ärgerliches. Eine ärgerliche Sendung ist jedoch genauso wenig ein Grund, die Rundfunkgebühr abzuschaffen, wie man die öffentliche Finanzierung eines Theaters infrage stellt, nur weil eine Inszenierung missglückt ist. Manchmal lohnt es sich ja auch, sich zu ärgern. Immer noch besser als Langeweile!
Natürlich kann man darüber nachdenken, inwieweit ARD und ZDF zahlreiche zusätzliche Kanäle brauchen, um die produzierten Inhalte zu vermitteln. Auch auf dieser Seite wurde diese Frage schon aufgeworfen (siehehttps://stadtpunkt-kultur.de/2022/12/was-zu-beachten-waere-ein-beitrag-zur-reform-von-ard-und-zdf/). Solche Frequenzen jedoch freizuräumen, damit sie am Ende von irgendwelchen privaten Anbietern für Dschungelcamps und Topmodel-Veranstaltungen genutzt werden, ist kein rundfunkpolitisches Zukunftskonzept. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Länder zur Verwendung der durch die vorgeschlagenen Fusionen freiwerdenden Frequenzen in ein dauerhaftes Schweigen hüllen.
Es fehlt an Phantasie
Erst recht gilt das mit Blick auf die Kulturkanäle. Sie zugunsten irgendwelcher Programm-Banalitäten abzuschaffen, ist sicher nicht das Gebot der Stunde. Doch die Existenz von 3sat lässt sich nicht allein dadurch rechtfertigen, dass es dort eine Sendung wie „Kulturzeit“ gibt, wie kürzlich in der SZ Arne Braun, der unter anderem für die Kunst zuständige Staatssekretär der baden-württembergischen Landesregierung versucht hat. Und der in der WDR-Hörfunksendung „Mosaik“ neulich erfolgte Hinweis, dass ständig sich wiederholende Tourismussendungen 3sat schnell entbehrlich machen können, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, so schön diese Sendungen zuweilen auch sind.
Doch was belegen die auch ansonsten im Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgestrahlten allzu häufigen Wiederholungen von Tatorten, Donna-Leon-Verfilmungen oder Zürich-Krimis? Entweder fehlt es den Programmmachern an Phantasie, an Ideen, aber auch an Mut und Engagement, sich der Einschaltquote zu widersetzen, oder das Geld reicht nicht, um die vorhandenen Programmplätze zu füllen. Es beschleicht einem als Zuschauer und Hörer der leise Verdacht, beides könnte stimmen. Dann wäre es wichtig, darüber endlich etwas mehr zu reden und in jedem Fall die Rundfunkgebühr zu erhöhen, verbunden mit der Anforderung an die Programmmacher: Lasst euch etwas einfallen, jedenfalls mehr als bisher. An Themen mangelt es nicht, vor allem nicht in Kunst und Kultur. Mit mehr Geld mehr Kreativität wagen, das wäre eine schöne Alternative zu den jetzt vorgelegten Vorschlägen der Länder, zumal mit dem Abbau von Spartenkanälen so schnell ohnehin keine Einsparungen zu erzielen sind. Das hat zumindest ein gerade vorgelegtes Gutachten der KEF unmissverständlich festgestellt.
Zu guter Letzt: Eine Utopie
Wäre es jenseits aller Rundfunkpolitik, so ist zu fragen, im Übrigen nicht an der Zeit, seitens der Länder eine europäische Perspektive im Bereich Social Media zu entwickeln? Spätestens seit der Übernahme von Twitter (heute X) durch Elon Musk ist nun wirklich nicht mehr zu übersehen, wie verhängnisvoll es ist, dass die Dialog-Plattformen für den direkten elektronischen Meinungs- und Informationsaustausch nicht nur in den Händen der USA (oder Chinas) sind, sondern auch von kommerziellen Privatunternehmen betrieben werden. Es ist höchst Zeit, dass Europa dem etwas entgegensetzt. Nichts liegt da näher als eine öffentlich finanzierte und durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk redaktionell betreute Plattform des fairen Meinungsaustausches, verantwortet zum Beispiel von einer deutschen Rundfunkanstalt in Kooperation mit der BBC. Sie stand schließlich Pate, als es nach dem Zweiten Weltkrieg um die Neugestaltung des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland ging. Ein solches Europa-Twitter, das wäre endlich mal echte Zukunftsmusik und bewiese so etwas wie Aufbruchstimmung, die wir für die Zukunft Europas mehr als nötig haben. Zudem ist kaum ein schöneres Projekt vorstellbar, um Großbritannien wieder sichtbar dem vereinigten Europa anzunähern.
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