Es fehlt an Gründen!

Die Ausladung der Münchener Philharmoniker und ihres designierten Chefdirigenten Lahav Shani ist skandalös. Ein anderes Urteil verbietet sich von selbst. Noch skandalöser ist nur noch die Mitteilung des Flandern-Festivals in Gent, das Orchester könne gerne kommen, aber mit einem anderen Dirigenten. Ahnt im Verantwortungsbereich des Festivals niemand, was schon der Versuch anrichtet, einen Klangkörper – der Ausdruck ist hier bewusst gewählt – und seinen designierten Chefdirigenten derart zu spalten? Gibt es dort überhaupt noch so etwas wie eine Sensibilität im Umgang mit Künstlerinnen und Künstlern? Oder hat man alle Sensoren, die im Management eines Kulturbetriebs vonnöten sind, rechtzeitig eingefahren, um zu einer so abwegigen Entscheidung wie dieser Ausladung zu kommen? Leider ist das zu befürchten.

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Dass es sich bei dem ausgeladenen Dirigenten um einen jüdischen Künstler handelt und die Ausladung im Zusammenhang mit der grauenhaften kriegerischen Auseinandersetzung im Nahen Osten steht, macht alles noch einmal deutlich komplizierter. Dennoch ist es nicht sinnvoll, den Konflikt darauf zu reduzieren. Vielmehr ist angesichts vieler vergleichbarer Debatten der letzten Jahre zu fragen, was es denn mit der Einladung von Künstlerinnen und Künstlern oder auch Wissenschaftlern auf sich hat und wann überhaupt eine Ausladung oder Absage einer Veranstaltung in Betracht kommt.

Einladung und Ausladung

Bevor ein Künstler ausgeladen werden kann, muss er erst einmal eingeladen werden. Das Kriterium für eine solche Einladung hat zunächst nur drei Aspekte: Qualität, Qualität und Qualität. Nun mag man lange diskutieren, was Qualität denn im künstlerischen Sinne heißt; da gehen die Meinungen schon reichlich auseinander. Dies aber mag hier dahinstehen. Die Qualität von Dirigent und Orchester steht im Fall Shani und Münchener Philharmoniker völlig außer Frage.

Natürlich spielen bei einem Engagement eines Künstlers oder einer Künstlerin auch andere Umstände eine Rolle, etwa die Höhe der zu bezahlenden Gage und das Budget des Veranstalters oder die persönliche Verfügbarkeit. Obwohl damit die sachlichen Maßstäbe für eine Einladung weitgehend gesetzt sind, weiß jeder, dass dennoch weniger sachliche Kriterien die Entscheidungen zuweilen beeinflussen. So geht es nicht selten um persönliche Sympathien und Beziehungen. Das ist eher menschlich und insoweit hinnehmbar, als die Qualität nicht leidet und die Entscheidungsgründe vertretbar sind.

Ganz anders ist es bei der Ausladung oder Absage einer Veranstaltung, erst recht, wenn diese noch der Kündigung eines bereits abgeschlossenen Vertrages bedarf. Eine solche Ausladung wird in der Regel öffentlich, ist daher stets mit einer Konfrontation verbunden und schadet schnell dem Renommee der betroffenen Künstler, Wissenschaftlerinnen oder Autoren. Deshalb sind strenge Maßstäbe anzulegen. Umstände, die schon beim Engagement bekannt waren, können keinesfalls zur Rechtfertigung herangezogen werden. Vielmehr muss es sich, wie bei einer außerordentlichen Kündigung eines Vertrages, um schwerwiegende, erst später eintretende Gründe handeln, die eine Ausladung oder Absage rechtfertigen.

Kein Grund für die Ausladung von Orchester und Dirigent

Legt man diese Kriterien zugrunde, dann erweist sich die Ausladung der Münchener Philharmoniker und ihres designierten Chefdirigenten schon als skandalös, bevor man sich überhaupt mit der Frage von möglichen antisemitischen Hintergründen befasst. Dass Shani das Israel Philharmonic leitet, war zum Zeitpunkt des Genter Engagements bekannt. Ebenso bekannt war Shanis vorsichtiger Umgang mit einer im Ausland geäußerten Kritik an Israel. Beides kann schon deshalb nicht als Grund für die Ausladung herangezogen werden, abgesehen davon, dass es ohnehin nicht ausreichend wäre. Umso unglaublicher, dass es trotzdem geschehen ist.

Nicht bekannt war hingegen, dass offenkundig Proteste gegen den Auftritt von Shani in Gent zu befürchten sein könnten. Dies scheint erst in letzter Zeit erkennbar geworden zu sein. Doch das ist kein Grund zur Ausladung, sondern wäre allenfalls Anlass, mit dem Dirigenten darüber zu sprechen, ob er trotz dieser Umstände in Gent auftreten möchte. Ihm und dem Orchester, niemandem anderem oblag diese Entscheidung. Erst wenn echte Sicherheitsrisiken für die Künstler oder das Publikum bestanden hätten und diese nicht, etwa durch Eingangskontrollen, zu minimieren gewesen wären, wäre eine Absage des Konzerts – keine Ausladung der Musikerinnen und Musiker sowie des Dirigenten – in Betracht gekommen. Nichts dergleichen an Sicherheitsrisiken wurde jedoch aus Gent zur Begründung der Absage auch nur angedeutet.

Das Flandern-Festival hatte also nichts in der Hand, was die Ausladung rechtfertigen könnte. Sich das bewusst zu machen in diesen polarisierten Zeiten ist im Sinne von mehr Sachlichkeit im politischen Umgang mit der Kunst mehr als geboten. Shani und die Münchener Philharmoniker werden nicht der letzte Fall von Absagen und Ausladungen aus politischen Gründen gewesen sein. Umso mehr verdienen sie unsere uneingeschränkte Solidarität, wie viele andere auch. Woher sie kommen, sollte dabei keine Rolle spielen.

Siehe auch: https://stadtpunkt-kultur.de/2022/03/putin-oder-nicht-putin-die-frage-nach-der-privaten-gesinnung-und-die-kuendigung-von-kuenstlervertraegen/

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