Wann sind Künstler selbstständig, wann abhängig beschäftigt?

In diesem Monat feierte die Welt der Künste den 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich. Sein herausragendes Schaffen, sein Leben, seine Überzeugungen sind Gegenstand zahlreicher Ausstellungen, Artikel und Dokumentationen. Doch niemand stellt an die Arbeit dieses außergewöhnlichen Künstlers die Frage, die gemeinhin heute als Statusfrage bezeichnet wird: War er im juristischen Sinne selbstständig tätig? Was bedeutete es, dass er von der Dresdener Akademie zunächst ein Gehalt bezog und später dort zum Professor ernannt wurde? Wurde er dadurch zum abhängig Beschäftigten, zum Arbeitnehmer, weisungsabhängig, verpflichtet, mit festen Arbeitszeiten? Bekam er Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Und zahlte er, wenn ja wie, irgendwelche Steuern? Welch profane Fragen im Angesicht großer Kunst, mag man da denken. Ja, das alles hat sicher im 19. Jahrhundert keine große Rolle gespielt. Heute aber, in einem modernen Sozialstaat, treibt der rechtliche Status die vielen Künstlerinnen und Künstler um, wollen sie (und müssen sie) doch ihren rechtlichen Verpflichtungen gerecht werden.


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Fragen über Fragen

Für bildende Künstler, die in ihrem Atelier einem mehr oder auch weniger genialen Schaffen nachgehen und vielleicht mit ihren Bildern oder Skulpturen schon ganz gut im Geschäft sind, ist die Sache einfach: Er oder sie sind selbstständig. Doch schon, wenn sie einen Lehrauftrag an einer Universität oder einer privaten Bildungseinrichtung annehmen, wenn sie regelmäßig bei einem Verlag oder einer Werbeagentur arbeiten, tauchen neue Fragen auf. Wie wird man beschäftigt, wie bezahlt? Entscheidet die Künstlerin selbst, wann sie unterrichtet oder muss sie auf Anweisung der Lehreinrichtung erscheinen. Hat der Künstler einen eigenen Arbeitsplatz in den Räumen der Werbeagentur, für die er tätig ist? Was ist der Unterschied zwischen dem Homeoffice eines Arbeitnehmers und der selbstständigen Tätigkeit im eigenen Büro oder Atelier?

Noch undurchsichtiger wird die Statusfrage im Bereich der darstellenden Kunst. Schauspielerinnen, Tänzer, Sängerinnen und Musiker sind in der Regel angestellt, also Arbeitnehmer. Das gilt auch, wenn sie nur für wenige Tage oder einige Wochen tätig sind. Regisseurinnen, Bühnenbildnerinnen und Kostümbildner sowie Dirigenten, die nur für eine Produktion beschäftigt werden, sind hingegen meist selbstständig. Doch gilt die arbeitsrechtliche Einordnung in die eine oder andere Tätigkeitsform auch sozialversicherungsrechtlich und steuerrechtlich? Man mag es kaum glauben, aber in den unterschiedlichen Rechtsbereichen kommt man je nach Lage des Einzelfalls durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen. Absurder geht es kaum.

Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts

2007 setzte sich das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung (Aktenzeichen: 5 AZR 270/06) mit dem Status eines Sängers auseinander. Der Sänger, der mit einem Gastvertrag für eine einzelne Theater-Produktion in Proben und Aufführungen beschäftigt wurde, hatte geltend gemacht, er sei Arbeitnehmer, also angestellt und nicht selbstständig. Als er in einer Vorstellung nicht auftreten konnte, weil er erkrankt war, verlangte er von dem Theater nach dem nur für Angestellte geltenden Entgeltfortzahlungsgesetz die für die Vorstellung vereinbarte Vergütung. Das Bundesarbeitsgericht folgte seiner Argumentation nicht, trieb dabei aber die Statusfrage vollständig auf die Spitze. Es kam nämlich zu der Erkenntnis, dass der Sänger während der durchlaufenden Probenphase Arbeitnehmer sei, in der Zeit der Vorstellungen, deren Termine mit ihm fest vereinbart waren, eher selbstständig. Doch das wollte selbst das höchste deutsche Arbeitsgericht den Theatern nicht zumuten. Also griff es zu einer Art Schwerpunkttheorie. Das Wichtigere seien, so entschieden die Erfurter Richter, die Vorstellungen. Sie gäben dem Beschäftigungsvertrag das Gesamtgepräge, sodass er insgesamt als Vereinbarung einer selbstständigen Tätigkeit anzusehen sei. Damit war ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausgeschlossen.

Der Abgrenzungskatalog der Sozialversicherung

Wer nun glaubte, aus dieser Entscheidung würden die Sozialversicherungsträger, zuständig für Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung, die Konsequenzen ziehen, der hatte weit gefehlt. Sie scherte das Urteil einen feuchten Kehricht. In ihrem sogenannten Abgrenzungskatalog, der den Sozialversicherungsstatus von darstellenden Künstlern regelt, heißt es noch immer:

„Gastspielverpflichtete Schauspieler, Sänger, Tänzer und andere Künstler (einschließlich Kleindarsteller und Statisten) sind in den Theaterbetrieb eingegliedert und daher grundsätzlich abhängig beschäftigt.

