Erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes und was sie für Theater und Konzertsäle bedeutet

Als im Frühjahr des vergangenen Jahres die Theater und Konzertsäle wegen des grassierenden Corona-Virus erstmalig geschlossen wurden, gab es erhebliche rechtliche Einwände gegen diese Schließungen. Denn bis dato erlaubte das Infektionsschutzgesetz nur das Verbot von „Veranstaltungen“. Von Schließungen stand da nichts im Gesetz. Erst später nahm sich der Gesetzgeber der Bedenken an und fügte den § 28a ein. Dort wurde für den Fall einer vom Bundestag festgestellten „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ die „Untersagung oder Beschränkung von Kulturveranstaltungen oder des Betriebs von Kultureinrichtungen“ als mögliche Maßnahme vorgesehen. Das ließ die gebotenen Spielräume. Zuständig für diese Maßnahmen waren die Länder, die sie auf dem Verordnungswege festlegten, aber nicht festlegen mussten. Doch nun kommt § 28 b ins Infektionsschutzgesetz und einmal mehr ist alles leider mit der heißen Nadel genäht.

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Denn in dieser Vorschrift wird erstmalig unter der Voraussetzung einer Inzidenz von 100 Corona-Erkrankten pro 100.000 Einwohner gesetzlich ohne Wenn und Aber „die Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen …“ untersagt. Schon beim ersten Lesen fällt auf, dass im Wortlaut selbst nach dem Wort „Öffnung“ die Worte „für Publikum“ fehlen. Zwar steht in der Begründung des Gesetzentwurfs, dass mit der untersagten Öffnung der Ausschluss von Zuschauern gemeint ist. Aber der Jurist lernt schon im ersten Semester seines Studiums, dass die Begründung eines Gesetzentwurfs zwar zur Interpretation herangezogen werden kann, aber nicht Teil des Gesetzes ist. Jedes Gericht, jede Behörde kann das Gesetz auch anders auslegen und das Theater oder den Konzertsaal komplett schließen. Dann wären nicht einmal mehr Proben oder digitale Projekte, die zurzeit wie Pilze aus dem Boden schießen, erlaubt.

Warum wird außerdem zwischen Oper und Theater unterschieden? Die Oper, oder besser das Musiktheater (es gibt auch Operetten und Musicals, was im Bundesjustizministerium unbekannt zu sein scheint) ist nichts anderes als eine Gattung, eine Sparte des Theaters. Betreibt ein Theater nur diese Sparte, wie etwa die Staatsopern in München, Berlin oder Hamburg, dann ist und bleiben auch diese Häuser ein Theater. Das kann man schließen, aber die Oper ebenso wenig wie den Tanz. Fraglich ist auch, was unter der (untersagten) Öffnung einer „Bühne“ zu verstehen ist, für Publikum versteht sich, so ja die Gesetzesbegründung. In der Regel ist gerade das nicht auf der Bühne, es sei denn man hält es mit Shakespeare: „Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab.“ Aber daran wird man in Berlin kaum gedacht haben, es ei denn, es geht um die Politik selbst. Wie dem auch sei, man kann doch kaum eine Bühne schließen, die jemand auf dem Marktplatz bestehend aus einem Haufen Brettern und Kisten aufstellt. Denn eigentlich nichts anderes macht zum Beispiel das Nationaltheater Mannheim mit seinem neuen Theatertruck. Man kann dessen Betrieb untersagen, aber „schließen“ kann man sie im eigentlichen Sinne nicht.

Wortklauberei? Nein, es geht um die Freilichtveranstaltungen, die viele Theater und Orchester jetzt planen. Wie ist zu erklären, warum bei einer Inzidenz von über 100 keine kleinen Konzerte im Freien mehr stattfinden sollen, wenn für einen ausreichenden Abstand der Zuschauer sowie Maskentragen, gegebenenfalls sogar Schnelltests gesorgt ist? Oder nur die Geimpften kommen, die sich ja bedenkenlos demnächst, so hat es der Bundesfinanzminister gerade in der Welt am Sonntag verkündet, frei bewegen dürfen. Was es mit der Gleichbehandlung auf sich hat, scheint ich nicht zu kümmern. Nicht die Gleichbehandlung zwischen Geimpften und Nichtgeimpften! Die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt eher darin, dass der Staat zurzeit nicht allen ein Impfangebot machen kann, also seinerseits entscheidet, wer in den Genuss von Grundrechten kommt und wer nicht. Das aber ist juristisch hoch problematisch. Die einzige Möglichkeit, die noch bleibt, ist allen den Besuch einer Veranstaltung unter Beachtung von Abstandsregelungen und Maskengebot zu ermöglichen, vorausgesetzt sie sind (zurzeit kostenlos) geimpft oder haben eine (deshalb ebenfalls kostenlosen) Schnelltest gemacht. Aber geschlossene Theater und Konzertsäle können einen solchen Besuch gar nicht ermöglichen, von neuen Experimenten des Zugangs ganz zu schweigen.

Nein, das Ganze ist unausgegoren, erst recht wegen der Kulturhoheit der Länder. Welcher Kulturbetrieb was unter welchen Voraussetzungen machen darf, müssen diese entscheiden. Und sie müssen es entscheiden in Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Gesundheitsschutz, also auch unter dem Aspekt von Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz. Ein Auf oder Zu per Bundesgesetz, das von dem formalen Kriterium der irgendwie gegriffenen Inzidenz von 100 abhängt, wird dem nicht gerecht. Das hat der Bundesgesetzgeber kürzlich noch selbst in den Gesetzentwurf zum erst vor wenigen Monaten eingeführten § 28 a Infektionsschutzgesetz geschrieben. „Bei Untersagungen oder Beschränkungen im Bereich der Kultur muss der Bedeutung der Kunstfreiheit ausreichend Rechnung getragen werden.“, heißt es da, aber nur in der Begründung zu § 28 a. Und die ist eben, siehe oben, das Papier kaum wert, auf dem sie steht. Was ist schon die Kunstfreiheit? Für den Bundesgesetzgeber ist sie offenkundig kaum relevant.

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