Benachteiligt die geplante Aktivrente Künstler und andere Kreative?

Soeben hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Aktivrente beschlossen. Wer sozialversicherungspflichtig angestellt nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters in einer sogenannten abhängigen Beschäftigung weiterarbeitet, muss auf bis zu 2.000 Euro monatlich (24.000 Euro im Jahr) ab dem Beginn des nächsten Jahres keine Einkommenssteuer mehr bezahlen. Dies ist eine doppelte Erleichterung. Denn es fällt nicht nur die Einkommenssteuer weg, es werden also bis zu 2.000 Euro im Monat ohne Abzug von Lohnsteuer an die Beschäftigten ausgezahlt. Außerdem lindert die Steuererleichterung die Steuerprogression, die bei steigenden Einkommen zu einem insgesamt höheren Steuersatz führt. Dieser ist dann auch auf den zu versteuernden Teil des Rentenbezugs zu zahlen. Ein schönes Gesetz für alle, die im Rentenalter nicht nur an Urlaub, Kreuzfahrten oder Lese-Tage auf der häuslichen Couch denken, sondern noch ein wenig weiterarbeiten wollen oder sogar müssen. Der Nachteil: Für freiberufliche und damit selbstständige Tätigkeiten gilt die steuerliche Begünstigung nicht. Das ist eine schlechte Nachricht für alle Künstler, aber auch Journalistinnen und Autoren, die als Soloselbständige nach Erreichen des Rentenalters auf dem Markt unterwegs sind, und das sind nicht gerade wenige. Also muss der Gesetzentwurf dringend überarbeitet werden.

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Um wen geht es?

Künstlerinnen und Publizisten, aber auch viele andere Kreative sind in ihrem Berufsleben als Angestellte tätig. Das gilt etwa für Schauspielerinnen und Sänger, Musiker und Dramaturginnen, Designer, Journalisten und Redakteurinnen von Zeitungen oder Rundfunkeinrichtungen. Gehen sie mit dieser Tätigkeit in den Ruhestand, arbeiten viele von ihnen schon aus finanziellen Gründen weiter. Das Gleiche gilt für alle die Künstler und Mitglieder der schreibenden Zunft, die von Anfang an selbstständig tätig sind und sich deswegen in der Künstlersozialversicherung kranken-, pflege- und eben rentenversichern. Auch sie erhalten bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters eine (sehr kleine) Altersrente und setzen ihre Tätigkeit fort.

Abhängig beschäftigt oder selbstständig?

Ob die nach Erreichen des Rentenalters ausgeübte Beschäftigung eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit ist, bleibt angesichts einer völlig ungeordneten, teils eher willkürlichen Rechtslage mehr oder weniger dem Zufall der Jobfindung überlassen (s. https://stadtpunkt-kultur.de/2024/09/wann-sind-kuenstler-selbststaendig-wann-abhaengig-beschaeftigt/). Würde also eine Schauspielerin im Rentenalter für sechs Wochen mit täglichem Auftritt eine Rolle in einem Theater übernehmen, wäre sie abhängig beschäftigt und bekäme ihre Gage bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei ausgezahlt. Träte sie hingegen mit einem Chansonprogramm auf Kleinkunstbühnen auf, wäre sie selbstständig und müsste ihren dort erzielten bescheidenen Verdienst voll versteuern. Auch der Journalist, der ab und an einen Artikel für eine Tageszeitung oder ein Buch schreibt, ist selbstständig und profitiert nicht von der jetzt in Aussicht genommenen Steuererleichterung. Übernimmt er als rüstiger Rentner hingegen für drei Jahre mit guter Bezahlung die Arbeit des Pressesprechers eines Verbandes, wird er steuerrechtlich im Sinne des geplanten Gesetzes bevorzugt. Das ist alles andere als plausibel.