Eine selbständige Tätigkeit ist bei Vorliegen eines Gastspielvertrages ausnahmsweise bei einem Schauspieler, Sänger (Solo), Tänzer (Solo) und Instrumentalsolisten dann anzunehmen, wenn er aufgrund seiner hervorragenden künstlerischen Stellung maßgeblich zum künstlerischen Erfolg einer Aufführung beizutragen verspricht und wenn nach dem jeweiligen Gastspielvertrag nur wenige Vorstellungen vereinbart sind. Hierunter sind in erster Linie Gastspiele zu verstehen, denen eine herausragende künstlerische Stellung zukommt, d. h. Künstler mit überregionaler künstlerischer Wertschätzung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, die in der Lage sind, ihre Bedingungen dem Vertragspartner gegenüber durchzusetzen. Allerdings kann eine regelmäßige Probenverpflichtung als Indiz gegen eine selbständige Tätigkeit gewertet werden.“

Nun wird es kaum einen Künstler geben, der nicht verspricht, „maßgeblich zum künstlerischen Erfolg einer Aufführung“ beizutragen, egal, ob er das Versprechen einhält oder nicht. Aber das hilft nur weiter, wenn es um wenige Vorstellung geht. Gedacht wird hier an den internationalen Sängerstar, der drei, vier Vorstellungen einer Oper singt. In der Regel wird der gastspielverpflichtete darstellende Künstler also sozialversicherungsrechtlich (und damit auch meist steuerrechtlich) zum Arbeitnehmer. Vor allem der letzte Satz des oben zitierten Textes aus dem Abgrenzungskatalog steht dabei im vollständigen Widerspruch zum dargestellten Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Um die Verwirrung komplett zu machen, wurde in dem Katalog an anderer Stelle außerdem die Orchesteraushilfe mal eben zum selbstständig Tätigen erklärt, während dem einspringenden Schauspieler, Sänger oder Tänzer der Arbeitnehmerstatus zuerkannt wurde. Warum dieser Unterschied gemacht wird, bleibt Geheimnis der Sozialversicherungsträger.

Was Künstlerinnen und Künstler wollen

Die ganze Wirrnis dient eigentlich dem weitverbreiteten Wunsch der Künstler, möglichst im Anstellungsverhältnis tätig zu sein. Dafür muss man angesichts der mit diesem Status verbundenen Vorteile Verständnis haben. Doch viele Schauspielerinnen und Sänger sind zunehmend auf dem freien Markt unterwegs. So hört man vor allem aus den Privattheatern, dass immer mehr dort auftretende Schauspieler und Schauspielerinnen darum bitten, als selbstständig tätig auf der Bühne stehen zu dürfen. Es sind Künstler, die sich in diesem Status eingerichtet haben, mit einer Kranken- sowie Pflegeversicherung und Altersversorgung bei der  Künstlersozialkasse, mit eigener Zusatzabsicherung durch Vermögensbildung im kleineren oder größeren Rahmen, mit Einkommenssteuererklärung inklusive vierteljähriger Vorauszahlung, mit Umsatzsteuerbefreiung etc.. Das alles stellt sie vor große Herausforderungen, wenn sie plötzlich für einen Tag oder vor allem für ein paar Wochen abhängig beschäftigt werden. Aber hier kennt der Gesetzgeber keine Gnade. Das Gesetz gibt also weder den Theatern noch den Künstlerinnen und Künstlern irgendeine Handhabe, von den bestehenden Vorschriften abzuweichen. Lediglich eine kreative Auslegung der Regelungen mag weiterhelfen, ist aber für die Theater mit großen Risiken verbunden. Manches Haus sah sich schon fünfstelligen Nachforderungen von den Sozialversicherungsträgern oder der Finanzämter ausgesetzt, weil bei zahlreichen Beschäftigten fehlerhaft der Status eines Selbstständigen angenommen wurde. In diesen Fällen mussten sie sowohl der Arbeitgeberanteil als auch der Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung sowie die gesamte Lohnsteuer nachzahlen. Die Möglichkeiten die damit verbundenen Überzahlungen des Arbeitgebers (Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung und/oder Lohnsteuer) vom Arbeitnehmer zurückzufordern, sind praktisch wie juristisch mehr als begrenzt.

