ARD und ZDF zusammenlegen? Orchester, Chöre und Hörfunkwellen abschaffen?
Es war zum einen die Rede von einer Zusammenlegung der beiden großen Systeme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das suggeriert, es gebe vielleicht zu viel davon. Selbst wer einen gewissen Überdruss über die tägliche Programmgestaltung von ARD und ZDF verspürt, dem treibt die Vorstellung, zur täglichen Berieselung der privaten Rundfunkveranstalter gebe es nur noch eine einzige Alternative, eher den kalten Schweiß über den Rücken. Auf ein System (welches?) verzichten, ist keine Lösung. Denn es ist nicht zu leugnen: Immer noch tragen ARD und ZDF mit guten Sendungen im Fernsehen zur allgemeinen Bewusstseinsbildung, zur Aufklärung, zur Kultur in diesem Lande Wesentliches bei.
Das gilt natürlich ebenso für die Radioprogramme in ihrer ganzen regionalen Vielfalt und für die von den ARD-Anstalten getragenen Klangkörper. Auch sie sollen laut Buhrow ja auf den Prüfstand. Warum eigentlich? Machen die Orchester oder die Rundfunkchöre schlechte Musik? Keineswegs, sie gehören ausnahmslos zum Besten, was die Republik musikalisch zu bieten hat. Stören sie mit ihrer herausragenden Qualität das Image etwa des WDR? Das behauptet nicht einmal Tom Buhrow. Oder haben die fünf Hörfunkprogramme des WDR keine Zuhörer? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Findet jemand diese Programme dennoch so schlecht, dass sie eigentlich abgeschafft gehören? Da gibt es zwar den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag (z.B. in den Unterhaltungswellen mehr Inhalt, weniger belanglose Plauderei), aber abschaffen? Nein.
Ablenkung von unangenehmen Debatten oder zeigen wie schlimm es wird
Also was treibt den WDR-Intendanten um? Die Antwort ist einfach: Das Geld. Denn alle diese Vorschläge haben nur ein Ziel, das der Kostensenkung. Ob dieses Sparen Sinn macht, spielt keine Rolle. Und warum das Ganze? Weil es in diesem Lande Kräfte gibt, die sich tagtäglich an der Existenz der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten abarbeiten. Teils ist es Konkurrenzdenken, was sie umtreibt, teils Populismus mit Blick auf diejenigen, denen die aufklärerische Attitüde von ARD und ZDF nicht in den Kram passt und die gerne die Rundfunkgebühr als Zwangsgebühr bezeichnen. Solchen fragwürdigen, meist eher rechtslastigen Tendenzen muss niemand nachgeben. Sicher wollte das Tom Buhrow auch gar nicht. Vielleicht wollte er einfach nur ablenken von der unangenehmen Debatte über Massagesitze in Dienstwagen, Ausstattung von Büros oder den Bau millionenschwerer Funkhäuser. Oder es ging ihm darum, aufzuzeigen, wo das von bestimmten politischen Kreisen geforderte konsequente Einsparen endet: In einem erheblichen Verlust von öffentlich-rechtlichen Programm- und Kulturangeboten. Eine solche Absicht wäre wenigstens von gewisser Raffinesse, wenn auch ein Spiel mit dem Feuer.
Die wirklichen Themen?
Deshalb ist es besser, sich einigen tatsächlichen nicht zu leugnenden Problemen zuzuwenden. Das sind nicht, wie in der öffentlichen Debatte gerne behauptet wird, die Intendantengehälter oder die Pensionsregelungen. Die kann man sich zwar mal in Ruhe anschauen und prüfen, was besser zu machen wäre (z.B. Verzicht auf Boni für leitende Mitarbeiter). Die wirklichen Themen liegen im Programmbereich, in dem, was die Zuschauer und Zuhörer jeden Tag wahrnehmen können. Da gibt es einiges zu tun, will man mit der von Ingo Zamperoni allabendlich gewünschten Zuversicht in die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schauen. Die Lage ist komplex. Hier kann es nur um ein paar Fragen und Thesen gehen, die nicht mehr und nicht weniger als ein Anstoß zur weiteren Debatte sein sollen.
Und weiter: Fragen über Fragen
- Wieso spielen die Einschaltquoten nach wie vor so eine entscheidende Rolle? Es ist ja klar, keinem durch eine öffentliche Gebühr finanziertes Rundfunkinstitut kann es egal sein, wie viele Menschen etwas hören oder sehen. Dennoch darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk genauso wenig wie jedes öffentlich geförderte Theater oder Museum der vollständigen Nivellierung mancher Programminhalte anheimfallen, nur um möglichst viel Publikum zu erreichen und dann noch die Einschaltquote zum entscheidenden Maßstab des Erfolgs zu machen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat doch einen öffentlichen Auftrag: Bildung, Kultur, Information, ja auch Unterhaltung (bitte nicht unter einem gewissen Niveau). Was in diesem Sinne gut ist, hat oft nicht die beste Quote. Gerade deshalb gibt es die Rundfunkgebühr. Es soll gerade nicht der Markt die Richtschnur sein.
- Wie werden die Einschaltquoten überhaupt ermittelt? Klar, das Prinzip (ca. 5.000 Haushalte mit Messgeräten) ist bekannt. Aber wie repräsentativ sind die ausgewählten Personen? Wie sehr beeinflusst es sie, dass sie wissen, dass bei Ihnen die Einschaltquote gemessen wird? Wie oft wird der Personenkreis gewechselt? Sind bestimmte Vorlieben Kriterium für die Auswahl? Was sind überhaupt die Kriterien dafür und sind sie richtig?
