Triggerwarnung, Satire im Netz und zwei Gerichtsurteile

Um die Kunstfreiheit ging es hier schon einige Male. Nun gibt es einen Anlass, sich das Thema erneut vorzunehmen. Denn in den vergangenen Wochen wurden zwei Gerichtsurteile öffentlich, die sich mit Artikel 5 Grundgesetz befassen. Tätig geworden waren anlässlich unterschiedlicher Vorfälle das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster sowie das Amtsgericht Tiergarten in Berlin. Es handelt sich also nicht um eine höchstrichterliche Rechtsprechung. Dennoch sind beide Entscheidungen für die tägliche Praxis von Kultureinrichtungen durchaus von Bedeutung und bedürfen deshalb einer genaueren Betrachtung.

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Einordnungshinweise und Kuratieren

Zunächst das Oberverwaltungsgericht NRW: Die Stadtbücherei Münster hatte ein von ihr angebotenes Buch mit folgendem Hinweis versehen: „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“ Grund für diesen Hinweis war eine Reihe von in diesem Buch enthaltenen falschen Tatsachenbehauptungen, wie etwa das Leugnen der bemannten Landung auf dem Mond oder des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki. Gegen den Hinweis der Stadtbücherei hatte sich der Autor mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung zur Wehr gesetzt. Das OVG NRW gab ihm in seiner Eilentscheidung recht (Aktenzeichen 5 B 451/25) und sah in dem Hinweis der Stadtbücherei eine Verletzung sowohl der durch Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz geschützten Meinungsfreiheit als auch einen Verstoß gegen die Pressefreiheit (Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz). Zudem wertete es den Hinweis als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Buchautors (https://nrwe.justiz.nrw.de/ovgs/ovg_nrw/j2025/5_B_451_25_Beschluss_20250708.html). Zur Begründung führte das OVG vor allem aus, durch den Einordnungshinweis würden „im Buch enthaltene Meinungen negativ konnotiert und könnte ein potentieller Leser von der Lektüre abgehalten werden.“ Er könne sich abträglich auf das Ansehen des Autors in der Öffentlichkeit auswirken.

Werfen schon diese gerichtlichen Ausführungen Fragen auf, so wird spätestens mit nachfolgender Feststellung über die Aufgabe eines Kurators oder einer Kuratorin die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung des Urteils erkennbar: „Kuratieren meint nach allgemeiner Wortbedeutung ein künstlerisches wie wissenschaftliches Betreuen, sich Kümmern oder Begleiten, insbesondere im Bereich von Ausstellungen oder Veranstaltungen. Die Befugnis, einzelne Medien, die zur Ausleihe angeboten werden, mit einer (negativen) inhaltlichen Bewertung zu versehen, folgt daraus nicht, auch wenn es Bibliotheken freistehen mag, aufgrund sachlicher Kriterien eine Anschaffung bestimmter Werke – z. B. solcher, die wie hier geschichtliche Fakten negieren – zu unterlassen.“ Überträgt man den zweiten Satz dieses Zitats nun naheliegenderweise auf die im ersten Satz erwähnten Ausstellungen und Veranstaltungen (oder vergleichbare öffentliche Präsentationen von Kunstwerken), dann hätte das eine einschneidende Wirkung. Denn dann wären Triggerwarnungen, wie sie heute in Theatern, bei Filmen und im Fernsehen teilweise schon üblich sind, manchmal, vor allem bei extremen Gewaltdarstellungen, dringend geboten sind, rechtlich höchst schwierig. Und auch die immer wieder in der Öffentlichkeit erhobenen Forderungen, problematische Ausstellungsinhalte durch Einordnungshinweise zu kontextualisieren, wären juristisch zweifelhaft. Beide Vorkehrungen sind nämlich durchaus in der Lage, potentielle Zuschauer oder Besucher von der Wahrnehmung des Kunstwerks oder dem Besuch einer Aufführung oder Ausstellung abzuhalten. Wäre das schon ein Eingriff in die Kunstfreiheit oder in das Persönlichkeitsrecht eines Künstlers oder einer Autorin, wären hier den Handlungsmöglichkeiten der Kultureinrichtungen deutliche Grenzen gesetzt.

Das alles erscheint mir mehr als fragwürdig. Es ist doch letztlich der Künstler oder der Autor, der zu seinem Werk stehen muss. Einordnungshinweise, die kein anderes Ziel haben, als die Besucher, Leser oder Zuschauer über das, was es wahrzunehmen gibt, den Tatsachen entsprechend und mit zurückhaltender und gerechtfertigter Wertung zu informieren, müssen zulässig sein. Das ist auch im Interesse der Urheber, denn es ist für sie weit besser, dass ihre Werke mit einem Einordnungshinweis versehen öffentlich zur Diskussion gestellt werden, als dass davon gänzlich Abstand genommen wird. Und der Förderung des öffentlichen Diskurses dient es allemal, wenn das Werk aufgeführt, veröffentlicht oder gezeigt wird satt in der Schublade zu verschwinden, da mag es noch so umstritten sein.

Was darf Satire?

„Alles“ war bekanntlich die Antwort von Kurt Tucholsky. So sieht es offenkundig auch das Amtsgericht Tiergarten. Das hat in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung (Aktenzeichen 235 Ds 57/25; https://www.berlin.de/gerichte/presse/pressemitteilungen-der-ordentlichen-gerichtsbarkeit/2025/pressemitteilung.1583436.php) eine auf der Plattform X veröffentlichte Äußerung des Satirikers Sebastian Hotz („El Hotzo“), die als eine Zustimmung zum versuchten Attentat auf Donald Trump verstanden werden konnte, nicht als Billigung einer Straftat im Sinne des § 140 Strafgesetzbuch angesehen. Diese Äußerungen seien eindeutig satirisch gewesen. Es fehle angesichts dessen bereits an der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „Störung des öffentlichen Friedens“, die der einschlägige Paragraf des Strafgesetzbuches fordert. Zudem, so ist zu ergänzen, wäre die Satire durch die Kunstfreiheit des Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz jedenfalls gerechtfertigt.

Dem mag man sich anschließen können, jedenfalls dann, wenn die Äußerung unmissverständlich in einem satirischen Zusammenhang fällt, etwa in einer Kabarettnummer, einer Satire-Sendung im Fernsehen, einer Kunstaktion, in einer einschlägigen Zeitschrift oder deren der Satire gewidmeten Seiten. Plattformen wie X sind jedoch vor allem unter den heutigen Bedingungen nicht der geeignete Raum für solche nicht gleich als Satire erkennbare Veröffentlichungen. Das Netz ist für die Satire ein heißes Pflaster. Viel zu leicht wird Satire dort missverstanden. Insbesondere aber können unhaltbare Äußerungen im Nachhinein als Satire verharmlost werden. In dieses Fahrwasser sollten sich Komödianten und Kabarettisten, die etwas auf sich halten, nicht begeben. Tun sie es doch, müssen sie befürchten, dass ihnen eine Strafanzeige ins Haus flattert. Wenn dann nach sorgfältiger Prüfung wie im Fall El Hotzo die Verurteilung ausbleibt, ist das im Einzelfall vielleicht gerechtfertigt, selbstverständlich ist es nicht. Die Plattform X ist eben nichts mehr für lustige Personen.

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