Förderprogramme im Kultursektor

Hinzu kommt, dass viele Kulturförderprogramme, auch der Europäischen Union, mit denen der Kunstbranche Projektmittel zur Verfügung gestellt werden, in der Frage der Finanzierung von Beschäftigten eher restriktiv sind. In den Förderbedingungen wird oft untersagt, dass mit den bereitgestellten Projektmitteln angestellte Beschäftigte finanziert werden. Es dürfen mit diesen Mitteln nur selbstständig Beschäftigte für das öffentlich geförderte Projekt engagiert werden. Immer wieder wird man als Jurist mit dem Anliegen von Kultureinrichtungen konfrontiert, doch bitte die Beschäftigungsverträge, die im Rahmen der Projektförderung abgeschlossen werden müssen, so zu formulieren, dass die juristische Bewertung der Verträge als abhängige Beschäftigung möglichst ausgeschlossen ist. Unabhängig davon, dass dies der politisch unerwünschten Scheinselbstständigkeit in der Kulturbranche Vorschub leistet, sind solche Regelungen bei Beibehaltung der in Aussicht genommenen Steuererleichterung völlig kontraproduktiv.

Was ist zu ändern?

Es ist einzusehen, dass nicht jede selbstständige Tätigkeit im Rentenalter steuerprivilegiert werden kann. Wer als selbstständig Tätiger ein Unternehmen mit mehreren Angestellten unterhält, kann nicht einfach steuerbefreit werden, nur weil er vorher, etwa in seiner eigenen Firma, einmal abhängig beschäftigt war. Wer aber eine freiberufliche Leistung als Soloselbstständiger ausübt, müsste so wie ein Angestellter behandelt werden, wenn er die gesetzliche Altersrente bezieht. Das müsste zumindest für die in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz genannten wissenschaftlichen, künstlerischen und schriftstellerischen Tätigkeiten gelten, und zwar unabhängig davon, ob die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Künstlersozialkasse bezogen wird.

Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen und alle freiberuflichen Leistungen im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommenssteuergesetz durch die Aktivrente privilegieren, wenn sie in Soloselbstständigkeit erbracht werden. Zur Begrenzung der wegfallenden Steuereinnahmen müsste man dann aber wohl generell von der Regelung eines Freibetrags zugunsten einer – gegebenenfalls gestaffelten – Einkommensgrenze Abstand nehmen. Das wäre im Übrigen ohnehin gerechter. Denn es ist doch gar nicht einzusehen, dass nach der jetzt in Aussicht genommenen Regelung der Angestellte eines Versicherungskonzerns, der eine gesetzliche Rente bezieht, über sein gesetzliches Rentenalter hinaus arbeitet und zusätzlich 10.000 Euro im Monat verdient, 2.000 Euro im Monat nicht versteuern muss, während eine selbstständige Künstlerin, die eine monatliche Rente 400 Euro von der Künstlersozialkasse erhält und deshalb weiterarbeiten muss, ihre zusätzlichen Einkünfte voll zu versteuern hat.

Wie die gestaffelte Einkommensgrenze aussehen könnte?

Eine gestaffelte Einkommensgrenze könnte beispielsweise bedeuten, dass man als Rentner bis zu einem Jahreszusatzeinkommen von 24.000 Euro dieses nicht versteuern müsste. Bei einem Zusatzeinkommen von 36.000 Euro wären 12.000 Euro zu versteuern, bis zu einem Zusatzeinkommen von 48.000 Euro 24.000 Euro. Wird noch mehr dazu verdient, entfällt die Steuerprivilegierung. Gäbe es eine solche gestaffelte Einkommensgrenze, bekäme weder der Angestellte noch die soloselbstständige Künstlerin eine Steuererleichterung, wenn sie über der Einkommenshöchstgrenze verdienten. Läge der Verdienst darunter, erhielten beide je nach Zusatzverdienst die gleiche Steuerbefreiung. In beiden Fällen wären sie motiviert, weiterzuarbeiten, entweder wegen ihres hohen Verdienstes oder wegen der Steuerbefreiung. Denn die weitere Tätigkeit im Rentenalter ist bekanntlich der Zweck, auf den der Gesetzentwurf abzielt. Der würde mit einer gestaffelten Obergrenze besser und gerechter erfüllt als mit der jetzt in Aussicht genommenen Freibetrags-Regelung.

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