Der Vertrag mit einer selbstständigen Künstlerin

Will nun ein Theater mit einer bei ihm beschäftigten Künstlerin einen Vertrag abschließen, der ihr den Status einer Selbstständigen einräumt, dann kann es das trotz der bestehenden Risiken versuchen. Nehmen wir als Beispiel eine Produktions-Dramaturgin, weil hier noch die Chance des Erfolges besteht, wenn man die folgenden Ratschläge beherzigt:

  • Der Vertrag sollte als „Honorarvertrag“ bezeichnet werden, auch wenn es bei der juristischen Bewertung des Vertrags nicht auf dessen Bezeichnung ankommt. So vermeidet man aber die Verwendung der Begriffe „Werkvertrag“ und „Dienstvertrag“, die zusätzliche juristische Fragen aufwerfen.
  • Vereinbart werden sollte möglichst ein Gesamthonorar, das nicht regelmäßig (z.B. monatlich zu einem festen Datum) mit gleich hohen Teilbeträgen ausgezahlt wird. Die Auszahlung kann besser etwa in drei Tranchen erfolgen (erste eher niedrigere Rate nach Vertragsschluss, zweite höher zu einem festgelegten Zeitpunkt während der Probenphase, dritte als Abschlusszahlung nach der Premiere). Noch besser ist die Zahlung nach Rechnungsstellung bestimmter erbrachter Leistungen. Auch bei solcher Rechnungsstellung sollte eine regelmäßige Zahlung gleicher Beträge vermieden werden.
  • Eine „Arbeitszeit“ ist nicht zu regeln. Man kann allenfalls eine Höchststundenzahl festschreiben, wenn pro in Rechnung gestellter Arbeitsstunde bezahlt werden soll. Erwartet das Theater bestimmte Präsenzen, ist dazu eine einvernehmliche Regelung zu treffen (etwa Anwesenheit bei den Proben und Teambesprechungen). Möglichst sollte im Vertrag stehen, wann diese zeitlich stattfinden, vor allem in welchem Zeitraum, also zwischen der ersten Probe und der Premiere; beides ist datumsmäßig zu bestimmen. Alles, was gerade hinsichtlich der zeitlichen Gestaltung der Tätigkeit auf ein Weisungsrecht des Theaters oder auch nur einseitige Festlegung des Ablaufs der Tätigkeit durch das Theater hinausläuft, ist möglichst zu vermeiden. Es ist im Prinzip wie bei jeder selbstständigen Tätigkeit Einvernehmen gefragt. Der Patient schreibt auch seinem Arzt nicht vor, wann er ihn zu behandeln hat.
  • Zu vereinbaren ist immer eine Bruttolohnvergütung gegebenenfalls mit Umsatzsteuerregelung (inklusive oder zuzüglich).
  • Keinesfalls sollte die Dramaturgin einen festen Arbeitsplatz in den Räumen des Theaters haben. Angaben etwa einer Haustelefondurchwahl im Telefonverzeichnis des Theaters sind ein wichtiges Indiz gegen die Selbstständigkeit der Beschäftigten. Grundsätzlich hat die Dramaturgin ihren Arbeitsplatz zu Hause in ihrem eigenen Büro. Deshalb sollte auch über den typischen Arbeitnehmerbegriff des „Homeoffice“ nichts im Vertrag stehen.
  • Hinweise wie „Durch diesen Vertrag entsteht kein Arbeitsvertrag.“ sind zu vermeiden. Sie lassen lediglich erkennen, dass das Theater das Entstehen eines Arbeitsvertrages nicht für ausgeschlossen gehalten hat, sind also kontraproduktiv. Auch die Vereinbarung „Es werden keine Sozialversicherungsbeiträge und keine Lohnsteuer abgeführt.“ ist juristisch bedeutungslos und deshalb überflüssig. Will das Theater dennoch die Beschäftigte auf diese Umstände aufmerksam machen, sollte der Satz lauten: „Die Beschäftigte ist selbstständig tätig; es werden daher keine Sozialversicherungsbeiträge und keine Lohnsteuer abgeführt.“

Lässt sich durch eine Gesetzesänderung etwas ändern?

Eigentlich ist der Gesetzgeber gefragt. Eine Regelung zu finden, ist jedoch angesichts der mehr als verworrenen juristischen Verhältnisse alles andere als einfach. Und dennoch soll es hier einen Lösungsvorschlag für eine Gesetzesänderung geben: Ist ein Künstler als selbstständig tätig bei der Künstlersozialkasse versichert, darf er bei einer Beschäftigung, die bei dem gleichen Theater nicht mehr als 42 Tage im Kalenderjahr umfasst, nicht gegen seinen Willen als angestellt beschäftigt werden. Das gleiche gilt, wenn er mindestens eine der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechende Versicherung, z.B. als ausländischer Künstler, nachweist. Den Willen, nicht als Angestellter beschäftigt zu werden, müssen die Künstlerin oder der Künstler gegenüber dem Theater vor Abschluss des Vertrages schriftlich bekunden. Eine solche Regelung müsste dann für das Arbeitsrecht, das Sozialversicherungsrecht und das Steuerrecht gleichermaßen gelten. Ihre Handhabung mag nicht immer ganz einfach sein, aber einen Versuch wäre sie wert. Die jetzige Rechtslage ist jedenfalls mehr als unbefriedigend.

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