- Braucht es eigentlich mehrere ganztägige Fernsehkanäle, die weitgehend auch nichts anderes als das Hauptprogramm bieten, teils sogar nur Wiederholungskanäle sind? Wohlgemerkt ich rede nicht von 3sat und Phoenix oder gar Arte. Ich rede vor allem von ZDF neo und ARD one oder tagesschau 24. Muss man nicht erst einmal neu definieren, was man mit dem Hauptprogramm vor allem am Abend will? Oft sehr teuren Fußball bis hin zu zweitrangigen Pokalspielen? Mehrstündige Quizshows? Ein Krimi nach dem anderen? Die ständige Quasselei in Talkshows mit fast immer den gleichen Gesprächspartnern? Talkformate, die vorrangig im Fokus der Werbestrategie von Agenturen stehen, um dort das neuste Buch einer Autorin, den neusten Film eines Regisseurs oder die anstehende Tournee eines Musikers oder einer Sängerin zu bewerben? Ständiges Hin- und Herschieben der Nachrichtensendungen, wie es insbesondere in der ARD mit den Tagesthemen geschieht, bis hin zum vollständigen Ausfall? Überzeugend ist das alles nicht.
- Wann wird endlich die Werbung abgeschafft? Nicht, dass ich im Prinzip etwas dagegen habe. Ich kann schon nachvollziehen, dass man das Geld, das mit der Werbung eingenommen wird, gut gebrauchen kann. Aber macht es einen modernen, fortschrittlichen Eindruck, wenn vor der Tagesschau vor allem mit Medikamenten etc. geworben wird? Und ist es ökologisch zeitgemäß, wenn die Werbung im Hörfunk mal wieder das Billigfleisch im Discounter anpreist? Das Image fördert so etwas nicht. Man sollte einfach die Rundfunkgebühr ein wenig erhöhen und die Werbung den Privaten überlassen. Dann lässt deren Kritik an der Rundfunkgebühr vielleicht nach.
- Müssen in manchen Radioprogrammen (wohlgemerkt nicht in den Kulturwellen) dauernd die gleichen Musiktitel gespielt werden? Das nur, um die Klangfarbe im Sinne der Erkennbarkeit sicherzustellen? Manchmal beschleicht Hörerinnen und Hörer der Eindruck, die eine oder andere Größe der Popmusik habe nur einen einzigen erfolgreichen Song kreiert. Merkt das niemand? Ist das egal? Oder unterliegt man bei der Gestaltung der Musikfarbe ebenfalls zu sehr dem Einfluss der Werbestrategie von Musikverlagen und Künstler-Agenten?
- Wieso fällt trotz all dieser Fragen manchem Intendanten vor allem ein, dass in der Kultur gespart werden muss? Neulich war wieder zu lesen, dass der Intendant des SWR der Auffassung sei, die einzelnen ARD-Anstalten würden sich in Zukunft kaum noch eine ganztägige Kulturwelle leisten können? Was kostet sie denn im Vergleich zu allem anderen? Wie sind solche Überlegungen mit dem Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (s.o.) zu vereinbaren? Wieso steht die Kultur bei den Intendanten und Intendantinnen immer ganz unten auf der Prioritätenliste? Solche Fragen werden einfach vorsichtshalber gar nicht erst beantwortet.
- Natürlich kann man überlegen, ob es der Föderalismus wirklich erfordert, dass wir mehrere ARD-Anstalten haben. In Großbritannien gibt es nur die eine BBC. Aber sollten wir nicht besser den Rundfunk-Föderalismus als ein hohes Gut verteidigen? Er stellt eine große, auch politische Vielfalt sicher. Er ist eine Art Bollwerk gegen den Zentralstaat, der zurecht nach den historischen Erfahrungen hierzulande stets von Skepsis begleitet wird. Alles, was in Berlin beim Bund geschieht, wird durch die regional angebundenen ARD-Anstalten unter dem Blickwinkel der unterschiedlichen Länder gespiegelt. Zudem sind die Anstalten Teil der Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Region, tragen in einer globalisierten Welt zu ihrem Heimatgefühl wesentlich bei. Man will doch als Bayer wissen, was so in Bayern los ist und interessiert sich nicht für Wuppertal, allenfalls wenn schon für das dortige immer noch weltberühmte Tanztheater oder die Schwebebahn. Und im Übrigen gibt es ja ohnehin für die bundesweite Hörfunkversorgung den unverzichtbaren Deutschlandfunk, vom ZDF beim Fernsehen mal ganz zu schweigen.
Am Schluss
Es könnte noch munter so weiter gehen, vielleicht aber ist das vorerst Gesprächsstoff genug. Um der Kritik vorzubeugen: Ja ich weiß, auch das hier ist ein selektiver Blick. Vielleicht reicht er jedoch ein wenig über die bisherige Debatte hinaus. Eines ist er jedenfalls nicht: Lobbyismus, den leider Tom Buhrow in seiner Rede allen, die sich für bestimmte Ziele einsetzen, leichtfertig unterstellt hat. Wer mehr Kultur, mehr sachliche Information, ein höheres Unterhaltungsniveau im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordert, ist nicht frei von lobbyistischen Interessen. Wer ist das schon? Aber er oder sie scheren sich vor allem um das gesellschaftliche Klima in diesem Lande, um die Debatten-Kultur und um das Bildungs- und Erkenntnisinteresse der Menschen. Und da können und müssen ARD und ZDF ihren spezifischen Beitrag leisten. Tun sie das nicht oder nicht ausreichend, riskieren sie ihre Existenzberechtigung. Das kann niemand wollen, der sich über die Zukunft hierzulande ein paar ernste Gedanken macht.
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