Die Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler, Illusion oder reale Option

Die Corona-Pandemie hat sich in den Lebenslauf vieler selbstständig tätiger Künstlerinnen und Künstler als schwerwiegende existentielle Erfahrung eingebrannt. Theater wurden geschlossen, Filme nicht mehr gedreht. Konzerte wurden abgesagt und fanden nicht statt. Galerien verkauften keine Bilder mehr. Künstler-Verträge wurden mit der Begründung Force Majeure (höhere Gewalt) aufgehoben. Die Kunstszene saß auf dem Trockenen. Vielen blieb nur noch das Arbeitslosengelds II, was in Wahrheit kein Arbeitslosengeld war, sondern eine soziale Unterstützung. Heute heißt es deshalb Bürgergeld und steht, wenn man manchen Wahlkampfparolen glauben darf, schon wieder auf dem Prüfstand. Umso lauter wurden damals die Forderungen nach einer echten Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstlerinnen und Künstler. Doch geht das überhaupt, jemanden, der selbstständig künstlerisch tätig ist, gegen Arbeitslosigkeit zu versichern?

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Ein Gutachten im Auftrag von NRW

Es ist das Verdienst des Landes NordrheinWestfalens, zu diesem Thema ein Gutachten in Auftrag gegeben zu haben. Seitdem Frühjahr 2022 liegt dieses Gutachten vor. Die Landesregierung NRW hat die von Professor Daniel Ulber verfasste Studie im November vergangenen Jahres zum Anlass genommen, in den Bundesrat einen Entschließungsantrag (Bundesrats -Drucksache 578-28) einzubringen. Mit dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, in der Künstlersozialversicherung eine „Absicherung von Lücken in der Erwerbsbiografie für selbständige Künstlerinnen und Künstler“ einzuführen. Der Bundesrat hat diesen Antrag in seiner Sitzung am 22. November 2024 an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

Denn bekanntlich hat die Bundesregierung derzeit andere Sorgen. Und eine nach der Bundestagswahl (hoffentlich auch kulturell) gebildete neue Koalition, wird sich vielleicht auch mit anderen Themen als der Migration befassen, aber kaum die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler ganz oben auf die Agenda setzen. Das gilt erst recht, wenn es um so ein heikles Thema wie die Arbeitslosenversicherung für selbstständig tätige Künstler geht. Eines hat nämlich das NRW-Gutachten trotz aller Versuche, Lösungsansätze zu finden, gezeigt: Die Probleme sind größer als erwartet. Und sie sind sehr unterschiedlicher Natur. Sie reichen von der Frage, wann bei einem selbstständig tätigen Künstler überhaupt von einer Arbeitslosigkeit gesprochen werden kann, über die Finanzierbarkeit der Versicherungsleistungen bis hin zu deren genauer Ausgestaltung, besser noch deren Umfang.

Selbstständige Tätigkeit und Arbeitslosigkeit

Bei einem Arbeitnehmer ist der Eintritt der Arbeitslosigkeit einfach zu definieren. Sie tritt ein, wenn der Arbeitnehmer in einem festen Arbeitsverhältnis steht, dieses beendet wird und bei einem anderen Arbeitgeber mit ihm kein neuer Arbeitsvertrag zustande kommt. Solange ein Arbeitsvertrag besteht, kann keine Arbeitslosigkeit vorliegen. Arbeitet der Arbeitnehmer als Teilzeitkraft etwa nur drei Tage in der Woche, so ist er an den anderen Tagen nicht arbeitslos, da er auch an diesen Tagen über einen Arbeitsvertrag verfügt. Nur das Ende eines Arbeitsvertrags führt zur Arbeitslosigkeit.

Völlig anders ist etwa die Situation einer selbstständigen Solo-Cellistin, die mit drei unterschiedlichen Konzertveranstaltern jeweils ein Konzert (zuzüglich einer oder zwei Proben) für denselben Monat vertraglich vereinbart hat und das zu festen Terminen. Sie ist über den Monat verteilt an nur wenigen Tagen im Rahmen der abgeschlossenen Verträge tätig. Selbst wenn sie sich zwischendurch auf die Konzerte vorbereitet oder übt, gelten im Rahmen des abgeschlossenen Dienstvertrags nur die Vorstellungs- und Probentage als Beschäftigungstage. Dazwischen ist sie rechtlich gesehen arbeitslos. Daher stellt sich die Frage, ob ihr für diese Tage Arbeitslosengeld gewährt werden müsste, sofern für sie eine Arbeitslosenversicherung bestünde und sie lang genug die notwendigen Beiträge entrichtet hätte.

Man zögert, das mit ja zu beantworten. Bekäme die Cellistin für jedes dieser drei Konzerte nämlich einen Betrag von 3.000,- Euro, bestünde bei einem Brutto-Monatsverdienst von 9.000,- Euro überhaupt keine soziale Schutzbedürftigkeit. Würden je Konzert aber 200,- Euro gezahlt, wäre diese Schutzbedürftigkeit zu bejahen. Zahlte man ihr nun für alle Tage der Arbeitslosigkeit, die zwischen den drei Konzerten (mit der einen oder anderen oft unvergüteten Probe) liegen, je 200.- Euro, bekäme sie weit mehr, als sie eigentlich in dem Monat verdient hätte. Aber ist es die Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, Künstlerinnen und Künstler ein bestimmtes Einkommen, das sie auf dem Markt nicht erzielen, zu garantieren, etwa im Sinne eines bedingungslosen Grundeinkommens? Wohl kaum!

Noch schwieriger wird die Lage bei einem selbstständig tätigen bildenden Künstler. Er arbeitet völlig frei, an welchen Tagen im Monat auch immer. Sein Einkommen erzielt er durch den Verkauf seiner künstlerischen Produkte, etwa Gemälde, Skulpturen oder Fotografien. Wann soll er nun als arbeitslos gelten? In seinem Fall liefe eine Arbeitslosenversicherung also erst recht auf die Garantie eines Grundeinkommens hinaus.

Die Finanzierung

In dem Gutachten wird empfohlen, die Arbeitslosenversicherung für selbstständig tätige Künstler bei der Künstlersozialkasse (KSK) anzusiedeln. Das ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Denn wenn eine Künstlerin oder ein Künstler dort bereits pflichtversichert sind, bestehen weder an der Künstlereigenschaft noch an der überwiegend selbstständigen Tätigkeit ernsthafte Zweifel. Es stellt sich allenfalls die Frage, ob die Arbeitslosenversicherung auf die ebenfalls über die KSK kranken-, pflege- und rentenversicherten Publizisten auszudehnen wäre. Dafür sprechen zumindest Gründe der Gleichbehandlung und der strukturellen Einheitlichkeit. Zwingend ist das jedoch nicht.

Zu Recht wirft das vorliegende Gutachten die Frage der Finanzierung auf. Die KSK-Versicherungen sind so ausgestaltet, dass eine Künstlerin ihren Beitrag zu ihrer Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Rentenversicherung zahlt, jedoch nur in der Höhe des bei Arbeitnehmern anfallenden Arbeitnehmeranteils. Die dem Arbeitgeberanteil entsprechende Zahlung wird von der KSK übernommen. Finanziert wird diese Zuzahlung letztlich durch die Künstlersozialabgabe, die von den Auftraggebern künstlerischer Leistungen zu entrichten ist, sowie durch einen Bundeszuschuss. Wird nun die Versicherung der Künstlerin um eine Arbeitslosenversicherung erweitert, müsste die Finanzierung ähnlich gestaltet werden. Das ist leichter gesagt als getan. Denn die versicherte Künstlerin müsste aus ihrem möglicherweise bescheidenen Einkommen einen zusätzlichen Beitrag leisten. Zudem wird der Bundeszuschuss trotz knapper Kassen ebenso ansteigen müssen wie die Künstlersozialabgabe der Unternehmen. Letzteres ist nicht ohne Risiko. Schon in der Vergangenheit hat eine steigende Künstlersozialabgabe große Unternehmensverbände wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) oder den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) veranlasst, die Abschaffung der KSK zu fordern. Das konnte zwar stets mit guten Argumenten abgewehrt werden. An der Skepsis der beiden genannten Verbände gegenüber jeglicher Sozialversicherung für Selbstständige hat dies jedoch nichts geändert.

Arbeitslosenversicherung für „Lücken in der Erwerbsbiografie“?

Schon die zuvor aufgezeigten Probleme machen deutlich, dass zumindest beim Einstieg in eine Arbeitslosenversicherung für selbstständig tätige Künstlerinnen und Künstler große Zurückhaltung und Vorsicht geboten sind, will man die Politik zu einem Schritt in diese Richtung bewegen. Das oben genannte Gutachten nennt als abzusicherndes Risiko „Lücken in der Erwerbsbiographie von selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern“ und setzt für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld voraus, dass „mehrere Monate ein Einkommensausfall besteht“ und dass „das Durchschnittseinkommen in einem Rückrechnungszeitraum deutlich unterschritten wird“. Das zu konkretisieren, wird jedoch gesetzgeberisch sehr schwerfallen. Zudem werden sich die Kosten ebenso wenig vorausberechnen lassen wie es sich ausschließen lässt, dass die Versicherung dann doch auf ein garantiertes Grundeinkommen für Künstlerinnen und Künstler hinausläuft.

Konkrete Anlässe absichern

Deshalb ist die Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler und Künstlerinnen zunächst auf den Fall der Nichterfüllung eines wirksam abgeschlossenen Vertrages seitens des Unternehmens zu beschränken, dem eine Leistung zu erbringen ist oder erbracht wurde. Zudem ist eine weitere Beschränkung auf bestimmte Anlässe für diese Nichterfüllung erforderlich. Dazu gehören vor allem die oben schon erwähnte Force Majeure, aber auch die Zahlungsunfähigkeit, also der Konkurs des Unternehmens. Der Künstler erhielte also Arbeitslosengeld, wenn aus den genannten Gründen ein Konzert ausfällt, eine Theateraufführung nicht stattfindet oder der vertraglich vereinbarte Verkauf eines von ihm geschaffenen Kunstgegenstandes nicht durchgeführt werden kann.

Das zweite abzusichernde Risiko ist der Totalausfall von Aufträgen mit der Folge des Wegfalls wesentlicher Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit. Das kann einerseits eintreten durch die Beendigung der dauerhaften Zusammenarbeit veranlasst von einem Unternehmen, von dessen Beauftragung die wirtschaftliche Existenz eines Künstlers oder einer Künstlerin abhängt. Hier jedoch geht es nicht nur um Konkurs und Schließung des Unternehmens, sondern auch um die einfache Beendigung der Beauftragung, etwa durch Auslaufen eines Rahmenvertrages. Andererseits wäre aber der Fall zu erfassen, dass beispielsweise durch eine Pandemie alle oder mehrere potentielle Auftraggeber plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen, so wie es bei Corona geschehen ist.

In allen Fällen liefe die anzustrebende Arbeitslosenversicherung eher auf eine Versicherung des Honorarausfalls hinaus. Man sollte dann das Kind auch bei dem entsprechenden Namen benennen. Unbedingt ist eine Beschränkung der Versicherungsleistung auf eine Obergrenze sowohl für den einzelnen Ausfall als auch für die Zahlungen pro Monat erforderlich. Diese muss sich prozentual an der ausgefallenen Honorarsumme orientieren, zugleich aber an einem generell festzulegenden Höchstbetrag. Ob der Künstler oder die Künstlerin in späteren bzw. früheren Zeiträumen ausreichendes oder sogar mehr als ausreichendes Geld verdient hat, muss außer Betracht bleiben. Denn auch ein arbeitsloser Arbeitnehmer bekommt im Falle einer dreimonatigen Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld, selbst wenn er in den Monaten davor und danach sehr viel verdient. Vernachlässigt werden kann ebenso die Frage der Wartezeit, sofern der Künstler bereits in der Künstlersozialkasse versichert ist.

Kurzzeitige Beschäftigung, mal mit Arbeitsvertrag mal mit selbstständigem Honorarvertrag

Viele vor allem darstellende Künstler springen bei kurzzeitiger Beschäftigung ständig zwischen Arbeitsverhältnissen und abhängiger Beschäftigung hin und her. Die daraus resultierenden Probleme bedürfen vor allem dann, wenn man eine Arbeitslosenversicherung für selbstständige Künstler einführt, einer Klärung. Die beste Lösung dafür wäre es aus meiner Sicht, wenn im Falle der Versicherung in der Künstlersozialkasse diese für alle Versicherungsverhältnisse eines Künstlers oder einer Künstlerin insgesamt zuständig bliebe. Für den Fall des Abschlusses eines Arbeitsvertrags müsste der Arbeitgeber dann die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge an die Künstlersozialkasse abführen. Erst wenn der Künstler oder die Künstlerin ein Arbeitsverhältnis von mehr als beispielsweise drei Monate einginge, käme die allgemeine Sozialversicherung wieder ins Spiel. Solche Überlegungen sind im Übrigen nicht nur im Sinne des Bürokratieabbaus, sondern erleichtern den künstlerisch Beschäftigten auch die Akzeptanz.

Schlussbemerkung

Schon die hier skizzierte Lösung zur Versicherung des Honorarausfalls bei selbstständiger künstlerischer Tätigkeit wäre schwierig genug. Dennoch ist zu hoffen, dass eine neue Bundesregierung den Mut und den Elan aufbringt, sich der Sache anzunehmen. Vielleicht finden ja doch die CDU und die in sozialen Fragen stets engagierte SPD nach der Bundestagswahl zu einer gemeinsamen Regierung. Jedenfalls sollten die Kulturverbände unmittelbar nach der Regierungsbildung eine entsprechende Initiative ergreifen. Denn ehe man sich versieht, ist die Legislaturperiode wieder beendet, manchmal, wie wir gerade feststellen, früher als alle dachten.

Siehe hierzu auch: https://stadtpunkt-kultur.de/2021/01/wohin-die-reise-fuehrt-ueber-die-zukunft-der-theater-und-die-soziale-lage-der-kuenstler/

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